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Inzwischen waren in Susa die königlichen Frauen zurückgeblieben. Im königlichen Palast, der zugleich eine ungeheure Zitadelle war, aber auch eine Flucht von Höfen, Portiken, Gärten, Sälen, Terrassen, waren die königlichen Frauen mit vielen Nebenfrauen zurückgeblieben. Es waren ihrer sehr viele. Um die Königin Amestris, um die vier Königin-Witwen, die Dareios hinterlassen, der unvergeßliche Vater des Xerxes, um die jüngeren Prinzessinnen zählten die Nebenfrauen und die Sklavinnen viele tausende. Der Oberste der Eunuchen kannte die Anzahl genau, die Geschichte nennt sie nicht.
Es war im Frühjahr, und aus den Gärten wehte, vermischt mit einem süßen, schwülen Dunst von Eingemachtem, der Duft der Rosen, der persischen Rosen, der großen glutroten Rosen, der Duft von Zehntausenden von Rosen bis in die Portici, bis in den großen, offenen, vielsäuligen Saal, in dem sich die Königin Amestris mit den vier Königin-Witwen und mit den Prinzessinnen aufhielt. Sie alle saßen kauernd in der Runde auf viereckigen Ruhebetten. Die Königin Amestris webte mit ihren Sklavinnen an einem Webstuhl, der vor ihr die glänzenden Fäden des Mantels ausspannte, den Amestris für Xerxes wirkte. Der Königin gegenüber saß die älteste Königin-Witwe. Das war Atossa. Eine beinah schaudererregende Ehrfurcht war um sie, wenigstens solange als Atossa unter ihren gesenkten Augenlidern im Frauengemach umherspähte. Sie zählte sechzig Jahre, und eine persische Königin-Witwe von sechzig Jahren ist alt. Atossa war die Tochter des Kyros. Schon dies allein war etwas sehr Ehrfurchtgebietendes. Atossa hatte von Anbeginn das Aufblühen des persischen Reiches miterlebt. Das war nicht nur menschlich ehrfurchtgebietend, sondern auch historisch ehrfurchtgebietend. Atossa hatte drei persische Könige zum Gemahl gehabt. Alles, was sich seit mehr als einem halben Jahrhundert im Palast zu Susa abgespielt, hatte sie miterlebt. Dies war nicht nur ehrfurchtgebietend, sondern auch schaudererregend. Um jedes Ränkespiel, um jeden Mord, um jedes Geheimnis hatte sie gewußt, und wenn sie so kauernd auf ihrem Ruhebett saß gegenüber der webenden Königin Amestris, die alten, mit schweren Amethystringen geschmückten Hände unbeweglich im Schoß ruhen ließ und die orientalischen Augen halb zukniff unter den Säumen ihrer violetten Schleier, schien es, als spähe sie nach noch mehr Palastgeheimnissen aus, als fürchte sie, daß das Allerneueste ihr entgehen könne. Ihr erster Gemahl war Kambyses gewesen, ihr Bruder, den sie geehelicht hatte, weil das Gesetz des königlichen Hauses vorschrieb, daß der König seine Schwester an seine Seite zur Königin erheben müsse. Als Kambyses umgekommen war, war sie der Sitte gefolgt, die vorschrieb, daß der siegreiche König sämtliche Frauen seines Vorgängers eheliche, hatte den falschen Smerdis geheiratet. Das war damals für alle Frauen im Palast eine an Aufregungen und Neuigkeiten reiche Zeit gewesen, die Zeit des falschen Smerdis, des Meders, der sich für Smerdis, den Bruder des Kambyses, ausgab, für den Smerdis, der Kambyses hatte ermorden lassen. Als Dareios mit den andern, als die sieben Verschwörer den falschen Smerdis entlarvt hatten, war Atossa die Gemahlin des letzten Siegers geworden, die Gemahlin des Dareios. Jetzt war sie die Königin-Mutter, die Mutter des Xerxes, des Königs der Könige. Ringsumher spähte sie im Kreise der königlichen Frauen, ob nicht irgendein Geheimnis, ob nicht irgendwelche Ränke sich abspielten, die ihr entgehen konnten, weil sie alt wurde.
Hinter der webenden Königin – rings umher schwebte ein endloses Gemurmel von Frauenstimmen – flüsterte eine Sklavin der anderen zu, während sie beide damit beschäftigt waren, das Goldgarn für die Königin auf eine Spule zu winden:
»Eine Verheißung besagt, daß Atossa ...«
»Was?« fragte die andere.
»Vom König verzehrt werden wird.«
»Brrr!« machte die Sklavin schaudernd, und beide kicherten.
