Robinson der Jüngere
Robinson der Jüngere
Robinson der Jüngere

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Vater. »Ach! meine Eltern! meine armen Eltern!« rief er nun einmahl über das andere aus. »Sie werden mich nie wieder sehen! O ich unverständiger Mensch, daß ich sie so betrüben konte!«

Krak! Krak! ging's plözlich auf dem Verdekke. »Himmel, sei uns gnädig!« schrie das Schifsvolk und ward blaß, wie der Tod und rang verzweiflungsvol die Hände. »Was ist?« rief Robinson, der vor Schrekken beinahe des Todes war.

»Ach, hieß es, wir sind verloren! Ein Wetterschlag hat den Fokmast (das heißt, den ersten von den drei aufrechtstehenden Mastbäumen des Schifs) zersplittert und der große mitlere Mast steht nun so lose, daß er auch gekapt und über Bord geworfen werden muß!«

»Wir sind verloren! schrie eine andere Stimme aus dem Schifsraume herauf. Das Schif hat einen Lek bekommen; das Wasser steht schon vier Fuß hoch im Schif!«

Robinson, der in der Kajüte auf den Boden saß, sank bey diesen Worten rüklings nieder, und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Alle andere liefen nach den Pumpen, um das Schif, wo möglich, flot, das heißt, über dem Wasser, zu erhalten. Endlich kam ein Matrose; schüttelte ihn und rief ihm zu: ob er denn allein müssig da liegen wolte, indeß alle andere Leute im Schiffe sich zu Tode arbeiten müsten?

Er rafte sich also auf, so schwach er auch war, und stelte sich mit an eine der Pumpen. Indeß ließ der Schiffer einige Kanonen abbrennen, um andern Schiffen, die sich etwa in der Nähe befinden mögten, ein Zeichen zu geben, daß er sich in Noth befinde. Robinson, der nicht wuste, was der Knal zu bedeuten habe, glaubte das Schif wäre geborsten, und sank von neuem in Ohnmacht. Ein Matrose, der an seine Stelle trat, stieß ihn aus dem Wege und ließ ihn für todt liegen.

Man pumpte mit Macht; allein das Wasser im Schifsraum stieg immer höher und man erwartete schon den Augenblik, da das Schif untersinken werde. Um es zu erleichtern wurde alles, was nur einigermaßen entbehrt werden konte, Kanonen, Ballen, Fässer u. s. w. über Bord ins Meer geworfen. Aber das wolte alles nicht helfen.

Indeß hatte ein anderes Schif die Nothschüsse gehört, und schikte ein Boot ab, um die Leute, wo möglich, zu retten. Aber dieses Boot konte nicht heran kommen, weil die Wellen gar zu hoch giengen. Endlich kam es dem Hintertheile des Schiffes so nahe, daß man den Leuten, die darein waren, ein Tau zu werfen konte. Durch Hülfe desselben zogen sie das Boot heran; und nun sprang alles, was Füße hatte, hinein, um sich zu retten. Robinson, der nicht auf den Füßen stehen konte, wurde von einigen mitleidigen Matrosen gleichfalls hinein geworfen.

Kaum waren sie eine kleine Strekke von dem Schiffe weggerudert: so sahen sie es vor ihren Augen sinken. Glüklicher Weise fieng um diese Zeit der Sturm an, sich ein wenig zu legen: sonst würde das Boot, worin nun so viele Menschen sassen, gewiß von den Wellen sein verschlungen worden. Unter vielen Gefahren kam es endlich bey dem Schiffe, wozu es gehörte an, und alle wurden in dasselbe aufgenommen.

Gotlieb. Ach! das ist gut, daß die armen Menschen doch nicht ertrunken sind!

Nikolas. Ich bin recht angst gewesen.

Lotte. Das wird den Monsieur Robinson lehren, daß er künftig nicht wieder so dum Zeug anfängt!

Mutter. Das denk' ich auch; nun wird er wohl kluger geworden sein?

Diederich. Wo blieb er denn nun?

