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Das Haus hatte sich noch nicht vertagt, als Kapitän Poke und ich mit einem Besuch von unserm Kollegen Herrn Geradaus beehrt wurden, der wegen einer Sache von der größten Wichtigkeit kam. Er hatte eine kleine Flugschrift in der Hand, und kaum waren die gewöhnlichen Begrüssungen vorüber, so lenkte er unsre Aufmerksamkeit auf einen Theil ihres Inhalts. Es schien, Springniedrig stand am Vorabend einer großen moralischen Verfinsterung; die Perioden und Daten des Phänomens (wenn man so das nennen kann, was zu häufig geschieht) waren von der Springhocher Akademie mit erstaunlicher Genauigkeit berechnet und als eine besondre Begünstigung durch seinen Gesandten unserm geliebten Lande zugesandt worden, damit wir nicht überrascht würden. Die Nachricht von der Sache lautete, wie folgt:
»Am dritten des Rußmonds wird der Anfang einer großen moralischen Verfinstrung in jenem Theil des Monikinlands eintreten, der unmittelbar unter dem Pol liegt. Der verfinsterte Körper ist das große Moral-Postulat, gewöhnlich Grundsatz genannt; und verdunkelt wird er durch das große unmoralische Postulat, das gewöhnlich Interesse heißt. Das häufige Zusammentreffen dieser zwei wichtigen Postulate hat bewirkt, daß in letztern Jahren unsre moralischen Mathematiker etwas nachlässig in ihren Berechnungen darüber waren; aber um diese unentschuldbare Gleichgültigkeit gegen einen der wichtigsten Umstände im Leben wieder gut zu machen, hat die calculirende Committee Auftrag erhalten, ungewöhnliche Aufmerksamkeit auf alle Verdunkelungen dieses Jahrs zu richten, und so ist denn dieses Phänomen, eins der entscheidendsten unsrer Zeit, mit der äußersten Genauigkeit und Sorgfalt berechnet worden. Wir geben die Resultate:
»Die Finsterniß wird beginnen mit Monikin-Eitelkeit, die in Contakt kommt mit Wohlthätigkeit um 1 Uhr frühe. Die Wohlthätigkeit wird ganz bedeckt werden 6 Stunden 17 Minuten lang vom Anfang des Zusammentreffens an. Der Durchgang einer politischen Intrigue wird alsbald folgen, wo dann Wahrheit, Ehrlichkeit, Uneigennützigkeit und Patriotismus alle der Reihe nach werden verfinstert werden, 3 St. 4 M. nachher. Der Schatten der Eitelkeit und politischen Intrigue wird erst noch dunkler werden durch die Annäherung des Glücks, und dem wird bald ein großes pekuniäres Interesse folgen, um 10 Uhr 2 M. 1 S. und in genau 2 St. und 3–7 S. wird das ganze Princip vollständig dem Auge entzogen sein. In Folge dieses frühen Durchgangs des dunkelsten Schattens, der je vom Interesse geworfen worden, werden die übrigen Schatten des Ehrgeizes, Hasses, der Eifersucht und aller andern kleinern Trabanten des Interesses unsichtbar sein.
»Das von dieser Finsterniß besonders betroffene Land ist die Republik Springniedrig, deren bekannte Verständigkeit und sonstige Tugenden vielleicht besser ihrem Einfluß widerstehen können, als sonst ein Land. Die Zeit der Verfinstrung wird sein 9 Jahre, 7 Monate, 26 Tage, 4 Stunden, 16 Minuten, 2 Secunden. Der Grundsatz wird dann dem moralischen Auge wieder erscheinen, erst durch die Annäherung des Unglücks, dessen Atmosphäre, weniger dicht, als die des Interesses, ein unvollkommenes Anschauen des verdunkelten Körpers gestatten wird; aber er wird nicht zu seinem vollkommnen Glanze hergestellt werden, bevor nicht das Elend eingetreten, dessen reinigende Farben alle Wahrheiten sichtbar machen, wiewohl durch ein düsteres Medium.«
Ich starrte den Brigadier voll Verwundrung und Staunen an. Es war nichts Merkwürdiges in der Verfinstrung, selbst, es war eine alltägliche Sache; aber die Genauigkeit, womit sie berechnet worden, fügte zu den andern Phänomenen noch den schrecklichen Umstand hinzu, daß man einen Blick in die Zukunft thun konnte. Ich begann nun den ungeheuren Unterschied einzusehen, mit Wissen unter einer moralischen Verfinsterung zu leben, und ohne Wissen; das Letztere war gewiß eine Kleinigkeit gegen das Erstere. Die Vorsehung hat sehr gut für unser Glück gesorgt, indem sie uns nicht über den gegenwärtigen Augenblick hinauszusehen vergönnte.
