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XXXI. 111. Uebrigens verdient an dieser ganzen lobenswürdigen That des Regulus nur das Eine Vewunderung, daß er zur Zurückbehaltung der Gefangenen rieth. Denn seine Rückkehr erscheint uns jetzt bewunderungswürdig, in damaliger Zeit konnte er nicht anders handeln. So gebührt dieser Ruhm nicht dem Manne, sondern dem Zeitalter. Denn unsere Altvordern hielten dafür, daß es kein festeres Band gebe, wodurch die Menschen zur Erfüllung einer Zusage verpflichtet würden, als den Eid. Das zeigen die Gesetze der zwölf Tafeln an, das die geheiligten GesetzeLeges sacratae werden die Gesetze genannt, durch welche derjenige, der sie übertrat, für sacer einer Gottheit geweiht, d. h. zum Tode verurtheilt wurde., das die Bündnisse, in denen auch das dem Feinde gemachte Versprechen bindende Kraft hat, das die Untersuchungen und Ahndungen der Censoren, die über keinen Gegenstand strenger richten als über die Verletzung des Eides.
112. Den Lucius ManliusLucius Manlius Imperiosus war im J. 363 v. Chr. Dictator; die hier erwähnte Anklage fällt in das folgende Jahr. Ueber die hier kurz erwähnte Sache spricht sich ausführlich Livius VII. 3 ff. aus., des Aulus Sohn, versetzte nach dessen Dictatur der Volkstribun Pomponius in Anklagestand, weil er um einige Tage seine Dictatur verlängert habe. Auch schuldigte er ihn an, daß er seinen Sohn Titus, der später den Beinamen Torquatus erhielt, aus der menschlichen Gesellschaft verwiesen und auf dem Lande habe wohnen lassen. Als sein Sohn, ein junger Mann, hörte, daß sein Vater in diesen verdrießlichen Handel verwickelt sei, eilte er nach Rom, sagt man, und kam mit Tagesanbruch in das Haus des Pomponius. Diesem wurde es gemeldet, und in der Meinung, der Sohn sei über den Vater aufgebracht und wolle ihm nachtheilige Mittheilungen über seinen Vater machen, erhob er sich aus seinem Bette und nach Entfernung seiner Leute läßt er ihn vor sich kommen. Allein kaum war dieser eingetreten, als er unverzüglich sein Schwert zog und schwur, er werde ihn auf der Stelle tödten, wenn er ihm nicht die eidliche Versicherung gäbe, daß er die Anklage seines Vaters aufgeben werde. Vom Schrecken übermannt, leistete Pomponius den Eid, trug darauf die Sache dem Volke vor, zeigte, warum er von der Anklage abstehen müsse, und ließ den Manlius frei. So viel galt in den damaligen Zeiten der Eid.
Dieser Manlius ist derselbeUeber den Zweikampf des Manlius mit dem Gallier am Anio, einem Nebenflusse der Tiber, im J. 361 v. Chr. s. Liv. VII. 9, 10., der am Anio einen Gallier, der ihn zum Zweikampfe herausgefordert hatte, tödtete, ihm sein Halsband abzog und daher seinen Beinamen erhielt; derselbe, der in seinem dritten Consulate die Latiner am VeserisDer Veseris ist ein Fluß in Campanien in der Nähe des Vesuvs. Die hier erwähnte Schlacht fällt in das J. 340 v. Chr. Unmittelbar vor dieser Schlacht ließ er seinen Sohn hinrichten, weil er gegen sein Verbot sich in einen Zweikampf, den er glücklich bestand, eingelassen hatte. S. Livius VIII. 7 ff. völlig schlug: ein vorzüglich großer Mann, der sich ebenso unerbittlich streng gegen seinen Sohn bewies, als er nachsichtsvoll gegen seinen Vater gewesen war.
