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Das Hochzeitsmahl wäre für mich kein Vergnügen gewesen, wenn ich nicht für den Anlaß des Festes große Teilnahme gehabt hätte. In den Speisen herrschte mehr Verschwendung als eine feine Auswahl; die Gesellschaft war zahlreich, gemischt und lärmend; Komplimente und Gespräche waren abgeschmackt; die Späße waren platt und sinnlos; über allerlei dummes Zeug wurde aus vollem Halse gelacht. Dies alles würde mich zum Sterben gelangweilt haben, wäre nicht Frau Audibert dagewesen, der ich keinen Augenblick von der Seite wich. Marcolina folgte der Neuvermählten wie ihr Schatten. Diese sollte ihrem Gemahl acht Tage später nach Genua folgen und wünschte sie mitzunehmen; sie erbot sich, sie mit einer vertrauenswürdigen Person nach Venedig zu schicken; Marcolina wollte aber von keinem Plan etwas wissen, der sie von mir getrennt hätte. »Ich werde nur nach Venedig gehen,« sagte sie zu mir, »wenn du mich aus eigenen Antrieb dorthin schickst.«
Übrigens erregte die Hochzeit ihrer Freundin trotz allem Glänze in ihr nicht das geringste Bedauern, daß sie die schöne Partie des jungen Marseiller zurückgewiesen hatte. Der Neuvermählten stand die Freude ihrer Seele auf dem Gesicht geschrieben. Ich wünschte ihr von ganzem Herzen und ohne jeden Hintergedanken Glück dazu; sie gab zu, daß sie glücklich sei, und sagte mir, am meisten erhöhe ihr Glück der Gedanke, daß sie es mir verdanke, und daß sie sicher sei, in Genua eine treue Freundin in Rosalie zu finden, die um so inniger mit ihr übereinstimmen würde, da sie nunmehr Verwandte und in ähnlicher Lage wären.
Am Tage nach der Hochzeit rüstete ich mich zur Abreise. Vor allen Dingen entledigte ich mich der Kiste, die die Opfergaben für die Planeten enthielt. Ich behielt die Diamanten und die Edelsteine und brachte das ganze Metall zum Bankier Rousse de Cosse, bei dem ich noch die ganze Summe stehen hatte, die Greppi zu meinen Gunsten bei ihm angewiesen hatte. Ich nahm einen Kreditbrief auf Tourton & Baur in Paris, denn da Frau von Urfé in Lyon war, so war es kaum möglich, daß ich Geld nötig haben konnte, und die dreihundert Louis, die ich in meiner Börse hatte, genügten für die laufenden Bedürfnisse. Marcolinas Geldverhältnisse ordnete ich in der Weise, daß ich mir von ihr ihre sechshundert Louis geben ließ und zu diesen die sechshundert Franken hinzufügte, die an der runden Summe von fünfzehntausend Franken fehlten. Für diesen Betrag nahm ich eine Anweisung auf Lyon, denn ich gedachte, die erste günstige Gelegenheit zu benutzen, um sie nach Venedig zurückzuschicken. In dieser Absicht ließ ich ihr einen besonderen Koffer machen, in den sie alle Kleider und die Wäsche packte, womit ich sie überreichlich ausgestattet hatte.
Am Tage vor unserer Abreise verabschiedeten wir uns von den Neuvermählten, bei denen wir mit der ganzen Familie zu Abend aßen. Wir trennten uns unter Tränen, indem wir uns ewige Freundschaft versprachen.
Am folgenden Tage begaben wir uns auf die Reise, mit der Absicht, die ganze Nacht hindurch zu fahren, um erst in Avignon Halt zu machen. Gegen fünf Uhr aber brach, eine Stunde über Croix-d'Or hinaus, die Deichselkette meines Wagens, so daß wir ohne Hilfe eines Schmiedes nicht weiterreisen konnten. Wir ergaben uns in die Notwendigkeit, so lange warten zu müssen, und Clairmont ging, um Erkundigungen einzuziehen, in ein schönes Haus, das zur Rechten unseres Weges, am Ende einer Allee von schönen Bäumen lag. Da ich nur einen Postillon hatte, so erlaubte ich diesem nicht, sich auch nur einen Augenblick von seinen Pferden zu entfernen. Bald darauf sahen wir Clairmont mit zwei Bedienten erscheinen, von denen der eine mich im Auftrage seines Herrn einlud, in dessen Hause die Ankunft des Schmiedes abzuwarten. Es würde mir übel angestanden sein, eine Höflichkeit zurückzuweisen, die übrigens von Seiten eines Franzosen sehr natürlich war. Indem ich alles meinem treuen Clairmont überließ, begab ich mich mit Marcolina nach dem gastlichen Hause.
Drei Damen und zwei Herren der besten Gesellschaft kamen uns entgegen, und einer von diesen letzteren sagte mir, sie wünschten sich Glück zu dem kleinen Unfall, der mich betroffen hätte, da er der gnädigen Frau das Vergnügen verschaffte, mir ihr Haus und ihre Dienste anzubieten. Ich wandte mich zu der Dame, die der Herr mir durch eine Handbewegung bezeichnet hatte, dankte ihr und sagte, ich hoffe, sie nicht lange zu belästigen, sei ihr aber für ihr freundliches Entgegenkommen sehr dankbar. Sie machte mir eine sehr anmutige Verbeugung, doch konnte ich ihre Züge nicht unterscheiden, denn der sehr heftige Wind der Provence nötigte sie und ihre beiden Begleiterinnen, ihre Kapuzen tief ins Gesicht zu ziehen. Marcolina trug ihren schönen Kopf unbedeckt und ließ ihre Haare im Winde flattern. Sie antwortete nur durch anmutige Verbeugungen und ein wohlerzogenes Lächeln auf die schmeichelhaften Komplimente, die man ihr darüber machte, daß sie ihre Reize dem Winde preisgebe. Derselbe Herr, der mich begrüßt hatte, fragte mich, indem er ihr den Arm bot, ob die Dame meine Tochter sei. Marcolina lächelte, und ich antwortete, sie sei meine Base, und wir seien aus Venedig.
Der Franzose ist so darauf erpicht, einer hübschen Frau etwas Schmeichelhaftes zu sagen, daß er sich nichts daraus macht, wenn dies auf Kosten eines dritten geschieht. Der Herr konnte füglich nicht annehmen, daß Marcolina meine Tochter sei; denn obgleich ich zwanzig Jahre älter war als sie, gab man mir doch ganz allgemein zehn Jahre weniger, als ich in Wirklichkeit zählte; Marcolina lächelte denn auch auf eine recht bezeichnende Weise.
Als wir gerade in das Haus treten wollten, sprang ein großer Kettenhund auf ein hübsches Wachtelhündchen los; die Dame bekam Angst, der Köter würde das Hündchen beißen, und eilte diesem zu Hilfe. Dabei tat sie einen Fehltritt und stürzte zu Boden. Wir eilten ihr zu Hilfe und hoben sie auf. Sobald sie auf den Füßen stand, sagte sie, sie habe eine Sehne verrenkt. Auf den Arm eines der Kavaliere gestützt, ging sie hinkend nach ihren Gemächern.
Man beeilte sich, uns Erfrischungen vorzusetzen. Als ich sah, daß Marcolina einer Dame gegenüber, die sie anredete, in Verlegenheit geriet, bat ich sie um Entschuldigung, indem ich sagte, sie spräche nicht französisch. Marcolina begann allerdings schon etwas zu radebrechen; da aber die geselligste Sprache der Welt nach meiner Ansicht nicht mittelmäßig gesprochen werden darf, so hatte ich sie gebeten, in vornehmer Gesellschaft nicht zu sprechen, bevor sie sich nicht auf eine erträgliche Weise auszudrücken verstehe. Es war besser, wenn sie schwieg, als wenn sie sich durch italienische Wendungen und durch komische Zweideutigkeiten lächerlich machte.
Die weniger hübsche, oder vielmehr die häßlichere von den beiden Damen sagte zu mir: »Ich wundere mich, daß man in Venedig die Erziehung der jungen Damen in solchem Grade vernachlässigt. Wie ist es möglich, daß man sie nicht französisch lernen läßt!«
»Ohne Zweifel tut man unrecht, gnädige Frau; aber in meiner Heimat gehört zur Erziehung der jungen Mädchen weder der Unterricht in fremden Sprachen noch die Erlernung von gesellschaftlichen Kartenspielen. Diese Dinge kommen an die Reihe, wenn die Erziehung beendet ist.«
»Sie sind also ebenfalls Venetianer?«
»Ja, gnädige Frau.«
»Wahrhaftig, man würde es nicht glauben.«
Ich antwortete mit einer Verbeugung auf dieses Kompliment, das in Wirklichkeit nur eine Beleidigung war; denn wenn es für mich schmeichelhaft war, so war es beleidigend für meine Landsleute. Dies entging denn auch Marcolina nicht, und sie gab ihre Mißbilligung zu erkennen, indem sie mit einem Lächeln voll von Anmut und feiner Bosheit ihr Mündchen verzog.
»Wie ich sehe, versteht das Fräulein französisch,« sagte die Komplimentenmacherin; »denn sie hat sehr zur rechten Zeit gelacht.«
»Ja, meine Gnädige, sie versteht es und sie hat gelacht, weil sie weiß, daß ich nicht anders bin als alle Venetianer.«
»Nicht anders als alle Venetianer – das ist möglich; aber man sieht doch leicht, daß Sie lange in Frankreich gelebt haben, mein Herr.«
»Oui, madame, oui, madame!« rief Marcolina, und diese Worte, die sie mit ihrem hübschen venetianischen Akzent vorbrachte, waren reizend anzuhören.
