Casanova
Erinnerungen
Casanova

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Viertes Kapitel

Mein Bruder, der Abbate, und seine schändliche Handlungsweise. – Ich bemächtige mich seiner Geliebten. – Abreise von Genua. – Der Fürst von Monaco. – Sieg über meine Nichte. – Ankunft in Antibes.

Am Mittwoch vor Ostern war ich gerade eben aufgestanden, als Clairmont mir meldete, ein fremder Priester, der seinen Namen nicht nennen wolle, wünsche mich zu sprechen. Ich ging in meiner Nachtmütze hinaus. Kaum sah mich der Abbate, so fiel der Bursche mir um den Hals und küßte mich, daß mir beinahe die Luft ausging. Diese Zärtlichkeit war mir unangenehm, und da ich ihn wegen der im Zimmer herrschenden Dunkelheit nicht sofort erkannte, nahm ich ihn am Arm und führte ihn an ein Fenster. Nun erkannte ich den jüngsten meiner Brüder, einen verkommenen Menschen, der mir stets zuwider gewesen war. Ich hatte ihn seit zehn Jahren nicht mehr gesehen, und er interessierte mich so wenig, daß ich mich nicht einmal in meinem Briefwechsel mit den Herren Bragadino, Dandolo und Barbaro nach ihm erkundigte.

Nachdem er mit seinen dummen Umarmungen fertig war, fragte ich ihn kalt, welches Abenteuer ihn in dem kläglichen Zustande, worin ich ihn sähe, in schmutzstarrende Lumpen gehüllt, nach Genua geführt hätte. Der Bursche hatte weiter keine Vorzüge als seine neunundzwanzig Jahre, die frischesten Farben und prachtvolles Haar. Er war ein Nachgeborener, denn er war wie Mohammed drei Monate nach dem Tode seines Vaters zur Welt gekommen.

»Wenn ich, lieber Bruder, dir meine ganze Leidensgeschichte erzählen soll, so wird dies lange dauern. Sei also so freundlich, in dein Zimmer zu gehen, laß uns dort Platz nehmen, und ich werde dir wahrheitsgetreu und ganz genau alles erzählen.«

»Vor allen Dingen beantworte alle meine Fragen: seit wann bist du hier?«

»Seit gestern Abend.«

»Wer hat dir gesagt, daß ich hier bin?«

»Graf B. hat es mir in Mailand gesagt.«

»Wer hat dir gesagt, daß der Graf mich kennt?«

»Der Zufall. Ich war vor einem Monat bei Herrn von Bragadino und sah auf dessen Schreibtisch einen offenen Brief, den der Graf an dich gerichtet hatte.«

»Hast du ihm gesagt, daß du mein Bruder bist?«

»Ich habe dies zugeben müssen, als er mir sagte, daß ich dir ähnlich sähe.«

»Er hat dir die Unwahrheit gesagt, denn du bist ja nur ein plumpes Vieh.«

»Ohne Zweifel hat er anders von mir gedacht als du, denn er hat mich zu Tisch eingeladen.«

»In diesen Lumpen? Da hast du mir wirklich Ehre gemacht!«

»Er hat mir vier Zechinen gegeben, mit deren Hilfe ich hierher gelangt bin. Ohne diese Beihilfe hätte ich niemals die Reise machen können.«

»Er hat eine große Dummheit begangen. So bist du also nun ein Bettler, denn du hast ja um Almosen gebeten! Warum hast du Venedig verlassen? Was willst du von mir? Ich weiß nicht, was ich mit dir anfangen soll.«

»Oh, ich bitte dich, bringe mich nicht zur Verzweiflung! Ich bin imstande, mir das Leben zu nehmen.«

»Nur zu! Das wäre das beste, was du tun könntest. Aber du bist ja zu feige. Warum, frage ich dich, hast du Venedig verlassen, wo du von Messelesen und Predigen leben konntest, ohne zu betteln, wie so viele ehrenwerte Priester leben, die besser sind als du?«

»Das ist eben der Hauptpunkt meiner Geschichte. Laß uns hineingehen!«

»Oh nein! Warte hier auf mich! Wir wollen irgendwohin gehen, wo du mir erzählen kannst, was du willst, vorausgesetzt, daß ich Geduld habe, dich anzuhören. Unterdessen hüte dich wohl, meinen Leuten zu sagen, daß du mein Bruder bist; denn ich schäme mich, daß du zu mir gehörst. Also vorwärts, führe mich in deinen Gasthof!«

»Ich möchte dich darauf aufmerksam machen, daß ich in meinem Gasthof nicht allein bin und daß ich unter vier Augen mit dir sprechen muß.«

»Wer ist denn bei dir?«

»Ich werde es dir sagen. Laß uns in ein Kaffeehaus gehen.«

»Erst will ich wissen, ob du nicht etwa mit einer Diebesbande zusammen bist. Du seufzest?«

»Ja, es ist für mich ein peinliches Geständnis – ich bin mit einer Frau zusammen.«

»Mit einer Frau? Du, ein Priester?«

»Verzeih mir! Von Liebe verblendet, von meinen Sinnen und von ihrer Schönheit verführt, habe ich auch sie verführt, indem ich ihr versprach, ich würde sie in Genf heiraten. Ganz sicherlich werde ich niemals wagen, nach Venedig zurückzukehren, denn ich habe sie aus ihrem Elternhause entführt.«

»Was würdest du in Genf anfangen? Man würde dich nur drei Tage dulden und dann sofort ausweisen. Gehen wir in deinen Gasthof; erst will ich das Mädchen sehen, das du betrogen hast. Nachher kannst du unter vier Augen mit mir sprechen.«

Ich begab mich nach dem Ort, den er mir bezeichnet hatte, und er mußte mir wohl oder übel folgen. Als wir in seinem Gasthof angekommen waren, lief er schnell vor mir her in den dritten Stock hinauf, wo ich in einem elenden Kämmerlein ein sehr junges Mädchen bemerkte. Sie war hochgewachsen, eine pikante schwarze Schönheit, von stolzer Miene und durchaus nicht verlegen. Sobald sie mich sah, rief sie, ohne mich zu grüßen: »Sind Sie der Bruder dieses Lügners, dieses Ungeheuers, das mich betrogen hat?«

»Ja, mein schönes Fräulein, ich habe die eigentümliche Ehre.«

»Eine schöne Ehre in der Tat! Nun, tun Sie doch ein gutes Werk und schicken Sie mich nach Venedig zurück; denn ich will nicht mehr bei diesem Spitzbuben bleiben, den ich unglücklicherweise in meiner Dummheit erhört habe, weil er mir mit seinen Märchen den Kopf verdrehte. Er behauptete, er würde Sie in Mailand finden; dort würden Sie ihm das nötige Geld geben, daß wir mit der Post nach Genf fahren könnten; denn dort behauptete er, könnten die Priester sich verheiraten, indem sie zum reformierten Glauben überträten. Er hat mir geschworen, Sie erwarteten ihn in Mailand. Sie waren jedoch nicht da. Er hat auf irgend eine Weise etwas Geld aufgetrieben und hat mich mit Ach und Krach hierhergebracht. Ich segne den Himmel, daß er Sie endlich gefunden hat; denn sonst wäre ich morgen zu Fuß fortgegangen und hätte mir unterwegs mein Brot erbettelt. Ich habe nichts mehr; denn der Unglückselige hat in Verona und Bergamo alle meine Sachen verkauft. Ich weiß nicht, wie ich in all diesem Elend meine Vernunft habe bewahren können. Wenn man ihn so sprechen hörte, war die Welt draußen vor Venedig ein Paradies. Aber ach, ich habe schon recht gut gemerkt, daß man es nirgends besser hat als zu Hause. Verflucht sei der Augenblick, wo ich diesen abscheulichen Menschen kennen gelernt habe. Er wollte seine Gattenrechte geltend machen, sobald wir in Padua angekommen waren, und ich bin sehr glücklich, daß ich ihm nichts bewilligt habe. Ich wollte erst einmal diese Genfer Heirat sehen, die er mir versprochen hat; sehen Sie, da ist das schriftliche Versprechen, das er mir gab. Sie können damit machen, was Sie wollen; aber wenn Sie ein gutes Herz haben, so schicken Sie mich nach Venedig; sonst werde ich gezwungen sein, zu Fuß dorthin zu gehen.«

Ich hörte stehend diesen langen Herzenserguß an, ohne sie zu unterbrechen. Ich war so erstaunt, daß ich sie noch lange hätte fortreden lassen. Ihre Rede war infolge der Entrüstung, die sie erfüllte, zusammenhanglos, empfing jedoch einen hohen Grad von Beredsamkeit durch die Lebhaftigkeit ihres Mienenspiels und das Feuer ihrer Blicke.

