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Joan Brett ging auf dem Rasenplatze der oberen Terrasse von Schloß Ivywood am Nachmittage des folgenden Tages auf und ab, umgeben von Pfauen, die ihre Räder schlugen. Es war keine unharmonische Umgebung für sie, denn sie ähnelte den Pfauen an Schönheit und auch, wie man vielleicht auch sagen könnte, an Zwecklosigkeit: sie trug denselben stolzen Kopf hoch erhaben und dieselbe prächtige Schleppe, auch mußte sie sich immer zurückzuhalten, um nicht aufzuschreien wie die Pfauen. Die unverständliche Stille um sie herum stellte an ihre Geduld stärkere Anforderungen, als es ein unverständliches Geräusch getan hätte. Sie hatte das Gefühl, daß die ganze Welt um sie herum sich verändert habe, und daß sie ausgeschaltet blieb. Es ärgerte sie in ihrer Gereiztheit, daß die Uniformen der alten Miliz von Pebblewick jetzt verändert waren, daß sie jetzt einen Fez trugen wie die Zuaven. Der Fez war vielleicht bequemer als die früheren Helme, aber Joan Brett, die wie so viele freidenkende Frauen äußerst konservativ war, ärgerte sich doch darüber.
Eine Woche um die andere war sie nun in Ivywood, ihrer alten Mutter und der alten Lady Ivywood zu Gefallen. Wenn man den Zweck ihres Aufenthaltes etwas zynisch bezeichnen wollte – und Joan Brett selbst würde ihn ganz zynisch ebenso bezeichnen – so war sie zu der üblichen weiblichen Beschäftigung hergerufen worden, nämlich zu versuchen, etwas für einen Mann übrig zu haben. Aber der Zynismus erwies sich als falsch, wie es fast jeder Zynismus tut, denn sie hatte schließlich doch etwas für den Mann übrig, als man ihn brachte mit der Kugel im Bein, und der trotzalledem der ruhigste Mensch im Hause blieb; sie bewunderte ihn, als er bei den schlimmsten Schmerzen keinen Laut hören ließ, und sie fühlte sich hingerissen, als er an jenem Nachmittage aufstand und trotz Gegenvorstellungen sich auf rohen Krücken in den Wagen schleppte, der ihn nach London fuhr.
Aber niemals war er ihrem Herzen so nah gekommen, wie jetzt, als er durch den alten Park nach der Terrasse kam, um mit ihr zu sprechen, wie sie so unter den Pfauen stand. In ihrer Verwirrung gab sie einem Pfau einen Klaps, wie wenn es ein Hund wäre. Er sprach zuerst natürlich von den Pfauen, wie sie aus dem Morgenlande eingeführt seien, aber Joan dachte daran, daß Philipp Ivywood früher vielleicht nicht gemerkt hatte, daß es überhaupt Pfauen gab.
Man sagt, es seien die Vögel der Juno, sagte er, und ich habe einen ganz kleinen Verdacht, daß Juno wie so vieles andere in der homerischen Mythologie orientalischen Ursprungs ist.
Ich hätte geglaubt, sagte Joan, daß Juno wohl etwas zu stattlich war für einen orientalischen Serail.
Du solltest es wohl wissen, gab Ivywood mit einer höflichen Handbewegung zurück, denn ich sah noch niemals ein Weib, das so sehr der Juno glich. Aber es scheint, als herrschen über die Schönheitsanforderungen der Araber und Indier noch sehr viele mißverständliche Anschauungen. Es ist ein üblicher Scherz, zu sagen, daß der Türke nur dicke Frauen liebe, während er nicht das einzelne Individuum, sondern die Weiblichkeit als Symbol der Natur liebt.
Manchmal muß ich daran denken, sagte Joan, daß die sonst ansprechenden Theorien unseres Freundes Misysra manchmal sehr geschraubt sind. Neulich sagte er zu mir, daß die türkischen Frauen die freiesten der ganzen Welt wären, da nur in der Türkei die Frauen Hosen tragen dürften.
