Ernst Constantin
Das warme Polarland
Ernst Constantin

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VI. Kapitel.

Der Polarwinter

Beide machten sich wieder an die Arbeit; Eduard schlug mit seinem Säbel auf die Eisstücke mit wahrer Berserkerwut ein und träumte dabei, er habe die Eisschranke vor sich, welche ihn von dem warmen Polarlande trennte. Wonström erfaßte die zerschlagenen Eisstücke mit seinen in dicken Pelzhandschuhen steckenden Händen und fügte sie aufeinander. So ging der Tag dahin. Am anderen Tage abends war der äußere Bau vollendet. Aus dem Dache ragte eine regelrechte Esse, für die Fenster waren Löcher gelassen worden und die Thüre sollte in einen gewölbten Gang verlaufen, der noch zu bauen war.

Wie Wonström voraus gesagt hatte, konnte noch am Abend Richtschmaus gehalten werden. Er bestand in Schiffszwieback und einem Glase dampfenden Grogs.

Am anderen Tage kam die Einrichtung dran.

Die noch ganzen Kajütenfenster wurden ausgehoben und in die Löcher des Eishauses gefügt, sodann ein zehn Meter langer Gang an die Thüröffnung gebaut, durch den man in gebückter Stellung in das Eishaus gelangte. Das Innere wurde mit dicken wollenen Decken ringsum ausgekleidet und der eingestürzte eiserne Kajütenofen, der glücklicherweise nicht zerbrochen war, hinein gesetzt. Am Abend war man so weit, daß man Feuer machen und probieren konnte, wie sich das Eishaus bewähren würde und siehe da, es war ausgezeichnet hergestellt.

Bald war eine behagliche Wärme in dem kleinen Raume.

Die wollenen Decken, welche bekanntlich schlechte Wärmeleiter sind, ließen die Wärme nicht bis auf das Eis dringen, so das dieses nicht schmelzen konnte.

»So,« sagte Wonström und legte ein neues Scheit in den Ofen, »jetzt kann der Winter kommen, wir sind gerüstet; je mehr er draußen wütet, desto mehr werden wir heizen und wenn wir den ganzen Isbjörn verfeuern müssen.«

Nämlich als Heizmaterial sollten die zertrümmerten Planken des Isbjörn dienen, da der geringe Kohlenvorrat doch bald verbrannt sein würde.

Der Isbjörn war, wie fast alle Walfischfahrer, ein Segelschiff, infolgedessen der kleine Kohlenvorrat nur für die Heizung der Wohnräume des Schiffes dienen sollte. Ein großer Teil war schon auf hoher See verbraucht worden und so kam es, daß die Kohlen rar waren.

Nachden das Wohnhaus fertig war, wurde beschlossen, eine Art Schuppen oder Vorratskammer daneben anzubauen, worin sie die täglichen Bedürfnisse, also Proviant, Speck, Feuerungsmaterial, Munition, u.s.w aufbewahren wollten.

Man schrieb bereits den 6. November; somit hatte der finstere arktische Winter begonnen.

Es war die höchste Zeit, daß das Eishaus fertig wurde, denn das Thermometer fiel bis auf -32° R.

Am Nordpol gibt es im Jahre nur einen Tag und eine Nacht, allerdings lange Tage und Nächte; denn der Tag beginnt am 21. März und endet am 21. September. Der Tag ist am Nordpol gleichbedeutend mit dem Sommer, und die Nacht, welche am 21. September beginnt und am 21. März aufhört, ist der Winter.