XXXII. 113. Allein sowie Regulus wegen Erfüllung seines Eidschwures Lob verdient, so sind hingegen jene Zehen tadelnswerth, welche Hannibal nach der Schlacht bei CannäS. I. 13, 40, wo dieselbe Geschichte erzählt wird. an unseren Senat schickte, nachdem sie ihm die eidliche Versicherung gegeben hatten, wenn sie die Auslösung der Gefangenen nicht erwirkten, in das von den Puniern eroberte Lager zurückzukehren – tadelnswerth, sag' ich, wenn sie nicht zurückkehrten. Doch hierüber berichten nicht alle Geschichtschreiber das Nämliche. PolybiusPolybius, aus Megalopolis in Arkadien (geb. 204 v. Chr., gest. 122), wurde 166 mit anderen Häuptern des Achäischen Bundes zur Verantwortung nach Rom gefordert, wo er ein Freund des jüngeren Africanus wurde. Er schrieb ein großes Geschichtswerk, von dem aber nur die fünf ersten Bücher vollständig erhalten sind. Die hier genannte Stelle findet sich VI. 56. nämlich, ein vorzüglich guter Gewährsmann, erzählt, von den zehen Abgesandten, welche den vornehmsten Familien angehörten, seien neun zurückgekehrt, da der Senat ihr Gesuch nicht bewilligt hatte; Einer aber von den Zehen, der bald nach seiner Abreise vom Lager zurückgekehrt sei, als ob er Etwas vergessen habe, sei in Rom zurückgeblieben. Er legte nämlich die Sache so aus, als ob er durch seine Rückkehr in das Lager seines Eides entbunden sei. Aber nicht richtig; denn ein Betrug zerreißt die Verpflichtung des EidesIm Texte steht: fraus enim distringit, non dissolvit perjurium. Schon Ernesti hielt das Wort perjurium für unächt; Andere wollen mit Gellius 7, 18 für perjurium dejurium lesen, was soviel als jus jurandum ist., nicht aber löst er sie. Also war es eine thörichte Schlauheit, welche sich das Ansehen von Klugheit gab. Daher beschloß der Senat, daß dieser abgefeimte und listige Betrüger gebunden zum Hannibal zurückgebracht würde.
114. Doch das Wichtigste hierbei war Folgendes. Achttausend Mann hatte Hannibal in seiner Gewalt, welche nicht in der Schlacht gefangen genommen worden oder aus Furcht vor dem Tode auseinander gelaufen, sondern welche von den Consuln Paullus und VarroLucius Aemilius Paullus und Gajus Terentius Varro lieferten im J. 216 v. Chr. bei Cannä in Apulien die Schlacht gegen Hannibal, in der die Römer trotz ihrer Uebermacht eine schmähliche Niederlage erlitten. Mehr als 40,000 Römer, unter ihnen auch der Consul Aemilius Paullus, 21 Consularen, 80 Senatoren, wurden getödtet, 10,000 gefangen genommen. im Lager zurückgelassen worden waren. Der Senat beschloß diese nicht loszukaufen, obwol es mit einer kleinen GeldsummeNach Polyb. 6, 56, drei Minen für den Kopf, d. i. etwa 66 Thaler. hätte geschehen können, um unseren Kriegern einzuprägen, daß sie entweder siegen oder sterben müßten. Durch die Nachricht hiervon wurde, wie derselbe Geschichtschreiber erzählt, der Muth Hannibal's gebrochen, weil der Senat und das Römische Volk in einer so bedrängten Lage eine so große Erhabenheit des Geistes an den Tag gelegt hatte. Hieraus sieht man, wie das anscheinend Nützliche im Vergleiche mit der Sittlichkeit dieser nachstehen muß.
115. AciliusGajus Acilius, Römischer Senator, Zeitgenosse des Cato Censorius (um 150 v. Chr.), schrieb eine Römische Geschichte in Griechischer Sprache, welche Claudius Quadrigarius nach Livius 25, 39. 35, 14. ins Lateinische übersetzte. Vergl. Beier zu dieser Stelle. Beide Werke sind verloren gegangen. hingegen, der unsere Geschichte in Griechischer Sprache geschrieben hat, berichtet, es seien Mehrere in derselben betrügerischen Absicht in das Lager zurückgekehrt, um sich ihres Eides zu entbinden; sie seien aber von den Censoren mit jeder Art von Schimpf gebrandmarkt worden.
Doch ich will jetzt diese Untersuchung schließen. Denn es ist einleuchtend, daß Handlungen der Furchtsamkeit, der Verzagtheit, des Kleinmuthes und der Muthlosigkeit, wie auch die des Regulus gewesen wäre, wenn er entweder hinsichtlich der Gefangenen das, was ihm für seine Person, nicht aber für den Staat, vortheilhaft geschienen hätte, gerathen oder zu Hause hätte bleiben wollen, nicht nützlich sind, weil sie schändlich, häßlich und unsittlich sind.
