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1. Nachdem die Freiheit des Römischen Reiches durch Cäsar unterdrückt und die alte Verfassung des Staates umgestoßen war, zog sich Cicero von dem Staatsdienste zurück, da er, der sein Vaterland über Alles liebte, einem Staate, an dessen Spitze ein Gewaltherrscher stand und in dem nur Willkür die Stelle der Gesetze einnahm, seine Dienste nicht mehr widmen konnte. Der bedauernswerthe Zustand der öffentlichen Verhältnisse erfüllte ihn mit tiefer Trauer, und zu dem Schmerze um den Staat gesellte sich auch noch ein häusliches Unglück, indem ihm seine innigst geliebte Tochter Tullia durch den Tod entrissen wurde. In dieser Stimmung wandte er sich dem Studium der Philosophie zu, die er schon in seiner Jugend eifrig getrieben hatte, und suchte aus dieser Quelle Trost und Erleichterung für sein tief betrübtes und niedergebeugtes Gemüth zu schöpfen.
2. Sowie er es aber immer als seine Lebensaufgabe betrachtet hatte seine ganze Thätigkeit der Wohlfahrt seines Vaterlandes zu widmen, so wollte er auch jetzt, von der Staatsverwaltung und den gerichtlichen Geschäften befreit, die Muße, die ihm die Nothwendigkeit auferlegt hatte, nicht in Unthätigkeit dahin schwinden lassen, sondern sie vielmehr zum Besten seiner Mitbürger anwenden. Er faßte daher den Entschluß die Griechische Philosophie nach Latium zu verpflanzen, die wichtigsten Theile derselben in Lateinischer Sprache zu behandeln und so diese herrliche Wissenschaft seinen Landsleuten zugänglicher zu machen.
3. Er entwickelte eine erstaunenswerthe schriftstellerische Thätigkeit auf dem Gebiete der Philosophie. In den Jahren 45 und 44 v. Chr. gab er folgende Schriften heraus: die Trostschrift, den Hortensius über das Lob der Philosophie, fünf Bücher über das höchste Gut und Uebel und die Akademischen Untersuchungen; im folgenden Jahre: die Tusculanen in fünf Büchern; drei Bücher von dem Wesen der Gottheit, zwei Bücher über die Weissagung, die Schrift über das Schicksal, den Lälius über die Freundschaft, den Cato über das Alter, die Schrift über den Ruhm, die Topik (die zu den rhetorischen Schriften gehört) und die drei Bücher über die Pflichten.
4. Diese schriftstellerische Thätigkeit muß um so bewunderungswürdiger erscheinen, wenn man bedenkt, daß er sich seit dem Anfange Septembers des Jahres 44 v. Chr. wieder dem politischen Schauplatze zugewandt hatte und sich auf demselben als Staatsredner in voller Thätigkeit zeigte.
5. Nach der Ermordung Cäsar's (15. März 44) nämlich schöpfte er wieder Hoffnung, die Freiheit des Römischen Staates werde aufs Neue wieder aufblühen, die alte Verfassung zurückkehren und er selbst wieder eine einflußreiche Stellung in der Staatsverwaltung einnehmen. Allein an die Stelle Cäsar's trat Marcus Antonius, der zwar alle Fehler und Laster seines Vorgängers, aber nicht seine lobenswerthen Eigenschaften besaß. Mit bewundernswerther Kraft und Entschlossenheit trat Cicero gegen Antonius, der sich nach Cäsar's Beispiele an die Spitze des Staates setzen wollte, auf und hielt gegen ihn die herrlichen Reden, die unter dem Namen Philippiken bekannt sind (im J. 44 und 43). Er hatte besonders auf den jungen Octavius, Cäsar's Großneffen, der auf Seiten der Optimaten stand, seine Hoffnung gesetzt. Aber bald darauf verband sich Octavius mit Antonius und Lepidus zu einem Triumvirate und gab Cicero dem Antonius preis, der ihn am 7. December des Jahres 43 ermorden ließ.
1. Die Stoiker theilten die Moralphilosophie in drei Theile ein: in die Lehre von den Gütern (von dem höchsten Gute), von den Tugenden und von den PflichtenS. Dissen. de phil. morali in Xenophont. M. S. tradita p. 7 und unsere Schrift de Cicer. in phil. meritis p. 225 sq.. Die früheren Philosophen hatten die Lehre von den Pflichten nicht besonders abgehandelt, sondern nur angedeutet. Die Stoiker waren die Ersten, welche diese Untersuchung, die früher über die ganze Moralphilosopie ausgebreitet war, zu einem besonderen Gegenstande ihrer Betrachtung machten. Die Grundlage der ganzen Moralphilosophie bildete bei den Alten die Lehre von den Gütern oder von dem höchsten Gute. Unter einem Gute verstehen die Alten das, was durch die Kraft der Tugend, durch die moralische Kraft des Menschen, erzeugt wird, und das höchste Gut ist die Vereinigung aller Güter, die durch die Tugend erzeugt werden. Die Tugend aber ist die gleichmäßige und beständige Kraft der Seele, durch die das Gute erzeugt wird. Was dieses Gute sei, wird von verschiedenen Schulen verschieden bestimmt. Die Pflicht endlich ist die Regel, nach der sich die Tugend richtend das Gute erzeugt.