Doch Atossa hatte ihren Namen zischen hören.
»Was sagt die Hexe da?« rief sie mit schriller, zorniger Stimme.
»Wer, Tochter des Kyros, Mutter des Xerxes, allerhöchste Mütterlichkeit?« fragte Amestris, während sie von ihrem Webstuhl aus zur Seite nach der alten Atossa hinüberblickte.
»Die sidonische Dirne da hinter dir. Was haben die beiden zu kichern?«
»Nichts, Allerhöchste«, sagte Amestris beruhigend, während sie weiter webte. »Es sind Kinder. Sie lachen, wenn ihnen eine Fliege um die Nase tanzt.«
»Hierher, ihr alle beide!« befahl Atossa.
Zugleich ergriff sie eine Peitsche, die vor ihren Knien auf dem Ruhebett lag, eine Peitsche mit amethystenem Griff. Die Sidonierin und die andere begannen zu heulen, aber Atossa befahl barsch:
»Schnell, schnell!«
Die beiden Sklavinnen krochen über die leere Mitte des Saales zu dem Ruhebett der Atossa.
»Widrige Faulpelze!« schalt Atossa, erhob die Peitsche und schlug.
Ihre zitternde, alte Hand war unsicher. Sie traf entweder gar nicht oder schlecht. Die beiden Sklavinnen indes schrien jammernd auf und entflohen, die eine nach links, die andere nach rechts, in rhythmischer Zierlichkeit wie bei einem Tanz hinter den Rücken der Königin.
»Windet die purpurne Seide!« befahl Amestris unzufrieden. Die Sklavinnen wanden von neuem und kicherten, während sie sich hinter Amestris und dem Webstuhl unsichtbar machten. Links von Atossa kauerte auf einem Ruhebett Artystone. Rechts kauerten auf zwei anderen Ruhebetten Phaidyme und Parmys. Das waren die drei anderen Königin-Witwen, Frauen des Dareios, des unvergeßlichen Vaters des Xerxes. Sie saßen da, und um sie waren ihre Sklavinnen beschäftigt. Eine Schar von Wäscherinnen schleppte in diesem Augenblick eine große Anzahl von Körben herein, in denen die Schleier der Königinnen und Prinzessinnen und ihre Taschentücher lagen. Neben Parmys saß Artaynte, die jugendliche, sehr schöne Tochter des Halbbruders des Königs, Masistes, und neben Artystone saß Artozostra, des Xerxes Schwester – aber nicht eine Tochter der Atossa – die Frau des Mardonios, eines Neffen des Xerxes.
Die Frauen, die die Wäsche hereinbrachten, kannten nicht genau alle Familienbeziehungen der Königinnen und Prinzessinnen zu dem Könige und seinen Brüdern und Neffen. Diese waren auch so verwickelt und so schwer zu behalten – am persischen Hofe heirateten Brüder ihre Schwestern, die Neffen die Nichten und alle ihre Kinder untereinander – daß außer denen, die es unmittelbar anging, niemand sie behalten konnte. Im persischen Volke gab sich sonst niemand die Mühe, und der Verfasser dieser Annalen möchte auch niemand raten, sich die Mühe zu machen.
Die Sklavinnen trugen einen großen Korb vor das Ruhebett der Atossa. Atossa schielte in den Korb.
Ihre eigenen Sklavinnen holten mit behutsamen Fingern die geglätteten und zusammengelegten Schleier daraus hervor und zählten sie, während Atossa selber den Wäschezettel verlas: »Sieben violette Schleier aus ägyptischem Byssos mit goldgesticktem Saum«, las Atossa vor.
»Hier sind sie, Allerhöchste«, sagte Baktra – sie war die oberste Sklavin, aus Baktrien gebürtig – , während sie die Schleier vorwies.
»Dreimal sieben«, fuhr Atossa fort.
Auch vor die anderen königlichen Frauen, auch vor die Königin trugen Sklavinnen die Körbe und suchten ihren Herrinnen die Schleier und die Taschentücher heraus, während die Herrinnen niedergekauert die dazu gehörigen Wäschezettel verlasen.
»Tochter des Kyros!« sagte Artystone, die neben Atossa kauerte, aber auf eigenem Ruhebett. »Ist dieses Taschentuch nicht mit Eurem königlichen A gezeichnet?«
Sie reichte der Königin-Mutter ein Taschentuch.
Diese griff nach dem Taschentuch. Viele Sklavinnenhände streckten sich aus, um dem Taschentuch den Weg von der Hand der einen Königin zu der Hand der anderen Königin zu erleichtern. Doch es war nicht nötig. Atossa hatte das Taschentuch ergriffen und betrachtete es.