Der Herr, der die Dame nach ihrem Zimmer begleitet hatte, kam zurück und sagte uns, die gnädige Frau habe ihren Fuß etwas geschwollen gefunden; sie habe sich daher zu Bett gelegt und bitte uns, heraufzukommen.
Wir fanden sie im Hintergrunde eines Alkovens, der durch Vorhänge von karmoisinrotem Atlas noch dunkler gemacht wurde, in einem prachtvollen Bett liegen; es war mir daher unmöglich, sie zu sehen und mich zu vergewissern, ob sie jung oder alt, schön oder häßlich war. Ich sagte ihr, ich sei in Verzweiflung, daß ich die mittelbare Ursache ihres Unglücks sei. Sie antwortete in gutem Italienisch, es habe nicht viel auf sich, und sie glaube damit das Vergnügen, so liebenswürdigen Gästen eine Zuflucht zu bieten, nicht zu teuer zu bezahlen.
»Frau Gräfin muß in Venedig gewohnt haben, um meine Sprache so rein zu sprechen.«
»Ich bin niemals dort gewesen, mein Herr, aber ich habe viel mit Venetianern gesprochen.«
Da ein Bedienter mir meldete, der Schmied sei gekommen und sage, er brauche vier Stunden, um meinen Wagen auszubessern, so bat ich um Erlaubnis, hinuntergehen zu dürfen. Der Schmied wohnte eine Viertelmeile weit entfernt. Wenn die Deichsel mit Stricken zusammengebunden wurde, konnte ich in meinem Wagen zu ihm fahren und bei ihm die Beendigung der Reparatur abwarten. Hierzu hatte ich mich denn auch entschlossen, als der Herr, der die Honneurs des Hauses machte, zu mir kam und im Auftrage der Frau Gräfin mich bat, bei ihr zu speisen und die Nacht zu verbringen. Denn wenn ich zum Schmied ginge, würde ich nicht nur einen Umweg machen, sondern auch eine schlechte Nacht haben; der Schmied würde bei Nacht schlecht arbeiten, und die Reparatur würde nicht gut ausfallen. Überzeugt, daß die Gräfin recht hatte, nahm ich an und vereinbarte mit dem Schmied, er solle am nächsten Morgen in aller Frühe mit allen notwendigen Werkzeugen kommen und den Wagen an Ort und Stelle ausbessern. Hierauf befahl ich Clairmont mein ganzes Gepäck, das man von dem Wagen abgeladen hatte, in das mir angewiesene Zimmer zu bringen.
Als ich wieder bei der Gräfin eintrat, um ihr meinen Dank auszusprechen, fand ich die Gesellschaft in fröhlichster Heiterkeit über Marcolinas witzige Bemerkungen, die die Gräfin übersetzte. Ich war durchaus nicht erstaunt, zu sehen, daß meine Venetianerin und die Gräfin sich auf das zärtlichste liebkosten. Ich ärgerte mich nur, daß ich die Dame nicht sehen konnte; denn ich kannte die Schwächen meiner Geliebten, und ihre Liebkosungen ließen mich erraten, daß die Dame, der sie galten, schön sein müßte.
Man deckte den Tisch im Zimmer der Gräfin, die ich beim Abendessen zu sehen hoffte. Ich sah mich jedoch in meiner Erwartung getäuscht, denn die Dame erklärte, sie wolle nichts essen, und unterhielt sich während der ganzen Mahlzeit unaufhörlich mit Marcolina und mir. Sie zeigte während des Gespräches viel Geist und Bildung und sprach das Italienische sehr korrekt. Da ihr einmal das Wort: mein verstorbener Mann entschlüpfte, so wußte ich, daß sie Witwe war, weiter aber auch nichts, da ich keine Fragen zu stellen wagte. Am Abend sagte Clairmont mir beim Auskleiden den Namen der Gräfin; da ich jedoch eine Familie dieses Namens nicht kannte, so verschaffte auch dieser Umstand mir keine Aufklärung.
Nach dem Essen setzte Marcolina sich wieder auf das Bett ihrer neuen Bekannten, und die beiden sprachen mit solcher Zungenfertigkeit, daß von uns anderen niemand ein Gespräch anknüpfen konnte.
Als nach meiner Meinung die Höflichkeit erforderte, daß ich mich empföhle, sagte meine angebliche Base mir, sie wolle bei der Gräfin schlafen. Da diese hierüber lachte und Ja, ja sagte, so glaubte ich,, meiner leichtsinnigen Freundin nicht sagen zu dürfen, daß ihr Vorschlag ungezogen sei. Übrigens zeigten ihre gegenseitigen Umarmungen mir, daß sie bereits im Einverständnis waren. Ich begnügte mich, der Gräfin zu sagen, ich könne für das Geschlecht der von ihr erwählten Bettgesellschaft keine Bürgschaft übernehmen; hierauf antwortete sie mir: »Seien Sie unbesorgt, mein Herr, ich kann bei einem Irrtum nur gewinnen.«
Ich fand die Bemerkung ein wenig leichtfertig; doch war ich nicht, der Mann, an so etwas Anstoß zu nehmen. Ich lachte über den Geschmack meiner Venetianerin, sowie darüber, daß es ihr so leicht gelang, ihn zu befriedigen, wie es in Genua bei meiner vorigen Nichte der Fall gewesen war. Übrigens neigen die Provençalinnen im allgemeinen zu diesem Geschmack, und ich bin weit entfernt, ihnen einen Vorwurf daraus zu machen, sondern finde sie deswegen nur um so liebenswürdiger.
Am anderen Morgen stand ich mit Tagesanbruch auf, um den Schmied bei seiner Arbeit anzutreiben; ich frühstückte neben meinem Wagen, und als alles bereit war, fragte ich, ob die Frau Gräfin sichtbar sei. Einen Augenblick darauf kam Marcolina mit dem Kavalier aus dem Hause. Er sagte zu mir: »Ich bitte Sie, die gnädige Frau freundlichst entschuldigen zu wollen, die sich in ihrem Nachtgewande nicht vor Ihnen sehen zu lassen wagt. Sie bittet Sie jedoch inständig, wenn Sie jemals wieder hier vorbeikommen sollten, stets ihr Haus zu beehren, sei es, daß Sie allein oder daß Sie in Gesellschaft sind.«
Diese Abweisung mißfiel mir sehr, trotz der Vergoldung, in der sie mir zuteil wurde. Ich verhehlte jedoch mein Mißvergnügen, denn ich konnte die Ursache nur Marcolinens Schamlosigkeit zuschreiben. Da ich sie aber in sehr fröhlicher Stimmung sah, so wollte ich sie nicht kränken. Nachdem ich dem Herrn tausend Komplimente gemacht und jedem der anwesenden Bedienten einen Louisdor in die Hand gedrückt hatte, fuhren wir ab.
Ich umarmte Marcolina zärtlich, damit sie meine schlechte Laune nicht bemerken möchte; hierauf fragte ich sie, wie sie die Nacht mit der Gräfin zugebracht hätte, die ich nicht gesehen hätte.
»Sehr gut, mein lieber Freund; sie ist ein reizendes Weib, und wir haben die ganze Nacht hindurch alle Tollheiten getrieben, die zwei Frauen anstellen können, die ineinander verliebt sind.«
»Ist sie hübsch? Ist sie alt?«
»Erst dreiunddreißig Jahre, und ich versichere dir, sie ist ebenso schön wie meine Freundin Crosin. Ich kann darüber ein sachverständiges Urteil abgeben, denn wir haben einander im Naturzustand gesehen und umarmt.«
»Du bist ein sonderbares Wesen. Um ein Weib bist du mir untreu gewesen und hast mich die ganze Nacht allein verbringen lassen. Es ist unmöglich, daß du mir eine Frau vorziehst.«
»Du mußt mir eine Laune verzeihen; außerdem war ich ihr diese Gefälligkeit schuldig, denn sie hat mir zuerst gesagt, daß sie in mich verliebt sei.«
»Wirklich? Wie machte sie denn das?«
»Als ich bei unserem ersten Ausbruche tollen Gelächters ihr den ersten Kuß gab, küßte sie mich auf florentinische Art, und unsere Zungen berührten sich mit heißem Feuer. Als ich mich nach dem Abendessen auf ihr Bett setzte, machten wir einander die ersten bedeutungsvollen Liebkosungen. Ich gestehe dir, daß ich damit anfing. Sie ließ mich aber auf die Erwiderung nicht warten. Mußte ich sie denn nicht ganz und gar glücklich machen, indem ich die Nacht mit ihr verbrachte? Da sieh das Zeichen ihrer Zufriedenheit!«
Mit diesen Worten zog Marcolina einen herrlichen Brillantring von ihrem Finger. Ich war sprachlos vor Verwunderung; endlich sagte ich zu ihr: »Nun, das ist einmal eine Frau, die das Vergnügen liebt, und die verdient, daß sie Vergnügen findet!«
Ich gab meiner neuen Lesbierin, deren Sappho sich nicht geschämt haben würde, hundert Küsse und verzieh ihr ihre Untreue. »Aber«, sagte ich zu ihr, »ich begreife nicht, warum sie sich nicht vor mir sehen lassen wollte! Mir scheint, deine freigebige Gräfin hat mich ein wenig als procuratore behandelt, als Freund des Fürsten, wie man bei Hofe sagt.«
»Nein, ich glaube eher, sie hat sich geschämt, sich vor meinem Liebhaber sehen zu lassen, nachdem sie mich ihm untreu gemacht hat; denn ich habe ihr gestehen müssen, was wir einander sind.«
»Das ist wohl möglich. Übrigens hast du deine Gefälligkeiten gut bezahlt bekommen, meine Liebe, denn dieser Ring ist zweihundert Louis wert.«
»Aber ich brauche nicht zu erröten, wenn ich dir sage, daß die Wonne, die ich gab, reichlich durch die bezahlt wurde, die ich empfing.«
»Da hast du recht; ich bin erfreut, dich glücklich zu sehen.«
»Wenn du willst, daß ich ganz und gar glücklich werde, so nimm mich mit nach England. Mein Oheim muß da sein, und ich werde mit ihm nach Venedig zurückkehren.«
»Wie? Du hast einen Oheim in England? Ist das auch wirklich wahr? Es klingt mir ganz nach einem Märchen. Du hast ja von dergleichen niemals etwas gesagt.«
»Ich habe dir bis jetzt nichts davon gesagt, weil ich mir immer einbildete, daß dieser Grund dich verhindern könnte, mir meinen glühenden Wunsch zu erfüllen.«
»Dein Oheim ist Venetianer? Was macht er denn in England? Bist du sicher, daß er dich gut aufnehmen wird?«
»Ja.«
»Wie heißt er? Und wie soll ich es anfangen, um ihn in einer Stadt von mehr als einer Million Einwohner zu entdecken?«
»Mein Oheim ist schon gefunden. Er heißt Mattio Bosi; er ist Kammerdiener des Monsignore Querini, der mit dem Prokurator Morosini von der venetianischen Regierung nach London geschickt worden ist, um dem neuen König von England die Glückwünsche der Republik zu überbringen. Er ist der Bruder meiner Mutter; er liebt mich sehr und wird mir meinen leichtsinnigen Streich vergeben, besonders wenn er hört, daß ich reich bin. Bei seiner Abreise sagte er uns, er werde im Juli dieses Jahres nach Venedig zurückkehren; wir finden ihn also vielleicht gerade im Augenblick seiner Abreise.«
Durch Herrn von Bragadino wußte ich, daß die Sache mit der Gesandtschaft sich so verhielt, im übrigen trug Marcolinas Erzählung den vollen Charakter der Wahrheit. Da ihr Plan außerdem dem Gefallen entsprach, das ich an ihr gefunden hatte, so versprach ich ihr, sie mitzunehmen. Es war mir sehr angenehm, sie noch fünf oder sechs Wochen besitzen zu können, ohne mich zu Weiterem verpflichten zu müssen.