Noah nahm sich die Sache selbst noch mehr zu Herzen, als ich. Er sagte mir mit einem reuevollen und ahnenden Blick, daß wir sehr nahe der Herbst-Tag- und Nacht-Gleiche wären, wo wir dann eine natürliche Nacht von sechs Monaten haben würden, und wenn auch das wohlthätige Surrogat des Dampfes einiger Maßen das Uebel verringern würde, sei es doch immer ein böses Uebel, so lange Zeit die Sonne entbehren zu müssen. Er fände die ewige Taghelle schlecht genug; aber er glaube nicht, ihre gänzliche Abwesenheit ertragen zu können. Die Natur hätte ihn zu einem Wechselwesen, zu einem Wachablösungs-Geschöpf gemacht. Zwielicht, von dem so viel gesagt werde, sei noch schlimmer, als nichts, da es weder das eine, noch das andere wäre; er liebe die Dinge aus einem ganzen Stück. Ferner habe er das Schiff auf eine ferne Werfte geschickt, daß das gemeine Volk nicht mehr zu Kapitäne und Unteradmirale würde, und hier habe er vier Tage lang von nichts als Nüssen gelebt. Nüsse wären für Monikinphilosophie gut genug, aber er habe aus Erfahrung, daß sie für Menschenphilosophie den Teufel nichts nütze wären. So stünden die Sachen jetzt schon schlimm genug; ihn verlange nach ein wenig Pökelfleisch, das möge Jedermann wissen; es möge nicht sehr sentimental sein, aber es sei ein Kapitalessen auf der See; seine Natur sei so ziemlich nach Schwein, er glaube, die meisten Menschen hätten auf eine oder die andre Art mehr oder weniger schweinen in ihrer menschlichen Natur; Nüsse wären gut für Monikin-Naturen, aber Menschen-Natur liebe Fleisch; wenn Monikins es nicht liebten, brauchten sie es ja nicht zu essen; dann bliebe um so mehr für die, die es liebten; er verlange nach der natürlichen Nahrung, und nun gar neun Jahre in einer Finsterniß zu leben, davon könne gar keine Rede sein. Die längsten Stoningtoner Finsternisse dauerten selten über drei Stunden; er wisse von einer, die der Dechant Hochtrab ganz durchgebetet, von ihrer Erdnähe an bis zu ihrer Erdferne. Er schlage daher vor, daß ich und er ohne Weitres unsre Parlamentssitze aufgeben und das Wallroß so schnell, wie möglich, nördlich bringen sollten, damit wir nicht von der Polarnacht überfallen würden. Dem ehrenhaften Bob Schmutz aber, dem wünsche er kein größres Glück, als sein ganzes Leben zu bleiben, wo er sei, und seine acht Dollars in Nüssen täglich einzunehmen.
Obwohl es unmöglich war, Noah's Gesinnungen nicht zu hören, und wenn man sie gehört, sie nicht zu würdigen, so wurde doch meine Aufmerksamkeit noch mehr durch des Brigadiers Benehmen, als durch die Jeremiade des Robbenfängers angezogen. Auf meine ängstliche Frage: ob er nicht wohl, antwortete unser würdiger- College kläglich: er trauere über das Unglück seines Landes.
