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Achtzehntes Kapitel.

»Was schreckst du Mann? erregt dir Furcht, was doch
So lieblich lautet? – In der Wahrheit Namen,
Seyd Wahngebild Ihr, oder wirklich das,
Was körperlich Ihr scheint?«
Banquo.

Wie ich schon gesagt, das Abenteuer auf dem Fluß machte viel Aufsehen und Gerede in diesem einfachen Gemeinwesen, und hatte die Wirkung, Guert und mich zu einer Art von Helden im Kleinen zu machen; ich wurde weit mehr bekannt, als sonst der Fall gewesen seyn würde. Ich glaubte, Guert insbesondere würde davon großen Vortheil ernten; denn verschiedne ältere Personen, welche sonst die Stirne zu runzeln pflegten, so oft sein Name genannt wurde, konnten jetzt, wie ich zu bemerken die Gelegenheit hatte, lächeln; und man hörte zwei oder drei der herbsten Moralisten von Albany sagen: »Eigentlich habe dieser Guert Ten Eyck viel Gutes an sich.« Ich werde dem Leser kaum zu sagen brauchen, daß ein Moralist von der ersten Klasse an einem so abgelegenen und isolirten Ort wie Albany, nothwendig ein Wesen seyn mußte, welches sich an den allerstrengsten Codex hielt. Bei der Moral, wie ich die Sache verstehe, läuft gar viel Conventionelles mit unter. Es ist in der ganzen Welt, wie ich mir habe sagen lassen, eine Stadtmoral und eine Landmoral. Aber in Amerika war unsre Moral, und zwar schon seit langer Zeit, in drei große und sehr scharf getrennte Gattungen geschieden, nämlich in Neu-England- oder Puritaner-Moral; mittlere Colonien- oder liberale Moral, und südliche Colonien- oder latitudinarische Moral. Ich will mir nicht herausnehmen, alle Schattirungen von Unterschieden in diesen verschiednen Schulen zu bezeichnen; obwohl diejenige, in welcher ich selbst unterwiesen worden war, nothwendigerweise meinem Geschmack am besten zusagte. Es fanden sich untergeordnete Schattirungen in Einer und derselben Schule; und Guert und ich gehörten verschiednen Klassen an. Seine Moral war holländisch, die meinige dagegen im eigentlichen Sinne englisch. Der hauptsächliche charakteristische Zug der holländischen Schule war die vorherrschende Neigung zum Uebermaß, zu Excessen in physischen Genüssen und Freuden. Bei ihnen regnete es nicht oft; aber wenn es regnete, so goß es auch gewiß in Strömen. Der alte Oberst Follock war in diesem Punkt ein wahres Musterbild; und auch sein Sohn Dirck, so jung und schüchtern er war, war doch auch nicht ganz eine Ausnahme von der Regel. Es gab im Ganzen keinen achtbareren Mann in der ganzen Colonie, als Oberst Van Valkenburgh. Er hatte eine angesehene Verwandtschaft, besaß ein schönes, schuldenfreies Besitzthum und Geld auf Zinsen angelegt; er war eine der Hauptstützen der Kirche in seiner Gegend; war geachtet als guter Gatte, guter Vater, treuer Freund, wohlwollender Nachbar, trefflicher und loyaler Unterthan und durchaus ehrlicher Mann. Dennoch hatte Oberst Van Valkenburgh seine schwachen Stunden und Zeiten. Er mußte manchmal seine Lustbarkeiten haben, und der Dominie war genöthigt, hinsichtlich dieses Hanges ein Auge zuzudrücken. Mr. Worden nannte ihn oft im Scherz: Oberst Frolic. Seine Lustbarkeiten konnten in zwei Klassen getheilt werden; in mäßige nämlich und in ungemäßigte. Von ersteren kamen jährlich zwei oder drei Anwandlungen; und das waren die Gelegenheiten, wo er gewöhnlich Satanstoe besuchte, oder meinen Vater bei sich zu Rockrockarock sah, wie sein Gut in Rockland hieß. Bei diesen Besuchen, hüben oder drüben, fand ein starker Verbrauch von Taback, Bier, Cider, Wein, Rum, Citronen, Zucker und andern Ingredienzien zu Punsch, Toddy und Flip statt; aber keine nach Zeit und Wirkungen zu weit gehenden Excesse. Es gab da viel Gelächter und viele gute Einfälle und Gedanken, manche Geschichten und regelmäßige Wiederholungen alter Abenteuer, in dem Styl traditioneller Mähren und Erzählungen; aber Nichts, was man im eigentlichen Sinne Excesse nennen konnte. Es ist wahr, mein Großvater, mein Vater, der hochwürdige Mr. Worden und Oberst Follock pflegten sich nicht selten mit etwas umnebeltem Gehirn zu Bette zu legen, – die Folge des starken Tabackrauchens, wie Mr. Worden immer behauptete; aber Alles blieb doch anständig und in Ordnung. Der Pfarrer zum Beispiel zog sich unabänderlich am Freitag zurück, und nahm seinen Platz im Kreise erst am folgenden Montag wieder ein; so daß er volle vierundzwanzig Stunden hatte, sich abzukühlen, ehe er die Kanzel bestieg. Ich will dieß anführen, zum Beweise, daß Mr. Worden sehr systematisch und methodisch in Beobachtung aller seiner Pflichten sich benahm; und ich habe es erlebt, daß er, wenn er später beim Mittagessen erschien, und entdeckte, daß mein Vater versäumt hatte, das Tischgebet zu sprechen, darauf drang, daß Alle Messer und Gabeln hinlegten, während er den himmlischen Segen wünschte, selbst wenn der Fisch schon verzehrt war. Nein, nein, Mr. Worden war in allen solchen Dingen ein gar pünktlicher Mann; und man anerkannte allgemein, daß er es gewesen, durch welchen das Tischgebet bei verschiedenen Familien in West-Chester eingeführt worden, in welchen es gar nicht im Brauche gewesen war, ehe sein Beispiel und seine Lehren sie damit bekannt machten.