Gegen Abend kamen wir in Avignon an. Wir hatten großen Appetit. Ich kannte den Gasthof zum Heiligen Homer als ausgezeichnet und bestellte sofort bei der Ankunft eine leckere Mahlzeit, sowie für fünf Uhr morgens frische Pferde. Marcolina, die nicht gerne die Nächte in einem Wagen verbrachte, war sehr erfreut; sie fiel mir mit überschwenglicher Lustigkeit um den Hals und fragte mich: »Sind wir in Avignon?«
»Ja, mein Herz.«
»Nun, mein lieber Schatz, so ist also die Stunde da, wo ich als gewissenhaftes Mädchen das Versprechen erfüllen muß, das ich der Gräfin gab, als sie mich heute morgen zum letzten Male umarmte. Sie hat mich bei meiner Seligkeit schwören lassen, dir vor diesem Augenblick kein Wort zu sagen.«
»Du machst mich neugierig, mein Lieb, sprich!«
»Sie hat mir einen Brief anvertraut, den ich dir geben werde.«
»Einen Brief!«
»Verzeihst du mir, daß ich ihn dir nicht früher übergeben habe?«
»Selbstverständlich; du hattest dich ja auf Wort dazu verpflichtet. Aber wo ist denn dieser Brief?«
»Warte!«
Sie zog ein dickes Bündel Papier aus ihrer Tasche und sagte: »Dies ist mein Geburtsschein.«
»Wie ich sehe, bist du im Jahre 1746 geboren.«
»Dies ist ein Sittenzeugnis.«
»Heb es gut auf; es kann dir vielleicht später von Nutzen sein.«
»Hier ist eine Bescheinigung meiner Jungfräulichkeit.«
»Das ist veraltete Ware. Hat eine Hebamme es dir gegeben?«
»Nein; der Patriarch von Venedig.«
»Hat er sich davon überzeugt?«
»Dazu war er zu alt; er hat es mir aus Vertrauen gegeben.«
»Laß doch den Brief sehen!«
»Ich will doch hoffen, daß ich ihn nicht verloren habe.«
»Das hoffe ich auch!«
»Hier ist das Heiratsversprechen deines Bruders, der reformiert werden wollte.«
»Du kannst ihn selber reformieren.«
»Was heißt das?«
»Das werde ich dir spater sagen. Wo ist der Brief?«
»Gott sei Dank, da ist er!«
»Das ist dein Glück! Aber er hat ja keine Adresse!«
Das Herz klopfte mir sehr stark. Ich riß den Umschlag auf und fand statt einer Adresse nur folgende Worte in italienischer Sprache: Dem ehrenhaftesten Manne, den ich je gekannt habe.
Gilt diese Anrede wirklich mir? Ich öffne das Blatt...Henriette... kein Wort mehr. Das Blatt war völlig leer.
Ich war bei diesem Anblick wie vernichtet:
Io non morì, e non rimasi vivo.
Ich war nicht tot und war auch nicht am Leben.
Henriette! – Das war ihr Stil, ihr beredter Lakonismus. Ich erinnere mich ihres letzten Briefes aus Pontarlier, den ich in Genf empfing, und der nur das Wort Adieu! enthielt. Diese Henriette, die ich so sehr geliebt hatte, und die ich in diesem Augenblick mit neuer Glut zu lieben glaubte!
»Henriette!« sagte ich bei mir selber; »du hast mich gesehen. Grausame, und hast nicht gewollt, daß ich dich sehe! Ohne Zweifel hast du gefürchtet, deine Reize hätten nicht mehr die Kraft, mit der sie mich vor sechzehn Jahren an dich ketteten. Ich sollte nicht sehen, daß ich in dir nur eine Sterbliche geliebt habe! Und doch liebe ich dich noch mit der ganzen Glut erster Liebe! Warum hast du mich des Glücks beraubt, aus deinem schönen Munde zu erfahren, daß du glücklich bist? Dies wäre die einzige Frage gewesen, die ich an dich gerichtet hätte, grausame Freundin! Ich hätte dich nicht gefragt, ob du mich noch liebst; denn ich erkenne mich dessen unwürdig, da ich nach dir, nach dem vollkommensten Wesen deines Geschlechtes, also der ganzen Schöpfung, so viele andere Frauen habe lieben können. Anbetungswürdige, großmütige Henriette! Morgen werde ich dich sehen, denn du hast mir ja sagen lassen, dein Haus werde mir immer offen stehen.«
Diesen Gedanken wälzte ich eine Zeitlang in mir herum. Ich bestärkte mich in meinem Entschluß immer mehr; dann aber sagte ich mir wieder: »Nein; dein Vorgehen beweist, daß du von mir jetzt nicht gesehen werden willst. Du mußt deine Gründe dafür haben; diese werde ich achten, aber ich werde mir ganz gewiß nicht den Vorwurf zu machen haben, daß ich sterbe, ohne dich wiederzusehen.«
Marcolina war erschrocken, wie sie mich so unbeweglich und in meine Gedanken versunken sah; sie wagte kaum zu atmen, und ich weiß nicht, wann ich wieder zu mir gekommen wäre, wenn nicht der Wirt eingetreten wäre und mir gesagt hätte, er erinnere sich noch meines Geschmackes und habe mir eine außerordentlich leckere Mahlzeit herrichten lassen. Da wurde ich wach, und als ich hörte, daß das Essen aufgetragen sei, machte ich meine schöne Venetianerin glücklich, indem ich sie mit einer Art von Wut umarmte.
»Weißt du, lieber Freund«, sagte sie zu mir, »du hast mir Furcht gemacht! Du warst bleich und unbeweglich wie ein Toter. Eine volle Viertelstunde saßest du da in einem Zustand von Betäubung, von dem ich mir früher niemals einen Begriff gemacht habe. Woher kam denn das? Ich wußte wohl, daß die Gräfin dich kannte, aber niemals hätte ich mir gedacht, daß ihr bloßer Name so überraschend auf dich wirken könnte.«
»Ich gebe es zu, es ist erstaunlich; aber woher wußtest du, daß die Gräfin mich kannte?«
»Sie hat es mir diese Nacht zwanzigmal gesagt; aber sie hatte mir das Versprechen abgenommen, dir nichts davon zu sagen, bevor ich dir den Brief übergeben hätte.«
»Was hat sie dir gesagt?«
»Auf Hundertlei verschiedene Art, was die Aufschrift ihres Briefes enthält.«
»Ihres Briefes! Es steht ihr Name darin und weiter nichts.«
»Das ist recht sonderbar.«
»Ja; aber dieser Name sagt alles.«
»Sie hat mir gesagt, ich solle dich niemals verlassen, wenn ich immer glücklich sein wolle. Ich habe ihr geantwortet: dessen sei auch ich gewiß, aber du wollest mich fortschicken, obgleich du jetzt nur mich allein lieb habest. Ich errate, lieber Freund, daß ihr ein zärtlich liebendes Paar gewesen seid. Ist es schon lange her?«
»Sechzehn oder siebzehn Jahre.«
»Da war sie recht jung; aber unmöglich kann sie damals schöner gewesen sein als jetzt.«
»Schweig, Marcolina!«
»Und hat eure Verbindung lange gedauert?«
»Vier Monate beständigen Glückes.«
»Ich werde nicht so lange glücklich sein!«
»Du wirst länger glücklich sein, meine liebe Marcolina, aber mit einem anderen ehrenhaften Mann, der deinem schönen Alter näher steht. Ich gehe nach England, weil ich versuchen will, meine Tochter aus den Händen ihrer Mutter zu befreien.«
»Du hast eine Tochter? Die Gräfin hat mich gefragt, ob du verheiratet seist, und ich habe ihr geantwortet, du seist unverheiratet.«
»Du hast die Wahrheit gesagt. Meine Tochter ist von unehelicher Geburt; sie ist zehn Jahre alt, und solltest du sie sehen, so würdest du sofort erkennen, daß sie von mir stammt.«
Im Augenblick, wo wir uns zu Tisch setzen wollten, hörten wir jemand die Treppe nach dem Speisesaal hinuntergehen, in welchem ich, wie der Leser sich erinnern wird, Madame Stuart kennen lernte. Da wir die Personen sehen wollten, die zu Tisch gingen, so hatten wir unsere Tür offen gelassen. Ein junges Mädchen sah uns, stieß einen Schrei aus, eilte leichtfüßig wie ein Reh auf mich zu, küßte mir die Hand und rief: »Mein lieber Papa!«
Ich wandte mich nach dem Licht um und sah Irene – jene Irene, die ich in Genua so schroff von mir gestoßen hatte, als ihr Vater in dem Gespräch über das Biribi einen unpassenden Ton anschlug. Ich zog meine Hand zurück und umarmte sie mit freudigem Herzen. Die listige kleine Person stellte sich überrascht und machte Marcolinen eine tiefe Verbeugung, die diese mit edlem Anstand erwiderte. Mit großer Aufmerksamkeit folgte dann Marcolina dem Gespräch, das sich zwischen dem jungen Mädchen und mir entwickelte, besonders als sie hörte, daß ich mit ihr venetianisch sprach.
