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»Poz Wetter, Mann! viel besser. Behandelt jeden Menschen
nach seinem Verdienst, und Wer ist vor Schlägen sicher? Behandelt sie nach eurer eigenen Ehre und Würdigkeit; je weniger sie verdienen, desto mehr Verdienst hat eure Güte.« |
Hamlet. |
»Harris wird in Kampfunfähigkeit gesetzt werden,« bemerkte bald Bulstrode, »wenn ich es nicht dahin bringe, ihn vom Tische zu entfernen. – Ihr wißt, er soll diesen Abend die Marcia spielen, und wenn gleich ein wenig Wein ihm Feuer und Muth zu der Rolle geben mag, dürfte doch zu viel ihren weiblichen Schönheiten Eintrag thun. Addison war nicht gemeint, daß die tugendhafte Marcia, während sie über ihr Geschlecht emporragt, aus einer Gosse oder unter dem Tische hervorgezogen werden solle. Harris ist ein ächter irischer Peer, wo Claret ins Spiel kommt.«
Alle Ladies hielten die Hände empor und protestirten dagegen, daß man dem Mr. Harris gestatte, eine Travestie auf ihr Geschlecht auf die Bühne zu bringen. Bis jetzt hatte noch Niemand gewußt, wie die Rollen ausgetheilt waren, außer daß Bulstrode den Cato geben sollte, denn man hatte sehr sorgfältig darauf gehalten, daß Niemand die Theaterzettel zu sehen bekomme, damit die Zuschauer die Genugthuung hätten, selbst ausfindig zu machen, Wer jeder der Auftretenden sey. Nach dem Schluß jedes Stückes sollte unter den wenigen Begünstigten ein Theaterzettel herum geschickt werden, welcher die Wahrheit enthüllte. Da Anneke erklärte, daß ihr Vater seine Gäste nie einschließe und mit Zuverlässigkeit versprochen habe, binnen einer halben Stunde Alle zum Kaffee heraufzubringen, ward beschlossen, der Sache eben den Lauf zu lassen.
Wirklich erschien nach Ablauf der genannten Frist Herman Mordaunt mit allen männlichen Gästen vom Tische. Harris war nicht benebelt, was bei ihm, wie ich erfuhr, nach dem Essen gar leicht der Fall war, aber er war auch nicht nüchtern. Nach Bulstrode's Begriffen mag er gerade Feuer genug gehabt haben, um die tugendhafte Marcia zu spielen. Nach wenigen Minuten eilte der Fähnrich weg, und erklärte, wie Hamlet's Geist, ihre Stunde sey gekommen. Um sieben Uhr verließ die ganze Gesellschaft mit einander das Haus, um sich in das Theater zu begeben. Herman Mordaunt hielt keine angemessene städtische Equipage und wäre dieß auch der Fall gewesen, so hätte sie nicht den vierten Theil unserer Gesellschaft gefaßt. Hierin jedoch zeichneten wir uns nicht vor Andern aus, denn neun unter zehn von dem Publikum jenes Abends, d. h. neun unter zehn von dem schönen Geschlecht, gingen zu Fuß ins Theater.
Statt geradezu Crown-Street hinab zu gehen, nach Maiden-Lane, was der nächste Weg zum Theater gewesen wäre, schlugen wir die Richtung nach Broadway ein und über Wall-Street, da dort besser zu gehen und die Gossen entfernter von den Damen waren; denn in den engern Passagen der Stadt war die Mitte der Straße nicht weit von den Häusern entfernt. Wir fanden eine große Menge wohlgekleideter Leute in derselben Richtung wie wir unterwegs. Herman Mordaunt bemerkte, er habe noch nie sonst so viele Reifröcke, Cardinäle, aufgekrämpte Hüte und Degen auf einmal auf der Straße gesehen, wie an diesem Abend. Alle Wagen, die in der Stadt rollten, fuhren an uns in Wall-Street vorbei, und bis wir William-Street erreichten, bot das Pflaster ganz eigentlich das Schauspiel einer Procession dar. Da Alle in vollem Putz waren, war der Eindruck gefällig, und da der Abend schön war, trugen die meisten Gentlemen die Hüte in der Hand, um ihre gekräuselten Locken nicht zu verwüsten, was dem Ganzen den Anstrich einer großen Aufwartungsscene gab. Nie sah ich ein liebenswürdigeres Geschöpf als Anneke Mordaunt mir bei dieser Gelegenheit an der Spitze unserer Gesellschaft erschien. Der Puder hatte sich ein Wenig aus ihren schönen braunen Haaren verloren, und auf dem Theile des Kopfes, der nicht versteckt war von einem Hut, welcher halb ihr schönes Antlitz beschattete, war es, als ob die reiche natürliche Hauptbedeckung alle Fesseln durchbrechen und mit ihrer Fülle ihre ganze Büste beschatten wolle. Ihr Negligée bestand aus reicher Seide, vorn mit einer Falbel besetzt, während die Spitzen, welche an ihren Ellbogen herabhingen, aussahen, wie von Feen gewoben, und bestimmt, von einer Fee getragen zu werden. An den Schuhen trug sie Schnallen mit Pasten, und ich glaubte, nie einen solchen Fuß gesehen zu haben, wie er gelegentlich unter ihren Gewändern hervorlugte, als sie zierlich, aber mit der Anmuth einer Königin an meiner Seite dahin schritt. Ich beschreibe Anneke nicht so, in der Absicht dem Leser die Vorstellung beizubringen, als sey sie vornehm und abstoßend gewesen; im Gegentheil, gewinnende Freundlichkeit und natürliche Grazie waren in ihrem Wesen ebenso unverkennbar und auffallend, als Schönheit, Verstand und Gefühl in ihrem Angesicht. Mehr als einmal, wie wir so neben einander schritten, drängte sich mir peinlich das Bewußtseyn auf, wie unwürdig ich sey, die mir zu Theil gewordene Stelle auszufüllen. Ich glaube, diese Bescheidenheit und Demuth ist eines der sichersten Zeichen ächter, aufrichtiger Liebe.