Ich war keine vierzehn Tage mit Guert Ten Eyck bekannt, als ich schon sah, daß auch er einen starken Hang zu der Art von Lustbarkeiten hatte, wovon Oberst Van Valkenburgh ein Freund war. Es wohnte in der Nähe von Satanstoe ein alter französischer Hugenotte, – oder vielmehr der Sohn eines solchen, welcher noch die Sprache seines Vaters sprach, – und welcher die Lustbarkeiten des Oberst Follock seine »grands couchers« und seine »petits couchers« Großes und kleines Zubettegehen; der Gegensatz von »grand lever« und »petit lever« – Empfang bei Hofe. nannte; sofern er gewöhnlich bei den letztern ohne Hülfe zu Bette ging, während er bei den erstern unerläßlich war, daß ihm einiger Beistand geleistet wurde. Diese grands couchers machte mein Vater niemals mit. Bei diesen Gelegenheiten hielt der Oberst seine Orgien ohne Ausnahme in Rockland drüben, in Gesellschaft von Männern von rein holländischer Abkunft, und es hatte diese Art von Genuß einen etwas ausschließenden Charakter. Ich habe gehört, die Lustbarkeiten dieser letztern Art hätten manchmal bei wirklich wichtigen Veranlassungen eine ganze Woche fortgedauert, während welcher ganzen Zeit der Oberst und alle seine Freunde so vergnügt gewesen, wie Lords. Diese grands couchers jedoch kamen nur selten vor – und traten gleichsam nur wie die Schaltjahre ein, um den Kalender zu reguliren und die Zeitrechnung ins ordentliche Geleise zu bringen.

Was meinen Freund Guert betrifft, so machte er während der Zeit meines Aufenthalts zu Albany keine Anstalten zu einem grands coucher, – dieß verbot ihm seine Neigung zu Mary Wallace; aber ich errieth aus verschiednen Winken und Anspielungen, daß er wohl schon bei ein paar solchen Affairen betheiligt gewesen war, und daß er noch jetzt in allen Gliedern ein Verlangen darnach spürte. Ich bin fest überzeugt, die Kunde von dem Vorhandenseyn solcher Schwächen, und ihr lebhafter Widerwillen gegen Alles der Art allein machte, daß Mary Wallace noch zögerte, Guert's wöchentlich wiederholten Antrag anzunehmen. Die zärtliche Neigung, welche sie unverkennbar für ihn empfand, leuchtete jetzt zu sichtlich aus ihren Augen, als daß in meiner Seele noch ein Zweifel an Guert's endlichem Erfolge Raum fand; denn welche Frau hätte sich noch lange geweigert, sich zu ergeben, wenn das Bild des Belagerers schon in der Citadelle ihres Herzens seinen Platz eingenommen hatte? Selbst Anneke empfing Guert mit großer Gunst und Freundlichkeit nach seinem trefflichen Benehmen auf dem Fluß; und ich bildete mir ein, es gehe Alles aufs Erwünschteste für meinen Freund, während mich däuchte, daß ich in meiner eignen Bewerbung keine Fortschritte machte. Dieß wenigstens war meine Ansicht vom Stand der Dinge gerade in dem Zeitpunkt, wo mein neuer Freund, wie es schien, beinahe zur Verzweiflung getrieben war.

Es war gegen Ende Aprils, ungefähr einen Monat nach unserem gefahrvollen Abenteuer auf dem Eis, als Guert mich an einem schönen Frühlingsmorgen aufsuchte; halbe Verzweiflung malte sich in seinem schönen männlichen Gesicht. Während dieses ganzen Monats, dieß muß ich vorausschicken, hatte ich Anneke'n nie von Liebe zu sprechen gewagt! Meine Aufmerksamkeiten und Besuche hatten mit lebhafter Beflissenheit fortgedauert, aber mein Mund war stumm geblieben. Die Schüchternheit der aufrichtig bewundernden Liebe hatte meine Zunge gebunden gehalten; und ich bildete mir närrischer Weise ein, es würde scheinen, als wenn ich mir auf die neulich geleisteten Dienste hier Etwas herausnähme und darauf pochte, wenn ich so bald nach den oben beschriebenen Vorfällen meine Bewerbung lebhafter verfolgte. Ich war sogar so romanhaft gesinnt, zu meinen, es hieße mich eines ungebührlichen unredlichen Vortheils gegenüber von Bulstrode bedienen, wenn ich meine Ansprüche in einem Augenblick geltend machen wollte, wo der Gegenstand unserer beiderseitigen Wünsche und Bewerbung muthmaßlich von den Einflüssen einer lebhaften Dankbarkeit beherrscht würde. Das waren, man muß es gestehen, die Vorstellungen und Gefühle eines sehr jungen Mannes; aber ich wüßte nicht, daß ich mich derselben zu schämen hätte. Jedenfalls waren sie so in meiner Seele vorhanden; und sie hatten die genannte Wirkung gehabt, indem sie mich jeden Tag in verzweifeltere Liebe fallen machten, während ich in Förderung meiner Bewerbung nicht merklich weiter kam. Guert war so ziemlich in derselben Lage; mit dem Unterschied jedoch: er machte sichs zur Pflicht, jeden Montag früh ausdrücklich seinen Antrag zu machen, worauf er unabänderlich die Antwort erhielt: »Nein!« falls er die Lady zu einer entscheidenden Antwort zu drängen gedenke; wobei ihm aber doch ein Strahl von Hoffnung gelassen wurde, falls er ihr Zeit zu einem Entschluß gönne. Der erwähnte Besuch Guert's bei mir fand statt nach einem dieser allwöchentlichen Anträge, nebst der gewöhnlichen Antwort; der Antrag ganz offen und bestimmt, und das »Nein« gemildert durch die zweifelnde nachdenkliche Stirne, das zärtliche Lächeln und das thränenfeuchte Auge.