Ivywood lächelte trocken: Die Einfachheit des Propheten ist nur durch sein Genie zu verstehen, obschon ich nicht leugnen will, daß viele seiner Beweise äußerlich ein wenig gezwungen und phantastisch aussehen, aber im Kern sind sie richtig. Es gibt eine Art Freiheit, die darin besteht, sich niemals gegen die Natur aufzulehnen, und ich glaube, daß diese Wahrheit im Orient mehr beachtet wird als bei uns. Es ist auch sehr schön, Joan, in einer persönlichen, romantischen Weise über Liebe zu reden, es gibt aber noch etwas Höheres als den Geliebten zu lieben.
Und was sollte das wohl sein? fragte Joan zu Boden blickend.
Das Schicksal zu lieben, stieß Ivywood hervor mit einer verhaltenen Leidenschaft in seinen Augen. Sagt nicht Nietzsche irgendwo, daß die schrankenlose Hingabe an das Schicksal das Kennzeichen eines Helden sei. Wir befinden uns in einem Irrtum, wenn wir glauben, daß die Helden und Heiligen des Islam ihr Kismet mit gesenktem Haupte und mit Ergebenheit aussprachen. Sie sprachen es aus mit Jubel. Im sentimentalen europäischen Roman geht vielleicht die reizendste Prinzessin der Erde mit ihrem Musiklehrer davon, aber der Türke zieht aus, um die schönste Königin der Erde zu freien, er erobert Reiche und Länder, um sie ihr zu Füßen zu legen, und er scheut sich nicht, sich mit solchem Lorbeer zu bekränzen.
Die Pfauen erschienen Joan in diesem Augenblicke prächtiger und stolzer denn zuvor, und zum ersten Male hatte auch sie das Gefühl, daß sie aus dem Lande von Tausendundeinenacht gekommen sind.
Joan, fuhr Philipp leiser fort, auch ich würde mich nicht scheuen, einen solchen Lorbeer zu tragen. Ich weiß nicht, was das Christentum mit Demut meint, aber ich will der größte Mensch der Weltgeschichte werden, wenn ich es sein kann, und ich glaube, ich kann es sein. Höher als die einfache Liebe ist die Liebe zu seinem Schicksal und was diesem ebenbürtig ist. Ich will die schönste Frau der Welt zu meinem Weibe nehmen, die jetzt unter Pfauen steht und schöner und stolzer ist als diese.
Joans Augen irrten suchend am Horizont, und ihre Lippen vermochten nichts hervorzubringen.
Joan, fing Philipp wiederum an, du sollst das Weib eines der größten Helden der Geschichte sein. Ich will dir eine Geschichte erzählen, die ich zuvor noch niemandem erzählt habe, da ich noch niemals zu jemandem sprach über Liebe. Als ich zwanzig Jahre alt war und mich zu meiner Ausbildung in einer Stadt in Deutschland befand, da verliebte ich mich, wie wir im Westen sagen. Es war die Tochter eines Fischers, denn die Stadt, in der ich lebte, lag am Meere. Meine Laufbahn wäre dann eigentlich zu Ende gewesen, denn ich hätte mit einer solchen Frau nicht in den diplomatischen Dienst eintreten können. Kurze Zeit darauf machte ich eine Reise nach Flandern und schlenderte an einer der letzten Mündungen des Rheins. Ich mußte daran denken, an wie vielen heiligen und schönen Plätzen dieser Fluß vorübergekommen ist, die er hinter sich gelassen hat: irgendwo in der Schweiz ist der kleine Knabe an Gartenblumen vorbeigekommen, die auf dem hohen Ufer sproßten, oder irgendwo im Rheinland hatte er sich auf den blumigen Wiesen fast verloren, aber er floß weiter dem vollkommenen Meere zu, das die Erfüllung aller Flüsse ist. – Das Volk und die Zeitungen sagen bei königlichen Heiraten, daß das Herz dabei nicht mitgesprochen hat. Aber du und ich glauben nicht, was das Volk und die Zeitungen sagen, wir wissen auch, daß es keinen König in England gibt, noch je gegeben hat, seit einem von ihnen der Kopf abgeschlagen wurde. Du weißt, daß du und ich und unsere Familien die Könige von England sind, und daß unsere Heiraten königliche Heiraten sind. Das Vorstadtvolk mag sagen, daß das Herz dabei nicht mitspricht. Aber vielleicht bist auch du über die Blumen auf einem Schweizer Flußufer oder auf einer rheinischen Blumenwiese gewandelt oder hast einmal ein Fischermädchen getroffen, aber du weißt, daß es etwas größeres und einfacheres gibt als all das, etwas, was du nur in den großen Epen des Ostens findest: das schöne Weib und den großen Mann mit seinem Schicksal. –
Willst du es nicht als ein Zeichen meines mangelnden Entgegenkommens auffassen, wenn ich dich bitte, mir noch ein wenig Zeit zu lassen, über all das nachzudenken?