Endlich erreichten wir das Theater und es wurde uns der Eintritt gestattet. Alle vordern Sitze waren von Schwarzen besetzt, hauptsächlich in New-Yorker Livreen; das heißt mit Aufschlägen, Kragen und Taschenklappen von anderem Tuch als der Rock; doch hatten einige Wenige auch Tressen. Diese Letzteren gehörten den vornehmsten Familien an, von welchen einige beinahe so kostbare Farben und Zierrathen ihrer Dienerschaft gaben, als man, wie ich höre, im Heimathland immer zu geben pflegt. Ich erinnere mich wohl noch, daß zwei ganze Logen besetzt waren von Dienern mit Schulterngehängen und viel reicheren Kleidern als gewöhnlich, von welchen eine dem Lieutenant-Gouverneur, die andere dem Lord London, damaligem Oberbefehlshaber, gehörte. Wie die Gesellschaft eintrat, verschwanden diese Diener, wie es gebräuchlich ist, und wir nahmen unsere Sitze ein auf den uns so vorbehaltenen Bänken. Bulstrode's Aufmerksamkeit war unverkennbar in der Art, wie er für Anneke und ihre Gesellschaft gesorgt hatte, welche, ich wage kühn es zu behaupten, eine der ausgezeichnetsten war, was Jugend und hübsches Aussehen betraf, welche das Haus an diesem Abend besuchte.
Groß war die Neugier und tief das Interesse, welches besonders unter dem jüngern Theil der Anwesenden an jenem wichtigen Abend herrschte, als eine Gesellschaft nach der andern sich setzte. Das Haus war wie ein Theater verziert und es kam mir ungeheuer geräumig vor, obgleich Herman Mordaunt mich versicherte, es sey, nach seiner Größe betrachtet, eben nichts Sonderliches, verglichen mit den Schauspielhäusern im Heimathland. Aber die Ornamente, und die Lichter, und der Vorhang, das Parterre, die Logen, die Gallerie – das Alles waren ebenso viele Gegenstände des lebhaften Interesses. Wenige von uns sprachen Etwas; aber unsere Blicke schweiften über Alles hin mit einem Entzücken, wie es nach meiner Ueberzeugung nur einmal in einem Theater empfunden werden kann. Anneke'ns süßes Angesicht war ein Bild der jugendlichen Erwartung, – einer Erwartung jedoch, bei welcher Verstand und Besonnenheit keineswegs ausgeschlossen waren. Es wurde behauptet, das Orchester habe eine ungebührlich große Menge von Blasinstrumenten enthalten; aber ich bemerkte Damen im ganzen Hause, solche in unserer Loge mit eingeschlossen, wie sie die Verbeugungen von vielen der Musiker erwiederten, welche, wie man mir sagte, Dilettanten von der Armee und von den Salon's der Stadt waren.
Endlich traten der Oberbefehlshaber und der Lieutenant-Gouverneur mit einander ein und traten in Eine und dieselbe Loge, obgleich man zwei ihnen vorbehalten hatte; und ihre Begleitung nahm die zweite in Besitz. Kaum hatte sich die Bewegung, welche die Ankunft dieser Personen verursacht hatte, gelegt, als der Vorhang sich hob, und eine neue Welt sich unsern Augen darstellte. Von dem Spiel will ich mir nicht erlauben Viel zu sagen, obgleich es mir als die höchste Vollendung erschien. Bulstrode gewann an jenem Abend großen Beifall; und ich hörte, daß verschiedene Gentlemen, welche entweder in England gebildet worden waren, oder doch längere Zeit dort zugebracht hatten, erklärten: sein Cato würde jedem der königlichen Theater Ehre gemacht haben. Sein Anzug schien mir ganz so, wie er seyn mußte, obgleich ich ihn nicht zu beschreiben vermag. Ich erinnere mich, daß Syphar die Uniform eines Dragonerobersten und Juba die eines Generals trug; und daß sehr viel Kritik aufgewendet und Anstoß daran genommen wurde, daß die Gentlemen, welche diese Rollen spielten, mit Wollenhaaren und mit geschwärzten Gesichtern auftraten. Man machte gegen diese Ansichten geltend, diese Personen der Tragödie seyen Afrikaner; und man könne, wenn man nur einen Blick auf die Gallerie werfe, sehen, daß die Afrikaner gewöhnlich schwarz seyen und wollige Haare haben; eine Beweisführung, die, wie ich mir einbildete, das Aergerniß nur noch erschwerte. Abgesehen von diesem kleinen Mißgriff ging Alles ganz gut von Statten, bis auf Harris' Marcia hinaus. Es ist wahr, einige mißwollende Leute flüsterten, die »tugendhafte Marcia« sey ein wenig exaltirt gewesen; aber Bulstrode versicherte mich nachmals, sein Zustand habe ihm zum Verwundern durchgeholfen, und habe seinem Auge einen feuchten Glanz gegeben, welchen man sonst würde vermißt haben. Die Schuhe mit hohen Absätzen schienen ihm lästig und störsam zu seyn; aber einige Personen meinten, es gebe ihm Dieß etwas angenehm Schwankendes im Gange, was sehr viel zur Illusion beitrage. Im Ganzen wurde das Stück zum Erstaunen gut durchgespielt, wie ich an Lord London und dem Lieutenant-Gouverneur bemerken konnte, welche Beide unendlich vergnügt zu seyn schienen. Herman Mordaunt lächelte ein oder zwei Mal, wenn er hätte ein ernstes Gesicht machen sollen; aber dieses schrieb ich dem Umstand zu, daß er in neuern Zeiten außer Uebung gekommen war, Bühnendarstellungen anzuwohnen. Gewiß war er ein Mann von Urtheil und Einsicht, und mußte wohl wissen, was die geeigneten Momente sind, diese oder jene innere Bewegung oder Empfindung kund zu geben.
