Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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35.

Es war schon spät am dritten und letzten Tage der Untersuchung, in der Glaukus und Olinthus schwebten. Einige Stunden, nachdem der Gerichtshof geschlossen und das Urteil gesprochen war, hatte eine kleine Gesellschaft vornehmer junger Leute aus Pompeji sich in dem prachtvollen Hause des Lepidus versammelt.

»Also Glaukus leugnete sein Verbrechen bis auf den letzten Augenblick«, sagte Klodius.

»Ja, aber das Zeugnis des Arbaces gab den Ausschlag. Er sah die Tat selbst mit an«, erwiderte Lepidus.

»Was kann wohl die Ursache gewesen sein?«

»Oh, der Priester war ein düsterer und wilder Geselle. Er hat wahrscheinlich den Glaukus über sein lustiges Leben und seine Leidenschaft für das Spiel tüchtig heruntergemacht und schließlich geschworen, er wolle nie in die Heirat mit seiner Schwester willigen. Es entstand ein hitziger Streit. Glaukus, der wohl betrunken gewesen, beging dann die übereilte Tat. Durch die Aufregung entstand dann die Geistesverwirrung, an der er einige Tage gelitten hat. Jedenfalls ist es möglich, daß er sich tatsächlich seines Verbrechens nicht mehr besinnen kann. So sucht wenigstens Arbaces die Sache zu erklären, der in seinem Zeugnis sich sehr milde und mit vieler Rücksicht geäußert zu haben scheint.«

»Ja, er hat sich dadurch allgemein beliebt gemacht. Aber mit Rücksicht auf diese mildernden Umstände hätte der Senat ein gelindes Urteil fällen sollen.«

»Es würde auch geschehen sein, aber man durfte es des Volkes wegen nicht wagen. Die Priester hatten keine Mühe gespart, um es aufzuregen. Der Senat wagte es nicht, zu widerstehen, bei alledem aber hatte Glaukus bloß eine Majorität von drei Stimmen gegen sich.«

»Der Grieche sieht sehr verändert aus, aber wie ruhig und unerschrocken dabei!«

»Ah, wir werden sehen, ob er sich bis morgen so hält. Aber was für ein Verdienst ist es noch, Mut zu haben, wenn jener Hund Olinthus dieselbe Todesverachtung zeigt?«

»Der Gottesleugner! Ja«, sagte Lepidus mit frommer Wut. »Es ist kein Wunder, daß einer der Dekurionen vor zwei Tagen bei heiterem Himmel vom Blitz erschlagen wurde. Die Götter zürnen unserer Stadt, solange ein solcher Verworfener noch in ihr lebt.«

»Man gewährt Glaukus wegen der mildernden Umstände noch einen Vorteil; man gestattet ihm, sich gegen den Löwen mit demselben Stilus zu verteidigen, mit dem er den Priester ermordete.«

»Hast du den Löwen gesehen? Hast du seine Zähne und seine Klauen beobachtet, und nennst du das noch einen Vorteil. Nein, ich halte es für die wahre Gnade, daß man ihn nicht lange auf sein Urteil hat warten lassen. Wer den Tod lange erwarten muß, der stirbt zweimal.«

»Was den Atheisten betrifft,« sagte Klodius, »so soll er es unbewaffnet mit dem grimmigen Tiger aufnehmen. Auf diese Kämpfe läßt sich aber nicht wetten. Oder wer will eine Wette eingehen?«

Ein lautes Gelächter erschallte bei dieser Frage in der Gesellschaft.

»Armer Klodius«, fügte der Wirt. »Es ist schmerzlich, einen Freund zu verlieren, aber noch ein größeres Unglück ist es für dich, wenn du nicht einmal jemand findest, der auf die Möglichkeit seiner Rettung mit dir eine Wette eingehen will.«

»Das Volk«, sagte der würdige Pansa, »ist über das Urteil ganz entzückt. Es war so sehr besorgt, daß man keinen Verbrecher für die Spiele im Amphitheater finden werde, und jetzt zwei solche Missetäter mit einemmal, das ist eine wahre Wonne für die armen Menschen! Das Volk hat schwere Arbeit, es muß auch einige Unterhaltung haben!«

»Da hört man den beliebten Pansa, der nie ausgeht, ohne einen Zug Klienten, so lang als ein indischer Triumphzug, hinter sich zu haben. Er spricht immer für das Volk. Er wird zuletzt noch ein Gracchus werden!«

»Aber«, fragte einer aus der Gesellschaft, »was ist aus dem armen Mädchen geworden, das Glaukus heiraten wollte? Eine Witwe, ohne Frau gewesen zu sein – das ist hart.«

»Oh,« erwiderte Klodius, »sie befindet sich sicher unter dem Schutze ihres Vormundes Arbaces. Es war natürlich, daß sie sich unter seine Obhut begab, da sie ihren Geliebten und ihren Bruder verloren hatte.«

