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Kapitän Howard, der sich leichten Fußes an Deck des Pfeil begab, machte mit seiner lässigen Vornehmheit einen sehr guten Eindruck auf die Bemannung.
Man erkannte in jeder Bewegung seiner Hände, im Gang und Aussehen den Sohn eines Lords.
Fast ehrfurchtsvoll kam Kapitän Bignell, ein ehrwürdiger Veteran, seinem zwar jüngeren, an Abstammung und Vornehmheit ihn aber bei weitem überragenden Kameraden entgegen.
Sofort nach der Begrüßung an Deck führte Kapitän Bignell den Kommandanten des Nachbarschiffes in seine Staatskajüte.
Nachdem die beiden Herren Platz genommen hatten, gab der alte Seemann seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß sein Kamerad bei seinen jungen Jahren schon einen so hohen Rang einnehme.
Herablassend sprach der Kapitän Howard über seine nahen Beziehungen zum Hofe.
Etwas spöttisch fiel der Veteran, der sich über das dreiste, auffallende Wesen des jungen Mannes nicht wenig ärgerte, ihm in die Rede: »Gewiß, gewiß, ein Edelmann von so hervorragenden Verdiensten – –«
Ein paar Augenblicke maßen sie sich mit ihren Blicken. Dann sagte Kapitän Bignell:
»Aber daß Sie nicht gar zu lange einen so verantwortungsvollen Posten, wie es das Kommando einer Königlichen Fregatte ist, innehaben, merkte man an Ihren etwas seltsamen Manövern, Herr Kamerad!«
»Haha – Sie sprechen von meinem Flaggenwechsel? Nun, ich will Ihnen offen gestehen, Sie kamen mir etwas verdächtig vor – und durch mein Manöver wollte ich Zug um Zug näher an Sie herankommen, um Sie gründlich zu studieren.«
»Es waren sehr gefährliche Manöver, Herr Kamerad. Hätten Sie die französische Farbe nicht eingezogen – wahrhaftig, die nächste halbe Stunde hätte uns im schärfsten Feuer gefunden.«
»Das wäre ja köstlich gewesen,« lachte Kapitän Howard. »Zwei Königliche Kriegsschiffe im Feuer gegeneinander! Mein Himmel, Bignell, wenn es nicht hin und wieder solch kleinen Zeitvertreib gäbe – es wäre doch zum Sterben langweilig an Bord!«
Der Veteran sah seinen jungen aufgeblasenen Kameraden ganz entsetzt an. »Aber ich bitte Sie – woher sollte ein gewissenhaft seine Pflicht erfüllender Offizier Seiner Majestät die Zeit nehmen, um sich zu langweilen? Er müßte sie denn gerade seinem obersten Kriegsherrn – rauben!« Ehrlicher Zorn klang aus den Worten des alten Kapitäns. »Meine Untergebenen, Herr Kamerad, haben sich noch nie über Langeweile zu beklagen gehabt.«
»Hm, hm!« lenkte der Lordssohn ein. »Sagen Sie, wen haben Sie an Bord? Sind adelige Namen darunter? Dürfte ich Sie vielleicht einmal um die Schiffsliste bitten? Vielleicht ist mir der eine oder andere bekannt.«
Der Veteran kam dem Ersuchen Howards nach.
Dieser überflog das Schiffsregister flüchtig. »Nur bürgerliche Namen – hm, hm! Ein großes Personal. Und alle an Bord? Ich möchte die Herrschaften gern kennen lernen. Wer ist Ihr erster Leutnant, wenn ich fragen darf? – Aha, ich sehe schon. Harry Arche! Hm, ein höchst seltsamer Name. Er erinnert etwas an die biblische Geschichte – nicht? Man muß sofort an Noah und die Sündflut denken!«
Kapitän Bignell runzelte die Stirn. »Der Name mag Ihnen, der Sie sich ja meistens unter Standesgenossen bewegt haben, etwas lächerlich erscheinen. Aber ich kann Ihnen sagen, der bürgerliche Name ist auch das einzige, was ihn hindern könnte, dermaleinst – an die Spitze der Königlichen Flotte zu gelangen!«
»O!« machte der Lordssohn, über die große Wärme des alten Seemanns staunend. Dann nahm er aber eine ernstere Miene an und sagte: »Den Herrn möchte ich kennen lernen. Sagen Sie, verehrter Herr Kamerad, würden Sie die Güte haben, mir den ausgezeichneten jungen Offizier vorzustellen?«
Bignell bedauerte. Der treffliche junge Mann habe augenblicklich eine sehr wichtige – allerdings aber auch höchst gefährliche Sendung übernommen.
