Robinson der Jüngere
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Robinson der Jüngere

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Zweiter Abend.

Am andern Abend, da die ganze Geselschaft sich an eben demselben Orte wiederum gelagert hatte, fuhr der Vater in seiner Erzälung folgendermaßen fort.

Die neue Farth unsers Robinsons gierig anfangs wieder sehr glüklich von statten. Schon waren sie, ohne die mindeste Widerwärtigkeit, durch die Meerenge bei Calais und durch den Kanal gesegelt, und nun befanden sie sich mitten auf dem atlantischen Weltmeere. Hier hatten sie viele Tage hinter einander so widrigen Wind, daß sie immer weiter gegen Amerika zugetrieben wurden.

Seht, Kinder, ich habe eine große Charte mitgebracht, auf der ihr besser, als auf einer kleinen sehen könt, wohin das Schif eigentlich segeln solte und wohin es von dem Winde wirklich getrieben ward. Hier, immer so hinunter, wolten sie eigentlich fahren, aber weil der Wind ihnen halb entgegen, und halb von der Seite kam: so wurden sie wider ihren Willen dorthin verschlagen, wo ihr Amerika liegen seht. Ich wil die Charte hier hinstellen, daß wir im Nothfal sie im Gesichte haben.

Eines Abends zeigte der Steuermann an, daß er in einer weiten Entfernung Feuer erblikke, und daß er eben daher auch einige Kanonenschüsse gehört hätte. Alle liefen auf das Verdek, sahen das entfernte Feuer, und hörten gleichfalls noch verschiedene Kanonenschüsse. Der Schifskapitain sahe genau auf seiner Seecharte nach, und fand, daß wohl auf hundert Meilen weit kein Land sei; und alle waren daher der Meinung, daß dieses Feuer nichts anders sein könne, als ein in Brand gerathenes Schif.

Man beschloß den Augenblik, den unglüklichen Leuten zu Hülfe zu eilen, und steuerte dahin. Bald darauf konten sie deutlich sehen, daß ihre Muthmaßung gegründet gewesen sei: denn sie erblikten nun wirklich ein großes Schif, welches ganz in Flammen stand.

Der Schifskapitain ließ sogleich fünf Kanonen abbrennen, um den armen Nothleidenden ein Zeichen zu geben, daß ein Schif in der Nähe sei, welches ihnen zu Hülfe eile. Kaum war dieses geschehen: so sahe man mit Schrekken das brennende Schif plözlich unter einem großen Knal in die Luft fliegen, und bald darauf war alles versunken und das Feuer erloschen. Die Flamme hatte nemlich die Pulverkammer des Schifs ergriffen.

Was aus den unglüklichen Leuten des Schifs geworden sei, konte man noch nicht wissen. Es war möglich, daß sie vor dem Auffliegen des Schifs sich in die Böte gerettet hätten; deswegen fuhr der Kapitain die ganze Nacht hindurch fort, aus den Kanonen schiessen zu lassen, um die Gefahrleidenden zu benachrichtigen, in welcher Gegend das Schif sei, welches ihnen zu Hülfe zu kommen wünsche. Auch ließ er alle Laternen aushängen, damit das Schif von ihnen möchte gesehen werden.

Mit Anbruch des Tages entdekte man durch die Ferngläser wirklich zwei Böte, welche vol von Menschen waren und welche zwischen den hohen Wellen auf und nieder schwankten. Man bemerkte daß sie aus allen Kräften dem Schiffe zuruderten, indem der Wind ihnen entgegen war. Gleich ließ der Kapitain die Flagge wehen, zum Zeichen, daß man sie bemerkt habe, und daß man sie aufzunehmen bereit sei. Das Schif segelte zugleich stark auf sie zu, und in einer halben Stunde hatte man sie glüklich erreicht.

Es waren sechzig Menschen, Männer, Weiber und Kinder, die alle an Bord genommen wurden. Da hätte man sehen sollen, was das für ein rührender Auftrit war, da diese armen Leute sich nunmehr glüklich gerettet sahn! Einige weinten laut vor Freuden; andere schrien, als wenn sie jezt erst in Gefahr gerathen wären; einige sprangen wie sinlos auf dem Schiffe herum, andere waren blas, wie der Tod, und rungen die Hände; andere lachten, wie Wahnsinnige, und tanzten und jauchzten laut; andere hingegen standen stum und leblos da und konten kein Wort sprechen.

Bald fielen einige von ihnen auf ihre Knie, hoben ihre Hände gen Himmel und dankten laut dem Gotte, dessen Vorsehung sie so wunderbar errettet hatte. Bald sprangen sie wieder auf, hüpften wie Kinder, zerrissen sich die Kleider, weinten; fielen in Ohnmacht, und konten kaum wieder ins Leben zurükgerufen werden. Auch dem härtesten Matrosen, der das mit ansahe, lief eine Träne über die Bakken.