»Ich hab' oft den Gang der Leidenschaften beobachtet, so wie den der kleinern Beweggründe, wie sie an der Scheibe des großen Moral-Grundsatzes vorüber gehen, aber eine Verfinstrung seines Lichts durch ein pekuniäres Interesse und auf so lange Zeit ist schrecklich. Der Himmel allein weiß, was aus uns werden wird.«
»Sind nicht bei allem dem diese Verfinsterungen blose Erklärungen des socialen Anhaltpunkt-Systems. Ich gestehe, diese Verdunklung, vor der Ihr so große Furcht zu haben scheint, ist bei näherem Nachdenken nicht so schrecklich, wie es anfangs erschien.«
»Ihr habt ganz Recht, Sir John, was den Charakter der Verfinstrung selbst betrifft, der natürlich von dem Charakter des dazwischentretenden Körpers abhängen muß. Aber die weisesten und beßten unsrer Philosophen behaupten, daß das ganze System, von dem wir nur ein unbedeutender Theil sind, auf gewisse unwandelbare Wahrheiten von einem göttlichen Ursprung gegründet ist. Die Vordersätze, die Postulate all dieser Wahrheiten, sind eben so viele moralische Führer in Behandlung der Monikin'schen Angelegenheiten, und sobald man sie aus dem Gesicht verliert, wie dies der Fall sein wird während jener kommenden neun schrecklichen Jahre, werden wir gänzlich der Selbstsucht anheim fallen. Nun ist aber Selbstsucht nur zu furchtbar, wenn sie auch von Grundsätzen in Schranken gehalten wird; wird sie aber ihren eignen um sich greifenden Gelüsten und kühnen Sophismen überlassen, dann ist mir die moralische Perspektive schrecklich. Wir sind nur zu geneigt, unsre Augen von dem Grundsatz abzuwenden, wenn er in himmlischem Glanz und in voller Glorie vor uns scheint; so ist es denn nicht schwer, die Folgen voraus zu sehen, die aus seiner gänzlichen und andauernden Verdunklung hervorgehen müssen,«
»Ihr glaubt also, daß es eine über das Interesse erhabene Regel gibt, die in Leitung der Monikin-Angelegenheiten beachtet werden sollte.«
»Ohne Zweifel; in was würden wir uns denn sonst von den Raubthieren unterscheiden?«
»Ich sehe nicht recht, ob dies mit den Begriffen der Staatsökonomen nach dem socialen Anhaltspunktssystem übereinstimmt oder nicht.«
»Wie Ihr sagt, Sir John, es stimmt damit überein, und auch nicht. Euer sociales Anhaltspunktsystem setzt voraus, daß, wer ein sogenanntes besondres, in die Augen fallendes Interesse an der Staatsgesellschaft hat, am wahrscheinlichsten ihre Angelegenheiten weise, gerecht und uneigennützig führen wird. Dies wäre wahr, wenn die großen Principien, die an der Wurzel alles Glücks liegen, geachtet würden; aber leider! ist der fragliche Anhaltspunkt, statt ein Anhalt in Gerechtigkeit und Tugend zu sein, gewöhnlich zu einem blosen Anhalt im Eigenthum herabgewürdigt. Nun zeigt alle Erfahrung, daß die großen Eigenthums-Antriebe nur die sind, das Eigenthum zu schützen, und mit Eigenthum die Vortheile zu erkaufen, die vom Eigenthum ganz unabhängig sein sollten, nämlich: Ehren, Würden, Macht und Freiheiten. Ich kann nicht sagen, wie's bei den Menschen ist, aber unsre Geschichte ist in diesem Punkt beredt. Wir hatten das Eigenthumsprincip überall angewandt, und der Erfolg hat bewiesen, daß seine Hauptwirkung ist, das Eigenthum so unantastbar, wie möglich, zu machen, und dagegen die Knochen, Sehnen und das Mark aller derer, die nichts besitzen, zu seinen Sklaven. In der That, es hat eine Zeit gegeben, wo die Reichen frei waren von den Beiträgen zu den gewöhnlichen Bedürfnissen des Staats. Aber es ist ganz unnöthig, über diesen Gegenstand Theorieen aufzustellen; denn an jenem Geschrei in den Straßen hört man schon, die Verfinsterung beginnt, und wir werden bald nur zu viel praktische Belehrung haben.«
Der Brigadier hatte Recht; ein Blick auf die Uhr, und es fand sich in der That, daß die Verdunklung schon seit einiger Zeit begonnen, und daß wir am Abhang einer vollständigen Verfinsterung des Grundsatzes standen, und zwar durch die gemeinste und schmutzigste aller Triebfedern, – das Geldinteresse.