»Bei der süßen Venus! Glaukus hatte Glück bei den Weibern! Man sagt, die reiche Julia sei in ihn verliebt gewesen.«

»Ein einfältiges Gerücht, mein Freund«, sagte Klodius. »Ich war noch heute bei ihr. Wenn irgendein Gefühl dieser Art sie überwältigte, so schmeichle ich mir, daß ich sie getröstet habe.«

»Wißt ihr nicht,« sagte Pansa, »daß Klodius in dem Hause des Diomedes bedeutend auf die Fackel bläst? Sie wird bald brennen und hell leuchten auf dem Altar Hymens.«

»Wirklich?« sagte Lepidus. »Was, Klodius will ein Ehemann werden? Pfui!«

»Beruhige dich«, antwortete Klodius. »Der alte Diomedes ist zufrieden, daß er seine Tochter an einen Mann von guter Geburt verheiraten kann, und wird schon mit den Sesterzen tüchtig herausrücken. Ihr werdet auch schon sehen, daß ich sie nicht im Atrium verschließe.«

Während diese Unterredung in dem prächtigen Triklinium des Lepidus stattfand, war Glaukus in einer ganz anderen Umgebung. Man hatte ihn in eine enge Zelle in dem Forum geführt, dicht neben dem Tempel des Jupiter. In diese enge Öffnung nötigte man den Gefangenen, setzte ihm ein Brot und einen Krug Wasser hin, und ließ ihn in der Finsternis, und, wie er glaubte, in der Einsamkeit. Die Veränderung, welche ihn von der Höhe seiner jugendlichen Träume und seiner glücklichen Liebe so schnell in den tiefsten Abgrund der Schande und in die Schrecknisse eines ihm bevorstehenden qualvollen Todes geworfen, war so plötzlich gewesen, daß er sich kaum überzeugen konnte, er sei nicht von irgendeinem bösen Zauber befangen. Seine eiserne Natur hatte die Wirkungen eines Trankes besiegt, dessen größeren Teil er glücklicherweise nicht ausgetrunken. Sein Bewußtsein war zurückgekehrt, aber seine Nerven waren noch in einem niedergedrückten und dumpfen Zustande, und das verdüsterte auch sein Gemüt. Sein angeborener Mut und das griechische edle Selbstgefühl befähigten ihn, jede unwürdige Äußerung der Furcht zu besiegen und sein schreckliches Urteil in dem Gerichtshofe mit festem Blick und unveränderten Zügen anzuhören. Aber das Bewußtsein seiner Unschuld vermochte kaum, ihn noch aufrechtzuerhalten, als die Blicke der versammelten Menge nicht länger seine stolze Kühnheit unterstützten und er der Einsamkeit und Finsternis übergeben wurde. Die kühle, dumpfe Luft des Kerkers fiel schwer auf seine geschwächten Nerven.

Am schlimmsten aber war es für ihn, daß er so gar nichts von Jone gehört hatte. Kein tröstendes Wort, keine Botschaft hatte sie ihm gesandt. Auch sie hatte ihn verlassen, wie alle übrigen Freunde aus den Tagen des Glücks. Sie hielt ihn für schuldig, sie hielt ihn für den Mörder ihres Bruders! Er knirschte mit den Zähnen, er schrie laut auf, und ein beängstigender Gedanke erwachte in seinem Gehirn. Konnte er nicht, in jener wilden Geistesverwirrung, die sich auf so unbegreifliche Weise seiner bemächtigt hatte, das Verbrechen, ohne daß er sich selbst dessen bewußt war, begangen haben, dessen man ihn beschuldigte? Aber sobald dieser Gedanke in ihm aufstieg, wies er denselben gleich wieder zurück, denn er glaubte trotz seiner damaligen Geistesverwirrung sich deutlich des dunklen Hains der Cybele, des bleichen Antlitzes der Leiche und des plötzlichen Stoßes, der ihn auf sie warf, zu erinnern. Er war von seiner eigenen Unschuld überzeugt, aber von wem durfte er jemals hoffen, daß er seine Unschuld beweisen, seinen guten Ruf wiederherstellen würde? Als er sich seiner Unterredung mit Arbaces und der Gründe erinnerte, die das wilde Herz dieses schrecklichen Mannes zur Rache gegen ihn entflammt hatten, konnte er sich nur denken, daß er das Opfer irgendeines geheimnisvollen und tief angelegten Planes sei, dessen Anlage und Fortgang er vergebens zu enträtseln suchte. Und Jone? Würde sie jetzt die Beute seines Nebenbuhlers werden? Dieser Gedanke erschütterte ihn mehr als jeder andere, und sein edles Herz wurde mehr durch die Eifersucht als durch die Todesfurcht erschreckt. Er seufzte wieder laut.

Jetzt ließ sich eine Stimme aus einem Winkel jener dunklen Höhle vernehmen.