»Einen kriegerischen Auftrag also?« fragte Howard.
»Allerdings!« sagte der Veteran gewichtig.
»Wir leben aber doch mit Frankreich nicht mehr in gar so feindlichen Beziehungen?«
»Zur See giebt's noch andere, gefährlichere Feinde, junger Mann. Kurz und gut, bei seiner Sendung handelt es sich um die Sicherheit der ganzen Schiffahrt. Der Lord-Großadmiral hält große Stücke auf ihn – trotzdem er keinen weit hinaufreichenden Stammbaum aufzuweisen hat.«
Es schien, als ob der Lordssohn diese gegen seinen Adelstolz gerichtete Spitze nicht herausfühlte. »Wer waren denn die Eltern des jungen Mannes?« fragte er voll Interesse. »Oder leben sie noch? Sie müssen stolz auf ihren talentvollen Sohn sein.«
Bignell schüttelte langsam den Kopf. »Was soll ich Ihnen sagen, Herr Kamerad, – der junge tapfere Offizier hat sozusagen gar keine Eltern. Wenigstens sind sie ihm und uns völlig unbekannt. Er wurde als kleiner Knabe auf dem Verdeck eines Wracks gefunden. Daher stammt auch sein sonderbarer Name.«
Der Lordssohn war plötzlich erdfahl geworden. Er starrte den Sprecher mit entsetzten Blicken an.
Hastig sprang der Veteran von seinem Stuhle empor. »Was ist Ihnen, Kamerad? Sie werden blaß – darf ich Ihnen eine Stärkung anbieten?«
»Danke – danke!« wehrte der fremde Kapitän ab. »Es ist mir schon wieder besser. Meine Nerven spielen mir manchmal so seltsam mit.«
»Ein Seemann – und Nerven?!« rief Kapitän Bignell fast lachend. »O, bester Herr Kamerad, die müssen Sie sich aber endlich abgewöhnen. Jetzt verstehe ich auch Ihre Abenteuerlust – –«
»Wieso?« fragte der Lordssohn ziemlich scharf.
»Nun, Sie werden mir doch zugeben, daß Ihre Manöver vor Entfaltung unserer englischen Flagge etwas seltsam waren.«
»Seltsam? Ich gebe es zu, aber – –«
»Ein Glück, ein wahres Glück, daß ihre Nervosität Sie nicht weiter getrieben hat,« fiel Bignell ein, »denn die Sache hätte ganz kurios enden können!«
»Nun denn, so will ich Ihnen sagen, was mir Ihnen gegenüber zuerst zurückhaltend zu sein gebot. Ich hielt Sie nämlich für einen ganz besonders gefährlichen Burschen – für einen Burschen, dem ich schon seit langer Zeit nachspüre. Wir wären allerdings sehr hart aneinander geraten, wenn Ihre Signale schließlich nicht alle meine Zweifel beseitigt hätten.«
»Es wäre mir sehr interessant, zu erfahren, für wen ich von Ihnen gehalten worden bin?«
Kapitän Howard sah dem Veteran offen und frei ins Gesicht, ohne mit einer Wimper zu zucken, und sagte: »Ich hielt Sie für den ›roten Freibeuter‹, den berüchtigten Halunken, der schon lange genug die Meere unsicher gemacht hat.«
Bignell schrie entsetzt auf. »Mich? Mich?! Ich ein Pirat! Und ein Schiff wie der Pfeil ein Seeräuberschiff! Aber hat Ihnen denn nicht gleich meine Ordnung an Bord, das Tau- und Segelwerk des Kreuzers verraten, daß Sie es mit einem Königlichen Fahrzeug zu thun haben?«
Der Veteran hätte sich noch weiter Luft gemacht und in vielleicht noch schärferen Worten, wenn in diesem Augenblick nicht eine dritte Person in die Kajüte eingetreten wäre. Der Blick des Eintretenden, eines bejahrten Mannes, drückte Milde und Demut aus; seiner Kleidung nach gehörte er dem geistlichen Stande an.