Unter diesen Unglüklichen befand sich auch ein junger Geistlicher, der sich unter alle am mänlichsten und würdigsten betrug. Bei seinem ersten Tritt auf das Schif legte er sich aufs Gesicht nieder, und schien ganz leblos zu sein. Der Schifskapitain trat zu ihm, um ihn zu ermuntern, weil er glaubte, daß er in Ohnmacht gefallen sei. Aber er redete ganz ruhig, dankte ihm für sein Mitleid und sagte: »erlauben sie, daß ich erst meinen Schöpfer für unsere Errettung danke; dan wil ich auch ihnen sagen, wie sehr ich ihre Wohlthat mit innigstem Dank erkenne.« Der Schifskapitain trat ehrerbietig zurük.

Einige Minuten blieb er auf seinem Gesichte liegen; dan richtete er sich freudig auf, und gieng zum Kapitain, um auch ihm seinen Dank zu sagen. Hierauf wandte er sich zu seinen Gefährten, und ermahnte sie, ihr Gemüth zu beruhigen, um ihre Gedanken desto besser zu dem Algütigen erheben zu können, dem sie die ungehofte Erhaltung ihres Lebens zu verdanken hätten. Sein Zureden that auch bei vielen gute Wirkung.

Und nun erzählte er, wer sie wären, und wie es ihnen gegangen sei.

Das verbrante Schif war ein großes französisches Kauffartheischif gewesen, welches nach Quebek – seht hier, nach diesem Orte in Amerika – segeln wolte. Das Feuer war in des Steuermans Hütte ausgebrochen und hatte so geschwind um sich gegriffen, daß an kein Löschen zu denken war. Sie hatten nur noch eben so viel Zeit gehabt, einige Kanonen zu lösen, und sich dan in die Böte zu retten.

Was aus ihnen werden würde, hatte keiner von ihnen gewust. Das wahrscheinlichste war gewesen, daß sie alle mit ihren kleinen Schiffen bei dem geringsten Sturme von den Wellen würden verschlungen werden; oder daß sie in Kurzen vor Hunger und Durst würden umkommen müssen, weil sie von dem brennenden Schiffe nur auf einige Tage Brod und Wasser mitnehmen konten.

Frizchen. I, was brauchten sie denn Wasser mitzunehmen? Sie waren ja mitten drauf?

Vater. Du hast vergessen, liebes Frizchen, daß das Wasser im Meere so salzig und bitter ist, daß kein Mensch es trinken kan!

Frizchen. Ha! ha!

Vater. In diesem schreklichen Zustande, hatten sie die Kanonenschüsse von dem englischen Schiffe gehört, und bald darauf auch die aufgestekten Laternen erblikt. Zwischen Furcht und Hofnung hatten sie die lange traurige Nacht hingebracht, indem die Wellen sie immer weiter wieder zurük trieben, als sie mit Anwendung aller ihrer Kräfte vorwärts nach dem Schiffe zugerudert hatten. Endlich hatte das längst gewünschte Tageslicht ihrem Jammer ein Ende gemacht.

Robinson hatte die ganze Zeit über mit fürchterlichen Gedanken gekämpft. »Himmel, dachte er, haben diese Leute so großes Unglük leiden können, unter denen doch gewiß wohl recht gute Selen sind: was werd' ich zu erwarten haben, der ich so undankbar gegen meine Eltern handeln konte!« Dieser Gedanke lag ihm, wie ein Berg, auf dem Herzen. Blaß und stum, wie ein Mensch, der kein gutes Gewissen hat, saß er in einem Winkel, rang die Hände, und getraute sich kaum zu beten, weil er dachte, Gott könne unmöglich ihn noch lieb haben.

Man ließ die Geretteten, die nun sehr ermattet waren, sich durch Speise und Trank erquikken. Dan kam der Vornehmste unter ihnen mit einem großen Beutel vol Geld zum Schifskapitain und sagte: »Dies wäre das Einzige, was sie von dem Schiffe hätten mitnehmen können. Er überreiche es ihm, als einen kleinen Beweis der Dankbarkeit, die sie für die Erhaltung ihres Lebens ihm schuldig wären.«

»Gott bewahre mich, antwortete der Schifskapitain, daß ich ihr Geschenk annehmen solte! Ich habe weiter nichts gethan, als was die Menschlichkeit mir zu thun gebot und ich bin versichert, daß sie eben das an uns würden gethan haben, wenn sie in unserer Stelle, und wir in der Ihrigen gewesen wären.«

Vergebens nöthigte ihn der dankbare Mann, daß ers doch annehmen mögte: er blieb bei seiner Weigerung und bat ihn, davon zu schweigen. – Darauf entstand die Frage: wohin die Geretteten denn nun gebracht werden solten? Sie nach Guinea mitzunehmen, gieng, um einer zweifachen Ursache willen, nicht wohl an. Denn erstlich warum solten die armen Leute eine so weite Reise nach einem Lande machen, wo sie nichts zu thun hatten? Und dan, so waren auf dem Schiffe nicht so viel Lebensmittel vorhanden, daß so viel Menschen bis dahin genug daran gehabt hätten.