»In der Tat, Artystone!« sagte sie halb zornig, halb liebenswürdig mit grinsendem Lächeln. »Immer diese Irrtümer!« Die Peitsche erhob sich und fuhr klatschend durch die Luft. Die Sklavinnen krümmten rhythmisch die Rücken und duckten sich. Atossa legte plötzlich beruhigt die Peitsche hin. »Sieben mal sieben Schleier aus Leinwand für die Nacht.«
»Die vielen verschiedenen A sind wirklich unbequem für die Wäscherinnen«, sagte Artystone.
Sie war sanft und liebenswürdig. Sie war des Dareios liebste Frau gewesen, die vierte im Rang. Sie war sehr schön gewesen. Er hatte sie geehelicht, als sie noch Jungfrau war. Er hatte ihr ein goldenes Bildnis gestiftet. Ihr Sohn war Gobryas, und Gobryas war Vater des Mardonios. Ihr zweiter Sohn war Arsames, und so war Mardonios der Neffe des Xerxes. Dieser hatte ihn zum Kriege aufgehetzt. Arsames war gleich Mardonios Feldherr und führte die Äthiopier an. Mardonios war mit des Xerxes Schwester Artozostra verheiratet, die auf ihrem Ruhebett neben Artystone saß und deren angeheiratete Enkelin war.
»Großmütterlichkeit!« sagte Artozostra. Sie sah, obwohl sie nur angeheiratet war, ihrer Großmutter ähnlich. Diese war, obwohl noch gar nicht alt, bereits verblüht – eine persische Königin-Witwe ist niemals jung – , und alle Fürstinnen ähnelten einander mehr oder weniger.
»Hier sind drei Taschentücher aus tyrischem Purpur. Sie sind mit Eurem großmütterlichem A gezeichnet.«
Artystone, einst des Dareios liebste Frau, nahm mit gewinnender Gebärde die Taschentücher aus den Händen ihrer Enkelin entgegen. Die Sklavinnen führten unter den Taschentüchern überflüssige Handreichungen aus.
»Wer hat einen Schleier von mir mit einer eingestickten Sonne in der Mitte?« rief die Königin Amestris verstört in der Runde.
»Heilig!« riefen die Sklavinnen und verneigten sich oder warfen sich zur Erde. Denn das Wort Sonne war heilig.
»Ich, fürstliche Muhme Amestris!« rief die jugendliche Artaynte, verließ ihr Ruhebett und überbrachte selbst der Königin den Sonnenschleier, während ihre jungen Sklavinnen ihr wie flatternde Vögelchen folgten.
»Ich zeichne nur mit meiner Sonne«, rief Amestris. »Heilig!« murmelten die Sklavinnen. Es war wie das Summen von Bienen in dem Rosenduft.
»Trotzdem gibt es immerfort Verwechslungen«, fuhr Amestris fort. »Artaynte! Diese Taschentücher sind mit deinem A gezeichnet.«
»Ja, fürstliche Muhme«, bestätigte Artaynte und nahm den kleinen Stapel entgegen.
Amestris schaute sie prüfend an.
»Du wirst schön, Mädchen«, sagte die Königin ein wenig scharf. »Du mußt nicht allzu schön werden.«
»Nein, fürstliche Muhme«, sagte Artaynte lächelnd, weil sie nicht verstand. »Mutter ist schöner als ich.«
»Warum ist deine Mutter nicht hier?« fragte die Königin.
»Sie zuckert Rosenkerne ein, fürstliche Muhme.«
»O!« sagte Amestris lachend und begehrlich.
Inzwischen saßen Phaidyme und Parmys, die beiden anderen Witwen des Dareios, zweite und dritte im Rang, da und zählten ruhig ihre Taschentücher und ihre Schleier. Da gab es keinerlei Verwechslungen. Sie zeichneten P und Ph.