Vater. Das Schif, welches ihn und die Andern aufgenommen hatte, segelte nach London. Vier Tage darauf war es schon bei der Mündung der Themse und nicht lange darnach lag es bei der Stadt London vor Anker.

Frizchen. Was ist das, die Mündung der Themse?

Freund R. Die Themse ist ein Strom, wie unsere Elbe, der nicht weit von London ins Meer fließt. Der Ort, wo ein Strom ins Meer fält, wird die Mündung desselben genant.

Vater. Alle giengen nunmehr ans Land, und jeder freute sich, daß er so davon gekommen war.

Robinson hatte nun genug zu thun, die große Stadt London zu besehen, und vergaß darüber das Vergangene und das Zukünftige. Endlich erinnerte ihn sein Magen, daß er auch was zu Essen haben müste, wenn er in der großen Stadt London leben wolte. Er gieng also hin zu dem Schiffer, mit welchem er gekommen war, und bat ihn, daß er ihn mögte mit sich speisen lassen.

Dieser war bereit, ihn gastfreundlich aufzunehmen. Während dem Essen fragte er unsern Robinson, warum er denn eigentlich hieher gekommen sei? und was er nun hier vorzunehmen gedächte?

Da erzählte ihm Robinson offenherzig, daß er bloß zur Lust und zwar ohne Wissen seiner Eltern diese Reise gethan habe, und daß er nun nicht wisse, was er anfangen solle.

»Ohne Wissen ihrer Eltern?« rief der Schiffer ganz erschrokken aus, indem ihm das Messer aus der Hand fiel. »Guter Gott! warum muste ich das doch nicht eher erfahren!« »Glauben Sie mir, unbesonnener junger Mensch, fuhr er fort, hätte ich das zu Hamburg gewust, ich würde sie nicht mitgenommen haben, und wenn sie mir eine Tonne Goldes zur Belonung angeboten hätten!«

Robinson saß beschämt und schlug die Augen nieder.

Der ehrliche Schiffer fuhr fort, ihm sein großes Unrecht vorzustellen, und sagte: er sei versichert, daß es ihm unmöglich wohl gehen könne, bis er sich gebessert und von seinen Eltern Vergebung erlangt hätte. Robinson weinte seine bittern Tränen.

Aber, was sol ich denn nun machen? fragte er endlich, mit vielem Schluchzen.

»Was sie machen sollen? antwortete der Schiffer; – zurük zu ihren Eltern sollen sie; ihre Knie umfassen und mit kindlicher Reue sie um Verzeihung ihrer Unbesonnenheit bitten.«

Lotte. Das war doch ein recht guter Man, der Schiffer; nicht wahr, Vater?

Vater. Er that, was jeder thun muß, wenn er seinen Nebenmenschen fehlen sieht; er erinnerte den jungen Menschen an seine Pflicht.

»Wollen Sie mich wieder mit zurük nach Hamburg nehmen?« fragte Robinson.

»Ich? antwortete der Schiffer; haben sie denn vergessen, daß mein Schif untergegangen ist? Ich werde nicht eher wieder zurük gehen, bis ich Gelegenheit gehabt habe, ein anderes Schif zu kaufen, und das mögte länger währen, als sie hier bleiben dürfen. Auf das erste das beste Schif, das von hier nach Hamburg segelt, sollen sie sich sezzen, und das lieber heute, als morgen!«

»Aber ich habe kein Geld!« sagte Robinson.

»Hier, antwortete der Schiffer, sind einige Guineen –

Gotlieb. Was sind das, Guineen.

Vater. Englisches Geld, mein Lieber; Goldstükken, so wie unsere Louisd'or. Sie gelten ohngefähr sechs Thaler; zu Hause wil ich dir eine zeigen.

Johannes. O nu, nur weiter!

Vater. »Hier, antwortete also der brave Schiffer, sind einige Guineen, die ich ihnen leihen wil, ohngeachtet ich selbst mein bischen Geld jezt sehr nöthig habe. Gehen sie damit nach dem Hafen und mithen sie sich auf ein Schif ein. Wenn ihre Reue aufrichtig ist, so wird Gott ihnen eine Rükreise verleihen, die glüklicher sein wird, als unsere Herreise war.« Und damit schüttelte er ihm treuherzig die Hand und wünschte ihm Glük auf den Weg.