2. Die Pflicht (τὸ καθη̃κον) wird von den Stoikern so bestimmt: ‘Ορίζεται δὲ τὸ καθη̃κον τὸ ακόλουθον εν ζω̃η, ὸ πραχθὲν εύλογον απολογίαν έχειStobaeus Ecl. Eth. p. 158., d. h. die Pflicht ist das Zusammenhängende im Leben, das gethan eine vernünftige Rechtfertigung zuläßt. Sie nehmen eine doppelte Pflicht an: eine vollkommene (τέλειον) und eine mittlere (μέσον) oder gewöhnliche. Die vollkommene Pflicht wird auch κατόρθωμα (rectum) und die mittlere Pflicht schlechtweg καθη̃κον genanntS. Beier in Excurs. IV. ad Cic. Off. I. 3, 8. p. 818, T. I.. Die mittleren oder gewöhnlichen Pflichten gehören den Nichtweisen, die vollkommenen aber nur den Weisen an. Die vollkommenen Pflichten, die κατορθώματα (recta oder recte facta), die rechten Handlungen, fassen alle Bestandtheile der Tugend in sichStob. Ecl. Eth. p. 184. Cicer. Finn. III. 7, 24. und werden mit der vollen Kraft der Tugend ausgeführt; die mittleren Pflichten (τὰ καθήκοντα), die schicklichen Handlungen, unterscheiden sich von jenen in Ansehung der sittlichen Kraft, mit der sie ausgeführt werden. Während der Weise seine Handlungen rasch und ohne Mühe, aus einem inneren Drange ausführt, thut dieß der Nichtweise mit Mühe und Anstrengung, durch die äußeren Umstände dazu veranlaßt.
3. Die Stoiker scheinen die Lehre von den Pflichten nach den vier Kardinaltugenden (Klugheit, φρόνησις, prudentia; Tapferkeit, ανδρεία, fortitudo; Gerechtigkeit, δικαιοσύνη, justitia; Mäßigkeit, σωφροσύνη, moderatio) eingetheilt zu haben. Auch Cicero hat diese Eintheilung befolgt. Die Stoiker sagten jedoch: in jeder den Pflichten entsprechenden Handlung müssen alle Tugenden vereinigt sein; denn wenn auch eine Handlung nur Eine Seite der Sittlichkeit zeigt, so muß sie doch auch die übrigen Tugenden in sich schließen. Z. B. in einer gerechten Handlung tritt zwar die Gerechtigkeit besonders hervor; aber die gerechte Handlung kann nicht als der Ausfluß der Gerechtigkeit allein gedacht werden, sondern als der Ausfluß aller Tugenden.
1. Die Abfassung der drei Bücher über die Pflichten fällt in die Monate October und November des Jahres 44 v. Chr.S. Beier ad Offic. III. Tom. II. p. 418 und A. W. Zumpt Einl z. u. S. 356 f., also in das dreiundsechzigste Lebensjahr Cicero's.
2. Die ganze Untersuchung über die Pflichten ist nach Cicero von doppelter Art. Die eine, die theoretische, gehört der Untersuchung über das höchste Gut an, worauf die vollkommenen Pflichten, welche sich auf den Weisen beziehen, abgeleitet werden; die andere, von der die mittleren oder gewöhnlichen Pflichten abgeleitet werden, beruht auf den Vorschriften, welche sich auf die Einrichtung des gewöhnlichen Lebens beziehen. Diese gewöhnlichen Pflichten bilden den Gegenstand, den Cicero in diesen Büchern behandelt. Nicht der vollendete und durchaus weise Mensch wird in ihnen aufgestellt, sondern ein vir bonus, das heißt ein Mann, den man im gewöhnlichen Leben einen Biedermann, einen rechtschaffenen Mann nennt.