Während der Zwischenzeit zwischen der Tragödie und der Farce kamen die Schauspieler zu uns heraus, um die wohlverdiente Huldigung entgegenzunehmen, und laute Beifallsbezeugungen wurden ihnen gespendet. Anneke'ns glänzendes Auge leuchtete von Vergnügen, als sie ohne Rückhalt Bulstrode gestand, welches Wohlgefallen sie empfunden, und bekannte, sie habe bisher noch keinen Begriff gehabt von der Schönheit und Macht der theatralischen Darstellung, unterstützt, wie diese es war, von den Hülfsmitteln der Beleuchtung, des Anzugs und der Scenerie. Zwar die Frauen seyen ein wenig abgeschmackt gewesen, und ganz besonders die tugendhafte Marcia, aber die schönen Sentiments Addisons, obgleich sie, wie Herman Mordaunt bemerkte, all die Zierlichkeit und Steifheit eines pedantischen Zeitalters hatten, seyen doch schön und treffend genug gewesen, um die Mängel des ehrenwerthen Mr. Harris zuzudecken. Anneke sprach ihre Hoffnung aus, das Nachstück werde ebenso allgemein verständlich seyn, so daß sie sich Alle ebenso wie an dem Hauptstück selbst daran erfreuen könnten.
Die andern jungen Damen sprachen ebenso entschieden ihr Lob und ihren Beifall aus, obwohl mir auffiel, daß Anneke bei dieser Gelegenheit am meisten fühlte. Daß der Major durch seine Bemühungen und Leistungen einen großen Vortheil gewonnen hatte, konnte ich mir nicht verhehlen; und die Thorheit, meinerseits Ansprüche erheben zu wollen bei einem Wesen, welches von einem solchen Nebenbuhler bewundert und gesucht wurde, begann sich meiner Einbildungskraft mit schmerzlicher Gewalt aufzudrängen. Aber bald rief die Glocke die tapfern Schauspieler wieder ab, um sich für die Farce anzukleiden.
Die lange Zwischenzeit zwischen den beiden Stücken gab Einem Muße und Gelegenheit genug, seine Bekannten zu besuchen und die Meinungen zu vergleichen. Ich ging in die Loge meiner Tante, und fand sie ganz wohl befriedigt, obwohl minder lebhaft als die jüngern Damen im Ausdruck ihres Wohlgefallens. Mein Oheim war ganz wie er immer war; gutmüthig, aber nicht geneigt, irgend ein übermäßiges Lob zu spenden oder gelten zu lassen.
»Ganz hübsch für Knaben, Corny,« sagte er, »obgleich der Junge, welcher die Marcia spielte, besser gethan hätte, noch in der Schule zu bleiben. Ich weiß seinen Namen nicht, aber er hat aus der Marcia alle Tugend herausgezogen. Er muß ihren Charakter an einem der Frauenzimmer studirt haben, welche dem Lager folgen.«
»Mein lieber Oheim, wie ganz anders urtheilt Ihr, als Alle in unserer Loge! Dieser Gentleman ist der ehrenwerthe Mr. Harris, der erst achtzehn Jahre alt ist, Fähnrich im – –ten Regiment, Sohn von Lord Ballybannon, oder Bally – so und soweiter, und er gilt dafür, die weichste Stimme in der Armee zu haben.«
»Ja und den weichsten Kopf dazu, dafür will ich stehen. Ich sage Euch, Corny, der ehrenwerthe Mr. Ballybilly, der erst achtzehn Jahre alt und Fähnrich im –ten Regiment ist, und die weichste Stimme in der Armee hat, wäre besser in der Schule geblieben, statt die Tugend der ›tugendhaften Marcia‹ zu untergraben, wie er so offenbar gethan hat; Bulstrode machte seine Sache gut genug, vortrefflich für einen Dilettanten, und muß ein kapitaler Kamerade seyn. Beiläufig gesagt, Jane« – das war der Name meiner Tante, – »man sagt mir, er werde wahrscheinlich die ausnehmend hübsche Tochter Herman Mordaunts binnen Kurzem heirathen und sie zur Lady Bulstrode machen.«
»Warum denn das nicht, Mr. Legge? – Anne Mordaunt ist ein so liebenswürdiges Mädchen als es nur irgend in der Colonie gibt und hat eine sehr achtbare Familie und Verwandtschaft. Man sagt sogar, die Mordaunts seyen von einer hohen Familie im Mutterlande. Mary Wallace hat mir gesagt, Herman Mordaunt und Sir Henry Bulstrode selbst seyen verwandt; und Ihr wißt, mein Lieber, wie vertraut die Mordaunts und die Wallaces miteinander stehen.«
»Ich nicht! ich weiß Nichts von ihrer vertrauten Bekanntschaft, obwohl ich gern glaube, daß Alles wahr seyn mag. Mordaunt's Vater war, wie ich immer gehört habe, ein englischer Gentleman von ziemlich guter Familie, obwohl so arm wie eine Kirchenmaus, als er eine unserer holländischen Erbinnen heirathete; und was Herman Mordaunt selbst betrifft, so bewies er dadurch, daß er auch wieder eine Erbin, obwohl nicht eben eine Holländerin, heirathete, daß er den Instinkt nicht verloren. Da ist nun Anneke, die das Alles erbt, und ich will dafür stehen, daß man dafür Sorge getragen, sie wieder mit einem Erben zu vermählen.«
»Nun, Mr. Bulstrode ist ein Erbe, und der älteste Sohn eines Baronets. Ich freue mich immer, wenn eines unserer Mädchen eine gute Partie im Mutterlande macht, denn das bringt der Colonie Ehre. Es ist etwas Treffliches darum, Corny, daß unsere Interessen im Mutterlande gut vertreten werden – zumal vor dem Geheimen-Rathe, wie man mir sagt.«
»Nun, aber mich freut es nicht,« versetzte mein Oheim. »Ich glaube, es ist ehrenvoller für die Colonie, wenn ihre Jungfrauen mit ihren jungen Männern, und ihre jungen Männer mit ihren Jungfrauen sich verheirathen. Ich wünschte, Anne Mordaunt wäre diesen Abend an der Stelle des ehrenwerthen Ballyshannon gewesen. Gewiß hätte sie tausendmal besser die ›tugendhafte Marcia‹ dargestellt.«
»Ihr wollt doch hoffentlich nicht, daß eine achtbare junge Lady in solcher Weise vor dem Publikum auftreten sollte, Mr. Legge?«
Mein Oheim sagte Etwas hierauf, denn er war nicht leicht um eine Antwort verlegen, um »Jane« niederzudisputiren; aber da ich die Loge verließ, hörte ich seine Antwort nicht. So schien es also nach der Ansicht der Meisten eine ausgemachte Sache, daß Bulstrode Anneke heirathen sollte! Ich kann nicht beschreiben, wie mich diese so geäußerte Meinung auf's Neue erschütterte; aber ich kam dadurch gleichsam erst recht zum Bewußtseyn, welchen tiefen Eindruck der Verkehr einer Woche auf mich gemacht hatte. Die Wirkung auf mich war so stark, daß ich nicht zu der Gesellschaft zurückkehrte, welche ich verlassen hatte, sondern mir einen Platz in einem entfernteren Theile des Theaters suchte, jedoch einen solchen, von welchem aus ich diejenigen deutlich sehen konnte; welche ich verlassen hatte.