»Corny,« sagte mein Freund, indem er mit höchst jämmerlicher Miene seinen Hut hinwarf; denn nachdem der Winter Abschied genommen, hatten wir Alle unsre Pelzmützen bei Seite gelegt – »Corny! ich bin so eben wieder abgewiesen worden! Das Wort: › Nein!‹ ist nachgerade Mary Wallace so geläufig geworden, daß ich fürchte, ihre Zunge wird gar nicht mehr lernen, ein ›Ja!‹ auszusprechen. Wißt Ihr wohl, Corny, ich habe große Lust, Mutter Doortje zu befragen?«

»Mutter Wen? Ihr meint doch hoffentlich nicht Mr. Mayor's Köchin?« »Nein; Mutter Doortje. Sie gilt für die beste Wahrsagerin, die je in Albany gelebt hat. Aber vielleicht glaubt Ihr nicht an Wahrsagerinnen; manche Personen von meiner Bekanntschaft glauben nicht daran.«

»Ich kann nicht sagen, daß ich sonderlichen Glauben oder Unglauben in dieser Hinsicht habe, da ich noch nie etwas der Art gesehen habe.«

»Hat man also keine Wahrsager oder Wahrsagerinnen, keine Personen, welche sich auf die schwarze Kunst verstehen, in New-York?«

»Ich habe von solchen Leuten schon gehört, aber nie Gelegenheit gefunden, sie selbst zu sehen oder zu hören. Wenn Ihr hingeht und diese Mutter Dorrichy, oder wie Ihr sie nennt, besucht, so würde es mich erstaunlich interessiren, auch von der Gesellschaft zu seyn.«

Guert war hocherfreut, dieß zu hören und ergriff mit Begierde mein Anerbieten. Wenn ich ihm den Freundschaftsdienst leisten wolle, so wolle er sogleich hingehen; aber er gestand, daß er sich nicht gern allein in die Nähe des alten Weibes getrauen möchte.

»Ich bin vielleicht der einzige Mann meines Alters in ganz Albany, der nicht irgend einmal schon Mutter Doortje befragt hätte«; setzte er hinzu. »Ich weiß nicht, wie es ist, aber woher es nun rühren mag, ich habe nie das Schicksal versuchen mögen, indem ich zu ihr gegangen wäre, sie zu befragen. Man kann nie wissen, was ein solches Wesen Einem sagen mag; und wenn es etwas Schlimmes ist, ha, so könnte es einen Mann höchst elend machen. Wahrhaftig, ich brauche so schon nicht mehr Sorge und Jammer, als mir der Umstand macht, daß ich Mary Wallace so unentschlossen sehe, ob sie mich haben will!«

»Also habt Ihr am Ende doch nicht im Sinne hinzugehen! Ich wäre nicht nur bereit, sondern sehr begierig, Euch zu begleiten.«

»Ihr mißversteht mich, Corny. Hingehen will ich jetzt, mag sie mir auch Dinge wahrsagen, daß ich mir darüber den Hals abschneide – aber wir dürfen nicht hingehen so wie wir sind; wir müssen uns verkleiden, damit sie uns nicht kennt. Jedermann geht verkleidet hin, und dann hat man Gelegenheit zu merken, ob sie in guter Verfassung und Stimmung zum Wahrsagen ist, oder nicht, indem man dann gleich darauf achtet, ob sie Einem sagen kann, was man im Leben treibt und was man für ein Anliegen hat. Wenn sie es darin nicht trifft, so achte ich alles Uebrige nicht einen Strohhalm werth. So geht denn ans Werk, Corny, und kleidet Euch an für diesen Gang – entlehnt Kleider von den Leuten im Hause hier, und kommt dann zu mir hinüber, sobald Ihr Lust habt; ich werde bereit seyn, denn ich gehe oft verkleidet zu Lustbarkeiten – ja, ich unglücklicher armer Teufel, der ich bin, und komme auch verkleidet und vermummt zurück!«

Alles das geschah, wie er es verlangte. Mit Hülfe eines Dieners in der Herberge ward ich auf eine, wie ich fest überzeugt war, sehr glückliche Weise herausstaffirt; denn wie ich das Haus verließ, ging ich an Dirck vorbei und mein alter, vertrauter Freund erkannte mich nicht. Guert war ebenso glücklich, denn in Wahrheit fragte ich ihn selbst nach ihm, als er mir die Thüre öffnete. Sein Lachen jedoch und sein schönes Gesicht weihten mich bald in das Geheimniß ein, und wir schlenderten in bester Laune fort, beinahe unsre Besorgnisse wegen der Zukunft vergessend über dem Spaß, an unsern Bekannten auf der Straße vorbeizugehen, ohne von ihnen erkannt zu werden.

Guert war mit weit mehr Kunst und Geschick verkleidet als ich. Wir hatten Beide die Kleider von Handwerkern angezogen; Guert trug einen Kittel, den er sich als Liebhaber vom Fischen für diese Beschäftigung im Sommer angeschafft hatte – ich aber trug mein gewöhnliches Weißzeug, so daß man es sah, und ebenso auch die sonstigen untergeordneten Stücke meines täglichen Anzugs. Mein Freund deutete mir unterwegs auf einige dieser Mängel hin, und es ward ein Versuch gemacht, ihnen abzuhelfen. Da wir Mr. Worden's ansichtig wurden, beschloß ich, ihn zu stellen, und mit veränderter Stimme anzureden, um zu sehen, ob es möglich wäre, ihn zu täuschen.