3. Insbesondere scheint er bei Abfassung dieser Bücher den Staatsmann ins Auge gefaßt zu haben. Er will gleichsam das Bild eines Mannes aufstellen, der mit Würde der Verwaltung des Staates vorstehen kann. Verschiedene Gründe mußten ihn dazu bestimmen. Zunächst hatte er diese Bücher für seinen Sohn geschrieben, dem er eine Anleitung geben wollte, wie ein junger Mann sich zu einem tugendhaften Staatsmanne ausbilden könne; dann schrieb er für Römer und insbesondere für junge Römer, deren höchstes Streben war eine wichtige Stellung im Staate einzunehmen; und Cicero selbst hatte in früheren Jahren die ersten Staatsämter bekleidet und sich um die Verwaltung des Staates unsterbliche Verdienste erworben, und noch in dem Jahre, in dem diese Bücher geschrieben sind, war er wieder mit aller Kraft als Staatsmann aufgetreten und hatte gegen Antonius die vier ersten Philippischen Reden gehalten. Mit tiefer Wehmuth blickte er auf die traurige Lage des Staates, welche durch die Leidenschaften und Begierden der Männer, die an der Spitze des Staates damals standen oder kurz zuvor gestanden hatten, herbeigeführt waren. Darum wollte er durch seine Schrift über die Pflichten nach Kräften dazu beitragen, daß die Römische Jugend, die sich dem Staatsdienste widmete, in allen ihren Handlungen und in ihrer ganzen Lebensweise sich von den Grundsätzen der Sittlichkeit leiten und bestimmen lasse. Mit der größten Erbitterung und Entrüstung spricht er gegen Cäsar und Antonius, durch deren Herrschsucht die Freiheit und die alte Verfassung des Staates vernichtet worden warVgl. I. 8, 26. 14, 43. II. 7, 23. 8, 27, 28. 13, 45. 24, 84. III. 1, 1, 2. 4, 19. und das ganze Kap. 21.. Ueberall tritt in diesen Büchern deutlich der Staatsmann hervor, selbst in den Beispielen, die er zur Erklärung und Beleuchtung seiner Lehren aus der Griechischen und Römischen Geschichte entlehnt; aber weit weniger der Philosoph, der in seinen Untersuchungen nicht eine bestimmte Klasse von Menschen, sondern das ganze Menschengeschlecht berücksichtigen soll.
4. Ueber die Pflicht im Allgemeinen und über den Begriff derselben spricht er sich sehr kurz aus. Er wundert sichI. 2, 7., daß Panätius von der Pflicht keine Begriffsbestimmung gegeben habe; denn jede Unterweisung, die man über irgend einen Gegenstand nach den Grundsätzen der Wissenschaft unternehme, müsse von der Begriffsbestimmung desselben ausgehen, damit man einsehe, was der eigentliche Gegenstand der Untersuchung sei. Man hat dem Cicero den Vorwurf gemacht, er selbst habe die bei Panätius vermißte Begriffsbestimmung nicht gegeben, sondern nur die Eintheilung der Pflicht angeführt. Allein wenn man die Stelle genau betrachtet, so gibt er allerdings eine Begriffsbestimmung, aber nicht der Pflicht im Allgemeinen, sondern nur der mittleren oder gewöhnlichen PflichtS. Beier im I. Exkurs ad Off. I. 2, 7, p. 314 sq., indem er sagt: Mittlere Pflicht ist das, wovon man einen vernünftigen Grund angeben kann, warum es geschehen seiI. 2, 8.. Von der vollkommenen Pflicht sagt er nur, sie sei das, was recht ist. Diese Begriffsbestimmung der gemeinen Pflicht ist für den Zweck seiner Schrift genügend, deren Gegenstand die gewöhnlichen Pflichten, Sittenvorschriften für das gewöhnliche Leben sind. Uebrigens paßt diese Bestimmung ebenso gut auf die vollkommenen Pflichten der Weisen, die sich ja überhaupt von den mittleren nur durch den höheren Grad der sittlichen Kraft, mit der sie ausgeübt werden, unterscheidenS. Einleitung II. 2.. Aber nicht zu leugnen ist, daß es höchst auffallend erscheinen muß, daß Cicero erst die Eintheilung der Pflichten vorausschickt und dann erst die Begriffsbestimmung von der Pflicht folgen läßt, und zwar erst bei der zweiten Art der Eintheilung und in einer ziemlich nachlässigen Weise. Man hat daher in neuerer Zeit die Vermuthung aufgestelltG. Fr. Unger zu Cic. de Off. I. 2, 7., daß die Begriffsbestimmung der Pflicht am Ende des zweiten Kapitels in unseren Handschriften verloren gegangen sei und etwa so gelautet habe: Omne, quod ratione actum est, officium appellamus.
5. CiceroI. 3, 9. theilt nach der Ansicht des Panätius die Pflichten in drei Theile nach der dreifachen Ueberlegung, die man bei Fassung eines Entschlusses anwendet. Diese Ueberlegung bezieht sich nämlich:
a) auf das Sittlichgute, wenn man überlegt, ob der Gegenstand der Ueberlegung sittlichgut oder sittlichschlecht sei, und wenn zwei sittlichgute Handlungen vorliegen, welche von beiden die bessere sei (Inhalt des ersten Buches);
b) auf den Nutzen, wenn man überlegt, ob der Gegenstand der Ueberlegung nützlich oder schädlich sei, und wenn zwei nützliche Handlungen vorliegen, welche von beiden die nützlichere sei (Inhalt des zweiten Buches);
c) die dritte Art der Ueberlegung findet statt, wenn das anscheinend Nützliche mit dem Sittlichguten zu streiten scheint (Inhalt des dritten Buches).