Mein Bruder saß auf einem Stuhl und hielt den Kopf zwischen beiden Händen. Dadurch, daß er, ohne ein Wort zu sagen, diese lange Litanei wohlverdienter Beleidigungen anhören mußte, bekam der Auftritt etwas ungeheuer Komisches. Trotzdem ging das Traurige des Falles mir sehr zu Herzen. Ich begriff sofort, daß ich für das junge Mädchen sorgen mußte, und daß es meine Pflicht war, unverzüglich ein so unpassendes Band zu lösen. Ich war überzeugt, daß ich leicht eine Gelegenheit finden würde, um sie auf schickliche Art in ihre Heimat zurückzusenden, die sie vielleicht niemals verlassen hätte, wenn sie nicht, durch die betrügerischen Versprechungen ihres Verführers betört, ein so hohes Vertrauen in mich gesetzt hätte.

Der offene venetianische Charakter des jungen Mädchens machte auf mich noch höheren Eindruck als ihre Schönheit. Ihr Freimut, ihre edle Entrüstung, ihre freiwillige Umkehr vom bösen Wege, ihr Mut, kurz, ihr ganzes Wesen hatte mir eine Art von Achtung eingeflößt, die mir zurief, ich dürfe sie nicht verlassen. Ich konnte nicht an der Wahrheit ihrer Erzählung zweifeln, da mein Bruder durch sein Schweigen zugestand, daß er der wahre Schuldige war.

Nachdem ich sie ziemlich lange schweigend angesehen hatte, war mein Entschluß gefaßt, und ich sagte zu ihr:

»Ich verspreche Ihnen, mein Fräulein, Sie in Begleitung einer anständigen Frau mit der gewöhnlichen Post nach Venedig zurückzuschicken. Aber Ihre Rückkehr dorthin wird Sie unglücklich machen, wenn Sie etwa die Folgen Ihrer Liebe in Ihrem Schoß tragen sollten.«

»Was für Folgen? Habe ich Ihnen nicht gesagt, er sollte mich in Genf heiraten?«

»Schon recht; aber trotzdem.«

»Ich verstehe Sie, mein Herr; aber in dieser Hinsicht bin ich sehr ruhig, denn glücklicherweise habe ich nicht den kleinsten Wunsch des schlechten Menschen erfüllt.«

»Erinnere dich,« sagte der Abbate weinerlich zu ihr, »daß du mir geschworen hast, du wollest stets mein sein. Du hast diesen Eid vor einem Kruzifix ausgesprochen.«

Er war bei diesen Worten aufgestanden und mit flehender Gebärde an das junge Mädchen herangetreten; sie aber blieb ganz kalt und gab ihm eine schallende Ohrfeige, sobald er sich ihr auf Armlänge genähert hatte. Ich dachte, es würde zu einem kleinen Kampfe kommen, den ich nicht verhindert haben würde; aber es geschah nichts. Der Abbate ging demütig und sanft ans Fenster, erhob seine Augen zum Himmel und weinte.

»Sie sind ein kleiner Teufel, mein liebes Fräulein,« sagte ich zu ihr; »denn dieser arme Kerl ist nur darum unglücklich, weil Sie ihn verliebt gemacht haben.«

»Wenn er in mich verliebt geworden ist, so habe ich keine Schuld daran, denn ich würde niemals an ihn gedacht haben, während er alles aufgeboten hat, um mir den Kopf zu verdrehen. Ich werde ihm nur verzeihen, wenn ich ihn nicht mehr sehe. Die Ohrfeige ist nicht die erste, die ich ihm gegeben habe: ich mußte schon in Padua meine Zuflucht dazu nehmen.«

»Das ist richtig,« sagte der Dummkopf, »aber du bist exkommuniziert; denn ich bin Priester.«

»Ich lache über die Exkommunikation eines solchen Banditen wie du bist, und wenn du noch ein Wort sagst, bekommst du noch viel mehr Ohrfeigen.«

»Beruhigen Sie sich, mein Kind,« sagte ich zu ihr; »ich sehe, Sie haben guten Grund, aufgebracht zu sein; aber Sie brauchen ihn nicht mehr zu ohrfeigen. Nehmen Sie Ihre Sachen und folgen Sie mir.«

»Wohin bringst du sie?« rief der dumme Mensch.

»Zu mir. Du aber schweige! Da hast du zwanzig Zechinen; kaufe dir Kleider und Wäsche und bleibe zu Hause. Morgen werde ich hierher kommen und mit dir sprechen. Schenke die Lumpen, die du trägst, den Armen und danke dem Himmel dafür, daß du mich gefunden hast. – Sie, mein Fräulein, werde ich in einer Sänfte nach meiner Wohnung bringen lassen, denn man darf Sie in Genua nicht in meiner Gesellschaft sehen, zumal da man weiß, daß Sie mit einem Priester angekommen sind. Dieses Ärgernis muß in aller Stille beigelegt werden. Ich werde Sie meiner Wirtin in Obhut geben; nehmen Sie sich aber in acht und vertrauen Sie ihr kein Wort von dieser häßlichen Geschichte an. Ich werde Sie anständig kleiden lassen, und es soll Ihnen an nichts fehlen.«

»Oh! Möge der Himmel Sie belohnen!«

Mein Bruder war durch die zwanzig Zechinen wie versteinert und ließ uns gehen, ohne den geringsten Widerstand zu leisten. Ich ließ meine junge Venetianerin in einer Sänfte nach meiner Wohnung bringen, empfahl sie meiner Wirtin und bat diese, sie unverzüglich sehr sauber kleiden zu lassen. Ich konnte es kaum erwarten, zu sehen, was aus dem jungen Mädchen werden würde, dessen Vorzüge in den Lumpen nicht zur Geltung kamen. Ich sagte zu Annina, daß ein an mich empfohlenes Mädchen mit ihr zusammen essen und schlafen würde. Hierauf begann ich mich sorgfältig anzuziehen, da ich schöne und zahlreiche Gesellschaft empfangen sollte.

Obgleich ich gegen meine Nichte keine Verpflichtungen hatte, lag mir doch viel an ihrer Achtung; ich glaubte ihr daher die ganze Geschichte erzählen zu müssen, damit sie nicht ungünstig von mir denken möchte. Dankbar für mein Vertrauen hörte sie mich aufmerksam an und sagte dann zu mir, sie wünsche sehr, das junge Mädchen zu sehen, ja sogar den Abbate, den sie, wenngleich schuldig, doch auch sehr bedauernswert fand. Ich hatte ihr für diese Gesellschaft ein herrliches Kleid machen lassen, worin sie zum Entzücken schön aussah. Ich fühlte mich glücklich, so oft ich etwas tun konnte, was ihr gefiel; denn ich bewunderte sie wegen ihres Benehmens mir gegenüber und wegen der Art und Weise, wie sie ihren Bewerber behandelte, der bereits ganz wahnsinnig in sie verliebt war. Sie traf ihn alle Tage entweder bei mir oder bei Rosalie. Der junge Herr war gut erzogen, aber er war Kaufmann, und so schrieb er ihr denn in kaufmännischem Stil: da sie nach Alter und Vermögensumständen zusammenpaßten, so könnte ihn nichts daran verhindern, nach Marseille zu gehen und dort um ihre Hand und ihr Herz zu werben, wenn nicht etwa eine Abneigung von ihrer Seite ein Hindernis bildete. Zum Schluß bat er sie um eine offene Erklärung. Als meine Nichte mir diesen Brief zeigte und mich um meinen Rat fragte, antwortete ich ihr: »Meinen Glückwunsch! An Ihrer Stelle würde ich eine solche Partie nicht verachten, vorausgesetzt natürlich, daß der Herr Ihnen gefällt.«