»Euer Tiener, Tominie,« sagte ich mit einem linkischen Bückling, sobald wir dem Pfarrer nahe genug waren, um ihn anzureden, »seyd Ihr der Tominie, welcher die Leute kopulirt um eine Kleinigkeit?«

»Ja, oder um eine Handvoll, und das letztere ist mir lieber. – Ey, Corny, du Schelm, was soll das Alles bedeuten?«

Es war nothwendig, Mr. Worden in das Geheimniß einzuweihen; und sobald er vernahm, was wir vor hatten, so drückte er den Wunsch aus, auch von der Gesellschaft zu seyn. Da wir es ihm nicht abschlagen konnten, kehrten wir um nach dem Gasthaus, und ließen ihm Zeit, eine passende Verkleidung anzulegen. Da der Geistliche das Costüm seines Berufes streng beobachtete, und aufs ängstlichste auf sein kirchliches Aeußere hielt, war es für ihn sehr leicht, in seinem Anzug eine solche Veränderung zu bewirken, daß er ein gänzliches Inkognito behaupten konnte. Nachdem Alles fertig war, machten wir uns von Neuem auf den Weg.

»Ich gehe mit Euch, Corny, auf diesem närrischen Gang,« sagte der Hochwürdige Mr. Worden, sobald wir recht unterwegs waren, »um einem Versprechen nachzukommen, das ich Eurer trefflichen Mutter gegeben, Euch nicht unter verdächtige Gesellschaft gehen zu lassen, ohne ein väterliches Auge auf Euch zu haben. Nun betrachte ich eine Wahrsagerin als eine sehr zweideutige Person und Gesellschaft, und daher mache ich es mir zur Pflicht, Euch zu begleiten.«

Ich weiß nicht, ob es dem Hochwürdigen Mr. Worden gelang, sich selbst zu täuschen, aber gewiß weiß ich, daß ihm nicht gelang, mich zu täuschen. Die Wahrheit war: er liebte einen lustigen Streich, und Nichts machte ihn glücklicher, als wenn er Gelegenheit fand, gerade an einem solchen Abenteuer, wie wir eines vor hatten, Theil zu nehmen. Nach der Lage ihres Hauses zu urtheilen und nach dem Aussehen der Dinge darin und seiner Umgebung mußte das Geschäft von Mutter Doortje eben nicht sehr gewinnreicher Art seyn. Schmutz und Armuth waren zwei Dinge, denen man in Albany nicht leicht begegnete; und ich behaupte nicht, daß wir die entscheidenden Spuren des einen oder der andern hier fanden; wohl aber weniger Sauberkeit, als sonst in diesem überreinlichen Gemeinwesen gewöhnlich war; und großer Ueberfluß fiel sicherlich auch in keiner Weise ins Auge.

Wir wurden eingelassen von einer jungen Frauensperson, welche uns zu verstehen gab, Mutter Doortje habe schon ein paar Kunden bei sich; aber sie lud uns ein, in einem äußern Zimmer uns zu setzen, und versprach uns, die Reihe solle zunächst an uns kommen. Demgemäß nahmen wir Platz und lauschten, da die Thüre etwas geöffnet war, mit nicht geringer Neugier auf das, was drinnen vorging. Ich kam zufällig auf einen Platz zu sitzen, von wo aus ich im Stande war, die Beine von einem Kunden der Wahrsagerin zu sehen, und ich dachte sogleich, die gestreiften Strümpfe müßten mir doch bekannt seyn, als der näselnde und überhaupt ganz eigentümliche Ton Jason's die Sache zur zweifellosen Gewißheit erhob. Er sprach sehr angelegentlich und eifrig, was ihn etwas unvorsichtig machte; während das Weib in sehr leisem, murmelndem Tone sprach. Trotzdem hörten wir doch Alle folgendes Gespräch:

»Nun gut, Mutter Dorrichay,« sagte Jason mit sehr zuversichtlichem Wesen, »ich habe Euch für diesen Handel hier gut bezahlt, und ich möchte nun gerne wissen, ob eine Aussicht ist für einen armen Mann in dieser Colonie, dem es nicht an Freunden, und man darf wohl sagen, auch nicht an Verdienst fehlt?«

»Der Mann seyd Ihr!« flüsterte das Weib in der Art, wie man eine Entdeckung ankündigt. »Ja, ich sehe aus den Karten, daß Eure Frage sich auf Euch selbst bezieht. Ihr seyd ein junger Mann, dem es nicht an Freunden fehlt; und Ihr habt Verdienst! Ihr habt Freunde, die Ihr verdient; das sagen mir die Karten!«

»Nun, ich will die Wahrheit dessen, was Ihr behauptet, nicht läugnen; und ich muß sagen, Dirck, es ist in der That nicht wenig seltsam, daß diese Frau, die mich früher nie gesehen, mich so gut, gleichsam in meiner innersten Natur, kennt. Aber glaubt Ihr, ich werde gut daran thun, die Sache mit der ich jetzt beschäftigt bin, zu verfolgen, oder würde ich besser daran thun, sie aufzugeben?«

»Gebt Nichts auf!« antwortete das Orakel in sehr orakelmäßiger Art, zugleich die Karten mischend; »nein, gebt Nichts auf, sondern behaltet und behauptet, was Ihr nur könnt. Das ist der Weg, es in der Welt zu Etwas zu bringen.«

»Beim Henker, Dirck, sie gibt guten Rath, und ich denke, ich werde ihn befolgen. Aber wie ist es mit dem Land und dem Mühlsitz? oder vielmehr, wie ist es mit den Dingen, an die ich eben jetzt denke?«

»Ihr denkt daran, zu kaufen – ja, die Karten sagen zu kaufen; oder vielleicht zu disponiren über –«

»Ha, da ich Nichts zu verkaufen habe, so kann ich nicht wohl disponiren, Mutter!«

»Ja, ich habe Recht, dieser Eichelbube entscheidet die Sache klärlich – Ihr denkt daran, etwas Land zu kaufen. Ha; da fließt Wasser bergabwärts und hier sehe ich einen Teich. Ha, Ihr gedenkt einen Mühlsitz zu kaufen.«