Das erste Zeichen von dem wahren Zustand der Dinge war die Sprache des Volks. Das Wort Interesse war in jedes Monikins Munde, während das Wort Grundsatz, wie billig, gänzlich aus dem Springniedriger Wörterbuch ausgelöscht schien. Die lokalen Ausdrücke in unsre Sprache überzutragen, schien die Hälfte der Landessprache in das einzige Wort Thaler zusammengedrängt: Thaler – Thaler – Thaler, nichts als Thaler. Fünfzig Tausend Thaler, – zwanzig Tausend Thaler, – hundert Tausend Thaler, drang sich auf an jeder Straßenecke. Diese Worte ertönten in allen Winkeln, auf den Landstraßen, an der Börse, in den Boudoirs, ja selbst in der Kirche. War ein Tempel zur Gottesverehrung aufgeführt worden, so war die erste Frage, wie viel er kostete. Stellte ein Künstler die Früchte seiner Mühen dem Geschmack seiner Mitbürger dar, so lispelte es unter den Schauenden, wie viel Curant-Münze der Republik wohl dafür zu bezahlen sei. Legte ein Schriftsteller die Ergüsse seines Genies denselben Richtern vor, so wurde ihr Werth auf dieselbe Art bemessen; und ein Geistlicher, der einen ernsten, aber unzeitigen Aufruf an die Mildthätigkeit seiner Landsleute erlassen, indem er zugleich die Schönheiten und Belohnungen des gottgefälligen Reichthums darlegte, ward gänzlich niedergebracht durch den Beweis, daß sein Vorschlag beträchtliche Auslagen mache, ohne klar zu zeigen, wie viel man durch das Gelangen zum Himmel gewinne.
Brigadier Geradaus hatte gute Gründe für seine düstre Ahnungen. Denn alle Vorzüge, Kenntnisse und Erfahrungen, durch Jahre langes Reisen erlangt, erwiesen sich jetzt als gänzlich nutzlos. Wenn mein ehrenwerther Kollege und Reisegefährte eine Bemerkung über auswärtige Politik wagte, worauf er großes Nachdenken verwandte, antwortete man ihm mit einem Spruch aus der Börse; eine Bemerkung über eine Sache des Geschmacks gab sicher zu einer genauen Unterscheidung zwischen dem Geschmack gewisser Liqueure nebst einer spitzfindigen Untersuchung ihrer verschiedenen Preise Veranlassung; und ein Mal, als der würdige Monikin zeigen wollte, und zwar, wie mir schien, aus sehr guten Daten, daß die auswärtigen Verhältnisse große Festigkeit, eine gehörige Klugheit und viel Vorsicht verlangten, ward er vollständig von einem Gegner zum Schweigen gebracht, der nach den letzten Verkäufen den hohen Werth der Ausfuhr bewies.