»An ihm ist nichts, was mir nicht gefiele, und Rosalie ist derselben Meinung wie Sie.«

»So sagen Sie ihm doch mündlich. Sie erwarten ihn in Marseille und er könne auf Ihre Einwilligung rechnen.«

»Gut! Da Sie dieser Meinung sind, so werde ich es ihm morgen sagen.«

Als wir von Tisch aufstanden, trieb mich ein neugieriger Wünsch, in das Zimmer meiner Nichte zu gehen, wo Annina und Marcolina speisten. So hieß meine Venetianerin. Ihr Anblick überraschte mich; denn an jedem anderen Ort würde ich sie nicht wieder erkannt haben, und zwar nicht so sehr deshalb, weil sie durch ein sehr hübsches Kleid verändert aussah, als wegen des Ausdruckes von Zufriedenheit, der auf ihrem Gesicht lag und eine ganz andere Person aus ihr gemacht hatte. An Stelle des Zornes – der immer häßlich macht – war die liebenswürdigste Fröhlichkeit getreten; eine Sanftmut, die von ihrer Zufriedenheit herrührte, gab ihrem schönen Gesicht einen Ausdruck verführerischer Liebe. Es erschien mir unmöglich, daß dieses entzückende Geschöpf dasselbe Mädchen sein sollte, das meinen Bruder, einen Priester, also einen Mann, der nach dem Volksglauben geheiligt war, so derbe behandelt hatte. Die beiden neuen Freundinnen aßen zusammen und lachten darüber, daß sie sich nicht verstanden. Marcolina sprach nur die hübsche venetianische Mundart und Annina nur die genuesische, die von der Weichheit und der reizvollen Anmut der ersteren so weit entfernt ist wie das Böhmische vom Plattdeutschen.

Ich redete Marcolina in ihrer Mundart an, die auch die meiner Kindheit ist und die ich daher niemals vergessen habe. Sie antwortete mir: »Mir kommt es vor, wie wenn ich plötzlich von der Hölle ins Paradies versetzt wäre.«

»Darum sehen Sie jetzt auch wie ein Engel aus!«

»Und heute Morgen nannten Sie mich einen Teufel! Aber die da ist ein weißer Engel,« setzte sie hinzu, auf Annina deutend, »wie man in Venedig keinen kennt!«

»Darum ist sie auch mein lieber Schatz.«

Meine Nichte trat ein, und da sie mich in so guter Laune zwischen den beiden jungen Mädchen sitzen sah, setzte sie sich neben mich, um sich meine neue Erwerbung genau anzusehen. Sie sagte mir auf französisch, sie finde sie tadellos schön; nachdem sie dasselbe auf italienisch zu ihr gesagt hatte, gab sie ihr einen Kuß. Marcolina fragte sie nach ihrer venetianischen Art ohne alle Umstände, wer sie sei.

»Ich bin die Nichte des Herrn, der mich jetzt zu meinem Vater nach Marseille begleitet.«

»Dann wären Sie ja auch meine Nichte, wenn ich seine Schwägerin wäre. Wie glücklich wäre ich, eine so hübsche Nichte zu haben!«

Dieser hübschen Antwort folgte eine Flut von Küssen, die mit einer Glut gegeben und empfangen wurden, welche man recht eigentlich venetianisch nennen könnte, wenn man nicht befürchten müßte, dadurch die feurigen Provencalinnen zu beleidigen.

Ich machte mit meiner Nichte eine ziemlich lange Segelfahrt aufs Meer hinaus, und wir genossen zusammen einen jener köstlichen Abende, wie man sie, glaube ich, nur im Golf von Genua hat, wenn über den mondbeschienenen klaren Silberspiegel der See der Zephir die Düfte von den Orangen-, Zitronen- und Granatäpfelbäumen, von Aloe und Jasmin hinträgt. Wir blieben vernünftig, aber unsere Sinne waren zu wollüstigen Erregungen gestimmt, als wir in unsere Wohnung zurückkehrten. Da ich gegen meine schöne Begleiterin noch nichts zu unternehmen wagte, zugleich aber auch einer Ablenkung bedurfte, so fragte ich Annina, wo die Venetianerin sei. Sie antwortete mir, sie sei schon früh zu Bett gegangen. Leise trat ich in ihr Zimmer; doch hatte ich keine andere Absicht, als sie schlafend zu sehen. Der Kerzenschein erweckte sie; sie sah mich, war aber ob meiner Erscheinung nicht erschrocken. Ich setzte mich neben sie, sagte ihr allerlei Artigkeiten und schickte mich an, sie zu umarmen; da sie sich jedoch wehrte, so ließ ich sofort von ihr ab, und wir plauderten.

Nachdem Annina ihre Herrin zu Bett gebracht hatte, trat sie bei uns ein und überraschte uns bei unserer Unterhaltung. Ich sagte zu ihr: »Geh zu Bett, Liebste; ich komme auch gleich.«

Sie war ganz stolz darauf, daß die Venetianerin wußte, daß sie meine Odaliske war, gab mir einen Kuß und ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen.

Ich brachte nun das Gespräch zunächst auf meinen Bruder, dann auf mich selber, sagte ihr, daß sie mir gleich beim ersten Anblick die lebhafteste Teilnahme eingeflößt habe, und daß ich bereit sei, alles Mögliche für sie zu tun, sei es, daß sie darauf bestehe, nach Venedig zurückzukehren, sei es, daß sie lieber mit mir nach Frankreich reisen wolle.

»Werden Sie mich dort heiraten?«

»Nein, ich bin schon verheiratet.«

»Ich weiß, daß dies nicht wahr ist; aber es kommt wenig darauf an. Schicken Sie mich nach Venedig zurück, und zwar so bald wie möglich, wenn ich bitten darf: ich will keines Menschen Konkubine sein.«

»Ich bewundere Ihre Gefühle, meine Liebe; ich finde Sie zum Entzücken!«

Während ich sie lobte, wurde ich dringlich; doch wandte ich keine Gewalt an, sondern nur jene lebhaften und süßen Liebkosungen, gegen die ein Weib sich viel schwerer verteidigen kann als gegen einen gewaltsamen Angriff. Marcolina lachte; als sie aber sah, daß ich nicht abließ, obgleich sie mir alle Wege versperrte, schlüpfte sie plötzlich unten aus dem Bett, lief in das Zimmer meiner Nichte und schloß sich dort ein. Ihr geschickter Streich machte nur Spaß, denn sie hatte ihn ebenso anmutig wie gewandt ausgeführt; ich ging zu Bett, und Annina hatte sich nicht über die kurze Erregung zu beklagen, in die mich die von ihr wegen ihrer Flucht höchlich belobte Marcolina versetzt hatte.

Am anderen Morgen stand ich frühzeitig auf und ging in das Zimmer meiner Nichte, um einen Augenblick über die Gesellschaft zu lachen, die ich ihr ohne Absicht verschafft hatte. Sie boten mir sogar einen noch scherzhafteren Anblick, als ich erwartet hatte. Als sie mich eintreten sah, sagte meine Nichte zu mir: »Lieber Oheim, wollen Sie wohl glauben, daß diese Spitzbübin von Venetianerin mich genotzüchtigt hat?«

Marcolina verstand sie; aber weit entfernt, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, begann sie ihr nun Zeichen von Zärtlichkeit zu geben, die von der anderen gerne angenommen wurden; an den Bewegungen der leichten Bettdecke, unter der sie lagen, konnte ich ohne Mühe er raten, von welcher Art diese Zärtlichkeiten waren.

»Hören Sie,« sagte ich zu meiner Nichte, »das ist aber ein starker Angriff auf die Rücksichten, die Ihr Oheim bis jetzt auf Ihre Vorurteile genommen hat.«

»Ach, diese Scherze unter zwei jungen Mädchen können einen Mann, der eben aus Anninas Armen kommt, doch wohl nicht in Versuchung führen.«

»Sie irren sich und irren sich vielleicht mit Absicht; die Versuchung ist für mich außerordentlich groß.«

Mit diesen Worten riß ich die Bettdecke herunter. Marcolina schrie laut auf, rührte sich aber nicht; die andere bat mich in gefühlvollem Tone, sie wieder zuzudecken. Aber das Gemälde, das ich vor meinen Augen hatte, war zu entzückend, als daß ich es hätte verschleiern mögen.