Bald begann die »Schöne Kriegslist«, und Bulstrode trat wieder auf in der Rolle Scrub's. Diejenigen, welche sich auf die Bühne am besten verstanden, erklärten sein Spiel für vortrefflich – für viel besser in der Rolle des Bedienten als in der des römischen Senators. Das Stück selbst fiel mir auf als so plump und derb, daß es kaum zu ertragen war; aber da es einen Namen und bedeutenden Ruf im Mutterland hatte, wagten unsere Matronen Nichts dagegen einzuwenden. Ich bemerkte jedoch mit Freuden, daß das Lächeln bald aus Anneke'ns Angesicht verschwand, und entdeckte, daß sie kein Wohlgefallen fand an Scenen, welche so wenig für ihre Jahre und ihr Geschlecht paßten. Die raschen, kurzen Blicke, welche zwischen Anneke und Mary Wallace gewechselt wurden, entgingen mir nicht, und die Art, wie sie Beide aufstanden, sobald der Vorhang fiel, verrieth deutlich genug die Hast, mit welcher sie das Theater zu verlassen suchten. Ich erreichte die Thüre ihrer Loge gerade zu rechter Zeit, um ihnen durch das Gedränge durchzuhelfen.
Keiner von uns sprach ein Wort, bis wir die Straße erreichten, wo zwei oder drei von der Miß Mordaunt Freundinnen ihre Zufriedenheit laut aussprachen. Weder Anneke noch Mary Wallace sagte Etwas, und ich verstand ihre Gefühle so gut, daß auch ich mit keiner Sylbe der Farce gedachte. Die Uebrigen stimmten nur in das ein, was die allgemeine Meinung zu seyn schien, und sie waren mehr zu bemitleiden, als zu verdammen. Es war vielleicht um so entschuldbarer, wenn sie ein solches Stück ganz in der Ordnung fanden, weil sie gehört haben mußten, es werde im Mutterlande sehr gelobt und erhoben, – ein Umstand, welcher jeder Sitte und jedem Brauch ein gewisses Privilegium in den Colonien verlieh. Ein Mutterland hat viel von der Verantwortlichkeit einer natürlichen Mutter, weil seine Ansicht und sein Beispiel ebenso gern von der von ihm abstammenden Colonie zur Rechtfertigung ihrer Ansichten und ihrer Handlungsweise angeführt zu werden pflegen, wie dieß bei einer Tochter in Beziehung auf die Mutter der Fall ist.
Ich glaube aber trotzdem, diese Verantwortlichkeit macht den Ministern oder dem Volke von England wenig Sorge, weil ich nie irgend ein lebhaftes Gefühl ihrer Pflichten hinsichtlich dieses Punktes habe entdecken können. Wir traten Alle in Herman Mordaunts Haus, nachdem wir den Weg zurück ebenso wie den Herweg gemacht hatten, und nahmen ein leichtes Souper ein, nebst köstlicher Chokolade. Gerade als wir uns zu Tische setzten, fand sich Bulstrode bei uns ein, um die Lobsprüche, die er verdient hatte, in Empfang zu nehmen, und sich seines Triumphes zu erfreuen. Er kam gerade mir gegenüber zu sitzen, auf Anneke'ns linke Seite, und begann bald ein Gespräch.