Robinson ging.

Nikolas. O nu geht er schon wieder nach Hause? Ich dachte, es würde erst recht angehen!

Mutter. Bist du es nicht zufrieden, lieber Nikolas, daß er zu seinen Eltern zurükkehrt, die vermuthlich so bekümmert um ihn sind?

Freund R. Und freuest du dich nicht, daß er sein Unrecht bereut und sich nun bessere wil?

Nikolas. Ja, das wohl; aber ich dachte, es solte erst recht was lustiges kommen.

Vater. Er ist ja noch nicht zu Hause; laßt uns hören, wie's weiter mit ihm geht!

Auf dem Wege nach dem Hafen gieng ihm dies und jenes durch den Kopf. »Was werden meine Eltern sagen?« dacht' er, wenn ich nun wieder zu Haus komme. Gewiß werden sie mich strafen, daß ich das gethan habe! Und meine Kammeraden und die andern Leute, wie werden die mich auslachen, daß ich so geschwind zurük komme und fast nichts gesehen habe, als ein Paar Straßen von London!«

Er blieb vol Gedanken stehen.

Bald fiel's ihm ein, er wolte noch nicht abreisen; bald dachte er wieder daran, was der Schiffer ihm gesagt hatte, daß es ihm nicht wohl gehen könne, wenn er nicht zu seinen Eltern zurükkehrte. Er wuste lange nicht, was er thun solte? Endlich aber gieng er doch hin nach dem Hafen.

Aber zu seinem Vergnügen muste er hören, daß jezt kein Schif da sei, welches die Farth nach Hamburg machen wolte. Der Man, der ihm diese Nachricht gab, war ein Guineafahrer.

Frizchen. Was ist ein Guineafahrer?

Vater. Das laß dir von Diederich erzälen, der's wohl schon wissen wird.

Diederich. Weißt du noch wohl, daß es ein Land giebt, das Afrika heißt? Nu die eine Küste davon –

Frizchen. Küste? –

Diederich. Ja, oder das Land, was dichte am Meer liegt, sieh ich habe meinen kleinen Atlas eben bei mir! – dieser Strich Landes hier, der da so krum hinunter geht, der wird die Küste von Guinea genant.

Vater. Und die Schiffer, die da hinfahren, um da was zu handeln, heißt man Guineafahrer. Der Man also, mit dem unser Robinson redete, war ein solcher Guineafahrer, oder Kapitain eines Schifs, welches nach Guinea segeln wolte.

Dieser Schifskapitain fand Vergnügen, sich weiter mit ihm zu unterreden, und nöthigte ihn also, mit an Bord zu gehen, um in seiner Kajüte eine Tasse Thee mit ihm zu trinken; und Robinson willigte darein.

Johannes. Konte der Kapitain denn deutsch sprechen?

Vater. Ich habe vergessen zu sagen, daß Robinson schon im Hamburg Gelegenheit gehabt hatte, Englisch zu lernen, welches ihm jezt, da er in dem Lande der Engländer war, sehr wohl zu statten kam.

Da der Schifskapitain von ihm hörte, daß er so große Lust zu reisen habe, und daß es ihm so leid thue, schon jezt wieder nach Hamburg zurük kehren zu müssen: so that er ihm den Vorschlag, mit ihm nach Guinea zu reisen. Robinson erschrak anfangs vor diesem Gedanken. Aber da ihn der Kapitain versicherte, daß die Reise sehr angenehm sein wurde; daß er ihn, um einen Geselschafter zu haben, umsonst mitnehmen, und frei halten wolte, und daß er vielleicht etwas Ansehnliches auf dieser Reise erwerben könte: so stieg ihm plözlich das Blut zu Kopfe, und die Begierde zu reisen wurde so lebendig in ihm, daß er auf einmahl vergaß Alles, was ihm der ehrliche Hamburger Schiffer gerathen hatte, und was er kurz vorher thun wolte.