»Wie? Sie sind hier, meine schöne Irene?«
»Seit vierzehn Tagen sind wir hier. Gott! wie bin ich glücklich, Sie hier zu treffen. Ich fühle mich ganz aufgeregt. Gnädige Frau, wollen Sie mir wohl gestatten, mich zu setzen?«
»Ja, meine Liebe,« sagte ich zu ihr, »setzen Sie sich!«
Zugleich schenkte ich ihr ein Glas Wein ein, damit sie sich frisch belebte.
Ein Diener trat ein und sagte ihr, man erwarte sie zum Abendessen. Sie antwortete ihm jedoch: »Ich werde nicht speisen.«
Marcolina, die stets auf der Lauer lag, um zu erraten, was mir Freude machen könnte, befahl ein drittes Gedeck aufzulegen. Sie strahlte vor Vergnügen, als ich ihr zum Zeichen meines Einverständnisses zunickte.
Wir setzten uns zu Tisch, und ich forderte Irene auf, uns die Spitze zu bieten: »Wir haben großen Appetit! Wenn wir gespeist haben, müssen Sie uns sagen, durch welchen Zufall Sie in Avignon sind.«
Marcolina hatte noch kein Wort gesagt. Als sie aber sah, daß Irene recht herzhaft aß, sagte sie zu ihr in liebenswürdigem Tone: sie würde nicht gut daran getan haben, nicht zu Abend zu speisen. Irene war entzückt, sie venetianisch sprechen zu hören; sie bedankte sich bei ihr für die freundliche Teilnahme, und in drei oder vier Minuten waren sie schon solche Freundinnen geworden, daß sie sich umarmten und küßten.
Ich lachte laut auf, als ich sah, wie Marcolina stets geneigt war, sich in alle hübschen Frauen zu verlieben, wie wenn sie einem anderen Geschlecht angehört hätte.
Aus Irenens Geplauder entnahm ich, daß ihre Eltern unten an der Gasttafel saßen; und ihre wiederholten Ausrufe, daß der liebe Gott mich in seiner Güte nach Avignon geführt hätte, sagten mir, daß die Familie in Not war. Trotzdem lag auf Irenens hübschem Gesicht ein Ausdruck von Zufriedenheit, der aufs beste zu Marcolinens fröhlichen Bemerkungen paßte, und diese freute sich sehr, als sie erfuhr, daß Irene mich nur darum Papa genannt hatte, weil ihre Mutter ihr in Mailand gesagt hatte, sie sei meine Tochter. Sie zimmerte sich schon ihren Roman – wenigstens glaube ich das – und meine Vaterschaft würde sie dabei gestört haben.
Wir waren mit unserem Abendessen noch nicht zur Hälfte fertig, als Rinaldi und seine Frau eintraten. Ich bat sie, Platz zu nehmen; wäre aber Irene nicht gewesen, so würde ich den Gauner, der mich zu schröpfen versucht hatte, übel empfangen haben. Er machte seiner Tochter Vorwürfe, daß sie mich belästigt habe, ohne zu bedenken, daß sie überflüssig sein müsse, da ich doch schon so schöne Gesellschaft habe. Marcolina beruhigte ihn jedoch sofort, indem sie ihm sagte, Irene könne mir nur Vergnügen gemacht haben; denn da ich ihr Oheim sei, könne ich nur erfreut sein, daß eine so liebenswürdige junge Dame sich ihr zugesellt habe. »Ich hoffe sogar,« setzte sie hinzu, »Sie werden ihr erlauben, bei mir zu schlafen, wenn es ihr selber nicht unangenehm ist.«
»Ja, ja!« riefen alle wie aus einem Munde. Ich hätte es zwar vorgezogen, die Nacht mit Marcolina allein zuzubringen; aber ich habe mich stets den Umständen anzupassen gewußt, und darum lachte ich recht herzlich über die eigentümliche Fügung.
Irene teilte Marcolinas Wünsche; denn sobald sie gewiß waren, daß sie die Nacht miteinander verbringen würden, waren sie wie närrisch vor Freude, und es machte mir Spaß, ihren Taumel noch zu erhöhen, indem ich ihnen reichlich Champagner und Punsch einschenkte.
Rinaldi und seine Frau verließen uns erst, als sie sich vollständig im Weinberge des Herrn befanden. Als wir sie los waren, erzählte Irene uns, ein Franzose, der sich in Genua in sie verliebt, habe ihren Vater überredet, nach Nizza zu reisen, wo nach seiner Behauptung hoch gespielt werden sollte. In Nizza habe man jedoch nichts gefunden, was ihren Erwartungen entsprochen hätte, und sie sei genötigt gewesen, ihre Kleider zu verkaufen, um den Gastwirt zu bezahlen. Ihr Liebhaber habe ihr vorgeredet, er werde sie in Aix entschädigen, denn dort habe er Geld einzukassieren. Sie habe daher ihre Eltern veranlaßt, ihm dorthin zu folgen. Abermals sei sie in ihrer Erwartung getäuscht worden, denn die Leute, von denen er das Geld zu fordern gehabt, seien nach Avignon weitergereist gewesen. Infolgedessen habe abermals ein Verkauf von Sachen stattgefunden, um ihm auch dorthin zu folgen. »So sind wir hier angekommen, aber wir waren auch nicht glücklicher. Die bitteren Vorwürfe, die mein Vater ihm machte, brachten den armen jungen Menschen zur Verzweiflung, und er würde sich das Leben genommen haben, wenn ich ihm nicht den Luchspelz gegeben hätte, den du mir in Mailand schenktest. Ich gab ihm diesen, um ihn zu versetzen, aber unter der Bedingung, daß er mit dem Gelde abreisen solle. Er bekam vier Louis darauf und schickte mir den Pfandschein mit einem sehr zärtlichen Brief, worin er mir versicherte, in Lyon werde er ganz bestimmt Geld auftreiben; er werde damit zurückkehren und mit uns nach Bordeaux reisen, wo wir nach seiner Behauptung Schätze gewinnen müßten. Vor zwölf Tagen ist er abgereist, aber wir warten immer noch auf eine Nachricht von ihm. Unterdessen haben wir keinen Heller in der Tasche, und da wir auch nichts mehr zu verkaufen haben, so droht der Wirt uns, er werde uns ohne Hemd auf die Straße werfen, wenn wir ihn nicht morgen bezahlen.«
»Und was gedenkt dein Vater zu tun?«
»Das weiß ich nicht. Er behauptet, die Vorsehung werde für uns sorgen.«
»Was sagt deine Mutter dazu?«
»Sie ist ruhig, wie immer.«
»Und du?«
»Ach! Ich erduldete jeden Tag tausend Kränkungen: sie werfen mir unaufhörlich vor, daß ich mich in den Franzosen verliebt und dadurch, daß ich mit ihm gegangen sei, unsere peinliche Lage verschuldet habe.«
»Warst du wirklich in ihn verliebt?«
»Nur zu sehr.«
»Du fühlst dich also unglücklich?«
»Sehr. Aber nicht wegen meiner Liebe, denn von dieser werde ich genesen, sondern wegen dessen, was morgen kommen wird.«
»Hast du denn nicht an der Gasttafel irgend eine Eroberung machen können?«
»Es haben wohl einige Herren mir mit schönen Worten den Hof gemacht; da man jedoch weiß, daß wir in der Klemme sind, hat niemand gewagt, zu uns zu kommen.«
»Und trotzdem bist du lustig und guter Dinge. Dein Gesicht hat durchaus nicht den Ausdruck von Traurigkeit, den das Unglück gewöhnlich gibt. Ich wünsche dir Glück dazu.«
Mit Irene wiederholte sich das Abenteuer der schönen Stuard. Marcolina war von den Dünsten des Champagners ein bißchen umnebelt, und Irenens Erzählung rührte sie tief. Sie umarmte sie und sagte ihr, als guter Vater würde ich sie nicht im Stich lassen; darum sollte sie für den Augenblick an weiter nichts denken, als wie sie sich eine lustige Nacht machen könnten.