»Vor Allem,« rief er, »müßt Ihr Alle zugestehen, daß Tom Harris diesen Abend Wunder that als Miß Marcia Cato. Ich hatte meine ganz eigene Noth mit dem Schelmen, denn man hat kein Beispiel von einer benebelten Marcia; aber wir erhielten ihn doch gerade und aufrecht, und das war der schwierigste Theil meiner Leistungen, das kann ich Euch versichern.«
»Ja,« bemerkte Herman Mordaunt trocken, »ich glaube selbst, daß, Tom Harris nach dem Diner gerade und aufrecht zu halten, eine sehr schwierige Aufgabe ist – eine solche, die in der That eine sehr einsichtsvolle Behandlung erheischt.« »Ihr wäret so gütig, Eure Zufriedenheit mit der Darstellung des Cato auszusprechen, Miß Mordaunt,« sagte Bulstrode in sehr unterwürfiger und besorgter Weise; »aber ich bezweifle, ob die ganze Vorstellung Euch ebenso Freude machte.«
»Gewiß nicht. Hätte die Vorstellung mit dem ersten Stücke geschlossen, so würde ich, muß ich fürchten, allzu lebhaft bedauert haben, daß uns eine regelmäßige Bühne fehlt; aber die Farce wird dieß Bedauern gar sehr schwächen.«
»Ich fürchte, ich verstehe Euch, Cousine Anne, und ich bedaure sehr, daß wir nicht eine andere Wahl trafen,« erwiederte Bulstrode mit einer Demuth, welche ihm gar nicht gewöhnlich war, selbst im Gespräche mit Anneke Mordaunt; »aber ich kann Euch versichern, das Stück steht in ungeheurer Gunst im Mutterlande, und der Charakter des Scrub insbesondere ist gewöhnlich ein großer Liebling. Ich sehe jedoch aus Eurer Miene, daß genug davon gesprochen ist; nachdem ich aber diesen Abend so Viel gethan habe, diese verehrte Gesellschaft zu unterhalten, schmeichle ich mir, das Recht erworben zu haben, jede der hier anwesenden Ladies zu einem Gesange aufzufordern, sobald die geeignete Zeit dazu kommt. Vielleicht dürfte ich auch die Bitte um einen Spruch und einen Toast hinzufügen.«
Und Gesang, Toaste und Sprüche bekamen wir auch, wie gewöhnlich, im Augenblick wo das Essen zu Ende war. Es war, und ist noch, in der That bei uns sogar gewöhnlicher, dieser unschuldigen Fröhlichkeit nach dem Souper als nach dem Diner sich zu überlassen; und diesen Abend überließen sich Alle mit Lebhaftigkeit und bester Laune dem Gefühl des Augenblicks. Herman Mordaunt nannte »Miß Markham,« wie er beim Diner gethan hatte, und dieß mit einem so bestimmten Wesen, daß man wohl sah, er würde nie einen andern Toast preisgeben.
»Es besteht ein Vertrag zwischen Miß Markham und mir, während unsers übrigen Lebens aufeinander Toaste auszubringen,« rief der Herr des Hauses lachend; »und wir sind Beide zu ehrlich ihn zu verletzen.« »Aber Miß Mordaunt hat keine solche Verpflichtung,« bemerkte ein gewisser Mr. Benson, welcher im Laufe des Tages ein lebhaftes Interesse für die schöne junge Herrin des Hauses an den Tag gelegt hatte; »und ich hoffe, wir werden von ihr nicht mit einer solchen Entschuldigung abgewiesen werden.«
»Es ist nicht in der Regel, von Zweien desselben Stammes nach einander Toaste zu verlangen,« versetzte Herman Mordaunt. »Mr. Bulstrode hier stirbt vor Verlangen, uns eine andere englische Schöne zu nennen.«
»Von Herzen gern,« sagte Bulstrode lustig. »Dießmal soll es Lady Betty Baddington seyn.«
»Vermählt oder ledig, Bulstrode?« fragte Billings, wie ich zu bemerken glaubte, mit einiger Schalkheit.
»Das ist einerlei, wenn sie nur eine Schönheit ist und ein Toast. Ich glaube, es ist jetzt mein Recht, eine Lady aufzufordern: und ich erbitte mir einen Gentleman von Miß Wallace.«
Ein Ausdruck von unangenehmer Ueberraschung war in Anneke'ns holden Zügen sichtbar geworden bei der Neckerei zwischen Billings und Bulstrode; denn wir, in der Einfachheit unserer Provinzhütten, hielten es für nicht ganz schicklich, daß Unverheirathete Toaste auf Verheirathete ausbrachten, und umgekehrt; aber im Augenblick, wo ihre Freundin so aufgefordert ward, zeigte sich darin der Ausdruck freundlicher Theilnahme. Mary Wallace jedoch zeigte gar keine Aufregung und nannte: »Mr. Francis Fredham.«
»Ja, Frank Fredham, von ganzem Herzen,« rief Herman Mordaunt. »Ich hoffe, er wird in sein Heimathland so geradsinnig, ehrlich und gut zurückkehren, als er es verlassen hat.«
»Mr. Fredham ist also im Ausland?« fragte Bulstrode. »Der Name klang mir neu.«
»Wenn man das Mutterland Ausland nennen darf. Er studirt das Recht im Tempel.«
Diese Antwort gab Mary Wallace, welche dabei aussah, als ob sie nur ein freundschaftliches Interesse für den jungen Templer fühlte, und Nichts weiter. Sie forderte jetzt Dirck auf, seine Dame zu nennen. Während dieses ganzen Tages hatte man Dirck's Stimme kaum gehört; eine Schweigsamkeit, welche mit seiner Jugend und anerkannten Schüchternheit ganz wohl sich vertrug. Diese Aufforderung jedoch schien plötzlich Alles, was von Mannhaftigkeit in ihm war, zu wecken; und dessen war, wie ich den Leser versichern kann, nicht wenig, sobald eine Gelegenheit kam, es zu zeigen. Dirck's Wesen war die Ehrlichkeit selbst; und er fühlte, daß die Aufforderung zu offen, die Gelegenheit zu ernst war, um sich zweideutig auszusprechen. Er liebte nur Eine, achtete nur Eine, fühlte nur für Eine; und es lag nicht in seiner Natur, seine Neigung durch den Versuch einer Täuschung zu verschleiern. Er erröthete bis an die Ohren, schien in Verlegenheit und Noth, ermannte sich dann und sprach den Namen: »Anneke Mordaunt« aus.