Kurz, man konnte keinen Gegenstand in Anregung bringen, der sich nicht auf die gewöhnliche Art in Thalern umwandeln ließ. Die Bethörung verbreitete sich von Vater auf Sohn, von Mann auf Weib, von Bruder auf Schwester, und von einem Verwandten zum andern, bis sie so ziemlich alles das umfaßte, was man gewöhnlich Staatsgesellschaft nennt. Noah fluchte bitterlich über diesen widerwärtigen Zustand der Dinge; er versicherte, er könne keine Wallnuß in einer Ecke aufkrachen, ohne daß ihm jeder Monikin die Lust, so gering sie auch wäre, mißgönnte, und Stonington, obwohl ein kleinstädtischer Ort, sei doch ein Paradies gegen Springniedrig in seinem gegenwärtigen Zustand.
Es war traurig, zu bemerken, wie der Glanz der gewohnten Tugenden dunkel ward, je mehr die Verfinsterung fortdauerte, und das Auge gewöhnte sich nach und nach an das Düstre, das der Schatten vom Geldinteressen von sich warf. Ich schauderte unwillkürlich vor der offnen und unverhüllten Weise zurück, wie die Einzelnen, die sonst für ehrenwerthe Monikins gelten konnten, von den Mitteln sprachen, die sie gewöhnlich zur Erreichung ihrer Zwecke anwandten, und ihr gänzliches Vergessen des großen Princips an den Tag legten, das verhüllt war. Einer prahlte kühn, wie viel listiger er sei, als das Gesetz; ein Andrer bewies überzeugend, daß er seinen Nächsten übervortheilt, während ein Dritter, kühner oder erfahrner, die ganze Nachbarschaft betrogen. Der hatte den Vorzug der List, der der Verstellung, ein Andrer des Betrugs, und Alle den Vorzug des Erfolgs.
Der Schatten warf seinen bösartigen Einfluß auf jedes Interesse des Monikinschen Lebens. Tempel wurden Gott aus Spekulation errichtet, die Regierung ward in ein Geldgeschäft verkehrt, wo Vortheil, und nicht Gerechtigkeit und Sicherheit der Zweck war; der heilige Ehestand erhielt den Anschein von Kaufen und Verkaufen, und Wenige beteten, die nicht geistige Wohlthaten mit Gold und Silber identificirten.
Der Alles beherrschende Hang meines Vorfahren begann bald sich in Springniedrig zu zeigen. Viele dieser reinen und unphilosophischen Republikaner schrieen: »Das Eigenthum ist in Gefahr!« ganz so laut, als es jemals Sir Joseph Job geheult, und dunkle Anspielungen auf Revolutionen und Bayonette wurden gemacht. Aber ganz gewisse Zeichen von der Obermacht der Finsterniß und von dem schweren Druck des Geldinteresses auf dem Lande fand man in der Sprache der sogenannten »Wenigen.« Sie warfen, wie Fischweiber, Koth auf alles ihnen Entgegengesetzte, ein sichres Zeichen, daß der Geist der Selbstsucht vollständig erwacht war. Aus vieler Erfahrung halte ich dies Kennzeichen für untrüglich, daß dann das aristokratische Gefühl thätig und wach ist. Ich habe noch nie ein Land gesehen, wo eine Minderheit sich es in den Kopf setzte, sie sei allein fähig, ihren Mitbürgern Gesetze zu geben, ohne daß sie alsbald ihre Stellung dadurch zeigte, daß sie herabwürdigende Namen erfand. Darin sind die »Wenigen« wie Weiber, die, ihrer Schwäche sich bewußt, selten den Mangel an Kraft in ihren Gliedern dadurch zu ersetzen verfehlen, daß sie zur Kraft ihrer Zunge ihre Zuflucht nehmen. Der »Eine« hängt auf, die »Vielen« herrschen durch die Würde der Kraft, die »Wenigen« tadeln und schelten. Dies ist, glaub' ich, in der ganzen Welt so, nur etwa die Fälle ausgenommen, wo auch die »Wenigen« zufällig das Vorrecht des Hängens genießen.