Unter der langen Winternacht am Nordpol muß man sich nicht eine dauernde Finsternis vorstellen; im Gegenteil. Stockfinster ist es dort fast nie; denn es scheint, als ob in der Polargegend die Sterne heller leuchten als bei uns, wozu der weiße Schein des Schnee's viel mit beitragen mag. Der reinste Mondenschein verwandelt zu Zeiten die Nacht zum Tage und die sich häufig einstellenden Polarlichter erhellen ebenfalls die Landschaft mit ihrem Glanz. Die schrägen Strahlen der verschwindenden Sonne verursachen bis tief in den November hinein eine allerdings immer mehr zunehmende Dämmerung, die im Dezember und Jannuar ganz verschwindet. Anfang Februar aber beginnt diese Dämmerung wieder, welche die sich wieder nähernde Sonne mitbringt.

Am Südpol ist es gerade umgekehrt. Dort ist vom 21. September bis 21. März Sommer und vom 21. März bis 21. September Winter.

Der Kapitän des Isbjörn hatte eine kleine Bibliothek mit an Bord, was unseren Eingefrorenen sehr gelegen kam. Wenn draußen der Sturm heulte und das Eis krachte und knisterte, dann saßen Wonström und Eduard in dem gut erwärmten und wohl eingerichteten Eishause bei ihrer Thranlampe und lasen. Bei ruhigen Wetter machten sie täglich kurze Spaziergänge auf dem Eise und als es im Februar und März immer heller wurde, nahmen sie die Gewehre und übten sich im Schießen.

Schon längst hatte Eduard gewünscht, mit Eisbären und Seehunden zusammen zu kommen. Bis jetzt hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, einen oder den anderen zu schießen; denn im Winter so weit ab vom Lande zeigen sie sich nicht. Vögel hatte er schon verschiedene geschossen, denn diese waren nicht selten und umkreisten öfters ihren Wohnort.

Den Winter durch waren sie verschieden hin- und her getrieben worden, was Wonström von Zeit zu Zeit durch astronomische Messungen bestimmt hatte.

Eduard, dem dies etwas neues war, hatte es Wonström bald abgelernt und bald verstand er mit dem Sextanten und dem künstlichen Horizont wie der beste Seemann zu arbeiten.

Die Zeit verging, die Sonne kehrte wieder, ohne daß etws besonders Erwähnenwertes vorgekommen wäre; so kam der 5. Juli heran. Dies war wieder ein Schreckenstag, denn das Eis brach.

Es waren ähnliche bange Stunden, wie die, welche sie im vorigen Jahre von ihren Gefährten trennte. Doch wurden sie wieder glücklich von diesen Schrecknissen gerettet. Sie trieben auf einer Eisscholle, die einige Meilen Flächeninhalt hatte, dem Norden zu.

Am 12. Juli erblickten sie fern am Horizont Land; es war die kleine Insel Lücke, zu Franz Josephsland gehörig.

Wonström war nicht sehr erbaut davon und sagte: »Gerade wie ich es vorausgesagt habe, wir sind nach Franz Josephsland getrieben und können nicht wieder fort, was wollte ich nicht darum geben, wenn das ferne Land dort Cap Petermann auf Nowaja Semlja wäre.

Ja Eduard, dort,« und dabei wies er auf das vor ihnen liegende Land, »können wir auch den ganzen Sommer hindurch Eishäuser bauen.«

Eduard hatte ganz andere Gedanken als Wonström. Sein Herz jubelte bei dem Anblick des nördlichsten bekannten Landes.

Nur wenige lebende Menschen konnten sich rühmen, es gesehen oder betreten zu haben und wenn er jemals wieder nach Hause kommen würde, so glaubte er ein Recht dazu zu haben, sich über seine Mitmenschen erhaben zu dünken. Denn der Gedanke an das warme Polarland ließ ihm keinen Augenblick Ruhe, er sehnte sich mit allen seinen Fibern danch und war entschlossen, es, wenn nötig, mit Aufopferung seines Lebens zu erreichen.

Je weiter sie nach Norden getrieben wurden, je näher mußten sie diesem Zauberlande kommen, also beherrschte nur Freude das Herz unseres Eduard's beim Anblick des Kaiser Franz Josephlandes.


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