Man wurde miteinander bekannt gemacht. Kapitän Howard verbeugte sich mit tiefer Ehrfurcht vor dem Kaplan, brach jedoch nach stattgehabter Begrüßung auf, um auf sein Schiff zurückzukehren.
Kapitän Bignell hielt ihn zurück. »Noch ein Wort, Herr Kamerad! Wenn Ihnen wirklich so viel wie mir daran gelegen ist, jenen Piraten, von dem Sie vorhin sprachen, aufzustöbern und unschädlich zu machen, so schlage ich Ihnen vor, sich meinen Bewegungen anzuschließen. Ich will nicht sagen, daß ich Ihrem Scharfsinn nicht zutraue, einen Plan selbständig auszuarbeiten – ich glaube aber, daß ein Plan, der nach meinen reiferen Erfahrungen ausgearbeitet ist, einheitlich durchgeführt, seines Erfolges eher gewiß sein dürfte.«
In Wahrheit fürchtete der Veteran, daß sein jüngerer Kamerad durch seine erst vorhin bewiesene Ungeschicklichkeit im Manövrieren ihm zu viel verderben würde, wenn er ihn ohne Aufsicht handeln ließ.
Howard erklärte sich mit Vergnügen einverstanden. Er versprach seinen Plan sofort zu entwerfen und ihn darauf gemeinsam mit dem Kommandanten des Pfeil durchzusprechen.
Artig lud Bignell den Kameraden für den Nachmittag zu Tische. Howard mußte die Einladung annehmen, auch versprechen, einige seiner Offiziere zu dem Schiffsgastmahl mitzubringen.
Unter beständigen Verbeugungen begleitete der Veteran den Lordssohn an Deck. Howard schüttelte dem würdigen alten Seemann herzlich die Hand. Mit einer halb hochmütigen, halb herablassenden Miene verabschiedete er sich dann, den Hut mit dem Finger berührend, von den übrigen Offizieren.
Der vornehme junge Kapitän war schon im Herabsteigen in sein Boot begriffen, als der Kaplan oben dem Befehlshaber des Pfeil mit großer Angelegentlichkeit etwas ins Ohr flüsterte.
»Herr Kamerad!« rief Bignell dem Scheidenden nach. »Sie haben doch einen Geistlichen an Bord der Gazelle?«
»Ja – zwei sogar!« entfuhr es dem Lordssohn in der Eile.
»Zwei?« rief der Veteran überrascht. »Die Verwaltung der Marine pflegt sonst nicht so verschwenderisch mit der Austeilung der Stellen von Seelenhirten zu sein! – Doch darf ich Sie bitten, die beiden Herren gleichfalls zur Tafel mit herüber zu bringen?«
»Mit Vergnügen komme ich ihrer Aufforderung nach!« klang's zurück.
»Und vergessen Sie ja nicht, Ihrem ersten Leutnant meine Einladung gleichfalls auszurichten!« rief ihm der Veteran nach.
Schon war das Boot aus dem nächsten Bereich des Schiffes. Während finstere Wolken sich auf der Stirn des angeblichen Lordssohnes zusammenballten, flüsterte er vor sich hin:
»Ja – ihr sollt ihn haben, den Burschen – tot oder lebendig!«
Kurze Zeit darauf hielt das Boot an der Fallreepstreppe des Delphin. Der Beherrscher desselben stieg an Bord. Auf der Treppe wandte er sich lobend an die wackeren Ruderer. »Ihr habt gut ausgeholt, liebe Leute! In einer Stunde sollt ihr zur Belohnung die Vorratskammern dieses albernen Narren durchwühlen!«
Diese Worte des Freibeuterkapitäns wurden freudig auf dem ganzen Schiffe wiederholt. Raublust und Mordgier sprachen aus den Augen der Mehrzahl der Matrosen. Jetzt wußte man, weshalb der rote Freibeuter den Fuß an Bord des Feindes gesetzt hatte: um in Erfahrung zu bringen, ob die Prise der Mühe, sie zu nehmen, lohnte. Das bevorstehende Abenteuer hatte einen prickelnden Reiz für die Leute, die ihrer Ansicht nach lange genug das gleichförmige Leben gewöhnlicher Matrosen geführt hatten. Nur mit Mühe unterdrückten sie ein lautes Freudengeschrei.