»Beim Henker! Wer hätte das geglaubt, Dirck!«

»Keine Mühle; nein, es ist noch keine Mühle gebaut; aber ein Mühlsitz. Sechs, König, Drei und Aß; ja ich sehe, wie es ist – und Ihr wünscht diesen Mühlsitz weit wohlfeiler als zum wahren Werth zu bekommen. Weit wohlfeiler: nicht um Wenig, sondern um Vieles wohlfeiler!«

»Nun, das ist doch wunderbar! Ich will mich nie wieder über das Wahrsagen aufhalten,« rief Jason aus. »Dirck, Ihr müßt Nichts hievon sagen und nicht weiter daran denken, da Alles im Vertrauen ist, wißt Ihr. Nun gebt mir nur noch ein letztes Wort über das Lebensende, Mutter, und ich bin zufrieden gestellt. Was Ihr mir von meinem Vermögen und Erwerb geweissagt habt, muß wohl wahr seyn, glaube ich, denn mein ganzes Herz ist dabei; aber ich möchte gar gern auch wissen, was mir, nachdem ich so viel Reichthum und Glück genossen, als Ihr mir verheißen habt, für ein Lebensende bevorsteht?«

»Ein vortreffliches Ende – voll Gnade, Hoffnung und christlichen Glaubens. Ich sehe hier Etwas, das aussieht wie der Rock eines Geistlichen – weiße Ermel, – Buch unterm Arm.«

»Das kann mich nicht bedeuten, Mutter, da ich kein Liebhaber von Formen bin, sondern zu der Platform Bezeichnung von einer Kirchenordnung in Nordamerika. gehöre.«

»Oh, jetzt sehe ich, wie es ist; Ihr könnt die Leute von der Kirche von England nicht leiden, und wäret im Stande, sie mit Koth zu bewerfen. Ja, ja – hier seyd Ihr – ein presbyterianischer Diakon, – Einer, der bei einer Privatversammlung im geeigneten Fall den Ton angeben kann.«

»Kommt, Dirck, ich bin zufrieden gestellt; laßt uns gehen; wir haben Mutter Doorichaise lang genug aufgehalten, und ich habe so eben Besuche herein kommen gehört. Dank Euch, Mutter, Dank Euch von ganzem Herzen; ich glaube, am Ende muß doch an dieser Wahrsagerei etwas Wahres seyn!«

Jetzt stand Jason auf und schritt zum Hause hinaus, ohne uns auch nur eines Blickes zu würdigen, und somit ohne daß wir von ihm erkannt wurden. Dirck aber zögerte noch eine Minute, noch nicht befriedigt mit Dem, was ihm gewahrsagt worden war.

»Ihr glaubt also wirklich, ich werde mich nie verheiraten, Mutter?« fragte er in einem Ton, welcher zur Genüge bewies, welche Wichtigkeit er der Antwort beilegte. »Ich wünsche dringend, dieß bestimmt zu wissen, ehe ich von hier weggehe!«

»Junger Mann,« antwortete die Wahrsagerin in orakelhaftem Tone, »was ich gesagt habe, das habe ich gesagt. Ich kann nicht ein Schicksal machen, sondern nur es offenbaren und enthüllen. Ihr habt gehört, daß holländisches Blut in Euern Adern ist: aber Ihr wohnt in einer englischen Colonie. Euer König ist auch ihr König, während sie Eure Königin ist, aber Ihr nicht der Gebieter ihres Herzens. Wenn Ihr eine Frau von englischem Blute finden könnet, welche ein holländisches Herz hat, und keine englischen Werber, so geht kühn auf Euer Ziel los und es wird Euch glücken; aber wo nicht, so bleibt wie Ihr seyd, bis ans Ende der Tage. Das sind meine Worte und das sind meine Gedanken. Mehr kann ich nicht sagen.«

Ich hörte Dirck seufzen. Der arme Kerl! er dachte an Anneke; und er schritt durch das äußere Zimmer, ohne nur einmal die Augen vom Boden aufzuschlagen. Er verließ Mutter Doortje ebenso niedergeschlagenen Geistes, als Jason sie mit stolz gehobenem Muthe verlassen hatte; der Eine sah der Zukunft mit selbstsüchtiger, gieriger Hoffnung entgegen, während der Andere sie mit einem so trostlosen Gefühle betrachtete, als die Zerstörung aller seiner Jugend-Wünsche und Phantasien es ihm eingeben konnte beim Hinblick auf sein künftiges Leben. Der Leser fühlt sich vielleicht versucht zu lächeln über die Idee, daß Dirck Van Valkenburgh Jugendphantasien gehabt habe, – wenn er sich den jungen Mann vergegenwärtigt mit dem ruhigen, anspruchslosen Wesen, wie er bisher von mir geschildert worden ist; – aber man würde seinem Herzen und seinen Gefühlen arges Unrecht thun, wenn man sich ihn als einen Mann ohne tiefe Empfindungen dächte. Ich bin immer der Ansicht gewesen, daß diese Besprechung mit Mutter Doortje einen bleibenden Einfluß auf das Schicksal des armen Dirck gehabt habe, auch bin ich nicht überzeugt, ob nicht der Eindruck davon lange im Gemüth und in der Stimmung anderer Personen haftete, die ich nennen könnte. Da jetzt die Reihe an uns gekommen war, wurden wir zu der Wahrsagerin berufen. Es ist nicht nöthig, das Gemach zu beschreiben, in welchem wir Mutter Doortje trafen. Es hatte nichts Ungewöhnliches, mit Ausnahme eines Raben, welcher auf dem Boden herumhüpfte und auf dem vertraulichsten Fuß mit seiner Herrin zu stehen schien. Doortje selbst war eine Frau von vollen sechszig Jahren, runzlig, mager und hexenhaft, und es schien mir, bei ihrer Kleidung sey darauf Bedacht genommen worden, den Eindruck dieses ihres gewiß natürlichen Aussehens noch zu steigern und zu verstärken. Ihre Haube bestand ganz aus schwarzer Mousseline, während ihr übriger Anzug grau war. Das Auge dieses Weibes hatte die Farbe ihres Rockes, und es war durchdringend, rastlos und tiefliegend. Im Ganzen sah sie völlig ihrer Rolle und ihrem Charakter entsprechend aus.