»Wer«, sagte sie, »ist mein Gefährte in dieser schrecklichen Stunde? Athener Glaukus, bist du es? «

»So nannten sie mich allerdings, als ich noch glücklich war, jetzt mögen sie mir vielleicht einen anderen Namen geben. Und dein Name, Fremdling?«

»Ich bin Olinthus, dein Gefährte im Gefängnis und im Tode!«

»Was? Der, den sie den Atheisten nennen? Ist es die Ungerechtigkeit der Menschen, die dich an dem Dasein der Götter zweifeln läßt?«

»Ach!« erwiderte Olinthus. »Du bist der wahre Gottesleugner, nicht ich bin es. Denn du verleugnest den einzigen wahren Gott, den Unbekannten, dem deine athenischen Vorfahren einen Altar errichteten. Auch in dieser Stunde erkenne ich meinen Gott, er ist mit mir im Gefängnis. Am Rande des Grabes flüstert mein Geist mir die Gewißheit der Unsterblichkeit zu, und die Erde weicht nur unter meinen Füßen, um mein besseres Ich dem Himmel näherzubringen.«

»Sage mir«, unterbrach ihn Glaukus. »Hörte ich deinen Namen nicht im Verhör mit dem des Apäcides? Hältst du mich für schuldig?«

»Gott allein liest in den Herzen, aber ich hatte keinen Verdacht auf dich.«

»Auf wen denn?«

»Auf deinen Ankläger, den Arbaces!«

»Ha! Und weshalb?«

»Weil ich die Schlechtigkeit des Mannes kenne, und weil er Ursache hatte, den zu fürchten, der jetzt tot ist.«

Olinthus unterrichtete jetzt Glaukus von der Bekehrung des Apäcides, dem Plan, den sie entworfen hatten, die Betrügereien der Isispriester und die durch Arbaces angewendeten Mittel, um Apäcides zu verführen, öffentlich dem Volke bekanntzumachen. »Wäre daher«, so schloß Olinthus, »der junge Bekehrte Arbaces begegnet, hätte er ihm sein schändliches Benehmen vorgeworfen und mit der Entdeckung seiner Verruchtheit gedroht, so war der Ort und die Stunde günstig für die Rache des Ägypters, und die Leidenschaft sowohl als auch die Notwendigkeit geboten seine Tat.«

»Es muß so gewesen sein«, sagte Glaukus freudig. »Jetzt fühle ich mich glücklich.«

»Aber was nutzt dir jetzt diese Entdeckung, o Unglücklicher? Du bist verurteilt und wirst in deiner Unschuld umkommen.«

»Aber ich selbst bin mir jetzt meiner Unschuld bewußt, und in meiner schrecklichen Raserei hatte ich fürchterliche, doch schnell vorübergehende Zweifel. Aber sage mir, Mann des fremden Glaubens, glaubst du nach deiner Lehre an die Unsterblichkeit des Geistes, und daß diejenigen, welche sich hier liebten, sich jenseits wieder vereinigen, daß dort unser guter Name gereinigt wird von dem Verdacht, der in dieser Welt ihn ungerechterweise befleckt hat? «

»Ob ich das glaube, o Athener? Nein, ich glaube es nicht, ich weiß es, und diese beseligende Gewißheit hält mich jetzt aufrecht. – Oh, Cyllene,« fuhr Olinthus leidenschaftlich fort, »Braut meines Herzens, mir geraubt in dem ersten Monat meiner Ehe, werde ich dich nicht wiedersehen, und zwar in einigen Tagen? Willkommen ist mir der Tod, der mich in den Himmel und zu dir führt!«

Es lag etwas in diesem plötzlichen Ausbruch des menschlichen Gefühls, was in dem Herzen des Griechen eine verwandte Saite bewegte. Er fühlte zum erstenmal eine größere Teilnahme für seinen Gefährten als die des Mitleidens. Er kroch zu Olinthus, denn die in vieler Beziehung grausamen Italiener waren es in anderen Punkten weniger, sie sparten die überflüssige Kette und gestatteten den Opfern der Arena die Freiheit und die Gesellschaft, welche die Umstände erlaubten.

»Ja,« fuhr der Christ mit heiligem Eifer fort, »die Unsterblichkeit des Geistes – die Wiederauferstehung und Wiedervereinigung der Toten, das sind die Hauptgrundsätze unseres Glaubens, das sind die großen Wahrheiten, für welche ein Gott, um sie zu verkünden und zu bezeugen, den Tod erduldete. Kein fabelhaftes Elysium, kein finsterer Orkus, aber ein glänzendes Erbteil des Himmels selbst ist die Belohnung der Tugend.«

»So teile mir denn deine Lehren und deine Hoffnungen mit«, sagte Glaukus.

Olinthus zögerte nicht, dieser Bitte zu willfahren, und, wie oft in der früheren Zeit des Christentums, warf es auch hier seinen sanften und heiligenden Strahl in die Dunkelheit des Gefängnisses, und seine tröstenden Lehren milderten die Schrecknisse des herannahenden Todes.


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