Auch die Miene ihres Herrn, der sich sofort nach seiner Ankunft herausfordernd auf dem ganzen Schiffe umsah, schien ihnen zu weissagen, daß der Zeitpunkt einer wichtigen Unternehmung gekommen war.
Heidegger fragte in finsterem Tone nach seinem ersten Leutnant. Roderich erwiderte, sein Herr habe sich vor kurzem zu den beiden Damen, die sich schon sehr geängstigt hatten, in die Kajüte verfügt. Unverzüglich begab sich der Kapitän unter Deck. Er fand die Damen allein und schickte daher den Knaben fort, um Wilder herbeizurufen.
Erschrocken wichen die beiden Damen zurück, als sie den Ausdruck grimmen Trotzes und erbitterten Zornes in seinem Antlitz wahrnahmen. Sie wollten die Kajüte verlassen; Heidegger hielt sie jedoch mit den Worten zurück: »Bleiben Sie, meine Damen, ich bin Ihnen Rechenschaft schuldig wegen derjenigen, die hier an Bord falsche Rollen spielen!« Es lag etwas unheimlich Drohendes in dem Tone, in welchem er diese dunklen, rätselhaften Worte sprach.
In diesem Augenblick trat Harry Wilder ein.
Bei seinem Anblick entfärbte sich das Antlitz des Freibeuters. »Herr Wilder, Ihr ehemaliger Freund und Vorgesetzter, der Kommandeur des Pfeil, ist nicht gerade der verschwiegenste der Seeleute.«
Betroffen von dem seltsamen Tone seines Kapitäns sagte der junge Offizier stockend: »Bignell besitzt sonst den Ruf eines tapferen und redlichen Mannes.«
»Für tapfer muß er wohl gelten,« gab der andere zurück, »denn – wie er mir erzählte – ist er damit beauftragt, niemand anders aufzusuchen und unschädlich zu machen als – den roten Freibeuter!«
Ein entsetzlicher Aufschrei erfolgte. Frau Wyllys war zitternd zusammengefahren; mit ängstlicher Hast umfaßte Gertrud den Arm ihrer Erzieherin.
Harry Wilder aber hatte durch keine Bewegung seiner Wimpern eine Erregung kundgegeben. Mit natürlicher Unbefangenheit erwiderte er:
»Seine Reise wird erfolglos sein, wenn nicht gar gefahrvoll. Denn er hatte ebensowenig als all die andern mit diesem blutigen Auftrag bedachten Männer eine Ahnung von dem wahren Charakter des so furchtbar gehaßten Mannes.«
Fragend blickte Heidegger den Sprecher an.
»Gewiß wähnte Kapitän Bignell,« fuhr Harry Wilder fort, »es mit einem gemeinen Seeräuber zu thun zu haben, einem rohen, raubgierigen, unwissenden und schonungslosen Burschen. Er ahnt gewiß nicht, daß der rote Freibeuter ein Mann von Geist, von tiefer Bildung ist, der durch sein stolzes, selbstbewußtes Auftreten jeden zwingt, ihm zu huldigen und ihm zu gehorchen.«
Der junge Seemann hatte diese Worte mit großer Wärme gesprochen; gleichwohl erwiderte der Kapitän in einem Ton voll Härte und Schärfe: »Und können Sie sich nun denken, daß Kapitän Bignell – eben um die Art, den Charakter, die Seemannskunst jenes Piraten zu erforschen – all sein Heil in dieser Sache von einem jungen Mann erwartet, der die erschlichene Kenntnis der Bewegungen des roten Freibeuters seinen Genossen verraten soll?«
»Nannte Herr Kapitän Bignell die Person, die diesen Auftrag übernommen hat?«
»Ja.«
»Und ihr Name?«
» Harry Arche – bis zu dieser Stunde Wilder genannt!«
Der junge Seemann stand kerzengerade vor dem roten Freibeuter, ihm offen und männlich ins Antlitz blickend. »Nun ja denn – ich bin's!« sagte er in festem Tone.
»Verräter!« schrie der Freibeuter aus.
Die Damen standen wie versteinert da. Als Frau Wyllys den Blick des Zornes und der Verachtung gewahrte, den der Freibeuter dem jungen Seemann zuschleuderte, warf sie sich mit flehend erhobenen Händen zwischen die beiden Männer.