Auf diese Weise entstehen fünf Theile:
6. Wie wir oben gesehen haben, hat Cicero die Lehre von den Pflichten nach den vier Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Tapferkeit) abgehandelt. Diese Behandlungsweise leidet an dem Fehler, daß immer nur Eine Tugend berücksichtigt und diese Eine Tugend von den anderen getrennt wird, da doch nach der Meinung der Stoiker alle Tugenden so innig mit einander verbunden sind, daß alle an allen Theil nehmen und nicht eine Tugend von einer anderen getrennt werden kann. Es gibt also nur Eine Tugend, und diese besteht in der Vollkommenheit der Vernunft; aber diese Vernunft äußert ihre Kraft auf verschiedene WeiseS. meine Schrift de Cic. in phil. mer. p. 230..
7. Eine andere Abtheilung der Pflichten fand nach den drei Theilen der menschlichen Natur statt, welche die Stoiker annahmen. Diese drei Theile sind: das thierische Wesen im Menschen, die Vernunft und der GeselligkeitstriebS. d. angeführte Schrift p. 227 sq. Vgl. Cicer. Offic. I, 28, extr. und 29 princ.. Hiernach besteht jede mit den Pflichten übereinstimmende Handlung darin, daß man die Triebe der thierischen Natur der Herrschaft der Natur unterwirft, dieselben durch die Vernunft richtig leitet und die Vernunft und den Geselligkeitstrieb ausbildet und vervollkommnet. Diese Eintheilung ist der anderen vorzuziehen, da nach ihr eine sittlichgute Handlung als ein Ausfluß der ganzen und vollen Tugend und nicht eines Theiles der Tugend erscheint.
8. Die Klugheit (φρόνησις, prudentia) beruht auf der Erkenntniß der WahrheitCicer. Offic. I, 6.. Diese Tugend handelt Cicero sehr kurz ab, sei es, daß sein Vorgänger Panätius diesen Theil der Lehre von den Pflichten kurz erörtert hatte, sei es, daß Cicero meinte, derselbe liege dem praktischen Sinne seiner Landsleute, für die er schrieb, zu fern. Darin hat Cicero gefehlt, daß er diese Tugend in ein genus naturale und in ein genus honestum, d. h. in die Klugheit, die sich auf die Natur bezieht, und in die Klugheit, die sich auf die Sittlichkeit bezieht, getheilt hat. Er vermischt offenbar die Tugend der Klugheit mit den Wissenschaften. In einer Moral aber muß alles von der moralischen Erkenntniß ausgehen, nicht von einer anderen Einsicht. Nur die Klugheit, die moralische Einsicht, muß hingestellt werden; die Künste und Wissenschaften kann man nicht als Tugenden aufstellen, sondern als Fähigkeiten, welche die moralische Einsicht ausbilden muß. Doch ist es auch möglich, daß dieser Irrtum nicht zuerst von Cicero, sondern schon von Panätius begangen ist.
9. Hierauf folgen die übrigen Kardinaltugenden:
Die Gerechtigkeit (δικαιοσύνη, justitia), die auch die Wohlthätigkeit, die Billigkeit, die Dankbarkeit und die Pflichten, auf denen die Geselligkeit des Lebens beruhtCicer. Offic. I, 7–18., umfaßt;
die Tapferkeit oder Seelengröße (ανδρεία, fortitudo), die aus einem Streben nach Vorrang entstehtCicer. Off. I, 19–26.;
die Mäßigkeit und Selbstbeherrschung (σωφροσύνη, moderatio, modestia, temperentia), woraus auch das Anständige (decorum, πρέπον) bezogen wird, welches sowol in den anderen Tugenden, als auch ganz besonders in der Selbstbeherrschung hervortrittCicer. Off. I, 27–42..
10. Das Anständige (decorum) ist nach seinerCicer. Off. I, 27, 96. Bestimmung doppelt: erstens das allgemeine Anständige, das sich in der Sittlichkeit überhaupt befindet; zweitens ein diesem Untergeordnetes, das sich auf die einzelnen Theile der Sittlichkeit bezieht. Das allgemeine Anständige ist das, was der Erhabenheit des Menschen angemessen ist, inwiefern sein Wesen sich von den übrigen lebenden Geschöpfen unterscheidet. Das diesem untergeordnete Anständige ist das, was unserer Natur insofern angemessen ist, als sich darin Mäßigung und Selbstbeherrschung mit einem gewissen edlen Anstande zeigt.
11. Panätius hatte drei Fälle aufgestellt, wo die Menschen über das, was Pflicht ist, zu überlegen und mit sich zu Rathe zu gehen pflegenCicer. Off. III, 2, 7.. Der erste ist, wenn sie in Ungewißheit sind, ob das, um was es sich handelt, sittlichgut oder unsittlich sei; der zweite, ob es nützlich oder schädlich sei; der dritte, wie man bei einem Streite des anscheinend Sittlichguten mit dem anscheinend Nützlichen zu entscheiden habe. Ueber die beiden ersten Fälle hat er sich in drei Büchern erklärt; über den dritten aber, schreibt er, wolle er demnächst reden, hat jedoch sein Versprechen nicht erfüllt.