Es ist bemerkenswerth, daß die Ausdrücke »Pöbel,« »Desorganisateurs,« »Jakobiner« und »Agrarier«Es ist kaum nöthig, den Leser erst noch aufmerksam darauf zu machen, daß es nicht bewiesen ist, daß je ein Staat so sehr zur Selbstvernichtung hinneigte, um agrarische Gesetze in dem gewöhnlichen Sinn zu erlassen, in welchem engherzige Politiker sie seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften haben darstellen wollen. Die berühmten agrarischen Gesetze zu Rom unterschieden sich nicht wesentlich von der Vertheilung unsrer militärischen Ländereien, oder vielleicht ist die Aehnlichkeit größer mit den neuern russischen Militär-Kolonie'n. Die, welche sich für die Sache interessiren, sollten Niebuhr nachschlagen.
A. d. Herausgebers. unter diesem bösartigen Einfluß in Springniedrig ganz mit demselben Recht, Geschmack und Unterscheidung gegenseitig dem Einen vom Andern beigelegt wurden, wie mein Vorfahr in London sie einige Jahre früher gebraucht hatte. Gleiche Ursachen bringen bekanntlich gleiche Wirkungen hervor, und nichts gleicht so sehr einem am Eigenthums-Fieber leidenden Engländer, als ein Springniedriger Affe, der an derselben Krankheit darnieder liegt.
Der durch den Schatten des Geld-Interesses auf den Stand der Parteien hervorgebrachte Einfluß war so seltsam, daß er eine besondre Erwähnung verdient. Patrioten, längst durch ihren Eifer in Unterstützung ihrer Freunde bekannt, verließen ganz offen ihre Ansprüche auf die Belohnungen des kleinen Lotterie-Rads, und gingen zum Feind über, und zwar ohne daß sie geheimnißvolle Sprünge zu Hülfe genommen.
Richter Volksfreund war für den Augenblick ganz vernichtet, so daß er selbst ernsthaft an die Annahme einer zweiten Mission dachte; denn während dieser Verfinsterungen galten lange Dienste, politische Tugend, berechnete Höflichkeit und alle andre angenehme Eigenschaften eines Patrioten für Nichts, wenn sie gegen Vortheil und Verlust abgewogen werden. Es war noch sehr glücklich, daß die Springdurch-Angelegenheit ihrem Wesen nach so gut beendigt worden, wiewohl die Unruhe derer, die das Land zollweise kauften und verkauften, auch dies ihr Interesse wieder vor's Publikum brachten, indem sie verlangten, man solle einige Millionen auf Zerstörung der Kriegsmunition verwenden, damit nicht die Nation sich unvorsichtiger Weise reizen lasse, sie zu ihrem natürlichen Zweck zu gebrauchen. Die Kreuzer wurden daher in den Fluß heraufgeholt und zu Mühlen verwandt, die Flintenläufe sahen sich in Gasröhren verwandelt, und die Festungswerke wurden so schnell, wie möglich, zu Waarenhäuser und Theepflanzungen eingerichtet. Nun wurde es ziemlich Mode, zu versichern, der vorgerückte Stand der Bildung habe alle künftige Kriege ganz unmöglich gemacht. In der That, der Einfluß der Finsterniß auf die Humanität en gros war ganz eben so merkwürdig, als seine entgegengesetzte Wirkungen auf die Humanität en détail.
Die öffentliche Meinung zeigte ebenfalls bald, wie gänzlich sie unter dem Einfluß des Schattens stünde. Tugend ward nach Koupons abgemessen. Die Reichen eigneten sich ohne Zaudern und auch ohne Widerstand den alleinigen Gebrauch des Wortes »ehrbar« zu, während Geschmack, Urtheil, Ehrlichkeit und Weisheit gleich Erblehen ruhig in den Besitz derer übergingen, die Geld hatten. Die Springniedriger waren ein Volk von grossem Scharfsinn und seltner Kenntniß der Einzelheiten. Jeder angesehene Mann ließ sich bald seine sociale Stellung anweisen, und die ganze Gemeinde wurde in Klassen von Hundert-Tausend-Thaler-Monikins, von Fünfzig-Tausend-Thaler u.s.w. eingetheilt. Große Kürze im Ausdruck war eine Folge dieses Zustands. Die alten Fragen: Ist er ehrlich? ist er fähig? erleuchtet? weise? ist er gut? wurden alle in den wenigen Worten begriffen: Ist er reich? –
Dieser ungewöhnliche Zustand der Dinge hatte eine Wirkung, die ich nicht vorausgesehn. Alle gelderwerbende Klassen ohne Ausnahme zeigten eine große Vorliebe für, was man nennt, eine strenge Regierung, und da Springniedrig nicht nur ein Freistaat, sondern recht eigentlich eine Volksherrschaft war, fand ich, daß bei weitem der größre Theil dieser hochehrbaren Klasse mit seinem Wunsch nach einer Aendrung gar nicht zurückhielt.