»Schonen Sie ihn! Haben Sie Mitleid mit seiner Jugend!« rief Frau Wyllys in tiefer Bewegung.
Harry wehrte ihr. »Ich habe dieses Wagnis unternommen, um eine Pest des Ozeans, das Ungeheuer der Meere zu vertilgen. Ich wußte, was ich aufs Spiel setzte – ich werde vor der Strafe nicht fliehen.« Er sprach diese Worte mit unerschütterlicher Ruhe.
»Um so besser, wenn Sie's schon wissen!« sagte der Freibeuter in höhnendem Tone. »Sie haben sich in unsere Verbrüderung einzustehlen gewußt. Diese Verbrüderung aber hat ein Gesetz, nach welchem der Verräter eines grausamen Todes sterben muß. Wenn ich diese Thüre öffne und die Art Ihres Verbrechens über das Deck hin verkünde – so sind Sie den unbarmherzigen Händen der Mannschaft preisgegeben!«
Der junge Seemann hatte die Arme verschränkt. Bebend erwartete Frau Wyllys, – deren Teilnahme an dem Schicksal ihres jungen Beschützers noch mehr gewachsen war, seitdem sie wußte, daß er keine Gemeinschaft mit dem rohen Räubervolk hatte, – Harry Arche werde den Freibeuterkapitän durch Bitten zu bewegen suchen. Aber kein Wort der Demütigung kam über seine Lippen.
Ein Augenblick furchtbarer Spannung war eingetreten. Da versuchte es endlich Frau Wyllys, in ergreifendem Tone den erzürnten Freibeuter zu rühren. Sie beschwor ihn, beim Andenken an seine frühsten glücklichen Tage, bei der Erinnerung an die Zärtlichkeit, die einst über seiner Kindheit gewacht, bei dem Aufblick zu dem großen Gott der Liebe, der nicht duldet, daß dem Unschuldigen, ohne Vergeltung nur ein Haar gekrümmt werde, von seinem grausamen Vorhaben abzulassen.
»Und welches Los hat er mir zugedacht und meinen Getreuen?« fragte dumpf der Freibeuter. »Doch genug der Worte.« Er streckte seinen Arm mit Ruhe und Würde aus. »Gehen Sie, Harry Arche, Sie sind frei! Ich – – jage Sie von meinem Schiff!«
In furchtbarem innerem Kampfe stand der junge Offizier da. Sein Antlitz war von Scham und Schmerz bewegt. Er suchte nach Worten der Rechtfertigung und fand doch nur neue Anklagen, die seine Schuld vergrößerten.
»Nun denn, Herr Kapitän Heidegger,« preßte er endlich mühsam hervor, ich kann so nicht von Ihnen gehen. Sie kennen den ganzen Umfang meines Planes nicht. Ich hatte es auf Ihr Leben und auf die Vernichtung oder Zerstreuung Ihrer Leute abgesehen.«
»Ich glaube es Ihnen. Doch nun gehen Sie, ehe ich meine Worte bereue. Gehen Sie – Sie sind frei!«
»Nein, Herr Kapitän Heidegger, ich gehe nicht – bevor Sie mir nicht ein Wort der Rechtfertigung gegönnt haben.«
»Der Rechtfertigung? Sie, der treue Diener der Krone, Sie wollen sich vor dem gehetzten, verurteilten, vogelfreien Freibeuter rechtfertigen?«
Harry Arche wurde dunkelrot vor Scham. Der beißende Spott, die große Verachtung des Piraten traf ihn tief. »Herr Kapitän Heidegger,« sagte er stockend, »wie ich Ihnen schon vorhin andeutete – in den Augen der Welt haben Sie seit vielen Jahren für einen der ärgsten Verbrecher unter der Sonne gegolten. So überkam auch mich das Gerücht von vielen Greuelthaten, die man Ihnen zuschrieb. Als ich mich daher erbot, der Regierung jenen gefährlichen Dienst zu erweisen, glaubte ich wie ein Held zu handeln, der sich für eine große Sache aufopfert. Ich wußte, daß ich mein Leben wagte, als ich – um Sie zu täuschen – die Heuchelei nicht verschmähte; aber ich erhoffte vom Ausgang meines kühnen Unternehmens nicht bloß Belohnung, sondern auch hohen Ruhm. Doch in dem Augenblick, da mein Fuß Ihre Schwelle betrat, da ich Ihr männliches Vertrauen sah, – da trat eine furchtbare Wandlung in mir ein.«
»Und warum kehrten Sie damals nicht sofort um? Warum ließen Sie sich von mir sogar an Bord der Royal Karolina schicken?«
»Es waren mächtige Gründe vorhanden, die mich bewogen, das Kommando jenes Schiffes zu übernehmen.« Sein Blick streifte Gertrud und ihre Begleiterin, die ihn beide, von Mitleid und Furcht erfüllt, anstarrten.