12. Diesen von Panätius weggelassenen Theil hat Cicero größten Theiles, wie es scheint, ohne fremde Beihülfe ergänzt. In der angeführten dreitheiligen Eintheilung des Panätius, meint Cicero (I. 3, 10), seien zwei Fälle übergangen. Denn nicht allein, sagt er, pflegt man zu überlegen, ob Etwas sittlichgut oder unsittlich sei, sondern auch, wenn zwei sittlichgute Handlungen vorliegen, welche von beiden die bessere sei; desgleichen wenn zwei nützliche Handlungen vorliegen, welche von beiden die nützlichere sei.
13. Allein deßhalb durfte Cicero dem Panätius keinen Vorwurf machen. Gerade die größten Sittenlehrer wollen von diesem Theile der Moralphilosophie, den man die Casuistik nennt, Nichts wissen. Sind die Grundbegriffe der Moral richtig aufgestellt, so kann man die Casuistik gänzlich entbehren; denn in dieser wird nur das nachgeholt, was bei der Aufstellung des Grundbegriffes übersehen warAristo aus Chios, ein Schüler Zeno's, scheint hierin die richtige Ansicht gehabt zu haben. S. Beier im Excurs. II. ad Cicer. Off. I. 3, 7. p. 315..
14. In der Untersuchung über das Nützliche (Inhalt des zweiten Buches) wird zuerst über das Nützliche im Allgemeinen gehandelt; dann werden die Arten des Nützlichen aufgezählt, welche zur Erhöhung des Glückes und Ansehens der Menschen beitragen (II. 6, 21) Ferner wird über die Mittel gesprochen, wodurch wir das Nützliche erreichen können. Alles, was zur Erhaltung des menschlichen Lebens beiträgt, sind theils leblose Dinge, theils lebende Wesen (II. 3, 11); von den letzteren die einen vernunftlos, die anderen vernünftig. Das Nützliche wird mit dem Nützlichen nur kurz verglichen.
15. In dem dritten Buche endlich wird über den Streit des Nutzens mit der Sittlichkeit gehandelt. Cicero sagt, Panätius habe diese Frage zwar aufgeworfen, aber nicht gelöst, obwol er dreißig Jahre nach Herausgabe seiner Schrift gelebt habe. Auch darüber wundert er sich, daß diesen Punkt Posidonius in einer Abhandlung nur kurz berührt habe, zumal da er schreibe, es sei in der ganzen Philosophie kein Punkt so nothwendig. Cicero stimmt aber keinesweges denen bei, die behaupten, Panätius habe diesen Punkt übersehen, sondern er sagt, absichtlich habe Panätius ihn übergangen, überhaupt habe er ihn gar nicht schreiben dürfen, weil der Nutzen niemals mit der Sittlichkeit streiten könne. Ueber das Letztere lasse sich zweifeln, ob dieser Fall in die Untersuchung habe hineingezogen oder ganz weggelassen werden müssen; aber das Andere unterliege keinem Zweifel, daß er von Panätius aufgenommen, aber unbeachtet gelassen worden sei (III, 2).
1. Daß Cicero in den Büchern über die Pflichten vorzüglich den Stoikern gefolgt sei, sagt er selbstI. 2, 6..
2. Seit Zeno, dem Gründer der Stoischen Schule, hatten mehrere Stoiker über die Pflichten (περὶ του̃ καθήκοντος) geschrieben: Zeno, Kleanthes, Chrysippus, Diogenes aus Babylon, Antipater aus Tarsus, Panätius, Posidonius, Hekaton, Antipater aus TyrusS. Lynden, de Panaetio p. 91, und Beier ad Off. I, 2. p. 15 sq.. Unter den Genannten hat Cicero am Meisten den Panätius aus Rhodus (um 150 v. Chr.), einen der berühmtesten Stoiker, zum Führer gewähltS. z. B. II. 17, 60. III. 2, 7 und sonst; vgl. ad Attic. XII, 11, XVI, 11.. Dieser hatte drei Bücher mit großer Sorgfalt über die Pflichten geschrieben. Cicero erwähnt gemeiniglich den Panätius da, wo er von dessen Ansicht abweicht. Es ist daher anzunehmen, daß er ihm auch an anderen Stellen gefolgt ist, wo er ihn nicht namentlich anführt, zumal da er an mehreren Stellen ausdrücklich erklärt, er habe sich vorzüglich an Panätius angeschlossen. Nicht Weniges hat Cicero auch von Diogenes aus BabylonS. Offic. III. 12, 51 und daselbst Beier p. 271., Antipater aus TarsusS. Off. III. 12, 51–53. III. 23, 91., HekatonS. Off. III. 15, 63. und daselbst Beier p. 297 sq. III. 28, 89. und daselbst Beier p. 350 sq., PosidoniusS. Off. I. 44, 159. III. 2, 8., Antipater aus TyrusS. Off. II. 24, 86. und daselbst Beier. entlehnt. Auch scheint er Manches dem Chrysippus zu verdanken, obwol er ihn nicht namentlich anführt. Wenigstens finden sich mehrere Stellen, die genau mit den Bruchstücken, die uns von den Schriften dieses Philosophen erhalten sind, übereinstimmen. Mit Bestimmtheit läßt sich freilich hierüber Nichts sagen, da die Ansichten des Chrysippus auch in die Schriften der von Cicero angeführten Stoiker übergegangen sein könnten. An manchen Stellen, besonders an solchen, welche sich auf den Staatsmann beziehen, hat er Plato's politische Schriften benutzt. Auch die Peripatetiker hat er nicht unbeachtet gelassenZ. B. Off. I. 25, 89..