»Wir wollen zu Bett gehen«, rief sie. Im Nu hatte sie ihre Kleider abgeworfen, dann half sie Irenen, sich ebenfalls auszuziehen. Ich hatte keine Lust, einen Kampf gegen einen doppelten Feind aufzunehmen, und sagte ihnen daher, ich wolle in Ruhe gelassen werden. Die Venetianerin lachte laut auf und rief: »Geh nur zu Bett und laß uns machen!«
Dies tat ich denn auch und hatte meinen Spaß daran, müßig meinen beiden Bachantinnen zuzusehen. Irene, die ohne Zweifel zum ersten Male an einem solchen Gefecht teilnahm, zeigte sich viel weniger gewandt.
Es dauerte nicht lange, so trug Marcolina Irene in ihrem Arm an mein Bett heran und befahl mir, sie zu küssen.
»Laß mich in Ruhe, meine Liebe,« sagte ich zu ihr; »du weißt nicht, was du tust. Du hast zuviel Punsch getrunken.«
Durch diese Bemerkung gereizt, forderte sie Irene auf, ihr zu helfen, und plötzlich lagen die beiden Mädchen neben mir. Da der Platz nicht ausreichte, legte Marcolina sich auf Irene, nannte sie ihre Frau und forderte sie auf, die Rolle einer solchen zu spielen. Ich besaß die Tugend, eine volle Stunde lang bloßer Zuschauer eines Schauspiels zu sein, das mir ewig neu war, obgleich ich es so oft gesehen hatte. Endlich griffen sie mich mit solcher Gewalt an, daß ich mich wohl oder übel an ihren Spielen beteiligen mußte. So verbrachte ich einen großen Teil der Nacht damit, ihnen bei ihren Ausgelassenheiten zu helfen; denn sie ließen mich erst los, als sie mich in einem solchen Zustande von Erschöpfung sahen, daß sie keine Hoffnung mehr hatten, mich zu neuen Taten reizen zu können. So schliefen wir denn ein, und unser Schlummer dauerte bis zum Mittag. Ich wachte zuerst auf, und mein erster Blick fiel auf die beiden nackten Schönheiten, die wie zwei Geißblattranken ineinander verschlungen waren. Ich seufzte bei dem Gedanken an die Wollust, deren die beiden entzückenden Geschöpfe genossen hatten, und stand leise auf, um ihre Ruhe nicht zu stören. Ich ging hinunter, um ein gutes Mittagessen zu bestellen und die Pferde fortzuschicken, die schon seit mehreren Stunden warteten.
Der Wirt, der sich noch erinnerte, was ich für Stuard getan hatte, erriet, daß ich dasselbe auch für den Grafen Rinaldi tun würde, und ließ daher die Familie in Ruhe.
Als ich wieder in mein Zimmer kam, waren meine beiden Lesbierinnen inzwischen erwacht und empfingen mich mit einem Raffinement von Wollust, das mich dazu reizen sollte, meinen nächtlichen Arbeiten durch einen Morgengruß die Krone aufzusetzen. Ich hatte die größte Lust, ihre Wünsche zu erfüllen, aber ich begann bereits das Bedürfnis zu spüren, mit meinen Kräften hauszuhalten. Darum enthielt ich mich jeder Betätigung und ließ mir ihre Stichelreden und verliebten Sarkasmen bis gegen ein Uhr ruhig gefallen. Dann forderte ich sie auf, das Bett zu verlassen, indem ich ihnen sagte, wir hätten schon um fünf Uhr abfahren sollen und würden um zwei Uhr noch nicht gefrühstückt haben.
»Wir haben genossen!« rief Marcolina, »und die Zeit, die man dem Genüsse widmet, ist stets vortrefflich angewandt.«
Als sie angezogen waren, ließ ich den Kaffee kommen; hierauf gab ich Irenen sechszehn Louis, von denen vier dazu bestimmt waren, ihren Mantel auszulösen. Ihre Eltern, die im Speisesaal gegessen hatten, traten nach Tisch bei uns ein, um uns guten Tag zu sagen. Irene gab mit stolzer Miene dem Grafen zwölf Louis und sagte ihm, in Zukunft solle er sie nicht wieder so ausschelten. Er lachte, weinte und ging hinaus. Bald darauf trat er wieder ein und sagte seiner Tochter, er habe eine gute Gelegenheit gefunden, für billiges Geld nach Antibes zu gelangen; er müsse jedoch augenblicklich abreisen, da der Fuhrmann in St. Andiol übernachten wolle.
»Ich bin bereit.«
»Nein, meine liebe Irene, das bist du nicht! Du wirst mit deiner Freundin zu Mittag speisen, und der Fuhrmann wird warten. Lassen Sie ihn warten, Graf Rinaldi. Meine Nichte wird ihm den verlorenen Tag bezahlen, nicht wahr, Marcolina?«
»Oh, ganz gewiß! Mir ist es sehr recht, wenn wir hier zu Mittag speisen, und noch lieber wäre es mir, wenn wir erst morgen abführen.«
Dieser Wunsch war für meine Liebe ein Befehl. Um fünf Uhr setzten wir uns zu einem köstlichen Abendessen nieder, um acht gingen wir zu Bett, und die ganze Nacht verging unter denselben Ausgelassenheiten wie die vorige; aber früh um fünf Uhr waren wir reisefertig. Irene, mit ihrem schönen Mantel, weinte heiße Tränen, als sie von Marcolina Abschied nahm, und diese weinte ebenfalls von Herzen. Der alte Rinaldi, der kein guter Prophet war, weissagte mir, ich würde in England ein unermeßliches Glück finden, und seine Tochter seufzte darüber, daß sie nicht an der Stelle meiner Venetianerin wäre. Zehn Jahre später werden wir sie wiederfinden.
Wir stiegen ein und fuhren fünfzehn Poststationen, ohne anzuhalten. In Valence verbrachten wir die Nacht. Wir bekamen dort schlechtes Essen, aber Marcolina empfand es nicht, indem sie von Irene sprach.
»Weißt du was, lieber Freund,« sagte sie zu mir, »wenn ich gekonnt hätte, so würde ich sie ihren Eltern entführt haben. Ich halte sie für deine Tochter, obgleich sie dir nicht ähnlich sieht.«
»Wie soll sie denn meine Tochter sein? Ich habe ja ihre Mutter gar nicht näher gekannt!«
»Das hat sie mir allerdings auch gesagt.«
»Hat sie dir sonst nichts gesagt?«
»Sie hat mir außerdem erzählt, daß du drei Tage mit ihr zugebracht und für ihre Jungfernschaft hundert Zechinen bezahlt hast.«
»Das ist wahr; hat sie dir auch gesagt, daß ich dieses Geld ihrem Vater bezahlt habe?«
»Ja. Ach, das arme, dumme Mädchen! Sie behält ja gar nichts für sich. Ich glaube, lieber Freund, ich würde niemals auf deine Geliebten eifersüchtig sein, wenn du mich bei ihnen schlafen ließest. Ist das nicht ein Zeichen von gutem Charakter? Sage mir, ob ich recht habe!«
»Ohne Zweifel bist du gut; aber du könntest ebenso gut sein, wenn dein Temperament dich nicht so beherrschte.«
»Das Temperament ist es nicht, lieber Freund; denn ich empfinde Begierden nur Frauen gegenüber, die ich liebe.«
»Woher hast du diesen Geschmack?«
»Von der Natur. Mit sieben Jahren habe ich angefangen, und in zehn Jahren habe ich gewiß vierhundert Freundinnen gehabt.«
»Da hast du ja früh angefangen! Und wann hattest du den ersten Freund?«
»Mit elf Jahren.«
»Erzähle mir das!«
»Vater Molini vom Kloster San Giovanni e Paolo war mein Beichtvater; er verlangte, die Freundin kennen zu lernen, die ich damals hatte. Es war während des Karnevals. Er hielt bei der Beichte eine väterliche Ansprache an uns und versprach uns, er wolle mit uns ins Theater gehen, wenn wir eine volle Woche lang nicht miteinander schäkern wollten. Wir versprachen ihm das, und nach acht Tagen gingen wir zu ihm und versicherten ihm, daß wir unser Wort getreulich gehalten hätten. Am nächsten Tage kam Vater Molini maskiert zur Tante meiner Freundin. Da sie ihn kannte, so ließ sie uns mit ihm gehen, ohne sich etwas Böses dabei zu denken; denn erstens war Molini Mönch und mein Beichtvater sowie der meiner Freundin; zweitens waren wir offenbar noch die reinen Kinder, und darum hatte sie keinen Verdacht; denn meine Freundin war nur um ein Jahr älter als ich.