Annina trat ein und breitete, den Befehlen ihrer Herrin gehorsam, die Bettdecke wieder über meine beiden Bacchantinnen und beraubte mich dadurch des schönen Anblicks. Ärgerlich hierüber packte ich Annina, warf sie auf das Bett und gab den beiden Freundinnen ein Schauspiel, das ihnen so interessant erschien, daß sie mit ihrem Spiel aufhörten, um dem meinigen zuzusehen. Als ich fertig war, rief Annina freudestrahlend, ich hätte recht gehabt, mich auf diese Weise für ihre Zimperlichkeit zu rächen. Zufrieden mit meiner Heldentat ging ich hinaus, um zu frühstücken; hierauf kleidete ich mich an und suchte meinen Bruder auf.

»Wie befindet sich Marcolina?« fragte er mich, sobald er mich erblickte.

»Gut; beunruhige dich ihretwegen nicht; sie hat gute Kleider, gutes Essen und gute Wohnung. Sie ist glücklich.«

»Wohnt sie bei dir?«

»Ja, sie schläft mit der Kammerzofe meiner Nichte zusammen.«

»Ich wußte nicht, daß ich eine Nichte habe.«

»Es gibt viele Dinge, die du nicht weißt. In drei oder vier Tagen wird Marcolina abreisen, um nach Venedig zurückzukehren.«

»Ich hoffe, lieber Bruder, ich werde heute bei dir speisen.«

»Nein, unter keinen Umständen, mein lieber Bruder! Ich verbiete dir, dich bei mir sehen zu lassen, denn deine Anwesenheit würde Marcolina verdrießen, und du darfst sie daher nicht wiedersehen.«

»Oh! Ich werde sie wiedersehen; denn ich werde nach Venedig gehen, und müßte ich mich dort aufhängen lassen!«

»Was hätte das für einen Zweck? Sie kann dich ja nicht ausstehen.«

»Sie liebt mich!«

»Sie haßt dich.«

»Weil sie mich liebt. Sie wird sofort sanft wie ein Lamm werden, wenn sie mich so gut angezogen sieht. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich leide!«

»Ich kann es mir vorstellen, aber ich habe durchaus kein Mitleid mit deinem Leiden; denn du bist ein Frevler gegen Gott, ein Dummkopf und außerdem ein elender Barbar, denn du hast dich nicht gefürchtet, ein reizendes junges Mädchen, das glücklich zu sein verdient, der Schande und dem Elend auszusetzen, um eine erbärmliche Laune zu befriedigen, die deinem Gelübde und deinem Priesterstande widerspricht. Sage mir, Schurke, was hättest du gemacht, wenn ich dir den Rücken zugedreht hätte, anstatt dir zu Hilfe zu kommen?«

»Dann hätte ich mit ihr an den Türen gebettelt.«

»Sie hätte dich geprügelt und hätte sich vielleicht an die Behörden gewandt, um dich los zu werden.«

»Aber was wirst du mit mir machen, wenn ich sie allein nach Venedig zurückreisen lasse?«

»Ich werde dich mit mir nach Frankreich nehmen und versuchen, dich in den Dienst irgendeines Bischofs zu bringen.«

»In den Dienst? Ich bin nicht dazu geboren, einem anderen zu dienen als Gott allein.«

»Aufgeblasener Dummkopf! Marcolina hatte ganz recht, als sie gestern sagte, du sprächest gerade so, als wenn du predigtest. Wer ist dein Gott? Welchen Dienst leistest du ihm? Dummkopf oder Heuchler! Dienst du ihm, indem du ein anständiges Mädchen verführst und dem Elternhause abspenstig machst? Dienst du ihm, indem du deinen Stand entweihst, deine Religion verrätst, die du nicht einmal kennst? Unglücklicher Dummkopf, der du dir einbildest, du könntest ohne Talent, ohne alle theologischen Kenntnisse ein Diener des protestantischen Kultus werden? Du, der du nicht einmal richtig italienisch sprichst? Hüte dich, jemals meine Wohnung zu betreten; denn du würdest mich zwingen, dich aus Genua ausweisen zu lassen.«

»Gut! Dann bringe mich nach Paris; dort werde ich zu meinem Bruder Francesco gehen, der nicht so hartherzig ist wie du.«

»Schön! Du wirst nach Paris gehen, und in vier oder fünf Tagen reisen wir ab. Bleibe hier, iß und trink, geh aber nicht aus. Ich werde dir Bescheid geben. Ich reise mit meiner Nichte, meinem Sekretär und meinem Kammerdiener. Wir gehen auf dem Seewege.«

»Ich werde aber seekrank.«

»Das wird für dich eine Magenreinigung sein.«

Ich ging nach Hause und teilte Marcolina meine Unterhaltung mit dem Abbate mit.

»Ich verabscheue ihn,« sagte sie, »aber ich verzeihe ihm, da ich ihm das Glück verdanke, Sie kennen gelernt zu haben.«

»Nun, meine reizende Landsmännin, so verzeihe ich ihm ebenfalls; denn ohne ihn hätte ich Sie vielleicht niemals kennen gelernt; aber ich liebe Sie, und ich fühle, daß ich an dieser Liebe sterben werde, wenn Sie nicht einwilligen, sie zu befriedigen.«

»Niemals! Ich fühle, daß ich mich wahnsinnig in Sie verlieben würde, und wenn Sie mich dann verließen, würde ich unglücklich sein.«

»Ich werde Sie niemals verlassen.«

»Wenn Sie mir dies schwören wollen, können Sie mich mit nach Frankreich nehmen. Dort werde ich ganz und gar die Ihrige sein. Hier in Genua leben Sie nur mit Annina weiter! Übrigens bin ich in Ihre Nichte verliebt.«

Das Scherzhafte an der Sache war, daß meine Nichte sich ebenso in sie verliebt hatte, und zwar so sehr, daß sie mich gebeten hatte, sie immer mit uns essen zu lassen und zu gestatten, daß sie alle Nächte bei ihr schlafe. Da ich bei ihren wollüstigen Tollheiten anwesend sein konnte, so hatte ich nichts dagegen einzuwenden, und wir aßen schon an demselben Tage zusammen. Wir hatten dies nicht zu bereuen, denn sie erzählte uns eine Menge Geschichten, über die wir uns halb tot lachten, und wir blieben daher so lange bei Tisch sitzen, bis wir zu Rosalien gehen mußten, wo wir sicher waren, den Anbeter meiner Nichte zu finden.

Am nächsten Tage, Gründonnerstag, begleitete Rosalie uns, um die Prozessionen zu sehen. Ich führte an meinen Armen Rosalie und Marcolina, die sich dicht in ihren Mezzaro gehüllt hatten, meine Nichte aber ging am Arm ihres Anbeters. Als ich am nächsten Tage mit derselben Gesellschaft ausging, um die Prozession zu sehen, die man in Genua die Caracce nennt, machte Marcolina mich auf meinen Bruder aufmerksam, der nur von weitem um uns herumstrich, im übrigen aber so tat, als wenn er uns nicht sähe. Er hatte sich äußerst sorgfältig frisieren lassen, und der Geck schien davon überzeugt zu sein, daß er an diesem Tage Marcolina gefallen und daß sie bereuen würde, ihn verschmäht zu haben. Aber der arme Teufel mußte Folterqualen ausstehen, denn meine Venetianerin, die an den Cendal gewöhnt war, wußte den Mezzaro so gut und besser zu handhaben als eine Genueserin; so wurde er gesehen und gefoppt, konnte aber niemals sicher sein, daß seine Grausame ihn gesehen hatte. Außerdem brachte die Schelmin ihn noch dadurch zur Verzweiflung, daß sie sich ganz innig an meinen Arm anschmiegte. Er mußte daher glauben, daß wir bereits auf dem allervertrautesten Fuße ständen.