3. Was das dritte Buch anlangt, in dem Cicero den von Panätius weggelassenen Punkt, die Vergleichung des Sittlichguten und des Nützlichen, erörtert; so hat er diesen Theil ohne fremde Beihülfe ergänzt, wie er selbst sagtIII. 7, 34.; denn in den Schriften, die ihm in die Hände gekommen seien, finde sich seit Panätius keine Erörterung dieses Gegenstandes, der er seinen Beifall hätte schenken können. Uebrigens hatten denselben Gegenstand Posidonius, Diogenes, Antipater, Hekaton, deren Schriften dem Cicero wohl bekannt waren, wie wir oben gesehen haben, behandelt. Er mag ihnen daher Manches, ohne sich dessen klar bewußt zu sein, zu verdanken haben, namentlich dem Posidonius, dessen Schrift er zu diesem Zwecke gelesen hatte, wie wir aus einer Aeußerung von ihm selbstad Attic. XVI. 2, 4: Eum locum Posidonius persecutus. Ego autem et ejus librum arcessivi et ad Athenodorum Calvum scripsi, ut ad me τὰ κεφάλαια mitteret: quae exspecto: quem velim cohortere et roges, ut quam primum. In eo est περὶ του̃ κατὰ περίστασιν καθήκοντος. ersehen.
4. Uebrigens verfuhr Cicero in der Benutzung seiner Quellen mit einer gewissen Freiheit und SelbständigkeitS. unsere Schrift de Ciceron. in philos. mer. p. 90 sq.. Er übersetzt sie nicht, sondern schöpft aus ihnen nach eigenem Urtheile und Gutdünken, so viel und auf welche Weise er es für gut hältOffic. I. 2, 6. II. 17, 60. III. 2, 7. Fin. I, 2 u. 3.. Die von Griechischen Philosophen entlehnten Gedanken bespricht und erörtert er auf seine eigentümliche Weise, unterwirft sie seiner Kritik, beleuchtet sie mit einer reichen Fülle auserwählter Beispiele aus der Griechischen und Römischen Geschichte, trägt sie in schöner und fließender Sprache vor; kurz, das Ganze athmet einen ächt Römischen Geist; nicht eine trockene und steife Nachbildung der Griechischen Muster sehen wir vor uns, sondern Alles trägt das Gepräge einer frischen und lebensvollen Schöpfung an sich.
5. Wenn auch die Grundgedanken über die Lehre von den Pflichten in den beiden ersten Büchern als von den Stoikern und namentlich von Panätius entlehnt zu betrachten sind; so finden sich doch auch einige Gedanken, welche Cicero entweder zuerst sorgfältig behandelt oder doch wenigstens gründlicher als sein Vorgänger beleuchtet hat. Wir rechnen hierher folgende Punkte:
6. Zuerst die Erörterung des Wesens der Sittlichkeit und des Nutzens. Er sagtOffic. II. 3, 9 sq.: »In dem Worte Nützlich hat der gewöhnliche Sprachgebrauch einen Fehler gemacht und ist vom rechten Wege abgewichen, indem derselbe allmählich dahin gekommen ist, daß er, die Sittlichkeit vom Nutzen trennend, annahm, es gebe ein Sittlichgutes, das nicht nützlich, und ein Nützliches, das nicht sittlichgut sei: ein Irrtum, der auf das Leben der Menschen den verderblichsten Einfluß äußern mußte.« Er fügt hinzu, daß die Begriffe Nutzen und Sittlichkeit ihrem Wesen nach mit einander verschmolzen seien und nur in der Begriffsscheidung von einander getrennt werden konnten. »Hieraus folgt,« sagt er, »daß Alles, was sittlichgut ist, gleichfalls nützlich ist. Leute, die hierin eine weniger klare Einsicht haben, bewundern oft verschlagene und listige Menschen und sehen Arglist als Weisheit an. Ein solcher Irrtum muß beseitigt und die allgemeine Meinung zu der Ueberzeugung und Einsicht geleitet werden, daß man nur durch sittlichgute Entschließungen und gerechte Handlungen die Erfüllung seiner Wünsche erreichen kann.«