Parmys war die Tochter des Smerdis, des Bruders des Kambyses, den er hatte ermorden lassen, und der Phaidyme. Phaidyme, die älteste Schwester der Königin Amestris, hatte wie Atossa den falschen Smerdis ehelichen müssen, und nichts war ihr lieber, als die Geschichte des falschen Smerdis zu erzählen, obwohl ein jeder am Hofe sie bereits auswendig kannte. Deshalb hatte auch die Königin Amestris ihr Vergnügen daran, Phaidyme zu necken und sich beliebt zu machen bei all den geringeren Frauen und all den Sklavinnen. So rief sie jetzt, da sie von ihrem Weben leicht ermüdet war – die Wäsche wurde weggetragen – mit honigsüßer, lockender Stimme aus:
»Liebste Schwester, fürstliche Phaidyme, älteste Schwester! Erzähle einmal, ich bitte dich, wie es doch entdeckt wurde, daß der falsche Smerdis nicht Smerdis war, sondern ein arglistiger Magier! Ich bitte dich, älteste Tochter des Otanes, der mein Vater ist, liebste Schwester, erzähle uns noch einmal ganz ausführlich, wie das geschehen ist!«
Die Königin Amestris winkte nach den Vorräumen, die sich zur Seite ihres Ruhebettes auftaten.
Hunderte von Nebenfrauen saßen dort und schwirrten dort umher, und hunderte von Sklavinnen umringten sie. Sie webten, sie spannen, sie stickten, sie zuckerten Rosenkerne ein. Sobald sie es gewahr wurden, daß die Königin Amestris ihre Schwester Phaidyme dazu verleiten wollte, wiederum die überbekannte Erzählung zum besten zu geben, da strömten auch sie schon von allen Seiten herbei, und hinter dem Webstuhl und hinter den Ruhebetten der Artozostra und der Artaynte entstand ein Gewimmel von persischen, baktrischen, kaspischen Frauenköpfen und -köpfchen: bernsteinbleiche, teerosengelbe Gesichter und Gesichtchen, blauschwarze, schalkhafte Augen unter schwarz angestrichenen Augenbrauen, still lachende, spöttische Näschen und Mündchen, die sich unzählbar nebeneinander drängten. Sogar die drei anderen Königin-Witwen, Parmys, die Tochter des echten Smerdis, Artystone, die liebste Frau des Dareios, und Atossa, die ehrfurchtgebietende und schaudererregende, spähten heimlich und mit stillem Genuß hinüber zu ihrer Mitwitwe, die sich anschickte, von neuem die Geschichte zu erzählen.
Phaidyme begann:
»Habe ich euch denn das nicht erzählt? Nein? Dann will ich es natürlich gerne tun. Ich, die Tochter des Otanes, war eine der Frauen des Kambyses neben Atossa, nicht wahr? der Tochter des Kyros.«
Atossa nickte süßlich und zustimmend. Auch sie weidete sich daran, daß Phaidyme sich anschickte, zum hundersten Male die Geschichte zu erzählen, und wiewohl Phaidyme jünger war als sie, die alte Frau, meinte sie, daß Phaidyme wirklich halb kindisch sei. Sie selber war es durchaus nicht. Sie empfand nur, daß man sie nicht mehr in die neuen Palastgeheimnisse und die neuen Ränkespiele einweihte, und das konnte sie nicht ertragen. Aber die alten Palastgeheimnisse und die alten Ränkespiele hatte sie sämtlich miterlebt, und sich selber zum Trotz hörte die Tochter des Kyros mit ihren lauernden Augen und ihrem zornig lächelnden Munde zu.
»Als Kambyses nach Ägypten zog, um es zu erobern...«, begann Phaidyme mit eintönig schleppender Stimme.
Sie unterbrach sich selber.
»Er war toll, er war halb wahnsinnig. Gewiß, er war toll, nicht wahr, Tochter des Kyros?«
»Mein Bruder war nicht immer zurechnungsfähig«, murmelte Atossa, die, trotzdem das Ganze ein Scherz war, doch die Vergangenheit vor sich aufsteigen sah.
»Ja, er war toll«, fuhr Phaidyme fort. »Denn in Memphis hat er den Apis ausgelacht und mit seinem Dolch durchstochen, weil er behauptete, daß ein Gott niemals ein junger Stier sein könne.«
»Die Götter haben ihn dafür gestraft«, murmelte halb unwillkürlich Parmys, die dritte Königin-Witwe. »Auf dem gleichen Fleck, wo er den Apis verwundete, entfiel ihm die Scheide seines Schwertes, und er brachte sich eine tödliche Verwundung in der Seite bei.«
»Dies geschah in Ekbatana«, murmelte Atossa. »Das Orakel hatte ihm vorausgesagt, er werde in Ekbatana sterben. Er aber dachte an Ekbatana in Medien, die Stadt mit den sieben Mauern, wo er seine Schätze zurückgelassen hatte. Dort, glaubte er, werde er am Ende seiner Tage sterben. Er starb jedoch in Ekbatana in Syrien.«
Sie murmelte es unhörbar. Die Frauen, die sich hinter Amestris und ihren Webstuhl drängten, hörten zu, während sie verstohlen kicherten und sich unbändig freuten. Über Atossa, die heimtückisch und lauernd dasaß, hätten sie niemals zu kichern gewagt.