Natürlich, sagte Ivywood sich verbeugend und ging dann zwischen den Pfauen hindurch zurück nach dem Schlosse.
Die Atmosphäre war für Joan verwirrend. Es hatte ihr Vergnügen gemacht, Ivywood zuzuhören, wie es einem auch Vergnügen macht, einem Violinspieler zuzuhören. Aber das Schlimme ist immer, daß man niemals genau weiß, ob es die Violine oder der Mann ist, was einem das Vergnügen verursacht. Sie war noch ziemlich jung, aber sie hatte das Gefühl, als ob sie tausend Jahre über derselben Frage gebrütet hätte. Ein Verlangen überkam sie, das bei den Zugehörigen der großen Gesellschaft durchaus nicht selten ist, sich mit einer Geschlechtsgenossin aus unteren Ständen auszusprechen, und im nächsten Augenblicke warf sie sich an die Brust von Miß Browning.
Für Miß Browning war Lord Ivywood das Prinzip an sich, er war der unveränderliche Faktor, er war Er schlechthin, von dem alles abhängt wie vom Wettergott.
Wir dürfen nichts tun, was seiner Laufbahn hinderlich ist, sagte sie, und je ruhiger wir alles überdenken, umso besser wird es sein, glaube ich. Er hat große Pläne – Sie wissen, was der Prophet erst neulich über ihn sagte.
Das letzte, was ich von dem Propheten hörte, war, daß er uns darauf aufmerksam machte, wie wir von einem jungen Menschen sagen: er strahlt wie der Mond – und von einem alten Menschen: – er ist ein rechtes Kreuz. – Übrigens wie denken Sie über die Kinderheiraten in Indien?
Ich glaube, es ist etwas Gutes daran, sagte Miß Browning, in der Jugend ist man mit allem zufrieden, wir hätten ebensogut einen Neger, ein Fischweib oder einen Verbrecher heiraten können.
Aber was sagen Sie da, sagte Joan streng, Sie wissen doch ganz gut, daß Sie niemals ein Fischweib geheiratet hätten. Wo ist Enid?
Lady Enid ist im Musikzimmer, glaube ich, sagte Miß Browning. Joan ging sehr eilig durch mehrere Säle und fand ihre bleiche Base wirklich am Piano.
Enid, rief Joan, sag mir um Himmelswillen, was mit diesem Hause los ist? Warum scheinen alle Gärten und alle Räume wie verwunschen? Warum sieht alles einander so ähnlich aus? Warum sagen alle Menschen hier immer das gleiche? Du weißt, ich rede nicht gern über metaphysische Dinge, aber es muß doch hier in allem ein Sinn sein? Weißt du, was der Sinn alles dessen ist?