»Aber, sagte er, da er sich ein wenig bedacht hatte, ich habe nur drei Guineen. Was kan ich für so wenig Geld einkaufen, um einen Handel zu treiben an dem Orte, wo sie hinfahren wollen?«

»Ich wil ihnen, antwortete der Schifskapitain, noch sechs Guineen dazu leihen. Dafür können sie schon so viel Waren einkaufen, als hinreichend sein werden, um in Guinea ein reicher Man zu werden, wenn uns das Glük ein bischen günstig sein wird.«

»Und was solte ich denn dafür einkaufen?« fragte Robinson.

Der Kapitain antwortete: »lauter Kleinigkeiten, – allerlei Spielzeug, Glaskorallen, Messer, Scheeren, Beile, Bänder, Flinten u. s. w. – woran die Schwarzen in Afrika so viel Vergnügen finden, daß sie ihnen hundertmahl mehr an Gold, Elfenbein und andern Sachen dafür geben werden, als sie werth sind.«

Robinson konte nun sich länger nicht mehr halten. Er vergaß Eltern, Freunde und Vaterland und rief freudig aus: »ich fahre mit, Herr Kapitain!« »Top!« antwortete dieser; und so schlugen sie sich einander in die Hände, und die Reise war beschlossen.

Johannes. Na, nu wil ich auch gar kein Mitleid mehr haben mit dem dummen Robinson, und wenn's ihm auch noch so unglüklich geht!

Vater. Kein Mitleid, Johannes?

Johannes. Nein, Vater; warum ist er so dum, und vergißt schon wieder, was er seinen Eltern schuldig ist. Dafür muß ja wohl der liebe Gott es ihm wieder schlim gehen lassen –

Vater. Und scheint dir ein so unglüklicher Mensch, der seiner Eltern vergessen kan, und den der gute liebe Gott erst durch Strafen bessern muß, kein Mitleid zu verdienen? Freilich ist er selbst Schuld an allem, was ihm nun begegnen wird: aber ist er nicht um desto unglüklicher? O mein Sohn, Gott bewahre dich und uns alle, vor dem schreklichsten unter allen Leiden, welches darin besteht, daß man fühlt, man habe sich selbst elend gemacht! Aber wo wir von einem solchen Unglüklichen hören, da wollen wir bedenken, daß er unser Bruder, unser armer verirter Bruder sei, und eine Träne des Mitleids und der brüderlichen Fürbitte für ihn gen Himmel weinen.

Alle schwiegen einige Augenblikke; dan fuhr der Vater folgendermaßen fort:

Robinson eilte nun mit seinen neun Guineen in die Stadt, kaufte dafür ein, was der Schifskapitain ihm gerathen hatte und ließ es an Bord bringen.

Nach einigen Tagen, da ein guter Wind sich erhob, ließ der Kapitain die Anker lichten und so giengen sie unter Segel.

Diederich. Wo musten sie denn eigentlich hinsegeln, um nach Guinea zu kommen?

Vater. Du hast deine kleinen Charten bei dir; kom, ich wil dir's zeigen! Siehst du, von London fahren sie hier die Themse hinunter bis in die Nordsee; dan steuern sie gegen Abend durch die Meerenge bei Calais in den Kanal. Aus diesem kommen sie in das große atlantische Weltmeer, worauf sie dan immer weiter fortsegeln, hier bei den Canarischen Inseln und da bei den Inseln des grünen Vorgebirges vorbei, bis sie endlich hier unten an dieser Küste landen, welche Guinea ist.

Diederich. Wo werden sie denn eigentlich landen?

Vater. Vielleicht da, bei Capo Corso, welches den Engländern gehört.

Mutter. Aber es wird wohl Zeit sein, daß wir auch unter Segel gehn und dem Tische zusteuern. Die Sonne ist schon lange untergegangen.

Gotlieb. Ich bin noch gar nicht hungrig.

Lotte. Ich mögte auch lieber noch zuhören.

Vater. Morgen, morgen, Kinder, wollen wir hören, wie's dem Robinson weiter gegangen ist. Jezt zu Tische!

Alle. Zu Tische! zu Tische! zu Tische!


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