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Neuntes Kapitel.
Abrechnung!

Eine bange Nacht verging.

Der rote Freibeuter hatte sein geheimnisvolles Vorhaben niemand verraten. In dumpfem Schweigen wandelte er die ganze lange Nacht hindurch auf der Kommandobrücke des Delphin auf und nieder. Nicht bloß auf den Zügen der Gefangenen, sondern auch auf denen seiner eigenen Leute malten sich abwechselnd die Spuren von Zweifel, Verwunderung und Mißtrauen.

Nur dann und wann vernahm man einige Laute aus seinem Munde; es waren Kommandoworte in Beziehung auf die Richtung, die den Schiffen gegeben werden sollte. Niemand wagte sich ihm zu nähern. Einsam und in Gedanken versunken sah man ihn unbeweglich an derselben Stelle sitzen.

Glanzreich und herrlich entstieg die Sonne dem östlichen Gewässer. Ein langer blauer Nebelstreifen nach Norden hin deutete die Nähe von Land an. Die beiden Schiffe segelten Seite an Seite friedlich dahin. Die Mannschaft des Freibeuters hatte die Beschädigungen, die der Sturm und das Gefecht verursacht hatten, so weit ausgebessert, daß sowohl der Delphin als der Pfeil wieder fähig erschienen, die Gefahren der See oder des Krieges von neuem zu bestehen.

Um die Aufmerksamkeit oder Neugierde anderer Schiffe nicht auf sich zu lenken, hatte der Freibeuter an Bord des Pfeil sowohl als des Delphin die englische Flagge wieder aufhissen lassen. Einige leichte Küstenfahrer, die in jener Gegend herumkreuzten, schenkten ihnen daher keine weitere Beachtung.

Endlich aber raffte sich der Freibeuter aus seiner Versunkenheit empor. Er ließ durch Signale einen der Küstenfahrer herbeirufen. Sobald er sah, daß das kleine Fahrzeug seiner Aufforderung nachkam, versammelte er seine ganze Mannschaft und auch seine Gefangenen um sich. Zu seinen Genossen gewendet, begann er dann:

»Freunde – ein gemeinsames Los hat uns jahrelang bis zum heutigen Tage vereint. Wir gehorchten die ganze Zeit hindurch ein und demselben Gesetze. Ihr habt mir stets das Zeugnis aufopferungsvoller Treue ausgestellt, habt meine Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit gerühmt – und ihr wißt, daß ich niemals verzagte, ja, daß ich mit dem ›Gottseibeiuns‹ selbst den Kampf würde aufgenommen haben. Aber dieser Bund hat mit dem heutigen Tage sein Ende erreicht. Ich nehme in dieser Stunde mein gegebenes Wort zurück – gebe auch euch eure verpfändete Treue wieder!«

Ein Murmeln und Flüstern ward laut. Die rauhen Männer verstanden die Tragweite seiner Worte noch gar nicht; sie hatten nur das dumpfe, dunkle Bewußtsein, daß etwas Furchtbares geschehe.

»Ihr zürnt? Ihr stutzt? Ihr murrt? O Freunde, kein Vorwurf soll mich treffen. Der Vertrag ist zwar zu Ende und mit ihm unsere Gesetze – aber alles, was meine Kajüte an Reichtümern besitzt, sei euer! Es sind reiche Schätze an Gold und Juwelen, Kostbarkeiten und Seltenheiten – alles soll in jenes Küstenschiff gebracht werden. Dort mögt ihr selbst eine Teilung – und ich ermahne euch zur Gerechtigkeit – vornehmen! Geht, das Land ist nahe. Zerstreut euch, zu eurem eigenen Besten sage ich: zerstreut euch!«