7. Im dritten BucheIII. Kap. 2–4, bis §. 19. behandelt er die von Panätius aufgeworfene, aber nicht gelöste Frage: Wenn das scheinbar Sittlichgute mit dem scheinbar Nützlichen in Streit geräth, wie soll derselbe entschieden werden? Oft bringen es nämlich, sagt er, die Zeitumstände mit sich, daß eine Handlung, die man gemeiniglich für unsittlich hält, als nicht unsittlich befunden wird. Um nun in solchen Fällen ohne allen Fehlgriff zu entscheiden, muß man eine Vorschrift aufstellen, deren Befolgung uns bei der Vergleichung der Dinge vor jeder Abweichung von der Pflicht bewahrt. Es muß nämlich der Grundsatz gelten: der Nutzen des Einzelnen und der der ganzen Menschheit soll ein und dasselbe seinIII. Kap. 6.. Der Nutzen Aller ist etwas Allen Gemeinsames. Bei allen Handlungen muß der allgemeine Nutzen berücksichtigt werden, und nur insoweit dürfen unsere Vortheile gefordert werden, wenn zugleich der allgemeine Nutzen gefordert wird. So beziehen sich alle Kardinaltugenden zugleich auf den allgemeinen Nutzen. PanätiusIII. 7. 34. sagte aber nicht, das Nützliche könne mit dem Sittlichguten zuweilen in Streit gerathen, sondern nur das scheinbar Nützliche; Nichts sei aber nützlich, was nicht zugleich sittlichgut sei, und Nichts sei sittlichgut, was nicht zugleich nützlich sei. Nicht also, als ob wir zuweilen das Nützliche dem Sittlichguten vorziehen sollten, sondern damit wir in dem Falle, daß ein Widerstreit des Einen gegen das Andere vorkommen sollte, ohne Fehlgriff entscheiden könnten, nahm er den scheinbaren, aber nicht wirklichen Widerstreit an.
8. In dieser Untersuchung des Nützlichen und Sittlichguten, hat man behauptetTennemann, Geschichte der Philosoph. Theil. V. S. 120 f., sei Cicero seinen Ansichten nicht treu geblieben. Einerseits habe er gelehrt, das Sittlichgute sei an und für sich, nach seinem eigenen Wesen zu erstreben, andererseits, das Sittlichgute sei mit dem Nützlichen unzertrennlich verbunden; hieraus scheine zu folgen, jenes könne ohne dieses auf keine Weise erstrebt werden, da er auf der einen Seite lehre, die Tugend sei an und für sich, ohne alle Hoffnung auf äußeren Lohn, zu erstreben, und doch auf der anderen Seite behaupte, das Grundgesetz der menschlichen Natur bestehe darin, daß wir unsere Handlungen nach unserem Vortheile einrichten müßten, und daß die Menschen die Grundgesetze der Natur umstießen, wenn sie den Nutzen von der Sittlichkeit trenntenOffic. III. 28, 101..
9. Dieser Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarerS. Stäudlin, Gesch. der Moral S. 406.. Richtig lehrt Cicero, das Sittlichgute dürfe nicht nach dem daraus erfolgenden Vortheile bestimmt werden. Denn Nichts ist schon deßhalb sittlichgut, weil es nützlich ist; das Sittlichgute ist also an und für sich zu erstreben. Das Sittlichgute aber, lehrt Cicero, hängt von Natur so mit dem Nutzen zusammen, daß sich Beides nicht von einander trennen läßt, und in uns liegt ein unauslöschliches Verlangen nach dem NützlichenVgl. Beier ad Offic. III, 8, p. 240 sq. III. 28. p. 374.. Cicero sagt nicht, daß wir das Sittlichgute nur des Vortheils wegen erstreben könnten, sondern nur, daß wir auch den Nutzen erstreben müßten. Ferner versteht er unter dem Nützlichen nicht etwa bloß die äußeren Vortheile oder sinnlichen Vergnügungen, sondern auch die innere Glückseligkeit, αταραξίαν, ein gutes Gewissen (ευδαιμονίαν d. i. εύροιαν βίου)S. Beier ad Offic. III. 8. p. 241. und in der epicrisis p. 183. Vgl. Off. III. 21.. Cicero selbst sagtOffic. III. 28. 101.: »Weil wir das Nützliche nirgends als in dem Lobenswerthen, Anständigen, Sittlichguten finden können, deshalb halten wir dieses für das Erste und Höchste, während wir unter dem Worte Nutzen nicht sowol das Erhabene als das zu einem Zwecke Erforderliche begreifen,« und er rechnet daher die Tugend zu dem Nützlichen. Denn die Stoiker umfaßten diese Eigenschaften in der Tugend. Der Nutzen darf erstrebt werden, aber die Sittlichkeit muß die Richtschnur sein, nach der wir den Nutzen bestimmen, und zwar so, daß wir nicht nach persönlichem Vortheile, sondern nach dem allgemeinen Nutzen strebenOffic. III. 21, 83.. Was der allgemeine Nutzen sei, hat er nicht deutlich auseinandergesetzt.; überhaupt hat er in dieser Untersuchung seine Absicht nicht mit der gehörigen Sorgfalt erörtert.