Meine Nichte und Marcolina glaubten, die besten Freundinnen von der Welt zu sein, und konnten es gar nicht vertragen, wenn ich zu ihnen sagte, daß nur ihre Liebesscherze die Ursache ihrer gegenseitigen Zuneigung seien. Um mir zu beweisen, daß ich mich irrte, versprachen sie mir, ihre Ergötzlichkeiten sollten mit unserer Abreise von Genua aufhören; ich sollte mit ihnen in der Feluke zusammenschlafen, die uns nach Antibes bringen würde, wo wir mindestens eine Nacht bleiben müßten; wir würden uns jedoch nicht entkleiden. Ich forderte sie auf, ihr Wort zu halten, und setzte unsere Abreise auf den nächsten Donnerstag fest. Nachdem ich befohlen hatte, die Feluke segelfertig zu machen, sagte ich meinem Bruder Bescheid, daß er sich am Hafen einzufinden hätte.

Es war ein sehr schmerzlicher Augenblick, als ich meine kleine Annina ihrer Mutter übergab. Sie weinte so bitterlich, daß wir alle Tränen vergossen. Meine Nichte schenkte ihr ein schönes Kleid, und ich gab ihr dreißig Zechinen, indem ich ihr zugleich versprach, auf meiner Rückreise aus England wieder nach Genua zu kommen. Passano erhielt Bescheid, daß er sich mit dem Abbate auf der Feluke einzufinden habe; ich hatte in diese guten Mundvorrat für drei Tage bringen lassen. Der junge Kaufmann versprach meiner Nichte, in vierzehn Tagen nach Marseille zu kommen. Bei seiner Ankunft würde die Heirat bereits zwischen ihren Vätern abgeschlossen sein. Diese bevorstehende Heirat machte mir die allergrößte Freude, denn sie gab mir die Gewißheit, daß ihr Vater sie mit offenen Armen aufnehmen würde. Unsere Freunde verließen uns erst, als wir die Feluke bestiegen.

Das Schiffchen hatte zwölf Ruderer und war sehr bequem eingerichtet. Es war mit zwei Steinböllern bewaffnet und hatte vierundzwanzig Gewehre an Bord, damit wir uns für alle Fälle gegen einen Korsaren verteidigen könnten. Clairmont hatte meinen Reisewagen und meine Koffer so geschickt benutzt, daß fünf darüber ausgebreitete Matratzen ein sehr bequemes Bett bildeten, so daß wir uns niederlegen und uns sogar in aller Bequemlichkeit ausziehen konnten; wir hatten gute Kopfkissen und einen reichlichen Vorrat von Decken. Ein großes Zeltdach von Sarsche bedeckte die ganze Barke, und zwei Laternen hingen an dem Pfosten, der das Zelt stützte. Als es Abend war, zündete Clairmont die Laternen an und trug unsere Mahlzeit auf. Da ich meinem Bruder gesagt hatte, daß ich ihn bei der ersten Dummheit ins Meer werfen würde, so erlaubte ich ihm und Passano, mit uns zu speisen.

Zwischen meinen Nymphen auf den Matratzen sitzend, bediente ich freundlich meine Gäste, zunächst meine Nichte, dann die Venetianerin, hierauf meinen Bruder und endlich Passano. Ich hatte verboten, beim Essen Wasser zu trinken, und da die Speisen sehr lecker waren, so leerten wir ein jeder eine Flasche ausgezeichneten Burgunders. Als wir gespeist hatten, ruhten unsere Ruderer sich aus, obgleich der Wind sehr schwach war. Ich ließ die Laternen auslöschen, und meine beiden Freundinnen schliefen an meinen Seiten ein.

Als mich die Morgenröte weckte, fand ich die beiden Engel schlafend in derselben Stellung, worin ich sie am Abend gesehen hatte. Leider konnte ich sie nicht mit meinen Küssen bedecken, denn die eine galt für meine Nichte, und die andere war eine Waise; es wäre unmenschlich gewesen, sie in Gegenwart meines unglücklichen Bruders, der sie anbetete, aber niemals auch nur die geringste Gunst von ihr erlangt hatte, als meine Geliebte zu behandeln. Von Kummer und Seekrankheit gequält lag er da; er würde die geringste Liebesbezeigung sofort erspäht haben. Ich wollte ein Ärgernis vermeiden und besaß daher die Kraft, mich mit dieser Augenweide zu begnügen, bis sie wie zwei Rosen erwachten.

Als ich mich an der Betrachtung dieser beiden entzückenden Wesen gesättigt hatte, stand ich auf, um das Meer zu begrüßen. Ich sah, daß wir erst Finale gegenüber waren, und schalt den Schiffer tüchtig aus.

Er behauptete, hinter Savona habe der Wind aufgehört, und alle Schiffsknechte bestätigten dies.

»So hättet ihr rudern müssen; aber ihr wolltet natürlich lieber faulenzen.«

»Wir fürchteten, Sie aufzuwecken. Sie werden morgen in Antibes sein.«

Nachdem wir, um uns die Zeit zu vertreiben, gut gegessen hatten, bekamen wir Lust, in San Remo an Land zu gehen. Darüber freute sich die ganze Mannschaft. Wir landeten, und nachdem ich befohlen hatte, daß alle an Bord bleiben sollten, führte ich meine beiden Nymphen in den Gasthof, wo ich Kaffee bestellte. Ein Herr redete uns an und lud uns ein, wir möchten uns in seinem Hause ausruhen, wo wir uns mit dem Biribispiel unterhalten könnten.

»Ich glaubte, dies Spiel sei in den genuesischen Staaten verboten?«

Er antwortete nicht.

Überzeugt, daß es die von mir ausgebeutelten Gauner waren, nahm ich die Einladung an. Meine Nichte hatte fünfzig Louis in ihrer Börse. Ich gab Marcolina fünfzehn. Bald waren wir in einem Saale, worin sich zahlreiche Gesellschaft befand. Man öffnete den Kreis, wir nahmen Platz, und ich erblickte die Gauner von Genua. Sobald sie mich sahen, wurden sie bleich und zitterten. Ich muß erwähnen, daß der Mann, der den Sack hielt, nicht mehr der arme Teufel war, der mir, ohne es zu wollen, so gute Dienste geleistet hatte.

»Ich spiele die Harlequine«, sagte ich zu ihnen.

»Die ist nicht mehr da.«

»Wie stark ist die Bank?«

»Sie sehen sie. Hier wird nur klein gespielt. Die zweihundert Louis, die hier liegen, sind hinreichend. Man kann so wenig setzen, wie man will, und der höchste Einsatz beträgt einen Louis.«

»Gut; aber meine Louis sind vollwichtig.«

»Ich glaube, die unsrigen sind es auch.«

»Sind Sie dessen sicher?«

»Nein.«

»Dann werden wir nicht spielen«, sagte ich zum Wirt.

»Sie haben recht. Man soll eine Wage bringen.«

Der Bankhalter sagte nun, er würde nach der Beendigung des Spiels für jeden Louis, den man von ihm gewonnen hätte, vier Silbertaler zu sechs Lire geben. Damit war diese Frage erledigt. In einem Augenblick war das ganze Tableau mit Einsätzen bedeckt.

Wir setzten alle je einen Louis. Ich verlor zwanzig und meine Nichte ebensoviel; Marcolina aber, die in ihrem ganzen Leben keine zwei Zechinen besessen hatte, gewann hundertundvierzig Louis. Sie spielte auf die Figur eines Abbate, der in zwanzig Ziehungen fünfmal herauskam. Man gab ihr einen Sack voll Sechsfrankentaler, und wir kehrten zu unserer Feluke zurück.

Da wir Gegenwind hatten, mußten wir die ganze Nacht rudern. Das Meer war sehr bewegt, und ich beschloß daher um acht Uhr morgens, in Mentone Halt zu machen. Meine beiden schönen Freundinnen waren seekrank, desgleichen Passano und mein Bruder. Ich dagegen befand mich ausgezeichnet. Nachdem ich meine beiden Kranken in einen Gasthof geführt hatte, erlaubte ich auch Passano und dem Abbate an Land zu gehen, um sich zu erholen. Da der Wirt mir sagte, daß der Fürst und die Fürstin von Monaco in Mentone seien, so beschloß ich, ihnen einen Besuch zu machen. Vor dreizehn Jahren hatte ich ihn in Paris oft unterhalten und ihm die Langeweile vertrieben, indem ich mit ihm und seiner Geliebten Coraline zu Abend speiste. Der Fürst war es, der mich zu der abscheulichen Herzogin von Rufec geführt hatte. Damals war er noch nicht verheiratet. Nun fand ich ihn in seinem Fürstentum wieder, wo er mit seiner Gattin lebte, von der er bereits zwei Söhne hatte. Die Fürstin war eine geborene Marchesa Brignole, eine reiche Erbin, außerdem schön und besonders sehr liebenswürdig. Dies alles wußte ich vom Hörensagen. Ich war daher sehr neugierig, sie zu sehen.