Bestürzt blickten die Seeräuber einander an. »Nun – und die Gefangenen?«

»Sie sind das Einzige, worüber ihr nicht verfügen sollt. Von dem Rest der Beute verlange ich nichts als sie! Und ihr wißt, daß ihr vom Pfeil, der euch bei weitem überlegen war, unbedingt besiegt worden wäret, wenn ich euch nicht zu einem letzten schönen Siege verholfen hätte. Darum verzieht nicht, zu gehorchen! – – Und nun lebt wohl!«

Auf diese rätselvolle Anrede folgte zunächst stummes Staunen. Kopfschüttelnd blickten die Mannschaften ihren Anführer an. Fast schien es, als ob die Wildesten unter ihnen nicht gesonnen wären, ihren Kapitän so aus freien Stücken sein Amt niederlegen zu lassen. Doch was konnten sie gegen ihn ausrichten? Der rote Freibeuter hatte einer gewaltsamen Auflehnung gegen seine Maßregeln gar schlau vorgebeugt. Mit Absicht führte er seinen wohl schon lange geplanten Entschluß in der Nähe des Landes – an einem belebteren Küstenstrich – aus. Unvorbereitet, ohne Anführer, wäre jeder Widerstand Wahnsinn gewesen.

Murrend und grollend schwirrten die Reden durcheinander. Als Heidegger aber unruhig zu werden begann, stürzten die Freibeuter fort, um die eigenen Habseligkeiten auf das Verdeck des Küstenschiffes zu bringen. Seine Kajüte versprach der Freibeuterkapitän ihnen dann zu öffnen, wenn alle, bis auf die Bemannung eines einzigen Bootes, den Delphin verlassen hätten. Niemand traute dem ehemaligen Führer eine Unredlichkeit zu. Heidegger ließ auch in der That durch die über die Maßen ob des Reichtums staunenden letzten Leute die Schätze in das große Boot laden, das unter dem Jubel der Mannschaft an Bord des Küstenfahrers empfangen wurde. Das reich beladene Fahrzeug sah man hierauf dem Schutze einer verborgenen Bucht zueilen.

In finsterem Schweigen hatte der rote Freibeuter dem Schiffe nachgeschaut. Hierauf wendete er sich an Harry.

»Mein Freund,« sagte er in einem Tone, dem man die mächtige innere Erregung anmerkte, »nun müssen auch wir scheiden. Ich empfehle alle Verwundeten – auch meine ehemaligen Unterthanen, die an Bord des Pfeil verunglückt sind, – Ihrer Fürsorge und Sorgfalt. Unsere Wege trennen sich hier. Sie, mein Freund, sollen mit den Ihrigen den Pfeil besteigen – ich bleibe allein auf dem Delphin zurück. Ihrer Pflicht als Königlicher Unterthan haben Sie genügt – denn der rote Freibeuter hat seine Getreuen entlassen und wird nie wieder der Schrecken der Meere werden. Sagen Sie das Ihrem König!«

Ergriffen drückte Harry die Hand des Freibeuters.

Dieser sah nun der Mutter des jungen Seemanns bewegt ins Auge und sprach: »Gnädige Frau – da auch wir in diesem Augenblicke scheiden, so gewähren Sie vielleicht einem verfolgten und unglücklichen Manne eine Bitte.«

»Sprechen Sie, Kapitän!« erwiderte Frau de Lacey. »Sie haben an mir und meinem Schützling als ein Mann von Ehre gehandelt – Sie haben einer vielgeprüften Mutter ihr Kind erhalten! Mein Ohr wird Ihnen niemals verschlossen sein.«

In dem Antlitz des Freibeuters spiegelte sich der Kampf seines Innern wieder. Ein schmerzvoller Blick traf die Mutter des jungen Seemannes aus seinen umschleierten Augen. »Gnädige Frau,« sagte der Freibeuter leise, »wenn für Ihren Sohn Ihre Gebete zum Himmel aufsteigen, so vergessen Sie nicht, daß es noch eine arme Seele giebt, für die keine Mutter mehr beten kann!«

Man wechselte stumm einige Händedrücke; dann bestiegen die bisherigen Gefangenen die Pinasse, um an Bord des Pfeil zurückzukehren.