Bei unserm Eintritt legte Jeder von uns, nachdem wir die Wahrsagerin begrüßt, eine französische Krone auf den Tisch, an welchem sie saß. Diese Münze war stark in Umlauf unter uns gekommen, seit die französischen Truppen in unsere Colonie eingedrungen waren, und es wurde sogar behauptet, sie hätten damit von Einigen aus unserm Volke Unterstützung erkauft. Da wir den höchsten Preis, der je für diese Blicke in die Zukunft entrichtet wurde, bezahlt hatten, glaubten wir uns berechtigt, die Blätter des versiegelten Buches ganz offen vor uns aufgeschlagen zu sehen.

»Wünscht Ihr Alle miteinander mich zu sprechen, oder soll ich mit Jedem besonders verkehren?« fragte Doortje, mit ihrer heisern, dumpfen Grabesstimme, die, wie mich däuchte, ihren eigentümlichen Ton theils von der Natur, theils von der Kunst hatte.

Es wurde festgesetzt, daß sie mit Mr. Worden den Anfang machen, daß aber Alle die ganze Zeit im Zimmer bleiben sollten; während wir diesen Punkt besprachen, blieben Doortje's Augen keineswegs auf Einem Gegenstand ruhen, sondern ich bemerkte, daß sie von einer Person zur andern schweiften, wie wenn sie Aufschlüsse zu erhaschen suchten. Viele Leute glauben gar nicht an die Wahrsagekunst, sondern behaupten, es sey lediglich Nichts daran, als List, Geschicklichkeit und Schlauheit; und in diesem Falle wurde behauptet, das Weib habe die Schwarzen der Stadt im Sold, daß sie ihr Nachrichten zutrügen; und daß sie nie etwas Wahres von der Vergangenheit aussage, was ihr nicht zuvor auf solche Weise mitgetheilt worden. Ich mag nicht behaupten, die Kunst gehe so weit als Manche sich einbilden, aber es kommt mir doch sehr anmaßend vor, läugnen zu wollen, daß irgend etwas Wahres an diesen Sachen sey. Ich möchte nicht gern als leichtgläubig erscheinen, aber daneben halte ich es doch für unrecht, wenn wir unser Zeugniß Thatsachen verweigern, von deren Wahrheit wir überzeugt sind. Es ist ganz unverkennbar, daß Mr. Cornelius Littlepage bis auf einen gewissen Grad an die Wahrsagekunst glaubte. Das war aber auch vor einem Jahrhundert etwas ganz Gewöhnliches. Ich kann es mir noch ganz gut erinnern, denn es war in den Tagen meiner Schulzeit, daß die Albanier eine berühmte Meisterin der schwarzen Kunst hatten, welche von den guten Hausfrauen der Stadt regelmäßig wegen aller abhanden gekommenen Löffel und wegen der Diebstähle von Dienstboten befragt wurde. Die Holländer, wie die Deutschen, scheinen zu dieser Art von Aberglauben große Neigung gehabt zu haben, von welchem auch die Personen von englischer Erziehung und Bildung vor hundert Jahren keineswegs frei waren. Mademoiselle Lenormant trieb ja noch im gegenwärtigen Jahrhundert ihr Wesen sogar in der skeptischen Hauptstadt von Frankreich. Aber in unsern Tagen tritt die Sonnambule an die Stelle der alten Wahrsagerin. Der Herausgeber.

Doortje fing damit an, ein äußerst schmutziges Kartenspiel zu mischen, welches vermuthlich schon tausendmal denselben Dienst geleistet hatte. Dann ließ sie Mr. Worden diese Karten abheben; worauf eine scharfe, nachdenkliche Besichtigung und Prüfung folgte. Während dieser ganzen Zeit ward keine Sylbe gesprochen, wohl aber überraschte uns ein leises Pfeifen des Weibes, welches den Raben auf ihre Schultern fliegen machte.

»Nun, Mutter!« rief Mr. Worden mit einiger Ungeduld über die Mummerei, was das Ganze nach seiner Ansicht war, »ich sterbe vor Verlangen zu hören, was geschehen ist, damit ich um so mehr dem Glauben schenke, was geschehen soll. Sagt mir Etwas von der Waizeneinsaat, die ich im letzten Herbst machte; wie viele Bushels ich gesät habe und auf wie viele Acres; ob auf altes oder auf Neubruch-Land?«

»Ja, ja, Ihr habt gesät! – und Ihr habt gesät!« antwortete das Weib in einem, für ihre Stimme, lauten Ton, »aber Euer Samen ist unter die Dornen gefallen, und auf steinigen Grund und Ihr werdet nie eine Seele unter ihnen Allen ernten! Reichlich mögt Ihr aussäen, aber klein wird Euer Ernteertrag seyn!«

Der Hochwürdige Mr. Worden stieß ein lautes Hm! aus, stemmte die Arme in die Seiten, und schien entschlossen, mit eherner Stirne Stand zu halten, obwohl ich leicht bemerkte, daß es ihm ausnehmend schwül zu Muthe war.