Ich begab mich zum Fürsten; man meldete mich, ließ mich ziemlich lange warten und führte mich endlich hinein. Ich redete ihn als Hoheit an, was ich in Paris niemals getan hatte; denn dort gab ihm kein Mensch seinen Titel. Er empfing mich höflich, aber mit jener Kälte, die einem genügend zu verstehen gibt, daß man nicht gern gesehen wird.

Er sagte zu mir: »Ich kann mir denken, Sie haben hier wegen des schlechten Wetters Halt gemacht?«

»Jawohl, mein Fürst, und wenn Eure Hoheit es mir gestatten, werde ich den ganzen Tag in Ihrer köstlichen Stadt verweilen« – (die durchaus nicht köstlich ist).

»Ganz nach Ihrem Belieben. Da es der Fürstin wie auch mir hier besser gefällt als in Monaco, so bevorzugen wir den Aufenthalt in Mentone.«

»Ich möchte den Wunsch aussprechen, daß Eure Hoheit mich der Fürstin vorzustellen geruhen.«

Es stand ein Page in der Nähe, und ohne meinen Namen zu nennen, befahl er diesem, mich seiner Gemahlin vorzustellen.

Der Page öffnete die Tür eines schönen Saales, sagte: »Da ist die Fürstin!« und ließ mich allein. Sie saß an ihrem Piano und sang eine Romanze. Als die Fürstin mich sah, stand sie auf und ging mir entgegen. Ich hätte mich selber vorstellen müssen, was unter derartigen Umständen immer unangenehm ist. Ohne Zweifel empfand die Fürstin dies, denn sie hatte ein sehr feines Schicklichkeitsgefühl. Sie tat daher, wie wenn sie der Vorstellung nicht bedürfte, und richtete an mich mit wohlwollender Liebenswürdigkeit die Phrasen, die im Katechismus des guten Tones unter dem Abschnitt Vorstellung stehen. Ich brachte sie nicht in die Verlegenheit, stecken zu bleiben, sondern erzählte ihr ungezwungen, aber im Tone eines großen Herrn, eine Menge angenehmer und scherzhafter Geschichten, ohne jedoch etwas von meinen beiden schönen Begleiterinnen zu sagen.

Die Prinzessin war schön, liebenswürdig und hochbegabt. Ihre Mutter, die den Fürsten kannte und wohl wußte, daß ein solcher Mann sie nicht glücklich machen konnte, widersetzte sich dieser Verbindung; die junge Marchesa war aber wie verzaubert, und die Mutter mußte nachgeben, als die Tochter zu ihr sagte: »O Monaco, o Monaco – entweder bekomme ich den Monaco oder ich werde Nonne.«

Während wir die nichtigen Phrasen einer inhaltlosen Unterhaltung wechselten, kam der Fürst hinein. Er verfolgte eine von ihren Kammerzofen, die lachend vor ihm davonlief. Die Fürstin tat, wie wenn sie nichts sähe, und sprach ruhig ihren Satz zu Ende. Der Auftritt, mißfiel mir, und ich verabschiedete mich daher von der Fürstin, die mir gute Reise wünschte. Der Fürst, dem ich beim Hinausgehen begegnete, lud mich ein, ihn zu besuchen, so oft ich durch Mentone käme.

»Ich werde nicht verfehlen«, antwortete ich, und damit drückte ich mich, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich ging in den Gasthof zurück und bestellte ein gutes Mittagessen für drei.

Im Fürstentum Monaco lag eine französische Besatzung; für die Einräumung dieses Rechtes erhielt der Fürst ein Jahrgeld von hunderttausend Franken, und diese Besatzung verlieh ihm ein Relief, dessen er sehr stark bedurfte.

Ein junger Offizier, geschniegelt und gebügelt und auf zwanzig Schritte nach Moschus duftend, ging an unserm Zimmer vorbei, dessen Tür offen stand. Er blieb stehen und fragte uns mit einer unverschämten Höflichkeit, die eine abschlägige Antwort für unmöglich zu halten schien: ob wir ihm wohl erlauben wollten, seine gute Laune mit der unsrigen zu vereinigen. Ich antwortete ihm mit sehr kühler Höflichkeit, er würde uns eine große Ehre erweisen – eine herkömmliche Redensart, die weder ja noch nein besagt; aber ein Franzos, der einmal den ersten Schritt getan hat, läßt sich nicht leicht aus der Fassung bringen und weicht niemals zurück, einerlei ob es sich um eine Heldentat oder eine Dummheit handelt.

Nachdem er seine ganze Anmut vor meinen beiden Schönen entfaltet und tausend nichtssagende Redensarten an sie gerichtet hatte, ohne ihnen jemals Zeit zum Antworten zu lassen, wandte er sich zu mir und sagte: er wisse, daß ich mit dem Fürsten gesprochen habe, und sei erstaunt, daß dieser mich nicht nebst meinen schönen Damen zum Mittagessen eingeladen habe. Ich glaubte ihm antworten zu müssen, daß ich dem Fürsten von meinem schönen Schatze nichts gesagt hätte.

Kaum hatte ich diese Worte hervorgebracht, so sprang der liebenswürdige Hasenfuß voller Begeisterung auf und rief: »Ja, zum Donnerwetter, dann wundere ich mich nicht mehr. Ich eile zu Seiner Hoheit, um ihm Meldung davon zu machen, und werde bald die Ehre haben, mit Ihnen im Schloß zu speisen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er davon.

Wir lachten über das Ungestüm des Brausekopfs, da wir fest überzeugt waren, daß wir weder mit ihm noch mit dem Fürsten speisen würden. Aber es dauerte keine Viertelstunde, da sahen wir ihn freudestrahlend zurückkehren! Mit triumphierender Miene lud er uns im Auftrag des Fürsten ein, im Schloß zu speisen.

Ich antwortete ihm: »Ich bitte Sie, Seiner Hoheit in unserem Namen zu danken und uns zugleich zu entschuldigen. Da das Wetter schön geworden ist, so will ich unter allen Umständen abreisen, sobald wir in aller Eile einen Bissen gegessen haben.«

Unser junger Franzose bot seine ganze Redekunst auf, um uns zur Annahme der Einladung zu bewegen. Da ich jedoch unerbittlich blieb, so verließ er mich mit betrübtem Gesicht, um dem Fürsten unsere Antwort zu überbringen.

Ich glaubte ihn nun los zu sein, aber ich hatte es mit einem zähen Willen zu tun: kurze Zeit darauf kam er wieder, wandte sich mit hochbefriedigter Miene zu meinen beiden Damen, wie wenn er mich überhaupt für nichts mehr rechnete, und sagte zu ihnen: »Ich habe dem Fürsten eine so wahrheitsgetreue Beschreibung von Ihren Vollkommenheiten gemacht, daß Seine Hoheit beschlossen hat, hier mit Ihnen zu speisen. Ich habe bereits befohlen, zwei Gedecke mehr aufzulegen, denn ich werde die Ehre haben, daran teilzunehmen. In einer Viertelstunde, meine Damen, wird der Fürst hier sein.«

»Vortrefflich!« rief ich ohne Zögern; »aber um den Fürsten angemessen zu bewirten, muß ich schnell einmal auf meine Feluke gehen, um eine ausgezeichnete Pastete zu holen, die der Fürst, wie ich weiß, besonders gern ißt. Kommen Sie, meine jungen Damen!«

»Sie können sie hierlassen, mein Herr; ich werde ihnen gute Gesellschaft leisten.«

»Daran zweifle ich nicht im geringsten; aber die Damen haben ebenfalls etwas zu holen.«

»Sie erlauben mir doch, mitzukommen?«

»Oh, sehr gern!«

Beim Hinausgehen war ich den anderen um etwa vier Schritte voraus; ich fragte den Wirt unbemerkt, wieviel ich ihm schuldig sei. »Nichts, mein Herr; soeben erhalte ich den Befehl, Sie aufs beste zu bedienen, aber keine Bezahlung zu nehmen.«

»Das ist ja prächtig!«

Während dieses kurzen Gespräches waren meine Damen mit dem jungen Windbeutel vorausgegangen; ich beeilte mich, sie einzuholen, und reichte meiner Nichte den Arm. Sie lachte von ganzem Herzen darüber, daß der Offizier Marcolinen Komplimente machte, von denen sie kein Wort verstand; der Dummkopf konnte dies aber nicht bemerken, weil er wie eine Windmühle klapperte, ohne jemals auf eine Antwort zu warten.