»Nach dem Theater ging Molini mit uns in einen Gasthof, wo wir zu Abend aßen. Nach der Mahlzeit sprach er mit uns über unsere Sünde und verlangte zu sehen, wie wir gewachsen wären. Er sagte zu uns: »Wenn zwei Mädchen so etwas miteinander machen, so ist das eine sehr große Sünde; wenn es aber zwischen Mann und Frau vorkommt, hat es nicht viel zu bedeuten. Wißt ihr, wie die Männer gebaut sind?« –Wir wußten es, aber wir riefen wie aus einem Munde: nein! – »Möchtet ihr es wissen?« fragte er uns. Wir antworteten ihm: »Recht gern«. Da sagte er: »Wenn ihr mir versprechen wollt, daß ihr nichts davon sagt, so kann ich eure Neugier befriedigen.« – Wir versprachen es, und der gute Beichtvater zeigte uns die reiche Ausstattung, mit der die Natur ihn begabt hatte. In Zeit von einer Stunde machte er uns beide zu Frauen. Eins muß ich dir noch sagen: er wußte es so geschickt anzufangen, daß wir selber ihn baten, diese Metamorphose an uns vorzunehmen. Drei Jahre später, also in meinem vierzehnten, wurde ich die Geliebte eines jungen Goldschmieds. Endlich kam dein Bruder; der hat aber nichts von mir erhalten, weil er mir gleich am Anfang sagte, er könne mit gutem Gewissen meine Gunst nur verlangen, wenn er mich heirate.«
»Du hast dies jedenfalls sehr lächerlich gefunden?«
»Ich gestehe, ich habe herzlich darüber gelacht, außerdem glaubte ich kein Wort davon, daß ein Priester sich verheiraten könnte. Er machte mich aber neugierig, als er mir versicherte, in Genf sei das möglich. Neugier und Leichtsinn veranlaßten mich, mit ihm auf die Reise zu gehen. Das übrige weißt du.«
Mit dieser schönen Schilderung ihres frühreifen Lebens erheiterte Marcolina mir den Abend; hierauf gingen wir zu Bett und schliefen sehr tugendhaft bis zum andern Morgen. Um fünf Uhr fuhren wir von Valence ab, und mit Einbruch der Nacht kamen wir in Lyon an, wo wir im Gasthof zum Park abstiegen.
Sobald ich mich in einer schönen Wohnung eingerichtet hatte, ging ich zur Frau von Urfé, die an der Place Bellecour wohnte. Sie sagte mir nach ihrer Gewohnheit, sie habe ganz bestimmt gewußt, daß ich an diesem Tage ankommen würde. Sie wollte wissen, ob sie die Kulte richtig vollzogen hätte; natürlich fand Paralis, daß sie alles aufs beste gemacht hätte. Hierauf war sie sehr stolz. Der kleine Aranda wohnte bei ihr; ich ließ ihn kommen, und nachdem ich ihn zärtlich umarmt hatte, sagte ich der Marquise, ich würde am nächsten Morgen um zehn Uhr bei ihr sein.
Pünktlich erschien ich zu dieser Stunde. Wir verbrachten den ganzen Tag unter vier Augen und ließen uns von dem Orakel alle notwendigen Unterweisungen in bezug auf ihre Niederkunft und auf ihr Testament geben; auch belehrte es uns, wie wir es anzufangen hätten, daß sie nicht in Armut geriete, wenn sie als Mann wiedergeboren würde.
Das Orakel bestimmte, daß sie ihre Mannwerdung in Paris erwarten solle; ihr ganzes Vermögen solle sie ihrem Sohne hinterlassen. Der werde kein Bastard sein, denn Paralis verpflichtete sich, ihr sofort nach meiner Ankunft in London einen englischen Edelmann zuzuschicken, der sie heiraten werde. Zum Schluß befahl das Orakel ihr, in drei Tagen abzureisen und den kleinen Aranda mitzunehmen, den ich nach London zu seiner Mutter bringen müsse. Sein wirklicher Stand war ihr nämlich kein Geheimnis mehr, denn der kleine Schlingel hatte ihr alles gesagt; ich hatte jedoch dafür gesorgt, daß seine Schwatzhaftigkeit ebensowenig Folgen hatte wie der Verrat der Corticelli und des elenden Passano.
Es drängte mich um so mehr, den kleinen Undankbaren zu seiner Mutter zu bringen, da diese mir fortwährend unverschämte Briefe schrieb, und da ich die Absicht hatte, mir meine damals zehn Jahre alte Tochter aushändigen zu lassen, die nach den Versicherungen ihrer Mutter ein Wunder an Schönheit, Anmut und Begabung geworden war.
Nachdem das alles abgemacht war, ging ich wieder in meinen Gasthof, um mit Marcolina zu speisen. Es war bereits sehr spät, und da ich deshalb mein liebes Mädchen nicht ins Theater führen konnte, so machte ich Herrn Bono einen Besuch, um von ihm zu hören, ob er meinen Bruder nach Paris geschickt hätte. Er sagte mir, dieser sei am Tage vorher abgereist; Passano aber, mein bitterer Feind, sei noch in Lyon, und ich solle vor ihm auf der Hut sein.
»Der Mann war bei mir,« sagte Bono; »er war blaß, ganz verstört und konnte sich kaum aufrecht halten. Er sagte zu mir: »Ich werde in irgendeinem Winkel verrecken, denn der Schuft Casanova hat mich vergiften lassen; aber er soll mir sein Verbrechen teuer bezahlen; noch vor meinem Tode werde ich meine Rache haben, und zwar hier in Lyon, wohin er kommen muß, wie ich ganz bestimmt weiß.« – Voller Wut hat er mir eine halbe Stunde lang die schrecklichsten Dinge erzählt, deren er Sie beschuldigt. Er sagte, die ganze Welt solle erfahren, daß Sie der größte Schurke sind, den es gibt, daß Sie Frau von Urfé durch gottlose Lügen zugrunde richten. Sie sind Hexenmeister, Zauberer, Fälscher, Dieb, Spion, Münzenbeschneider, Giftmischer – mit einem Wort, der niederträchtigste Mensch auf der Welt. Und er will nicht etwa durch eine Schrift Sie vor der Welt bloßstellen, sondern vielmehr Sie in aller Form bei Gericht anzeigen. An das Gericht will er sich wenden und Sühne für den Schaden verlangen, den Sie seiner Person, seiner Ehre und seinem Leben zugefügt haben. Denn Sie sollen ihn durch ein nur Ihnen bekanntes, langsam wirkendes Gift allmählich töten. Er sagte, er behaupte nichts, wofür er nicht unwiderlegliche Beweise beibringen könnte. Ich will nicht alle die Beleidigungen wiederholen, die er außer diesen Anschuldigungen gegen Sie geschleudert hat. Aber die Freundschaft und Achtung, die ich für Sie hege, machten es mir zur Pflicht, Ihnen zu sagen, was dieser Mensch von Ihnen behauptet, was er gegen Sie im Schilde führt, und daß er sich an das Gericht zu wenden beabsichtigt. Sie müssen von allem unterrichtet sein, damit Sie ihre Maßregeln treffen können, um seine boshafte Absicht zuschanden zu machen. Es ist in diesem Falle nicht angebracht, das Gerede eines elenden Menschen zu verachten; denn Sie kennen die Macht der Verleumdung.«
»Wo wohnt der Elende?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wo könnte ich es erfahren?«
»Auch das weiß ich nicht; denn wenn er sich absichtlich verborgen hält, so wird es schwierig sein, ihn ausfindig zu machen.«
»Lyon ist aber doch nicht so groß, daß es unmöglich sein könnte...«
»Lyon ist ein Labyrinth; nichts ist so leicht als sich hier zu verstecken, besonders wenn man Geld hat, und Passano hat ja welches.«
»Aber was kann er denn gegen mich unternehmen?«
»Er kann Ihnen einen Kriminalprozeß anhängen, der Ihnen bitteres Herzeleid machen und Sie bloßstellen wird, wären Sie auch der gerechteste und unschuldigste von allen Menschen.«
»Mir scheint, es wäre das beste, wenn ich ihm zuvorkäme.«
»Das ist auch meine Meinung; dann werden Sie aber nicht vermeiden können, daß die Sache in die Öffentlichkeit kommt.«
»Sagen Sie mir ganz offen, ob Sie bereit wären, vor Gericht zu bezeugen, was der Verleumder zu Ihnen gesagt hat.«
»Ich werde unter allen Umständen der Wahrheit die Ehre geben.«
»Seien Sie so freundlich, mir einen guten Anwalt zu nennen.«
»Hier haben Sie die Adresse eines der besten; aber überlegen Sie es sich noch einmal: die Geschichte wird Lärm machen.«
»Da ich nicht weiß, wie ich den Schurken entdecken kann, so bleibt mir kein anderer Weg übrig.«
Hätte ich Passanos Wohnung gewußt, so würde ich die Angelegenheit erstickt haben, indem ich ihn hätte ausweisen lassen; denn Frau von Urfé war eine Verwandte des damaligen Statthalters von Lyon, Herrn de Rocheboron. Es blieb mir aber keine Wahl.
Obgleich Passano ein undankbarer Verleumder war, konnte ich mich doch einer gewissen Unruhe nicht erwehren. Ich ging daher in meinen Gasthof und verfaßte sofort eine Eingabe. Ich verlangte Sicherheit für meine Person gegen einen Verräter, der sich in Lyon verborgen halte und einen Anschlag gegen mein Leben und meine Ehre plane.