Heidegger folgte seinem Blick. Er verstand. Stumm wies er nach der Thür; aber die Härte war aus seinem Antlitz gewichen.
»Lassen Sie mich so nicht gehen!« mahnte der junge Seemann. »Ich danke Ihnen für Ihre Großmut – aber meine Pflicht würde ich nicht verletzen können.«
»Was wollen Sie damit sagen?« kam es zögernd von den Lippen des Freibeuters.
»In dem Augenblicke, in welchem ich Ihr Schiff verlassen hätte, wäre ich wieder der Königliche Leutnant Harry Arche, der keine Ungesetzlichkeit dulden darf, – der Ihr Gewerbe verraten müßte und in dem Kampfe, der sich sofort entspänne, nicht müßig bleiben könnte.«
»Ich – wußte das!« sagte Heidegger gelassen.
»Noch liegt mein Schicksal in Ihrer Hand. Lassen Sie mich hier sterben – so falle ich als ein Opfer meines Irrtums. In dem Augenblick aber, in welchem ich frei bin, – – werde ich mich als Ihr Feind fühlen müssen.«
»Ah, Sie haben Mut, junger Mann!« rief der Kapitän blitzenden Auges aus. »Doch zögern Sie nicht länger – erführen meine Leute die Wahrheit, so könnte ich Ihnen die Freiheit nicht mehr geben.«
»Und glauben Sie denn, Herr Kapitän Heidegger, ich würde allein Ihr Schiff verlassen? Nimmermehr! Ich sterbe auf meinem Posten – oder ich gehe in Begleitung derjenigen, mit denen ich gekommen bin.«
Blasse Furcht sprach sich in den Mienen der beiden Frauen aus, die mit gefalteten Händen dastanden.
»Ja, wenn Mitleid in Ihrem Herzen wohnt,« rief Gertrud in verzweifelndem, tief ergreifendem Tone, »so schenken Sie uns die Freiheit!«
Die Kränkung, welche in diesen Worten lag, rief ein kaltes, wildentstellendes Lächeln auf die Gesichtszüge des Freibeuters. Er sah den Abscheu, den die beiden hilflosen Geschöpfe gegen ihn und sein Gewerbe hegten. »Genug – Sie sollen Ihren Freund begleiten!« Fast wehmütig kam es dann aus dem Munde des rauhen Mannes: »Wenn alle mich verlassen haben, so wird die Leere in diesem Schiff ein Bild von derjenigen sein, welche in meinem Herzen wohnt.«
Er suchte dem ihn im innersten erschütternden Auftritte ein rasches Ende zu bereiten. Er rief den Diener Roderich herbei und befahl, daß Richard Fid und Scipio Afrikanus ins Boot gebracht werden sollten; außerdem ließ er die Habseligkeiten seiner weiblichen Gäste dahin schaffen.
Oben an Deck stand die Mannschaft in gespannter Erwartung. Der Kapitän führte die beiden Damen selbst an die Fallreepstreppe.
Es war den Frauen, als ob sie wie im Traum lebten; sie konnten es noch immer nicht fassen, daß in diesem Augenblick die lang herbeigesehnte Stunde der Befreiung gekommen sein sollte.
Hastig nahmen sie neben den beiden Matrosen Platz. Als letzter sprang Harry Arche in das Boot.
Die Ruderer holten tüchtig aus. Wie versteinert starrten die Leute des Freibeuters dem davonschießenden Boote nach. Doch wagten sie nicht, ihren Herrn, der finster brütend dastand, nach dem Grunde seines rätselvollen Verhaltens zu fragen.
Heidegger winkte mit der Hand den Insassen des Bootes ein stummes Lebewohl nach. Dann entschwand er den Blicken der befreit aufatmenden Flüchtlinge.