10. Die von Panätius übergangene Untersuchung über die Frage: Wenn zwei sittlichgute Handlungen vorliegen, welche von beiden verdient den Vorzug? hat Cicero ergänzt und kurz und nicht sehr genau, wie man darüber nach den vier Kardinaltugenden entscheiden müsse, gesprochenOffic. I. 43.. Er zeigt, daß ein thätiges, der Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft gewidmetes Leben der Erkenntniß und dem Wissen vorzuziehen, die Verbindung aber von Beidem das Beste sei. Da Alles, was sittlichgut ist, aus vier Quellen entspringt, aus der Erkenntniß, aus dem Gemeinsinne, aus der Hochherzigkeit und aus der Mäßigung; so muß man diese oft bei der Wahl der Pflicht unter einander vergleichen. Die Pflichten der Gerechtigkeit, welche die Menschenliebe zum Zwecke haben, müssen den Pflichten der Wissenschaft vorgezogen werdenOffic. I. 43, 155. 44..
11. Diese Behauptung läßt sich durch folgenden Beweis bestätigenOffic. I. 43, 153.: Gesetzt, einem weisen Mann würde ein solches Leben zu Theil, daß er bei dem Ueberflusse aller Lebensbedürfnisse alles Wissenswürdige in der größten Muße bei sich selbst betrachten und beschauen könnte: so würde er dennoch, wenn er dabei in einer Einsamkeit leben müßte, wo er keine Menschen sehen könnte, lieber aus dem Leben scheiden. Ferner ist das Haupt aller Tugenden die Weisheit (σοφία) d. h. die Wissenschaft der göttlichen und menschlichen Dinge; auf dieser beruht die Gemeinschaft der Götter und der Menschen und ihre gegenseitige Verbindung. Diese Weisheit also, sagt er, ist bei Weitem der bloßen Erkenntniß, dem Wissen, der Klugheit (φρόνησις) vorzuziehen. Denn die Erkenntniß und Betrachtung der Natur würde etwas Mangelhaftes und Unvollendetes sein, wenn sie von keiner Handlung begleitet würde. Diese Handlung thut sich aber vornehmlich in der Förderung und Erhaltung der Vortheile unserer Nebenmenschen kund. Ihr Zweck ist demnach die menschliche Gesellschaft. Also ist sie der Erkenntniß vorzuziehen. Und dieß beweisen die edelsten Menschen durch die That und ihr Urtheil. Denn wer möchte in der Erforschung und Untersuchung der Natur so leidenschaftlich sein, daß, wenn ihm während der Behandlung und Betrachtung der wissenswürdigsten Gegenstände plötzlich die Nachricht zukäme, sein Vaterland schwebe in der äußersten Gefahr; und es in seiner Macht stände demselben zu helfen und beizustehen, er nicht Alles verlassen und von sich werfen sollte, selbst wenn er die Sterne zählen oder die Größe der Welt messen zu können vermeinteOffic. I. 43, 153–154.? Ja auch Männer, die alle ihre Bestrebungen und ihr ganzes Leben der Erforschung der Dinge widmen, entziehen sich darum doch nicht der Pflicht den Nutzen und Vortheil ihrer Nebenmenschen zu fördern. Denn durch ihren Unterricht machen sie viele Menschen zu besseren und dem Staatswesen nützlicheren BürgernOffic. I, 44, 155.. Endlich wenden die Menschen, als von Natur gesellige Wesen, Geschicklichkeit im Handeln und Denken anOffic. I. 44, 157.. Auch der Muth oder die Tapferkeit ohne den Sinn für Gemeinschaft und Vereinigung der Menschen thut sich als Wildheit und Rohheit kund. Also steht der Gesellschafts- und Gemeinsinn der Menschen höher als das Streben nach Erkenntniß.
12. Aber der Mäßigung und Sittsamkeit ist der Geselligkeitstrieb, welcher der Natur ganz besonders entspricht, nicht vorzuziehen. Denn es gibt gewisse Handlungen, die theils so abscheulich, theils so schmachvoll sind, daß sie der Weise selbst zur Erhaltung des Vaterlands nicht begehen würdeOffic. I. 45, 159..
Nach dieser Erläuterung, glaubt Cicero, werde es bei der Prüfung der Pflichten keine Schwierigkeit machen einzusehen, welcher Pflicht jedesmal vor den anderen der Vorzug gebühre. Indeß gibt es in der geselligen Verbindung selbst Abstufungen der Pflichten, nach denen man beurtheilen kann, welche Pflicht jedesmal den Vorzug habe. Die ersten gebühren den unsterblichen Göttern, die zweiten dem Vaterlande, die dritten den Aeltern und so stufenweise weiter den UebrigenOffic. I. 45, 160,.