»Wie ist das?« fragte ich den Brigadier, den ich selten verließ; denn sein Rath und seine Ansichten waren mir besonders in dieser seltsamen Krisis von großer Wichtigkeit; »wie ist das, mein Lieber? Ich bin immer der Ansicht geneigt gewesen, daß der Handel besonders nach Freiheit verlangt; und hier sind doch alle Eure kommerciellen Interessen am lautesten in ihrem Geschrei gegen die Institutionen.«
Der Brigadier lächelte, es war aber ein wehmüthiges Lächeln; denn sein Bewußtsein schien ihn ganz verlassen zu haben.
»Es gibt drei große Abtheilungen unter den Politikern,« sagte er: »die, welche die Freiheit ganz und gar nicht lieben; die, welche sie nur so weit, als ihre besondre Klasse geht, lieben, und die, welche sie um ihrer Nebenmenschen willen lieben. Die Erstern sind nicht zahlreich, aber mächtig durch Kombinationen; die Zweiten bilden ein sehr unregelmäßiges Korps, da sie eigentlich Jedermann in sich einschließen, es fehlt ihnen aber nothwendig Eintracht und Zucht, da keiner über sich hinaus geht; der Dritten sind nur wenige, – ach, wie wenige! und sie bestehen aus denen, die über ihren Eigennutz hinaussehen. Nun sind die Kaufleute, die in Städten wohnen und Eintracht, Mittel und Gleichheit der Interessen haben, im Stande gewesen, sich durch ihr Ringen mit despotischer Gewalt auszuzeichnen, – eine Thatsache, die ihnen leichten Kaufs den Ruf freisinniger Ansichten verschafft hat; aber, so weit Monikin'sche Erfahrung geht, (die Menschen mögen sich vielleicht besser gezeigt haben) ist keine Regierung, die wesentlich unter dem Einfluß des Handels steht, je anders als exklusiv und aristokratisch gewesen.«
Ich dachte an Venedig, Genua, Pisa, die Hanse-Städte und all die andern Plätze dieser Art in Europa, und fühlte die Wahrheit von meines Freundes Unterscheidung; zugleich mußte ich bemerken, wie vielmehr die Menschen unter dem Einfluß von Namen und Abstraktionen, als unter dem der wirklichen Dinge stehen. Dieser Ansicht stimmte der Brigadier gerne bei und bemerkte zugleich, daß eine gut ausgedachte Theorie gemeiniglich mehr auf die öffentliche Meinung wirke, als tausend Thatsachen; eine Wirkung, die er dem Umstand zuschrieb, daß die Monikins eine vorherrschende Neigung hätten, sich die Mühe des Denkens zu ersparen.