XXXIII. 116. Es ist nun noch der vierte Theil des Sittlichguten übrig, der den Anstand, die Mäßigung, die MaßhaltungDas Wort modestia ist hier in dem Sinne genommen wie I. 40, 142. , die Enthaltsamkeit und die Selbstbeherrschung umfaßt.
Kann nun wol irgend Etwas nützlich sein, was diesem Chore so herrlicher Tugenden entgegen ist? Und doch haben die Anhänger des AristippusUeber Aristippus s. zu I. 41, 148. Anm. 286., die Cyrenaiker, und die AnnicerierAnniceris war ein Schüler des Hegesias, und Hegesias ein Schüler des Aristippus. Anniceris erklärte das sinnliche Vergnügen zwar auch für das höchste Gut, verschmähte aber nicht die sittliche Würde., die nur dem Namen nach Philosophen sind, die ganze Glückseligkeit in das sinnliche Vergnügen gesetzt und die Tugend nur insofern für lobenswürdig erklärt, als sie ein Hülfsmittel zu diesem Vergnügen sei. Nachdem diese veraltert sind, da steht EpikurusEpikurus aus Gargettus, einem Attischen Demos, geb. 337 v. Chr. und gest. 270, war der Gründer der Epikureischen Schule, welche das Vergnügen für das höchste Gut und den Schmerz für das höchste Uebel erklärte. in vollem Ansehen, der Vertheidiger und Lehrer fast derselben Grundsätze. Gegen diese Leute muß man mit Roß und Mann kämpfen, wie man zu sagen pflegt, wenn man entschlossen ist die Sittlichkeit zu wahren und zu behaupten. 117. Wenn nämlich, wie wir bei MetrodorusMetrodorus aus Athen war der berühmteste Schüler des Epikurus. lesen, nicht nur der äußere Nutzen, sondern die ganze Glückseligkeit des Lebens in einer kräftigen Verfassung unseres Körpers und in der gegründeten Hoffnung auf deren Fortdauer besteht; so muß sicherlich dieser Nutzen, und zwar der höchste, wie sie meinen, gegen die Sittlichkeit streiten.
Denn wo sollte da erstlich der Klugheit eine Stelle eingeräumt werden? Etwa die, daß sie überall die Sinnengenüsse zusammensucht? Welch eine elende Knechtschaft der Tugend, welche der Sinnlichkeit dient. Und welches Geschäft soll die Klugheit haben? Etwa das die sinnlichen Vergnügen mit Einsicht auszuwählen? Gesetzt, es gäbe nichts Angenehmeres als dieses Geschäft; kann man sich wol etwas Unsittlicheres denken?
Ferner wer den Schmerz für das höchste Uebel erklären kann, welche Stelle nimmt bei ihm die Tapferkeit ein, welche in der Verachtung der Schmerzen und Mühseligkeiten besteht? Denn mag auch Epikurus an noch so vielen Stellen recht männlich über den Schmerz reden, wie er es auch wirklich thut; so muß man hierbei jedoch nicht daraus sehen, was er sagt, sondern was er folgerichtig sagen müßte, er, der die Güter nach dem sinnlichen Vergnügen, die Uebel nach dem Schmerze bestimmt. Zum Beispiel wenn ich ihn über die Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung reden höre, so sagt er darüber allerdings Mancherlei an manchen Stellen; allein das Wasser stocktsed aqua haeret, ut ajunt., wie man sagt. Denn wie kann der die Selbstbeherrschung loben, der das höchste Gut in das sinnliche Vergnügen setzt? Die Selbstbeherrschung ist ja die Feindin der Lüste, die Lüste aber die eifrigsten Freundinnen der Sinnenlust.