Enid Wimpole spielte noch einige Noten und sagte dann:
Nein, ich weiß es auch nicht. Wenn es einen Sinn von all dem gibt, so ist es der, daß ich den Glauben und das Vertrauen zu ihm habe. Dann fing sie wieder an zu spielen, eine rheinische Ballade, und diese Musik war die Veranlassung zu der nächsten Bemerkung: Stelle dir einmal vor, wir säßen an einem der vielen Mündungsarme des – –
Wenn du jetzt Rheins sagst, schreie ich lauter als alle Pfauen zusammen, unterbrach sie Joan.
Ich verstehe dich nicht, sagte Enid, und hörte auf zu spielen, aber ich will dir etwas anderes vorspielen, wenn dir die rheinische Ballade nicht gefällt.
Joan ging hinaus und zu Miß Browning zurück. Sie fühlte sich in größerer Verwirrung als zuvor. Dann sagte sie freundlich: Ich bin mir jetzt über zwei Dinge im klaren: ich bin für Helden, aber nicht für Heldenverehrung.
Aber das eine folgt doch aus dem anderen, sagte Miß Browning.
Ich hoffe, nicht, sagte Joan.
Aber was können Sie mit einem Helden sonst tun als ihn verehren? fragte Miß Browning weiter.
Kreuzigen, antwortete Joan mit wilder Unruhe und stand von ihrem Stuhle auf.
Sind Sie müde? fragte Miß Browning.
Ja, ich bin müde, sagte Joan, und um ehrlich die Wahrheit zu sagen, ich bin dieses ganzen Hauses müde.
Es ist sehr alt und einige Flügel sind nicht sehr bequem, sagte Miß Browning entschuldigend, aber er hat doch so viele Verbesserungen machen lassen. Der Flügel mit dem Turm ist doch wirklich – – –
Wissen Sie, in welch einem Hause wir leben? fragte Joan Brett noch einmal, wir leben in einem Harem – –
Was wollen Sie damit sagen! rief das junge Mädchen in großer Erregung. Lord Ivywood hat niemals auch nur im geringsten – – – –
Ich weiß, sagte Joan, er hat niemals auch nur im geringsten – – ich werde niemals diesen Mann verstehen, noch einen anderen, ich sage nur, hier weht Haremsluft, dieses Haus stinkt nach Polygamie so wie es nach Lilien riecht.
Was ist dir? rief Lady Enid, die plötzlich wie ein Geist erschien, um Himmelswillen, du siehst ja kreidebleich aus?
Aber Joan ließ sich nicht beirren. Und außerdem wissen wir doch, daß er das Prinzip hat, alle Dinge sehr langsam zu tun, und er nennt das Entwicklung und Hineinwachsen einer Idee in eine größere. – Warum sagen wir nicht gerade heraus, daß er alles langsam macht, daß er uns in einer Atmosphäre ersticken läßt, bevor er wirklich in einer Sache einen Schritt weiter geht? Ich will aber nicht warten und mich entwickeln lassen, ich will mich nicht zu etwas machen lassen, was nicht ich ist. Wenn ich meinen Weg fortsetzen soll, so müssen meine Füße außerhalb dieser Mauern wandeln, oder ich schreie, wie ich schreien würde, wenn ich eingesperrt wäre.
Dann rannte sie hinaus nach dem Turm, sie wollte allein sein. Sie wollte den besten Weg ausdenken, um von Ivywood fortzukommen, denn der alten Dame ihren geistigen Zustand zu schildern, würde ebenso zwecklos gewesen sein, wie einem Säugling von chinesischen Martern zu erzählen. Der Abend war sehr still, und auf dieser Seite des Parkes schien wenigstens noch nichts verändert zu sein. Um so mehr erstaunt war sie, daß sie bei ihren Träumen ein Rascheln in der graupurpurnen Dämmerung des Laubwerks spürte, dann ein Flüstern und Tritte. Dann war wieder alles still, aber bald wurde die Stille unterbrochen durch eine schwere Stimme, die aus dem Dunkel herüberklang, und die begleitet war von einer Laute oder einem ähnlichen Begleitinstrument:
Das Licht geht in den Wolken schlafen,
es ruhn die Schiffe all im Hafen,
ich möchte sterben, Liebste, wie mein Sehnen starb.