»Wir werden bei Tisch viel zu lachen haben,« sagte meine Nichte, zu mir; »aber was wollen wir denn in der Feluke?«

»Abreisen! Still!«

»Abreisen?«

»Augenblicklich.«

»Der Streich ist Goldes wert!«

Wir besteigen die Feluke; der Offizier ist entzückt von meinem Reisewagen und fängt an, ihn sich anzusehen. Während er damit beschäftigt ist, sage ich meiner Nichte, sie solle ihn unterhalten, und befehle sodann mit leiser Stimme dem Schiffer, augenblicklich abzufahren.

»Augenblicklich?«

»Jawohl, noch in dieser Minute.«

»Aber der Herr Abbate und Ihr Sekretär sind spazieren gegangen, und von meinen Ruderknechten sind ebenfalls zwei am Lande.«

»Das macht nichts; sie werden auf dem Landwege nach Antibes gehen und uns dort finden; es sind ja nur zehn Wegstunden, und sie haben Geld. Ich will abreisen und zwar sofort. Machen Sie schnell, ich habe es eilig!«

»Das genügt.«

Er löst die Kette, die die Feluke festhält, und diese entfernt sich vom Ufer. Der Offizier bemerkt es und fragt mich ganz verblüfft, was das zu bedeuten habe.

»Das bedeutet, daß ich nach Antibes fahre, wohin ich Sie mit dem größten Vergnügen gratis mitnehme.«

»Das ist ein Scherz von der allerschönsten Sorte! Denn Sie scherzen doch nur!«

»Nein, allen Ernstes, Ihre Gesellschaft wird uns sehr angenehm sein.«

»Donnerwetter! Setzen Sie mich doch an Land; denn – ich bitte um Verzeihung, meine schönen Damen – ich habe keine Zeit, nach Antibes zu fahren. Ein anderes Mal gern!«

»Setze den Herrn an Land!« sage ich zum Schiffer; »unsere Gesellschaft scheint dem Herrn nicht zu gefallen.«

»Aber im Gegenteil! Ihre Damen sind reizend; aber Sie begreifen doch, der Fürst würde mir mit Recht zürnen, denn er würde glauben, ich wäre mit Ihnen im Einverständnis, um ihm diesen Streich zu spielen, der ihm, wie Sie zugeben werden, nicht gleichgültig sein kann.«

»Ich spiele niemals Streiche, die einem gleichgültig sein können.«

»Aber was wird der Fürst dazu sagen?«

»Er mag sagen, was ihm gefällt, gerade wie ich tue, was mir gefällt.«

»Nun, ich persönlich bin jedenfalls vollkommen gerechtfertigt. Leben Sie wohl, meine Damen! Leben Sie wohl, mein Herr!«

»Leben Sie wohl, mein Herr; Sie können dem Fürsten meinen Dank sagen, daß er meine Zeche im Gasthof hat bezahlen lassen.«

Marcolina verstand kein Wort von dem, was vorging, und konnte daher nicht lachen. Sie war ganz verdutzt, da sie nicht wußte, was sie davon halten sollte; meine Nichte aber wollte sich halbtot lachen, denn nichts war komischer als die Art und Weise, wie der arme Offizier die Sache aufgefaßt hatte.

Clairmont setzte uns ein Essen vor, wie wir es nur wünschen konnten, und niemals ist eine Mahlzeit fröhlicher gewesen, denn wir hatten unaufhörlich über den Vorfall und alle Einzelheiten desselben zu lachen, nicht zum wenigsten auch über das Erstaunen, in das Passano und mein dummer Bruder geraten mußten, wenn sie am Hafen ankamen und uns nicht mehr fanden, übrigens war ich sicher, daß ich sie schon am nächsten Tage in Antibes wiedersehen würde; wir selber kamen dort am Abend um sechs Uhr an.

Die See hatte uns an diesem Tage müde, aber nicht krank gemacht; die herbe Seeluft hatte unseren Appetit gestärkt; wir taten daher dem Abendessen alle Ehre an und brachten reichliche Trankopfer. Marcolina, deren Magen durch die Bewegung der Wellen etwas geschwächt war, verspürte bald die Wirkungen des Burgunders. Die Augen wurden ihr schwer, und sie legte sich schlafen. Meine Nichte wollte ihrem Beispiel folgen, aber ich erinnerte sie voller Zärtlichkeit daran, daß wir endlich in Antibes seien, und daß ich mich der Hoffnung hingebe, sie werde ihr Wort nicht brechen. Sie reichte mir wortlos die Hand, indem sie mit zärtlicher und bescheidener Miene die Augen niederschlug.

Freudetrunken über eine Gefälligkeit, die der Liebe so ähnlich sah, legte ich mich an die Seite des entzückenden Mädchens und rief: »Endlich also ist der Augenblick meines Glückes da!«

»Und des meinigen, geliebter Freund!«

»Wie? Des deinigen? Hast du mich nicht beständig zurückgestoßen?«

»Niemals! Ich liebte dich vom ersten Augenblick an und litt unter deiner Gleichgültigkeit.«

»Aber wolltest du nicht die erste Nacht nach unserer Abreise von Mailand lieber allein sein, als sie mit mir verbringen?«

»Konnte ich anders handeln, ohne mich der Gefahr auszusetzen, in deinen Augen für eine Person zu gelten, die keiner wahren Liebe fähig, sondern nur eine Sklavin ihrer Sinne wäre? Außerdem hättest du glauben können, ich gäbe mich dir zum Dank für deine Wohltaten hin. Dieses Gefühl der Dankbarkeit wäre zwar edel gewesen, aber es hätte die sanfte Hingebung der Liebe unmöglich gemacht. Du hättest mir sagen müssen, daß du mich liebtest, und hättest mich davon überzeugen müssen durch jene eifrige Dienstwilligkeit, die uns Frauen stets besiegt, wenn das Herz nur ein bißchen dabei beteiligt ist. Dadurch würdest du mich ermutigt haben, auch meinerseits dich zu überzeugen, daß ich dich liebte, und das hätte dir die Qual erspart, zu glauben, daß nur du allein verliebt seist. Ich meinerseits hätte nicht die Kränkung erlitten, mir einbilden zu müssen, daß du in meinen Armen nur Gefälligkeit zu finden glauben würdest. Ich weiß nicht, ob du mich am nächsten Morgen weniger würdest geliebt haben; aber ich weiß, du würdest mich nicht verachtet haben.«

Meine Nichte hatte recht, und ich gab ihr das gern zu, indem ich mich zugleich zu rechtfertigen versuchte; denn sie sollte nicht den geringsten Zweifel darüber hegen, daß ich ihre Hingebung nicht als eine Vergeltung für meine Wohltaten betrachtete. Sie sollte fühlen, daß nach meiner Überzeugung sie wie ich nur vom Gefühl getrieben wurde.

Wir verbrachten eine Nacht, die der Leser leichter ahnen und sich vorstellen, als ich sie beschreiben kann; wir fühlten uns beide gleich sehr beglückt durch unsere Genüsse und durch gegenseitige Seligkeit. Am Morgen sagte sie zu mir: ohne Zweifel sei es zu ihrem Besten, daß wir nicht mit diesem Ende begonnen hätten; denn sie fühle, daß sie sich niemals würde entschlossen haben, sich mit dem Genuesen zu verloben, obgleich er allem Anschein nach vom Schicksal dazu bestimmt sei, sie glücklich zu machen.

Marcolina kam am Morgen zu uns, überschüttete uns mit tausend Liebkosungen und versprach uns, während der ganzen Reise allein zu schlafen.

»Du bist also nicht eifersüchtig auf sie?« fragte ich sie.