Endlich beschloß der brave Schifskapitain, sich die Mühe nicht verdriessen zu lassen, dieser armen Leute wegen, ein Paar hundert Meilen umzuschiffen, um sie erst nach Terreneuve zu bringen, wo sie Gelegenheit haben würden mit französischen Stokfischfängern wieder nach Frankreich zurük zu kehren.

Lotte. Was sind das für Leute die Stokfischfänger?

Johannes. Weist du nicht mehr, was uns Vater erzählt hat von den Stokfischen, wie sie da oben aus dem Eismeere herunter kommen bis nach den Sandbänken bey Terreneuve, wo sie in so großer Menge gefangen werden?

Lotte. Ach ja! Nun weiß ich schon.

Johannes. Sieh, das ist Terreneuve, was hier oben dichte bei Amerika liegt, und die Punkte da bedeuten die Sandbänke! – Na, die Leute die die Stokfische fangen, die heissen die Stokfischfänger.

Vater. Man fuhr also dahin; und weil es gerade in der Zeit war, da die meisten Stokfische gefangen werden, so fand man auch französische Schiffe da, welche diese unglüklichen Leute aufnehmen konten. Ihre Dankbarkeit gegen den guten Schifskapitain läßt sich mit Worten nicht beschreiben.

Sobald dieser sie an Ort und Stelle gebracht hatte, kehrte er mit gutem Winde wieder zurük, um seine eigentliche Reise nach Guinea fortzusezzen. Das Schif flog durch die Wellen, wie ein Vogel durch die Luft, und in kurzer Zeit hatten sie wieder einige hundert Meilen zurük gelegt. Das war etwas für unsern Robinson, dem's nie zu geschwind gehen konte, weil er ein unruhiger Geist war!

Einige Tage darauf, da sie immer südwärts gesteuert hatten, wurden sie plözlich eines großen Schiffes gewahr, welches nach ihnen zu hielt. Bald darauf hörten sie, daß es einige Nothschüsse that, und bemerkten nun, daß es den Fokmast und den Boegspriet verloren habe.

Nikolas. Den Boegspriet?

Vater. Ja; du weist doch noch, was das ist?

Nikolas. Ach ja, der kleine Mastbaum, der nicht so, wie die andern, grade in die Höhe gerichtet, sondern nur so schief hingestellt ist auf dem Vordertheil des Schiffes, als wenn's der Schnabel des Schiffes wäre!

Vater. Ganz recht. Sie steuerten also auf dieses beschädigte Schif zu, und da sie nahe genung gekommen waren, um mit den Leuten, die darauf waren, reden zu können; schrien ihnen diese mit aufgehobnen Händen und mit kläglichen Gebehrden zu:

»Rettet, guten Leute, o rettet ein Schif vol Menschen, die alle des Todes sein müssen, wenn ihr euch ihrer nicht erbarmet!«

Man fragte sie hierauf, worin ihr Unglük denn eigentlich bestehe? und da erzählte einer von ihnen folgender Gestalt:

»Wir sind Engländer, die nach der französischen Insel Martinike – (Seht hier, Kinder; dies ist sie, hier mitten in Amerika!) – schiften, um eine Ladung Kaffebohnen zu holen. Da wir alda vor Anker lagen und bald wieder abreisen wolten, giengen unser Schiffer und der Obersteuerman eines Tages ans Land, um noch etwas einzukaufen. Unterdeß erhob sich ein so gewaltiger und zugleich wirbelnder Sturmwind, daß unser Ankertau zerriß und wir aus dem Hafen in das weite Meer hinausgetrieben wurden. Der Orkan –

Gotlieb. Was ist das?

Vater. Ein solcher heftiger und wirbelnder Sturmwind, der daraus entsteht, wenn mehrere starke Winde von verschiedenen Seiten gegen einander blasen. – »Der Orkan also wüthete drei Tage und drei Nächte; wir verlobten unsere Masten und wurden einige hundert Meilen fortgetrieben. Zum Unglük versteht sich keiner von uns auf die Schiffarth; schon neun Wochen werden wir so herum geworfen, all' unsere Lebensmittel sind verzehrt, und die meisten von uns sind schon halb todt gehungert.«

Der gute Schifskapitain ließ sogleich das Boot aussezen, nahm einen Vorrath von Lebensmitteln zu sich und fuhr, nebst Robinson, selbst nach diesem Schiffe hin.


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