Nur einmal noch möcht' ich den Preis gewinnen,
wie damals, als dein Handschuh mich entzückte,
als du und ich noch kinderglücklich waren.
Die kleinen Sterne blinken bleich
wie Lichter aus dem andern Reich,
ich will vergessen, was sie einst uns sagten,
als du und ich in ihnen Hoffnung lasen,
und sie wie lauter goldne Ringe schienen,
als du und ich noch kinderglücklich waren.
Dann brach der Gesang ab, doch das Wispern in dem Laubwerk wurde lauter, man hörte Stimmen und Rufe von der anderen Seite des Hauses. Das Dunkel der Nacht schien erfüllt von Lebendigkeit.
Dann hörte sie hinter sich einen Schrei: Enid trat zu ihr, bleich wie eine Lilie: Es geht etwas Furchtbares vor, der Hof ist voller Menschen, und alles ist von Fackeln erleuchtet. – –
Dann hörte Joan den festen Schritt einer marschierenden Menge und dann einen andern Gesang, der wie ein Trutzlied klang:
Oh, hüte dich, Lord Ivywood, Lord Ivywood,
Wenn wir dich krieg'n, dir gehts nicht gut.
Wo ist die Polizei? fragte Enid, seit sie den Fez trägt, scheint sie nirgends zu sein – man wird uns ermorden.
Drei Donnerschläge krachten gegen die Holzverkleidung der Wand, wie wenn eine Horde von Riesen Einlaß verlangte. Die beiden Mädchen starrten die Sterne, die Monde und Sonnen an der Decke des Turmzimmers an, die unter den Donnerschlägen zu Boden fielen und verstreut auf dem persischen Teppich umher lagen. Und durch eine Öffnung, die danach entstand, erschien Patrick Dalroy mit einer Mandoline.
Ich wollte Ihnen Ihren Hund zurückbringen, sagte Patrick und hob Quudel herein, ich habe ihn in einem großem Korbe eingesperrt und einen Zettel darauf geklebt »Vorsicht« und ich glaube, daß diese Warnung nötig ist.
Er verbeugte sich vor Lady Enid, als er ganz hereingekommen war, und ergriff Joans Hand mit einer Verhaltenheit in der Bewegung, wie wenn er noch etwas hätte tun wollen. Er nahm aber bald das Gespräch über den Hund wieder auf und sagte:
Leute, die Hunde zurückbringen, stehen immer im Verdacht, daß sie selber Spitzbuben gewesen sind. Das trifft bei mir natürlich nicht zu, aber die Wiederbringer von abhanden gekommenen Dingen stehen ferner immer im Verdacht – – und dabei sah er Joan mit seinen hellen blauen Augen an – daß sie eine Belohnung haben wollen.
Dann nahm er in einer plötzlichen Wallung, die aufregender schien als die Revolution, die um das Haus tobte, wieder ihre Hand und küßte sie mit stummem Ernst. Endlich sagte er: Wenigstens weiß ich, daß Sie für meine Seele beten werden.
Vielleicht sollten Sie eher für meine Seele beten, wenn ich überhaupt eine habe, gab Joan zurück.
Sie werden von diesem Turmzimmer etwas sehen können, was sich im Geist und in der Wahrheit nicht ereignet hat, seit Saladin und Richard Löwenherz aufeinanderprallten. Ich möchte Ihnen nur das eine sagen, was Sie schon wissen, daß ich Sie liebe und lieben werde, bis ich sterbe. Das ist der einzige Weg, den ich auf dieser Welt gewandelt und auf dem ich nicht irre gegangen bin. Ich lasse Ihnen den Hund zurück, damit er Sie beschütze.