»Ich liebe ihr Glück wie mein eigenes, weil ich sie selber liebe, und weil ich weiß, daß sie dich glücklich macht.«

Das Mädchen entwickelte sich von Tag zu Tag und wurde immer entzückender.

Passano kam mit dem Abbate in dem Augenblick an, wo wir uns zu Tisch setzen wollten, und da meine Nichte zwei Gedecke mehr aufzulegen befahl, so erklärte ich mich damit einverstanden, daß sie mit uns speisten. Mein Bruder bot einen höchst kläglichen und zugleich lächerlichen Anblick. Da er nicht zu Fuß gehen konnte, hatte er ein Pferd genommen, welches vielleicht das erste war, das er in seinem ganzen Leben bestiegen hatte.

»Ich habe eine zarte Haut,« sagte er; »es ist daher nicht zu verwundern, daß ich ganz zerschunden bin. Aber Gottes Wille geschehe. Ich glaube nicht, daß man ärgere Schmerzen erdulden kann, als ich sie während dieses entsetzlichen Rittes aushalten mußte. Mein Körper hat Schmerzen gelitten, noch mehr aber meine Seele!«

Während er so sprach, warf er Marcolinen die kläglichsten Blicke zu; wir aber hielten uns die Seiten, um nicht laut herauszuplatzen. Meine Nichte konnte es schließlich nicht mehr aushalten und sagte zu ihm: »Wie leid Sie mir tun, lieber Onkel!«

Er wurde rot, nannte sie liebe Nichte und fing an, ihr auf französisch ein herzlich dummes Kompliment zu machen. Ich sagte ihm, er solle schweigen und sich der französischen Sprache, die so leicht zu Mißverständnissen Anlaß gibt, nicht eher bedienen, als bis er sie verstehe und sie so spreche, daß man ihm nicht ins Gesicht lachen müsse. Übrigens sprach der Dichter Pogomas nicht besser als er.

Da wir neugierig waren, was sich in Mentone nach unserer Abfahrt zugetragen hätte, so erzählte Passano uns folgendes:

»Als wir von unserem Spaziergang zurückkamen, fanden wir zu unserer großen Überraschung die Feluke nicht mehr. Da ich wußte, daß Sie im Gasthof das Mittagessen bestellt hatten, so begaben wir uns dorthin; der Wirt konnte mir aber auch nichts weiter sagen, als daß er den Fürsten und einen jungen Offizier erwartete, die mit Ihnen speisen würden. Gerade in dem Augenblick, als ich ihm sagte, er würde vergeblich auf Sie warten, kam der Fürst und sagte voller Zorn zu ihm: da Sie abgereist seien, so könne er die Bezahlung von Ihnen eintreiben. ›Gnädiger Herr,‹ sagte der Wirt, ›der Herr, der abgereist ist, wollte bezahlen; ich habe mich jedoch nach Ihrem Befehl gerichtet und die Bezahlung zurückgewiesen, die ich daher von Eurer Hoheit erwarte.‹ Hierauf warf der Fürst ihm verdrießlich einen Louis zu und fragte uns, wer wir seien. Ich antwortete ihm: wir gehörten zu Ihrer Gesellschaft, und Sie hätten auch auf uns nicht gewartet, wodurch wir in große Verlegenheit geraten wären. ›Sie werden sich schon herausziehen,‹ sagte er zu mir; dann fing er an zu lachen und sagte, der Spaß sei sehr drollig. Endlich fragte er mich, wer die beiden jungen Damen wären, die Sie bei sich hätten. ›Die eine,‹ sagte ich zu ihm, ›ist seine Nichte; die andere kenne ich nicht.‹ Da nahm aber der Abbate das Wort und sagte, die andere sei seine Cuisine. Der Fürst erriet, daß er Cousine sagen wollte, und brach in ein lautes Gelächter aus, in das der junge Offizier aus vollem Halse einstimmte. ›Sie können ihn von mir grüßen,‹ sagte der Fürst, indem er sich zum Gehen wandte, ›und ihm sagen, ich würde ihn schon einmal irgendwie finden, und ich würde den bösen Streich nicht vergessen, den er mir gespielt hätte.‹

»Als er fort war, lachte der Wirt, da er ein anständiger Mann war, und ließ uns und den beiden Ruderknechten ein gutes Essen vorsetzen, indem er sagte: mit dem Louis des angeführten Fürsten sei alles bezahlt. Nachdem wir gut gegessen hatten, mieteten wir uns zwei Pferde. In Nizza übernachteten wir. Heute früh reisten wir weiter. Wir waren überzeugt, daß wir Sie hier wiederfinden würden.«

Marcolina sagte kurz angebunden zum Abbate: wenn er sich in Marseille oder sonstwo einfallen lasse, sie seine Cousine zu nennen, so würde er es mit ihr zu tun bekommen; denn sie wollte weder für seine Cuisine noch für seine Cousine gelten. Ich riet ihm ebenfalls allen Ernstes, in Zukunft nicht mehr französisch zu sprechen, da die Gesellschaft, in der er sich befände, sich seiner Sprachfehler schämen müßte.

Als ich Postpferde nach Fréjus bestellte, sah ich einen Mann erscheinen, der behauptete, er hätte von mir zehn Louis für die Aufbewahrung eines Wagens zu bekommen, den ich vor fast drei Jahren bei ihm eingestellt hätte. Dies war gewesen, als ich Rosalie von Marseille entführte. Ich mußte lachen, denn der Wagen war keine fünf Louis wert. Darum sagte ich zu dem Mann: »Mein guter Freund, ich schenke Euch das Möbel.«

»Ich will von Ihnen nichts geschenkt haben, sondern verlange zehn Louis, die Sie mir schuldig sind.«

»Die zehn Louis bekommt Ihr nicht. Geht zum Kuckuck!«

»Das wollen wir sehen!«

Er ging. Ich lasse die Pferde holen und will abfahren.

Einige Augenblicke darauf überbringt ein Gerichtsbote mir auf Antrag meines Gläubigers eine Vorladung, vor dem Kommandanten zu erscheinen. Ich gehe mit ihm und finde einen einarmigen Herrn, der mich höflich ersucht, die vom Kläger verlangten zehn Louis zu zahlen und meinen Wagen an mich zu nehmen. Ich antwortete ihm: in meinem Vertrage sei bestimmt, daß ich monatlich sechs Franken zu bezahlen habe; es sei jedoch kein Termin für die Rückgabe vorgeschrieben und ich wolle meinen Wagen nicht auslösen.

»Aber, mein Herr, wenn Sie nun den Wagen überhaupt nicht auslösen?«

»Dann mag er in seinem Testament die Forderung seinen Erben hinterlassen.«

»Ich glaube aber doch, er könnte Sie zwingen, entweder Ihren Wagen zu nehmen, oder Ihre Einwilligung zu geben, daß er diesen versteigert.«

»Da haben Sie recht, mein Herr; diese Mühe will ich ihm ja aber gerade auf die vornehmste Art von der Welt ersparen, indem ich ihm den Wagen schenke.«

»Dann ist die Sache erledigt. Guter Freund, der Wagen gehört Euch.«

»Aber, Herr Kommandant, ich bitte um Verzeihung,« sagte der Kläger, »die Sache ist nicht erledigt; denn der Wagen ist keine zehn Louis wert, und ich verlange diesen Überschuß.«

»Ihr habt unrecht, mein Freund. Ihnen, mein Herr, wünsche ich gute Reise und bitte Sie, verzeihen Sie der Unwissenheit dieser armen Leute, die das Recht nach ihren beschränkten Begriffen gebeugt sehen möchten.«

Da ich mit allen diesen Scherereien viel Zeit verloren hatte, beschloß ich meine Abreise bis zum nächsten Tage zu verschieben. Mir fiel ein, daß ich für Passano und den Abbate einen Wagen brauchte, und da mir der dem Besitzer des Schuppens überlassene für meine Zwecke zu genügen schien, so ließ ich ihn durch meinen Sekretär kaufen, der ihn für vier Louis bekam. Der Wagen befand sich in einem schäbigen Zustande und mußte erst ausgebessert werden, um wenigstens bis Marseille zusammenzuhalten. Infolgedessen mußten wir noch bis zum nächsten Nachmittag in Antibes bleiben; aber diese Zeit war für das Vergnügen nicht verloren.


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