118. Indeß wissen sie sich doch in diesen drei Tugenden, so gut sie es vermögen, nicht ungeschickt zu drehen und zu wenden. Die Klugheit führen sie ein als die Wissenschaft, welche die Sinnengenüsse verschafft und die Schmerzen entfernt. Auch mit der Tapferkeit werden sie einigermaßen fertig, indem sie lehren, sie sei ein Mittel den Tod zu verachten und den Schmerz zu ertragen. Selbst die Selbstbeherrschung führen sie ein, freilich nicht auf die leichteste Weise, doch so gut es nun auch gehen mag. Sie behaupten nämlich, die Größe des Vergnügens werde durch die Entfernung des Schmerzes bestimmtDiog. Laert. 10, 139: ‘Όρος του̃ μεγέθους τω̃ν ηδονω̃ν η παντὸς του̃ αλγου̃ντος υπεξαίρεσις. Cicer. Fin. II. 3, 10: quom omnis dolor detractus esset, variari, non augeri voluptatem. Mit der Entfernung des Schmerzes hat das Vergnügen seine Gränze (όρος) erreicht; alsdann kann es zwar sich auf mannigfaltige Weise zeigen (variari), aber nicht zunehmen.. Die Gerechtigkeit aber steht bei ihnen auf schwachen Füßen, oder vielmehr sie liegt schon zu Boden, sowie alle diejenigen Tugenden, welche in der Gemeinschaft und Gesellschaft des Menschengeschlechtes hervortreten. Denn die Güte, die Freigebigkeit, die Freundlichkeit können nicht bestehen, ebenso wenig wie die Freundschaft, wenn dieselben nicht an und für sich Gegenstand unseres Strebens sind, sondern auf das sinnliche Vergnügen und den äußeren Vortheil bezogen werden.
Ich will nun die Sache kurz zusammenfassen. 119. Sowie ich nämlich gelehrt habe, daß es keinen Nutzen gebe, welcher der Sittlichkeit entgegen sei; so behaupte ich, daß alles sinnliche Vergnügen der Sittlichkeit entgegen sei. Um so nachdrücklicheren Tadel verdienen meines Erachtens Kalliphon und DinomachusUeber diese beiden Philosophen ist außer dem erwähnten Satze wenig bekannt. Vgl. Cicer. Tusc. V. 30, 85., welche meinten den Streit zu schlichten, wenn sie mit der Sittlichkeit das sinnliche Vergnügen, gleichsam mit dem Menschen das Vieh, verbänden. Die Sittlichkeit läßt diese Verbindung nicht zu, sie verschmäht sie, sie weist sie zurück. Das höchste Gut und das höchste Uebel müssen etwas Einfaches sein und lassen sich daher nicht aus ungleichartigen Dingen mischen und zusammensetzen. Doch hiervon – denn der Gegenstand ist wichtig – habe ich an einer anderen Stelle ausführlicher gesprochen. Jetzt wieder zur Sache.
120. Wie nun in den Fällen, wo der Scheinnutzen gegen die Sittlichkeit streitet, die Sache zu entscheiden sei, ist oben zur Genüge erörtert worden. Will man aber auch sagen, das sinnliche Vergnügen enthalte einen Scheinnutzen; so kann es doch unmöglich mit der Sittlichkeit in irgend einer Verbindung stehen. Denn wenn wir auch dem sinnlichen Vergnügen einigen Werth einräumen wollen, so mag es vielleicht einige Würze für das Leben haben; wahren Nutzen hat es sicherlich nicht.
121. Du empfängst hier, mein lieber Sohn Marcus, aus der Hand deines Vaters ein Geschenk, das meines Erachtens groß ist; doch sein Werth hängt davon ab, wie du es aufnimmst. Freilich können diese drei Bücher keine anderen Ansprüche machen, als daß sie von dir als fremde Gäste unter die Kratipp'schen Hefte aufgenommen werden; indeß sowie du zuweilen auch mir ein aufmerksames Ohr leihen würdest, wenn ich persönlich nach Athen käme; – und es wäre geschehen, wenn mich das Vaterland nicht mitten auf dem Wege mit klarer Stimme zurückgerufen hätteCicero hatte aus Besorgniß von seinen Feinden ermordet zu werden die Reise zu seinem Sohne angetreten, wurde aber durch widrige Winde von Sicilien nach Rhegium zurückgeschlagen. Hier erhielt er günstige Nachrichten über die politischen Zustände in Rom und beschloß daher seine Reise aufzugeben und nach Rom zurückzukehren. – ebenso wirst du auch diesen Büchern, in denen meine Worte zu dir gelangen, so viel Zeit, als du kannst, widmen; und du kannst es, so viel du willst. Sehe ich aber, daß du an diesem Zweige der Wissenschaft Geschmack findest, so werde ich mich mit dir nächstens, wie ich hoffeDiese Hoffnung wurde nicht erfüllt; er wurde am 7. December des Jahres 43 v. Chr. in seinem vierundsechzigsten Lebensjahre von den Trabanten des Antonius ermordet., mündlich und in deiner Abwesenheit schriftlich unterhalten.
Lebe denn wohl, mein Cicero, und sei überzeugt, daß du mir sehr theuer bist und ungleich theuerer sein wirst, wenn du an solchen Schriften und Lehren Freude findest.