»Wie steht es mit meinem Vieh? und werde ich dieß Jahr viele Schafe auf den Markt schicken?«

»Ein Wolf in Schafskleidern?« murmelte Doortje. »Nein, nein, – Ihr seyd ein Freund von warmen Nachtessen und Enten, und von Lektionen, vor Köchinnen gehalten, mehr als davon, in der Ernte des Herrn zu arbeiten und zu sammeln.«

»Kommt, Weib, das ist lauter Thorheit!« rief der Pfarrer zornig. »Gebt mir vernünftige Red' und Antwort für meine gute französische Krone. Was seht Ihr in diesem Ecksteinbuben, daß Ihr sein Gesicht so scharf studirt?«

»Einen springenden Dominie!« kreischte die Hexe mehrmals, mehr als daß sie nur laut sprach. »Seht, er läuft um sein Leben, aber Beelzebub wird ihn doch einholen!«

Hier trat plötzlich eine Pause ein, still wie das Grab, denn der Hochwürdige Mr. Worden hatte seinen Hut aufgerafft und stürzte aus dem Zimmer; er verließ das Haus mit einer Eilfertigkeit, wie wenn er schon förmlich in dem angedeuteten Wettlauf begriffen wäre. Guert schüttelte den Kopf und machte ein sehr ernstes Gesicht; da er aber sah, daß das Weib schon wieder ganz gefaßt und ruhig war, und wirklich schon für ihn die Karten mischte, trat er vor, um sein Schicksal zu vernehmen. Ich sah Doortje's Augen scharf auf ihm haften, als er sich nahe an den Tisch hinstellte, und die Winkel ihres Mundes zogen sich in einem bedeutungsvollen Lächeln zusammen. Was dieß eigentlich bedeutete, habe ich nie ermitteln können.

»Ich vermuthe, Ihr wünscht Etwas von der Vergangenheit zu erfahren, wie alle Uebrigen,« murmelte das Weib, »damit Ihr um so mehr Vertrauen haben könnt zu Dem, was Ihr von der Zukunft hören werdet?«

»Ha, Mutter,« antwortete Guert, mit der Hand über seinen schönen Kopf mit natürlichen Locken fahrend, und etwas rasch sprechend, »ich weiß nicht, ob es mit der Vergangenheit so Viel auf sich hat. Was geschehen ist, das ist geschehen, und damit hat die Sache ein Ende. Ein junger Mann mag wohl keine große Lust haben, von solchen Dingen zu hören in dem Augenblick gerade, wo er vielleicht ernstlich darauf bedacht ist, es besser zu machen. Wir sind Alle einmal in unserm Leben jung, und wir können nur alt werden, nachdem wir jenes gewesen sind.«

»Ja – ja, ich sehe, wie es ist!« murmelte Doortje. »So, so – Puter, Puter – Enten, Enten, quaak, quaak, gobble, gobble –« Hier begann die alte Hexe eine solche Nachahmung des Geschreis von Enten, Gänsen, welschen Hahnen, Kampfhähnen und andern Vögeln, daß Jemand, der im äußern Zimmer gewesen wäre, sich Wohl hätte einbilden können, das Geschnatter und Gekrähe eines förmlichen Geflügelhofs zu hören. Ich selbst war verblüfft, denn die Nachahmung war wirklich bewundernswürdig; Guert aber mußte sich den Schweiß vom Gesicht wischen.

»Das genügt, – das genügt schon, Mutter!« rief der junge Mann. »Ich sehe, Ihr wißt das Alles, und es nützt Nichts, gegen Euch sich verstellen zu wollen. Jetzt sagt mir nur, ob ich je heirathen werde oder nicht. Mein Zweck hier ist, über diesen Umstand belehrt zu werden, und ich kann das wohl gerade heraus gestehen.«

»Die Welt hat gar viele Frauen – und schöne Gesichter gibt es in Albany genug,« murmelte das Weib wieder, und besichtigte zugleich die Karten mit großer Aufmerksamkeit. »Ein junger Mann wie Ihr, könnte sogar zweimal heirathen.«

»Nein, das ist unmöglich; wenn ich nicht eine bestimmte Lady heirathe, so heirathe ich gar nicht.«

»Ja – ja; ich sehe, wie es ist! Ihr seyd verliebt, junger Mann!«

»Hört Ihr das, Corny! Ist es nicht zum Verwundern, wie diese Kreaturen Alles errathen? Ich gebe die Wahrheit Eurer Worte zu; aber beschreibt mir die Lady, die ich liebe.«

Guert hatte ganz vergessen, daß der Gebrauch des Wortes Lady den Umstand, daß er in Verkleidung war, vollständig verrieth, da kein Mann von der Klasse, der er anzugehören sich in seinem Wesen und seiner Tracht die Miene gab, seinen Schatz so zu nennen sich einfallen lassen würde. Dieß mochte wahr seyn im Jahre 1758, aber es ist nicht wahr im Jahre 1845. Der Herausgeber. Ich konnte jedoch diese kleinen Selbstverräthereien nicht hindern; denn mein Begleiter war schon zu aufgeregt, um Vernunft anzunehmen.

»Die Lady, die Ihr liebt,« antwortete die Wahrsagerin bedächtlich, und mit dem Wesen einer Person, die mit großer Zuversicht zu Werke geht, »ist sehr schön, fürs Erste.«

»Wahr wie die Sonne am Himmel, Mutter!«

»Sodann ist sie tugendhaft, leutselig, witzig und gut.«

»Das Evangelium kann nicht wahrer seyn! Corny, das übersteigt allen Glauben!«

»Sodann ist sie jung. Ja, sie ist jung und schön und gut; drei Eigenschaften, die sie sehr gesucht machen.«

»Warum bedenkt sie sich so lange über meinen Antrag, Mutter? Sagt mir das, ich bitte Euch; aber wird sie einwilligen, mich zu nehmen?«

»Ich sehe es – ich sehe es; es ist Alles hier auf den Karten. Die Lady kann sich nicht entschließen.«

»Hört nur das, Corny; und sagt mir jetzt nicht mehr, es sey Nichts an dieser Kunst. Warum entschließt sie sich denn nicht? Um's Himmels willen laßt mich das wissen? Ein Mann mag es müde werden, den Antrag zu machen, einen Engel zu heiraten und keine Antwort zu bekommen. Ich wünschte den Grund ihrer Bedenklichkeiten zu erfahren.«