Darauf verschwand er wieder durch die alte Treppe. Joan sah durch eines der vielen Turmfenster nach dem alten Tunnel, dessen Eingang durch hohe Bäume verdeckt war. Und dann sah sie etwas, was weder Erlebnis noch bloße Vision sein konnte, was sie später niemals wiederzugeben vermochte, sie sah, wie die große Mauer niedersank, wie von einem Riesenhammer zerschmettert, und dann sah sie etwas, was ihr gänzlich den Verstand raubte. Sie konnte später auch niemals sagen, wieviel davon Traum war und wieviel Wirklichkeit, oder was schlimmer war: die Vision oder die Wirklichkeit. Sie sah einen langen Zug von Soldaten, der immer einen prächtigen Anblick bietet. Es hätten die Scharen Hannibals oder Attilas sein können oder Wiederauferstandne aus den Gräbern von Sidon oder Babylon, die auf englischem Rasen ihr Lager aufschlugen, eingezäunt von Weißdorn und Buchen. Und voraus wehte die grüne Fahne des großen Glaubens, die so oft schon vor die großen Städte des Westens vorgedrungen war, aber die noch niemals waffenstarrende Männer auf englischen Boden geführt hat. An dem einen Ende des Zuges schritt Ivywood in einer Art Uniform eigener Erfindung, einer Art Kompromiß zwischen englischer und türkischer Uniform, die in Joans wildem Hirn die Vorstellung weckte, daß die Türkei England erobert habe, nachdem es Indien erobert. Dann sah sie, daß Ivywood trotz seiner Uniform nicht der Befehlshaber der Truppen war, sondern ein alter Mann mit einer Narbe über seinem Gesicht, das nicht europäisch schien. Und dieser alte Mann kreuzte seinen Säbel mit Patrick Dalroy wie einer, der etwas wiedervergelten will, und er vergalt es auch offensichtlich wieder und teilte viele Wunden aus, dann aber sank er nieder, von einem schweren Hieb getroffen. Er fiel auf sein Gesicht, und Dalroy sah auf ihn nieder mit einem Ausdruck, in dem mehr lag als bloßes Bedauern. Blut floß auch von Patricks Stirn, als er mit dem Säbel grüßte. Und dann drehte sich alles um Joan, so daß sie nicht wußte, ob alles Vergangenheit oder Zukunft war. Sie konnte nicht unterscheiden, ob es eine gelbe oder braune oder eine christliche Rebellenschar war, die von Humphrey Pump geführt im Zeichen des Alten Schiffes durch den vergessenen Tunnel brach und den Feinden in den Rücken fiel. Die Vision ging über den Bereich von Auge und Ohr hinaus. Sie konnte weder Schreie noch Schüsse hören und natürlich auch nicht die Worte, die Lord Ivywood zu dem türkischen Offizier sagte, der neben ihm stand:
Ich bin Wege gegangen, die selbst ein Gott nicht wagen würde zu gehen: ich stehe über diesen törichten Übermenschen, die sich für höher halten als die übrigen Sterblichen – ich werde auch im Himmel Wege gehen, die noch nie ein Mensch vor mir gegangen ist – ich bin allein in dem großen Blumengarten – ich will die Blume dort haben – – ich will die – –
Dann hörte er plötzlich auf zu sprechen, und der Offizier sah auf ihn, wie wenn er noch auf etwas wartete, aber Ivywood sagte nichts mehr.
Patrick und Joan wandeln in einer Welt, in der wieder Wärme und Frische ist, die nur für die wenigen ist, die Mut nicht Wahnsinn und Liebe nicht Aberglauben nennen. Eines Tages gingen sie hinauf zu einem weißen Landhause, dem Heim des Übermenschen. Er saß mit gleichem ruhigen Gesicht vor einem Haufen von Holzklötzchen auf einem Tische. Er war teilnahmlos gegen alles um sich herum, selbst gegen Enid, die auf alle seine Wünsche achtete. Sie sagte zu Joan leise:
Er ist jetzt vollkommen glücklich.
Ich verstehe, sagte Joan und küßte ihre Base mit feuchten Augen. Aber sie waren feucht vom Mitleid, wovon die Furcht das Gegenspiel ist.