Meine Eingabe war fertig, als am anderen Morgen Herr Bono zu mir kam, um mir abzuraten. Er sagte mir: »Die Polizei wird sofort Nachforschungen anstellen, wo er sich versteckt hält; sobald Ihr Feind davon Wind erhält, wird er gegen Sie Anzeige beim Kriminalgericht machen. Alsdann braucht er sich nicht mehr zu verstecken, sondern im Gegenteil, er wird Schutz vor Ihnen verlangen. Ich bin der Meinung, Sie sollten lieber Ihre Abreise beschleunigen, wenn Sie nicht etwa in Lyon wichtige Geschäfte haben.«
»Meine Abreise beschleunigen, um vor einem Passano zu fliehen? Dadurch würde ich mich in meinen eigenen Augen verächtlich machen, mein lieber Herr Bono. Da habe ich denn doch von Ehre einen anderen Begriff. Nein, lieber will ich sterben als meine Abreise auch nur um eine Stunde beschleunigen wegen eines Spitzbuben, den ich trotz seiner Unwürdigkeit mit Wohltaten überhäuft habe. Ich gäbe hundert Louis darum, wenn ich wüßte, wo der Schelm sich verborgen hält.«
»Ich bin entzückt, das nicht zu wissen. Denn wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen sagen, und Gott weiß, was daraus entstehen würde. Sie wollen also nicht früher abreisen? Gut, so kommen Sie der Anklage zuvor. Ich werde mündlich oder schriftlich, sobald Sie wollen, aussagen, was für Bemerkungen er mir gegenüber gemacht hat.«
Ich ging zu dem Anwalt, den Herr Bono mir bezeichnet hatte. Bevor ich ihm meine Angelegenheit vortrug, teilte ich ihm mit, von wem ich käme. Als er aber den Zweck meines Besuches erfahren hatte,sagte er mir: »Mein Herr, ich kann weder Ihr Anwalt noch Ihr Berater sein, denn ich bin bereits der Vertreter Ihres Gegners. Es braucht Ihnen jedoch nicht leid zu tun, daß Sie mir Ihre Absichten mitgeteilt haben; denn ich gebe Ihnen mein Wort darauf, es ist so gut, wie wenn Sie mir nichts gesagt hätten. Die Klage der Beschuldigung meines Klienten Passano wird erst übermorgen aufgesetzt werden; ich werde ihm nicht sagen, daß er sich beeilen solle, weil Sie ihm zuvorkommen könnten; denn von diesem Umstand habe ich nur auf einem Schleichweg gewissermaßen durch Überraschung Kenntnis erhalten. Gehen Sie, mein Herr; Sie werden in Lyon andere Anwälte finden, die ebenso ehrenhaft und dabei tüchtiger sind als ich.«
»Würden Sie wohl die Güte haben, mir einen zu nennen?«
»Das darf ich nicht, mein Herr; aber Herr Bono, der so freundlich war, mit Achtung von mir zu sprechen, wird Ihnen auch hierin behilflich sein können.«
»Wäre es Ihnen erlaubt, mir zu sagen, wo Ihr Klient wohnt?«
»Da sein hauptsächlichstes Bemühen ist, sich verborgen zu halten – und darin hat er recht –, so begreifen Sie wohl, daß ich nicht einen solchen Vertrauensbruch begehen kann.«
»Sie haben recht; ich danke Ihnen.«
Ich machte ihm eine Verbeugung und legte einen Louis auf seinen Tisch. Aber obwohl ich das ebenso geschickt wie zartfühlend machte, bemerkte er es doch, lief mir nach und nötigte mich, mein Geld zurückzunehmen.
»Das ist aber wirklich ein ehrlicher Anwalt!« dachte ich bei mir selber. Unterwegs faßte ich den Plan, dem niederträchtigen Passano einen Spion auf den Hals zu schicken, der ihn schließlich wohl entdecken würde; denn ich hatte in meiner gerechten Wut eine sehr starke Lust, ihn von ein paar Leuten totschlagen zu lassen. Wo sollte ich aber einen Spion finden in dieser Stadt, die mir so wenig bekannt war? Mit diesen Gedanken beschäftigt, kam ich zu Herrn Bono. Er nannte mir einen andern Anwalt und riet mir, mich zu beeilen; denn bei einem Kriminalprozeß habe der erste Kläger stets den Vorteil. Ich bat ihn, mir zu sagen, wie ich einen geschickten und zuverlässigen Menschen bekommen könnte, der Passanos Anwalt beobachten und auf diese Weise die Wohnung des Schurken entdecken könnte. Der ehrliche Bankier weigerte sich jedoch, mir diesen Gefallen zu tun. Er bewies mir sogar, daß ich eine unehrliche Handlung begehen würde, wenn ich den Anwalt beobachten ließe. Das wußte ich auch. Aber wo ist der Mensch, der sich nicht von seinem Zorn, mag dieser gerecht oder ungerecht sein, so weit hinreißen läßt, daß er nicht mehr auf die Stimme der Vernunft hört! Der Zorn ist ja doch die stärkste Leidenschaft.
Ich ging zu dem zweiten Anwalt, einem ehrwürdigen Greise von großer Klugheit. Ich trug ihm meinen Fall mit allen Umständen vor und fragte ihn, ob er die Sache übernehmen wolle. Er erklärte sich dazu bereit und sagte mir, er werde meine Klage im Laufe des Tages einreichen.
»Dies ist allerdings mein Wunsch,« rief ich; »denn von dem Anwalt meines Verleumders habe ich gehört, daß die Anschuldigung übermorgen eingereicht werden soll.«
»Nicht deshalb, mein Herr, müssen wir schnell vorgehen; denn Sie dürfen von der vertraulichen Mitteilung, die mein Kollege Ihnen gemacht hat, keinen unrechten Gebrauch machen.«
»Es ist aber doch nicht unrecht, sich eine Nachricht zunutze zu machen, die man zufällig erfahren hat.«
»Das kann zuweilen zutreffen; in diesem Fall dürfen wir um deswillen keine Zeit verlieren, weil die Natur der Angelegenheit Eile erheischt. Prior in tempore, potior in jure. Die Klugheit verlangt, den Feind anzugreifen. Seien Sie so freundlich, heute Nachmittag um drei Uhr bei mir wieder vorzusprechen.«
»Ich werde pünktlich sein. Einstweilen, mein Herr, hier sechs Louis.«
»Ich werde sie Ihnen in Rechnung stellen.«
»Ich bitte Sie, das Geld nicht zu schonen!«
»Mein Herr, ich werde nur so viel ausgeben, wie unbedingt notwendig ist.«
Es kam mir beinahe vor, wie wenn die Redlichkeit die Stadt Lyon zu ihrem besonderen Wohnsitze erwählt hätte. Doch muß ich hier eine Wahrheit bekannt geben, die für die französische Anwaltschaft ehrenvoll ist: nirgends habe ich so redliche Anwälte gefunden wie in Frankreich.
Nachdem ich um drei Uhr die Klageschrift fertig und gut geschrieben gefunden hatte, ging ich zu Frau von Urfé. Ich blieb bei ihr vier Stunden und baute Pyramiden, die sie mit Freude erfüllten. Trotz meiner schlechten Laune mußte ich doch unwillkürlich lachen über die tausend verrückten Fragen, die sie wegen ihrer Schwangerschaft an mich richtete. Sie war gewiß, daß sie schwanger war! Sie fühlte bereits alle Symptome! Sie sagte mir ferner, es sei ihr recht schmerzlich, daß sie nicht über alle die verschiedenen Mutmaßungen würde lachen können, die die Pariser Ärzte wegen ihrer Schwangerschaft aufstellen würden. Ganz sicherlich würde man diese in ihrem Alter höchst verwunderlich finden.
Als ich in mein Gasthaus zurückkam, war Marcolina traurig. Sie sagte mir, sie habe auf mich gewartet, da ich ihr versprochen habe, sie ins Theater zu begleiten. »Du hättest mich nicht warten lassen dürfen.«
»Du hast recht, liebes Herz; aber du wirst mir verzeihen, denn eine dringliche Angelegenheit hat mich bei der Marquise zurückgehalten. Sei vernünftig!«
Ich hatte selber nötig, diesen Rat zu befolgen; denn die Geschichte mit dem Passano quälte mich, und ich schlief sehr schlecht. Früh am anderen Morgen ging ich zu meinem Anwalt; er sagte mir, meine Klage sei bei der Registratur des Kriminalstatthalters eingereicht. »Für den Augenblick«, setzte er hinzu, »haben wir nichts mehr zu tun; denn da wir nicht wissen, wo er ist, so können wir ihn nicht vorladen.«
»Könnten wir nicht die Polizei bitten, sie möge ihn auszukundschaften versuchen?«
»Das könnten Sie; aber ich rate Ihnen nicht dazu. Lassen wir ihn lieber kommen! Da der Ankläger seinerseits angeklagt ist, so wird er an seine Verteidigung denken müssen. Er wird die Verbrechen beweisen müssen, deren er Sie beschuldigen will. Wenn er nicht zum Vorschein kommt, werden wir ihn in contumaciam zu allen Strafen verurteilen, die die Verleumder treffen. Sein Anwalt selber wird sich von ihm lossagen, wenn er nicht ebenso offen auftritt wie Sie.«
Diese Darstellung beruhigte mich ein wenig. Ich verbrachte den Tag mit Frau von Urfé zusammen, die am anderen Morgen abreisen sollte, und ich versprach ihr, in Paris zu sein, sobald ich einige Angelegenheiten erledigt hätte, die die Ehre des Ordens angingen.
Ihr Hauptgrundsatz war: meine Geheimnisse zu achten und mich niemals zu belästigen. Marcolina, die sich den ganzen Tag allein gelangweilt hatte, atmete auf, als ich ihr sagte, ich sei jetzt wieder ganz der ihre. Am nächsten Morgen kam Herr Bono zu mir und bat mich, mit ihm zu Passanos Anwalt zu gehen, der mit mir zu sprechen wünsche. Der Anwalt sagte mir, sein Klient sei ein Wahnsinniger, der sich einbilde, vergiftet zu sein, und aus diesem Grunde in seiner Verzweiflung zu allem imstande sei.