»Die Seele einer Frau ist nicht leicht zu ergründen. Die Einen sind hastig, Andere sind es nicht. Ich bin der Meinung, Ihr wünscht eine Antwort zu bekommen, ehe die Lady gefaßt ist, eine zu geben. Die Männer müssen warten lernen!«

»Sie scheint in der That Alles zu wissen, Corny! So viel ich auch schon von dieser Frau gehört hatte, so übertrifft sie doch alle meine Erwartungen! Gute Mutter, könnt Ihr mir sagen, wie ich die Einwilligung meiner Geliebten gewinnen kann?«

»Die ist nur zu erlangen durch Bitten. Bittet einmal, bittet zweimal, bittet dreimal.«

»Bei St. Nicholas! Ich habe sie schon zwanzig Mal gebeten! Wenn das Bitten und Fragen es thäte, so wäre sie schon seit einem Monat meine Gattin. Was meint Ihr, Corny? – nein, ich will es nicht thun! – es ist nicht mannhaft, durch solche Mittel die Geheimnisse eines weiblichen Herzens herauszukriegen – Ich will sie nicht fragen!«

»Die Krone ist bezahlt und die Wahrheit muß gesagt werden. Die Lady, die Ihr liebt, liebt Euch und sie liebt Euch nicht; sie möchte Euch haben und möchte Euch auch nicht haben, sie denkt Ja, und sagt Nein

Guert zitterte jetzt am ganzen Leibe wie ein Espenblatt. »Ich glaube, es ist nicht unrecht und kann Nichts schaden, Corny, wenn ich frage, ob ich durch die Affaire mit dem Fluß gewonnen oder verloren habe. Ja gewiß, darnach will ich sie fragen. Sagt mir Mutter, bin ich besser oder schlimmer daran in Folge eines Vorfalls, der sich vor etwa einem Monat zutrug, – um die Zeit, wo das Eis ging und wir eine große Ueberschwemmung hatten?«

»Guert Ten Eyck, warum versucht Ihr mich so?« fragte die Wahrsagerin feierlich. »Ich kannte Euren Vater und ich kannte Eure Mutter. Ich kannte Eure Vorfahren in Holland und ihre Kinder in Amerika. Generationen auf Generationen habe ich Eure Familie gekannt, und Ihr seyd der Erste, den ich so schlecht gekleidet sehe! Meint Ihr, Knabe, der alten Doortje Augen würden trübe und sie erkenne die Leute von ihrer eigenen Nation nicht mehr? Ich habe Euch auf dem Flusse gesehen – ha! ha! es war ein lustiges Schauspiel – Jack und Moses auch; wie sie schnaubten und wie sie galoppirten! Krack! krack! Das ist das Eis! da kommt das Wasser! Seht, diese Brücke kann Euch an den Kopf treffen! Tragt Ihr Sorge für diesen Vogel, und Ihr für jenen – und Alles wird mit der Jahreszeit sich machen. Antwortet mir Eines, Guert Ten Eyck, und antwortet mir wahrhaft. Kennt Ihr wohl einen jungen Mann, der bald in das Buschland geht?«

»Ja, Mutter. Dieser junge Mann, mein Freund, beabsichtigt in wenigen Tagen abzureisen, oder sobald wir beständige Witterung haben.«

»Gut; geht mit ihm – die Abwesenheit des Freiers macht ein junges Frauenzimmer ihr eigenes Herz kennen, wenn Bitten und Fragen Nichts fruchten. Geht mit ihm, sage ich; und wenn Ihr Musketen abfeuern hört, so nähert Euch denselben; die Furcht löst manchmal einer jungen Dame die Zunge. Ihr habt Eure Antwort, und Mehr werde ich Euch nicht sagen. Kommt her, junger Besitzer von vielen halben Josephsstücken, und berührt diese Karten.«

Ich that, wie sie mir gebot; worauf das Weib anfing, vor sich hin zu murmeln, und das Kartenspiel, so schnell sie konnte, zu durchlaufen. Könige, Asse und Buben wurden nacheinander besichtigt, bis sie die Herzkönigin in die Hand bekam, die sie mir im Triumph entgegen hielt.

»Das ist Euere Lady. Sie ist eine Königin von nur zu vielen Herzen! Der Hudson hat Euch den Dienst geleistet, den er früher schon manchem armen Manne geleistet hat. Ja, ja, der Fluß hat Euch genützt; aber das Wasser macht ertrinken, so wie es Thränen verursacht. Hütet Ihr Euch vor Knights Barrownights!« D. h. Rittern und Baronets. In der Colonie lebte längere Zeit nur Ein betitelter Mann. Es war der berühmte Sir William Johnson, Baronet, von Johnson Hall, Johnstown, Albany, jetzt Fulton County. Der Sohn Sir William Johnson's wurde zu seines Vaters Lebzeiten zum Ritter erhoben, und war Sir John, während Sir William noch lebte. Nach dem Tode seines Vater wurde er Sir John Johnson, Knight (Ritter) und Baronet, und die gemeinen Leute nannten ihn gewöhnlich: »Knight, oder Barrow night« Der Herausgeber.

Hier brach Mutter Doortje plötzlich ganz in ihren Enthüllungen und Mittheilungen ab, und Keiner von uns vermochte ihr auch nur noch eine Sylbe über irgend einen Gegenstand abzugewinnen; obgleich, unter uns gesagt, wohl zwanzig Fragen noch an sie gerichtet wurden. Es wurde uns mit Zeichen bedeutet, daß wir gehen sollten; und als das Weib unsere Abneigung, dieß zu thun, sah, legte sie mit würdevollem Wesen für Jeden von uns eine Krone auf den Tisch, ging in eine Ecke, setzte sich, und begann sich zu dehnen und zu strecken, als fiele ihr unsere Gegenwart zur Last. Nach einem so unzweideutigen Zeichen, daß sie ihr Werk als beendigt betrachtete, blieb uns wohl nichts Anders übrig, als heimzukehren; wobei wir natürlich das Geld liegen ließen.


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