Ein allgemeines Gelächter war der Lohn für diesen Bock, – allgemein, mit Ausnahme des schönen Wesens, welches diesen unwillkürlichen Tribut der Huldigung erhoben hatte, und meiner, der ich Dirck's Charakter zu gut kannte, um nicht zu begreifen, wie ernst es ihm seyn mußte, daß er so das theuerste Geheimniß seines Herzens enthüllte. Die Heiterkeit währte eine Zeitlang fort, und Herman Mordaunt schien eine ganz besondere Freude zu haben und applaudirte der Aufrichtigkeit seines Verwandten mit einigen sehr vernehmlichen Bravo's. Was Anneke betrifft, so bemerkte ich, daß sie gerührt war, während sie etwas betroffen schien, als wünschte sie, die Sache wäre ungeschehen geblieben.
»Aber, Dirck, so sehr ich Euren Muth und Eure Offenheit bewundere, lieber Junge,« rief Herman Mordaunt, »Miß Wallace kann doch eigentlich einen solchen Toast nicht passiren lassen. Sie wird darauf bestehen einen andern zu haben.«
»Ich? – Ich betheure, ich bin ganz erfreut darüber und wünsche mir keinen andern!« rief die in Rede stehende Lady. »Kein Toast kann mir angenehmer seyn, als Anneke Mordaunt, und ich muß denjenigen höchlich achten, von welchem er herrührt.«
»Wenn man Freundinnen in Dingen dieser Art trauen darf,« bemerkte Bulstrode, etwas empfindlich, »so hat Mr. Follock alle Ursache zufrieden zu seyn. Hätte ich jedoch gewußt, daß die Gebräuche in New-York gestatten, einen Toast auf eine anwesende Dame auszubringen, so wäre dieser Gentleman nicht der Erste gewesen, der das Verdienst gehabt, diese Entdeckung zu machen.«
»Auch ist es nicht gebräuchlich,« sagte Herman Mordaunt; »und Dirck muß eine andere Dame aufstöbern, um meine Tochter zu ersetzen.«
Aber in der Seele Dirck Follock's wollte sich keine andere auftreiben lassen. Hätte er auch ein Dutzend Namen in Reserve gehabt, nicht Einen würde er doch zum Besten gegeben haben unter Umständen, welche den Schein auf ihn laden konnten, als verlängre er die dem einmal genannten Mädchen gewidmete Huldigung; aber er vermochte wirklich kein anderes Frauenzimmer zu nennen. So gab denn die Gesellschaft, nach einigen Neckereien, indem sie Dirck's Zögern auf Rechnung seiner Jugend und seiner Unbekanntschaft mit der Welt schrieb, den Versuch auf, und verlangte von ihm, er solle nun seinerseits Anneke selbst zu einem Toast auffordern.
» Cousin Dirck Van Valkenburgh,« sagte Anneke, mit der ihrem Geschlecht eigenen größern Geistesgegenwart und Gewandtheit, obgleich sie um volle zwei Jahre jünger war, als mein Freund; und sie legte dabei einigen Nachdruck auf das Wort Cousin.
»So!« rief Dirck, mit einem triumphirenden Blick auf Bulstrode; »seht Ihr nun, Gentlemen und Ladies, daß es gestattet ist, einen Toast auf eine anwesende Person auszubringen, wenn man gerade diese Person achtet und hochschätzt.«
»Woraus wir erkennen sollen, Sir, wie sehr Miß Mordaunt Mr. Dirck Van Valkenburgh achtet und hochschätzt,« versetzte Bulstrode ernst. »Ich fürchte, es liegt nur zu viel Richtigkeit in einer Meinung, die, beim ersten Erröthen, nach Eigenliebe zu schmecken scheinen könnte.«
»Eine Anschuldigung und Vermuthung, die ich weit entfernt bin, zu läugnen,« erwiederte Anneke mit einer sichern Haltung, welche eine wundervolle Selbstbeherrschung verrieth, falls sie wirklich Dirck's Neigung irgend erwiederte. »Mein Vetter nennt mich in seinem Toast und ich ihn in dem meinigen. Ist denn daran etwas Unnatürliches?«
Hier begann ein Ausbruch von Neckereien auf Kosten Anneke'ns, welche die junge Lady mit einer Kaltblütigkeit und Fassung ertrug, die mich anfänglich ganz in Erstaunen setzte. Aber als ich mich besann, daß sie in der That schon einige Jahre an der Spitze ihres Vaters Hauswesen stand, und immer viel mit älteren Personen, als sie, umgegangen war, schien es mir doch begreiflicher; denn es ist gewiß, man kann die Entwicklung des Charakters entweder verfrühen oder aufhalten, dadurch, daß man eine Person in genauen Verkehr mit Solchen bringt, welche durch ihr Gespräch, ihr Benehmen und ihre Talente und Kenntnisse vorzugsweise geeignet sind, das Eine oder das Andere zu bewirken. In wenigen Minuten war die Episode von denjenigen vergessen, welche nicht besonders dabei beteiligt waren, und das Singen nahm seinen Anfang. Ich hatte durch meine Leistung beim Diner mich so empfohlen, daß mir die große Freude wurde, von Anneke selbst zum Singen noch eines Liedes aufgefordert zu werden. Natürlich willigte ich ein, und die Gesellschaft schien mir wohl zufrieden zu seyn. Was meine junge Wirthin betrifft, so sah ich, daß sie über meinen Gesang erfreuter schien, als über das Nachstück, und darauf durfte ich mir wohl etwas zu Gute thun. Dirck hatte Gelegenheit, wieder einigermaßen gut zu machen, was er durch den Verstoß beim Toast eingebüßt hatte, denn er sang ein treffliches komisches Lied in holländischem Volksdialekt. Es ist wahr, nicht die Hälfte der Gesellschaft verstand es, aber die andere Hälfte lachte, daß ihnen die Thränen über die Wangen rollten, und es lag etwas so Drolliges in meines Freundes Vortrag, daß Alle entzückt waren. Die Glocken schlugen Zwölf, ehe wir aufbrachen.