»Er behauptet, er werde Sie zum Tode verurteilen lassen, obgleich Sie ihm allerdings zuvorgekommen seien. Er ist bereit, sich ins Gefängnis werfen zu lassen; denn er sagte, er werde als Sieger daraus hervorgehen, da er für alle seine Behauptungen Zeugen habe. Er zeigte fünfundzwanzig Louis, die Sie ihm in Marseille gegeben haben; sie sind sämtlich beschnitten. Er hat aus Genua zwei Bescheinigungen, aus denen hervorgeht, daß Sie eine Anzahl Quadrupel beschnitten haben, die ein Herr von Grimaldi durch einen Goldschmied hat einschmelzen lassen, damit man sie nicht bei der Haussuchung fände, die die Regierung bei Ihnen vornehmen lassen würde, um Sie des Verbrechens zu überführen. Er hat sogar einen Brief von Ihrem Bruder, dem Abbate, der gegen Sie aussagt. Er ist ein Tobsüchtiger, den ein venerisches Leiden verzehrt, und der nun, wenn es möglich wäre, Sie vor ihm in die andere Welt möchte gehen sehen. In Ihrem eigenen Interesse rate ich Ihnen: geben Sie ihm Geld, um ihn los zu werden. Er hat mir gesagt, er sei Familienvater, und wenn Herr Bono ihm tausend Louis geben wollte, so werde er alle seine berechtigten Klagen seinen Bedürfnissen aufopfern. Er hat mich beauftragt, mit Herrn Bono darüber zu sprechen. Was antworten Sie, mein Herr?«
»Was meine gerechte Entrüstung mir gegen einen Schuft eingibt, den ich in meiner Gutmütigkeit aus dem Elend errettet habe, und der mich jetzt mit abscheulichen Verleumdungen verfolgt. Er soll niemals einen Sou von mir bekommen.«
Hierauf erzählte ich den Vorfall von Genua ganz der Wahrheit gemäß, und sagte ihm, Herr von Grimaldi würde notwendigerweise bereit sein, die Wahrheit meiner Darstellung zu bescheinigen.
»Ich habe«, sagte der Advokat, »bis jetzt die Einreichung der Klage noch hinausgeschoben, um zu sehen, ob es kein Mittel gegen den Skandal gebe, der die Folge davon sein muß; aber ich werde sie jetzt einreichen.«
»Ich bitte Sie darum und werde Ihnen unendlich verpflichtet sein.«
Ich ging sofort zu meinem Anwalt und berichtete ihm den Vorschlag des Spitzbuben. Er lobte mich besonders, weil ich jede Auseinandersetzung mit einem solchen Menschen zurückgewiesen hätte. Da Herr Bono für mich zeugen wollte, so müsse ich Passanos Anwalt nötigen, seine Klage einzureichen, die nach seiner Behauptung bereits niedergeschrieben sei. Ich gab ihm Vollmacht, die Aufforderung in meinem Namen zu erlassen.
Sofort wurde ein Gerichtsschreiber zum Kriminalstatthalter geschickt, damit dieser den Anwalt auffordere, binnen drei Tagen eine Klage wegen Kriminalvergehens einzureichen. Diese Klage befinde sich in seinen Händen und rühre von einem Quidam her, der sich bald Anami, bald Pogomas, bald Passano nenne. Die Klage sei gegen Giacomo Casanova, genannt Chevalier von Seingalt gerichtet. Nachdem ich das Schriftstück eigenhändig unterzeichnet hatte, wurde es dem Kriminalstatthalter übergeben.
Ich wollte von der dreitägigen Frist nichts wissen; mein Anwalt sagte mir jedoch, dies sei eine Vorschrift, die sich nicht umgehen lasse; übrigens heiße es jetzt jacta est alea und ich müsse mich auf alle Unannehmlichkeiten gefaßt machen, die der Prozeß mir im Falle des allerglücklichsten Ausganges verursachen werde.
Frau von Urfé war abgereist, wie Paralis es ihr befohlen hatte. Ich speiste im Gasthof mit Marcolina und machte alle möglichen Versuche, mich aufzuheitern. Ich führte das reizende Mädchen zu den angesehensten Modistinnen und kaufte ihr alles, was sie sich zu wünschen schien. Hierauf ging ich mit ihr ins Theater, wo sie alle Blicke auf sich lenkte. Madame Pernon, die in der nächsten Loge neben der unsrigen saß, veranlaßte mich, ihr meine Venetianerin vorzustellen. An der Art und Weise, wie sie nach der Vorstellung sich umarmten, sah ich, daß es zur größten Vertraulichkeit zwischen ihnen kommen würde. Es war nur ein Hindernis vorhanden: Madame Pernon sprach kein Wort italienisch, und Marcolina wagte nicht gegen mein Verbot französisch zu sprechen; denn ich hatte ihr gesagt, sie werde sich dadurch lächerlich machen. Als wir wieder in unserem Gasthof waren, sagte Marcolina mir, ihre neue Bekannte habe ihr den florentinischen Kuß gegeben. Das war das Erkennungszeichen der Sekte.
Selig über die tausend Kleinigkeiten, die ich ihr gekauft hatte, bot sie alle Glut auf, um mir ihre Dankbarkeit zu bezeugen, und wir verbrachten eine der muntersten Nächte.
Am nächsten Tage besuchte ich wieder eine Anzahl Seidenfabriken und kaufte neue Kleider für Marcolina; am Abend speisten wir in fröhlicher Gesellschaft bei Frau Pernon.
Am dritten Tage kam Herr Bono schon in aller Frühe zu mir; er schien bedrückt zu sein, obgleich er ein sehr vergnügtes Gesicht machte. Er forderte mich auf, im Kaffeehause mit ihm zu frühstücken, da er etwas mit mir zu besprechen habe. Dort zeigte er mir einen Brief, worin der schurkische Passano ihm schrieb, er sei bereit, seine Ansprüche aufzugeben; dies habe ihm sein Anwalt geraten, der eine Anzeige vorgefunden habe, gegen die er keinen Widerstand leisten wolle. Zum Schluß schrieb er: »Veranlassen Sie Herrn de Seingalt, mir hundert Louis zu geben, und ich werde unverzüglich abreisen.«
»Da wäre ich ja verrückt,« rief ich, »wenn ich diesem Spitzbuben noch Geld gäbe, damit er sich dem Arme der Gerechtigkeit entziehen kann. Er soll gehen, wohin er will; ich werde ihm kein Hindernis in den Weg legen; aber von mir soll er nichts erwarten! Morgen wird ihm der Haftbefehl zugestellt werden; wenn ich kann, will ich zusehen, wie er von Henkers Hand gebrandmarkt wird. Die Verleumdungen, die er sich gegen mich, seinen Wohltäter, erlaubt hat, sind zu stark. Sie verletzen meine Ehre zu tief, und ich verlange daher, daß er sie beweist oder vom Gericht für ehrlos erklärt wird.«
»Ein Zurückziehen der Beschuldigung in aller Form,« antwortete Herr Bono mir, »könnte nach meiner Meinung Ihnen als Rechtfertigung dienen, und Sie sollten diesen Ausgang einem Prozeß vorziehen, der, selbst wenn Sie triumphieren, Ihnen unfehlbar in der öffentlichen Meinung empfindlichen Schaden verursachen würde. Übrigens sind diese hundert Louis gar nichts im Vergleich zu den Kosten, die Ihnen der Prozeß verursachen wird.«
»Herr Bono, ich schätze Ihre Meinung hoch und schätze noch höher das Gefühl des Wohlwollens, das Sie veranlaßt, mir Ihren Rat zu geben; aber gestatten Sie, daß ich diesmal nach meinem eigenen Kopfe handle.«
Ich berichtete meinem Anwalt den Vorschlag, der mir gemacht worden war, und sagte ihm, ich wolle mich auf nichts einlassen und bitte ihn, die vom Gesetz vorgeschriebenen Schritte zu tun, um den Schurken, der mir den Tod geschworen habe, verhaften zu lassen.
Am selben Abend hatte ich Frau Pernon und Herrn Bono, der ihr Liebhaber war, bei mir zu Tisch. Da der Bankier sehr gut italienisch sprach, hatte Marcolina das Vergnügen, durch ihre witzigen Bemerkungen zur Erheiterung der Gesellschaft beizutragen.
Am anderen Tage schrieb Bono mir, Passano sei auf Nimmerwiedersehen abgereist; vorher habe er schriftlich alles widerrufen, und zwar in einer Form, die mich unbedingt zufriedenstellen müsse. Ich fand seine Flucht erklärlich; sein Widerruf dagegen kam mir unwahrscheinlich vor, oder wenigstens, daß er es freiwillig sollte getan haben. Ich suchte also sofort Herrn Bono auf, der mir zu meiner Überraschung einen schriftlichen Widerruf in aller Form vorlegte.
»Sind Sie damit zufrieden?« fragte er mich.
»Mehr als zufrieden: ich verzeihe ihm. Aber ich finde es überraschend, daß er nicht auf seinen hundert Louis bestanden hat.«
»Lieber Freund, ich habe sie ihm gegeben, und zwar mit Vergnügen, damit ein Skandal, der uns allen geschadet haben würde, nicht an die Öffentlichkeit komme. Wenn ich Ihnen nichts gesagt hätte, so würden Sie nichts unternommen haben. Darum habe ich mich für verpflichtet gehalten, das ganze angerichtete Unheil durch dieses Opfer wieder gutzumachen, von dem Sie nichts erfahren haben würden, wenn Sie mir gesagt hätten, es wäre Ihnen nicht recht. Es freut mich sehr, daß ich durch diese Kleinigkeit Ihnen meine Freundschaft habe beweisen können. Sprechen wir nicht mehr davon!«
»Gut, lieber Freund,« sagte ich zu ihm, indem ich ihn umarmte, »sprechen wir nicht mehr davon! Aber stellen Sie mir diesen Betrag in Rechnung, und seien Sie versichert, daß ich Ihnen dankbar bin.«
Ich gestehe, daß ich mich sehr erleichtert fühlte, nachdem ich mir diese fatale Sache vom Halse geschafft hatte.