Besonders überraschten mich die Wirkungen der Verdunklung des Princips auf die Beweggründe. Ich hatte oft bemerkt, wie es gar nicht sicher sei, sich auf seine eignen Beweggründe zu verlassen, und das aus zwei triftigen Gründen; erstlich, wüßten wir nicht recht, welches unsre Beweggründe, und zweitens, dies auch zugegeben, wäre es ganz unvernünftig, vorauszusetzen, unsre Freunde würden die dafür halten, die wir selbst dafür hielten. Gegenwärtig sehe jeder Monikin die Schwierigkeit ein, aber statt zu warten, bis seine Bekannten ihm als leitenden Grundsatz eine moralische Wundernatur zuschrieben, nähme er klüglich einen mäßig selbstischen Beweggrund zu seinen Handlungen, den er mit einer Einfachheit und Freimüthigkeit zugestände, welche gemeiniglich Glauben fänden. In der That, die Thatsache ein Mal zugestanden, daß der Beweggrund nicht auf eine beleidigende Art uneigennützig und gerecht sei, sei Niemand abgeneigt, auf die Pläne seines Freundes zu hören, der gemeiniglich in der Achtung steige, je mehr er scharfsinnig berechnend und listig erfunden werde. Der Erfolg von allem diesem sei, daß die Gesellschaft dadurch außerordentlich einfach und aufrichtig würde; und wer nicht an so viel Aufrichtigkeit gewöhnt und mit der Ursache unbekannt wäre, mögte leicht genug manch Mal meinen, der Zufall habe ihn in eine ungewöhnliche Verbrüderung von Künstlern versetzt, die, wie man es gewöhnlich ausdrückt, nur von ihrem Witze leben. Ich gestehe, wäre es in Springniedrig Sitte gewesen, Taschen zu tragen, ich wäre oft wegen ihres Inhalts in Besorgniß gerathen; denn so ganz und gar unsophistische Ansichten wurden unter dem Einfluß der Finsterniß so offen dargelegt, daß man unvermeidlich öfter, als angenehm war, vermogt wurde, an die Beziehungen zwischen Mein und Dein zu denken, so wie an die unerwarteten Ursachen, durch welche sie manch Mal gestört wurden.
Den zweiten Tag der Verfinsterung trat eine Erledigung unter den Deputirten von Bivouac ein, und der Bewerber der Horizontalen wäre gewiß erwählt worden, wäre nicht ein mit diesen Beweggründen verbundnes Ereigniß dazwischen getreten. Das Individuum hatte vor Kurzem gethan, was in den meisten andern Ländern und unter andern Umständen für einen sehr deutlichen Beweis patriotischen Gefühls gegolten haben würde, welches aber jetzt von seinen Gegnern als ein ganz offenbares Zeichen seiner gänzlichen Unfähigkeit, ihre Interessen zu vertreten, dargestellt ward. Die Freunde des Bewerbers ließen sich erschrecken, und leugneten voll Unwillen die Beschuldigung der Perpendikularen, indem sie versicherten, ihr Monikin sei gehörig für das, was er gethan, bezahlt worden. In einer unglücklichen Stunde ließ es sich der Bewerber beikommen, vermittelst eines Handschreibens zu versichern, daß kein andrer Beweggrund, als das Verlangen auf ihn Einfluß gehabt, zu thun, was er für recht gehalten. Solch ein Mann ward für vernachlässigt in natürlichen Anlagen gehalten, und so unterlag er natürlich; denn die Springniedriger Wähler sind nicht solche Esel, daß sie die Sorge für ihre Interessen einem Manne anvertrauten, der so wenig sein eignes zu wahren verstand.
Um diese Zeit brachte auch ein berühmter dramatischer Schriftsteller ein Stück zum Vorschein, wo der Held aus Patriotismus Wunder verrichtete, und zum Lohn wurde seine Arbeit alsbald verworfen. Parterre und Logen – doch stimmten die Gallerien nicht bei – entschieden, daß es ganz gegen alle Natur wäre, einen Monikin darzustellen, der auf diese unerhörte Art ohne Beweggrund sich Gefahren aussetzte. Der unglückliche Wicht änderte die letzte Scene, indem er seinen Helden durch eine gute runde Summe Geld belohnen ließ, und nun hatte das Stück einen ziemlichen Erfolg für den übrigen Theil der Saison, wiewohl ich zweifle, daß es je so populär wurde, als es der Fall gewesen, wenn man diese Vorsicht vor seiner ersten Aufführung genommen.