Ich blieb nur noch ein paar Tage in der Stadt, begegnete jedoch meinen neuen Bekannten jeden Tag, und wohl auch zweimal, auf Trinity-Church-Walk. Ich machte Abschiedsbesuche mit schwerem Herzen, zumal bei Anneke und ihrem Vater.
»Ich erfuhr von Follock,« sagte Herman Mordaunt, als ich ihm die Absicht meines Besuchs nannte, »daß Ihr morgen die Stadt verlassen wollt. Miß Mordaunt und ihre Freundin, Miß Wallace, gehen diesen Nachmittag nach Lilaksbush, denn es ist hohe Zeit, nach dem Garten und den Blumen zu sehen, von welchen viele jetzt in voller Blüthe stehen. Ich werde mich am Abend auch dahin begeben, und ich mache Euch jungen Männern den Vorschlag, auf Eurem Wege nach West-Chester ein spätes Frühstück bei uns einzunehmen. Eine Tasse Kaffe, ehe Ihr aufbrecht und Euch in den Sattel schwingt, um sechs Uhr wird Alles ins Gleichgewicht bringen. Ich verspreche Euch, daß Ihr bis ein Uhr wieder unterwegs seyn sollt, so daß Euch Zeit genug bleibt, vor Einbruch der Nacht Satanstoe zu erreichen.«
Ich sah Anneke an und glaubte zu bemerken, daß der Ausdruck ihres Gesichts günstig und ermunternd war. Dirck überließ mir Alles, und ich nahm die Einladung an. Diese Verabredung kürzte meinen Besuch in Crown-Street ab, und ich verließ das Haus mit leichterem Herzen, als ich es betreten hatte. Es ist immer so angenehm, eine unangenehme Pflicht verschoben zu sehen!
Am nächsten Tage waren wir, Dirck und ich, mit dem Glockenschlag Sechs im Sattel, und wir ritten durch die Straßen, gerade als die Schwarzen ihre Treppen und Trottoir's abwuschen, obwohl die letztern in meiner Jugend noch selten waren. Es ist dieß ein sehr bequemer Fortschritt, der jetzt ziemlich allgemein angenommen und bei welchem schwer zu begreifen ist, wie die Damen denselben missen könnten; alle neuen Straßen sind, wie ich sehe, in dieser Art verschönert.
Es war ein schöner Maimorgen und die Luft war voll süßer Gerüche, besonders vom Lilak, als wir auf's Land hinausritten. Gerade als wir nach Bowery-Lane kamen, sahen wir einen Reiter aus einer der Nebenstraßen heraus und unseres Weges reiten. Sobald er der zwei Reisenden ansichtig wurde, welche die gleiche Richtung wie er verfolgten, spornte er sein Pferd, um uns einzuholen, da er allein war und vermutlich Gesellschaft zu haben wünschte. Da es unfreundlich gewesen wäre, die Gesellschaft eines Reisenden unter diesen Umständen abzulehnen, zogen wir die Zügel an und ließen unsere Pferde im Schritt gehen, bis der Fremde uns erreichte; wo es sich zu unserer Ueberraschung zeigte, daß es Jason Newcome war. Der Pädagog war nicht minder erstaunt, als er uns erkannte, und ich glaube, er war mit der Entdeckung nicht ganz zufrieden; denn Jason war ein solcher Liebhaber von neuen Bekanntschaften, daß es ihm immer Freude machte, wenn er dazu Gelegenheit fand. Er war, so schien es, auf der Insel gewesen, um einen Verwandten zu besuchen, welcher sich verheirathet und daselbst niedergelassen hatte; und das war der Grund, warum wir ihn seit dem Morgen des Löwenabenteuers nicht mehr getroffen hatten. Natürlich trabten wir mit einander weiter, und es war uns weder lieb noch leid, diesen weitern Begleiter zu haben.
Ich habe mir nie das Verfahren erklären können, mittelst dessen Jason sich in die Geheimnisse von Jedermann einzudrängen wußte. Es ist wahr, er trug kein Bedenken, Fragen zu machen, und erlaubte sich solche, welche die Meisten als durch die Sitten und Gebräuche des geselligen Lebens ausgeschlossen und untersagt betrachten würden, mit so wenig Bedenken, als solche, welche Jedermann für zulässig hält. Die Bewohner von Neu-England sind überhaupt dafür berühmt, und ich erinnere mich, folgende Erklärung dieser Eigenthümlichkeit von Mr. Worden gehört zu haben: Alles und Jedermann wurde bei den Puritanern unter strenges und starres Kirchenregiment gestellt, und wenn ein ganzes Gemeinwesen auf den Glauben kommt, es habe über jede Handlung eines seiner Glieder zu Gericht zu sitzen, so ist es ganz natürlich, daß es dieß Recht darauf ausdehnt, auch nach allen ihren Angelegenheiten zu fragen. Eines ist gewiß: unsre Nachbarn in Connektikut nehmen sich eine Bevormundung der Handlungen und Meinungen der Individuen heraus, wovon man in New-York sich nicht träumen läßt; und es scheint mir sehr wahrscheinlich, daß die Gewohnheit, mit Fragen in Privatangelegenheiten sich einzudrängen, unter dem Einfluß jener Praxis sich ausgebildet hat.