Harry war der letzte, der das Piratenschiff verließ. »Und was wird aus Ihnen werden?« fragte der junge Offizier.

»Man wird den Namen des roten Freibeuters bald vergessen haben. Er wird Ihnen – so hoffe ich – noch Glück und Ehre bringen, da Sie als sein Überwinder gelten können, – dann aber soll nichts mehr an seine Erdenspur erinnern. Leben Sie wohl! Für immer, mein Freund!«

Noch einmal wollte Harry den seltsamen Mann bestimmen, mit ihm zusammen zu gehen, seinen Mut, seine Talente zum Wohle der Menschheit zu verwerten, mit einem Wort: ein neues Leben zu beginnen – aber das traurige Lächeln des ehemaligen Freibeuters schnitt ihm jedes weitere Wort ab.

Der junge Seemann seufzte tief auf, dann drückte er dem roten Freibeuter zum letzten Male die Hand und ging. –

An Bord des Pfeil herrschte bald darauf ein reges Leben und Treiben. Harry hielt eine Musterung ab. Diejenigen Mannschaften, welche nur leicht verwundet waren, wurden von ihm zum Dienst herangezogen. Sogleich ließ er dann dem Schiffe, dessen Führung durch Bignells Tod' auf ihn überging, die Segel beisetzen, um dem nächsten Hafen seines Vaterlandes zuzusteuern.

Kein Blick der an Bord des Pfeil befindlichen Mannschaft war von dem regungslos daliegenden Delphin abgewendet. Auch Gertrud und Frau de Lacey sahen dem Schiff im Davonsegeln unbewegt nach.

Da lag es, das Freibeuterschiff, das Oberbramsegel stolz am Mast, ein schöner Bau, lieblich anzusehen in seinem Ebenmaß und vollkommen in allen seinen Teilen, wie durch Feenmacht hingezaubert!

Man entdeckte eine menschliche Gestalt, die rasch an Deck des Schiffes auf- und niederging. Endlich verschlang die Entfernung dieses Bild – das Auge mühte sich umsonst, von den ferneren Bewegungen an Bord des weiter und weiter zurückbleibenden Schiffes eine Spur aufzufangen.

Mit einemmal blitzte vom Verdeck des Delphin ein Flammenstreifen empor. Von einem Segel sprang er zum andern – dann entquoll dem Rumpfe eine ungeheure Rauchwolke, welcher der durch die Entfernung gedämpfte Knall eines losgehenden Geschützes folgte.

Entsetzt ergriffen Gertrud und ihre mütterliche Beschützerin die Hände des jungen Offiziers, der erdfahlen Angesichts dem erhabenen und zugleich furchtbaren Schauspiel des im Brande stehenden, weithin wie eine Riesenfackel leuchtenden und dem sicheren Untergang geweihten Schiffes zusah.

Eine unermeßliche Rauchwolke lagerte sich über den Fleck. Von dem furchtbaren Krach, mit dem die Pulvervorräte an Bord des Delphin sich entzündeten, erzitterten – trotz der Entfernung – die Segel des Pfeil.

Dann zerteilte sich die schwarze Rauchsäule. Das Freibeuterschiff war spurlos verschwunden. Nichts war mehr zu sehen als die unendliche glatte Meeresfläche. Vergebens bemühte sich das Auge, den Punkt wiederzufinden, wo das stolze Fahrzeug geschwommen war – nichts erinnerte mehr an den roten Freibeuter. Nur einige von denen, die, mit Ferngläsern versehen, die obersten Stangen des Königlichen Kreuzers erklettert hatten, glaubten einen einsamen schwarzen Punkt auf der See zu erblicken. Doch ob es Trümmer des Wracks gewesen, ob ihr Auge sie täuschte – sie erfuhren es nie.


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