Wie man sich leicht denken kann, suchte Jason, wenn ihm ein Versuch fehlschlug, mittelst mehr oder minder offener Fragen sich Aufschluß über gewisse Sachen zu verschaffen, seinem Zweck durch Vermutungen näher zu kommen; indem er die plausibelsten aufstellte, wenn solche aufzufinden waren, aber, wenn sich nichts Besseres darbot, auch mit solchen verlieb nahm, welchen nicht einmal diese zweideutige Empfehlung zukam. Er verfiel in Folge hievon natürlich immer in die gröbsten Irrthümer und Mißgriffe; denn da er nothwendigerweise seine Schlüsse auf Voraussetzungen baute, wie sie seine Unwissenheit und Unerfahrenheit ihm an die Hand gab, beging er gleich von vorn herein die gröbsten Fehlschlüsse. Und dieß war noch nicht das Schlimmste; da die menschliche Natur eben nicht immer gerade die größte Neigung zum Wohlwollen zeigt, vermischten sich oft in seinem Geiste die lieblosesten Deutungen mit den abgeschmacktesten Fehlschlüssen, und ich habe es oft erlebt, daß er sich Behauptungen zu Schulden kommen ließ, welche keine bessere Grundlage hatten, als jene Hypothesen, und die ihm schwere gerichtliche Strafen hätten eintragen können.
Bei der jetzigen Gelegenheit säumte Jason nicht lange, sich zu vergewissern, wohin unsere Reise ging. Dieß geschah in so charakteristischer und sinnreicher Weise, daß ich es doch erzählen muß.
»Ei, Ihr seyd heute früh auf der Bahn, Gentlemen!« rief Jason, sich ganz erstaunt stellend. »Was, um aller Welt willen, veranlaßte Euch, vor dem Frühstück aufzubrechen?«
»Der Wunsch, heute Abend ja nicht unser Nachtessen in Satanstoe zu versäumen,« antwortete ich.
»Nachtessen? Ha, Ihr werdet ja fast bis Mittagsessenszeit heim kommen; das heißt zu Eurer Yorker Mittagsessenzeit. Vielleicht gedenkt Ihr unterwegs einen Besuch zu machen?«
»Vielleicht, Mr. Newcome; es sind manche angenehme Familien zwischen hier und Satanstoe.«
»Daß weiß ich. Da ist der vornehme Mr. Van Cortlandts auf Yonkers; vielleicht gedenkt Ihr dort Halt zu machen.«
»Nein, Sir; wir haben das nicht im Sinne.«
»Dann ist da der reiche Count Philips, am Fluß; das läge nicht viel vom Wege ab?«
»Es ist weiter, als wir von der Straße abzugehen gedenken.«
»Oh, also habt Ihr wirklich die Absicht, einen kleinen Abstecher zu machen! Nun, da ist der Mr. Mordaunt, dessen Tochter Ihr aus den Tatzen des Löwen gerissen habt – er hat ein Haus in der Nähe von Kings-Bridge, genannt Lilaksbush.«
»Und wie habt Ihr das erfahren, Jason?«
»Durch Fragen. Meint Ihr, ich sey der Mann, der, wenn so etwas sich zutragt, sich nicht ein wenig nach der jungen Lady erkundigte? Es schadet nie etwas, wenn man sich ein Bischen auf's Fragen legt und Nachrichten einzieht; und ich habe diese Regel in Beziehung auf sie nicht vergessen.«
»Und Ihr habt erfahren, daß der Vater der jungen Lady ein Besitzthum, Lilaksbush genannt, in dieser Gegend hat?«
»Ja wohl; und eine kuriose Yorker Mode ist es, einem Hause einen Namen zu geben, gerade als wenn es ein christliches Wesen wäre; das muß ein römisch-katholischer Brauch seyn, und irgendwie mit Abgötterei und Bilderdienst zusammenhängen.« »Ohne allen Zweifel. Es ist zum Beispiel weit besser, zu sagen, wir wollen bei Mr. Mordaunt frühstücken, als zu sagen, wir beabsichtigen in Lilaksbush Halt zu machen.«
»Oh, ist es so, wirklich? Nun, ich dachte mir doch gleich, ein solches Haus unterwegs müsse Euch so frühe aus den Federn gejagt haben. Aber es wird ein verzweifelt spätes Frühstück seyn, Corny!«
»Es wird zehn Uhr werden, Jason, und das ist freilich ziemlich später als gewöhnlich; aber unser Appetit wird um so besser seyn.«
Dem stimmte Jason bei und begann dann eine Reihe von Manöuvres, um auch in unsre Gesellschaft beim Frühstück aufgenommen zu werden. Dieß jedoch wagten wir nicht zu thun, und alle Winke und Anspielungen Jason's blieben unbeachtet, bis endlich, durch unsre ausweichenden Antworten zur Verzweiflung getrieben, er plump heraus den Vorschlag machte, mit uns zu gehen, und wir ihm eben so rund heraus erklärten, daß wir uns keine solche Freiheit herausnehmen dürften bei einem Manne von Herman Mordaunt's Jahren, Stellung und Charakter. Ich weiß nicht, ob wir so großes Bedenken getragen haben würden, hätten wir Jason als einen Gentleman betrachtet, aber das war unmöglich. Der Brauch in der Colonie gestattete in dieser Hinsicht große Freiheit, und weicht in diesen Punkten von dem im Mutterlande, nach allen Berichten, bedeutend ab; dabei war aber immer vorausgesetzt, daß die Personen, die man mitbrachte, eine gewisse Bildung und Stellung im Leben hatten, – Eigenschaften, auf welche Jason sicherlich keinen Anspruch machen konnte.
Der Fall wurde etwas verwickelt und wir waren verlegen, als das Erscheinen von Mordaunt selbst zum Glück die Schwierigkeit beseitigte. Jason war nicht der Mann, der sich so leicht abschütteln ließ; aber hier war ein Mann, welcher die Kraft hatte, und auch die Neigung zeigte, die Dinge ins rechte Geleise zu bringen. Herman Mordaunt war ein paar Meilen weit die Straße herab uns entgegen geritten, in der Absicht, uns auf einem wenig bekannten kürzern Weg, von welchem wir Nichts wußten, nach seinem Sitze zu führen. Sobald er sah, daß Jason zu unsrer Gesellschaft gehöre, erbat er sich als eine Gunst, was unser Begleiter sehr gern als eine Wohlthat angenommen hätte.