»Nun also!« begann Phaidyme wieder. »Als Kambyses nach Ägypten zog, um es zu erobern, kam der Magier Patizeithes, der in Susa seine Güter verwaltete, auf den Gedanken, seinen Bruder, der auch Smerdis hieß wie dein Vater, Parmys, dich, die Tochter des Smerdis ...«
Phaidyme nickte in der Richtung des Ruhebettes, wo Parmys in lakonischer Stellung kauerte.
»Ja, mein Vater Smerdis, den Kambyses durch Prexaspes ermorden ließ, weil er von ihm geträumt hatte, er thronte auf seinem eigenen Thron und sein Haupt reiche bis in den Himmel ...«, erinnerte sich Parmys.
»Es hat sich hier zugetragen,« murmelte Atossa, »hier im Frauengemach.«
Vor sich sah sie die Bilder der Vergangenheit.
»Dann kam dieser Patizeithes auf den Gedanken,« fuhr Phaidyme eintönig fort, »seinen Bruder, der zufällig auch Smerdis hieß und der dem Bruder des Kambyses sehr ähnelte ...« Die Nebenfrauen hinter Amestris und die Sklavinnen hinter den Nebenfrauen und Amestris hinter dem Webstuhl begannen sich vor Lachen und Kichern zu krümmen und zu winden.
»... als König an des Kambyses Statt auszurufen. Kambyses war doch fern, und Smerdis, des Patizeithes Bruder, hieß Smerdis wie des Kambyses Bruder und ähnelte ihm sehr. Allein er hatte keine Ohren. Die hatte Kyros, dein großer Vater, Atossa, ihm abschneiden lassen wegen eines Vergehens, ich weiß nicht mehr wegen welches Vergehens.«
»Arme Phaidyme!« sagte an Atossas anderer Seite Artystone zu ihrer Enkelin Artozostra, die liebste Frau einst des Dareios. »Sie weiß niemals, wegen welches Vergehens es geschehen war, aber Amestris und alle die Nebenfrauen sollten sich doch nicht so lustig über sie machen.«
Unterdessen wechselten Artystone und die jugendliche Artozostra ihr gegenüber lustige Blicke des Einverständnisses und schalkhaftes Augenblinzeln, weil Phaidyme schon wieder die Geschichte erzählte.
»Doch als der falsche Smerdis,« fuhr Phaidyme unbeirrt fort, »sich niemals den Großen des Landes zeigte und immer hier im Palast verborgen blieb, erwachte Mißtrauen. Da begann mein Vater Otanes als erster zu vermuten ...«
Phaidyme hielt inne, um von den eingezuckerten Rosenkernen zu naschen, die Sklavinnen den Königinnen und Prinzessinnen auf großen, runden, geflochtenen Platten darboten, um sie kosten zu lassen.
»Als erster zu vermuten,« fuhr Phaidyme fort, während sie die Rosenblätter zerkaute, »daß der, welcher sich Smerdis nannte, ein Betrüger sei. Dann ließ mein Vater mich nach dem Smerdis fragen, mit dem ich schlief, nicht wahr, Atossa?, wenn du nicht mit ihm schliefst oder die anderen Frauen.« Atossa runzelte finster die Brauen. Aus Zorn und Mißgunst hätte sie wohl gern eine beißende Antwort gegeben, aber sie genoß heimlich mit allen anderen zu sehr die Tatsache, daß Phaidyme wiederum die Geschichte erzählte. So lächelte sie denn süßlich und zustimmend, während ihr lauernder Blick den Webstuhl zu durchdringen versuchte, um zu erfahren, ob die Königin Amestris und die anderen Frauen noch etwas anderes taten als nur über Phaidyme spotten.
»Ich aber hatte niemals den echten Smerdis, des Kambyses Bruder, und deinen Vater, Parmys, gesehen...«
»Ja, mein Vater!« erwiderte Parmys wütend. »Es war eine Schande, daß ihn Kambyses ermordete.«
»T ... t ... t ...!« sagte Atossa hochmütig und gebieterisch. »Kambyses war mein Bruder und Gemahl, Parmys. Vergiß das nicht! Ich bitte dich.«
Allein Amestris rief aus:
»Ich bitte dich, älteste Schwester, fahre jetzt fort, liebe Phaidyme! Wie wurde es dann weiter, und was ließ unser Vater Otanes dich fragen?«
»Er ließ mich fragen, ob ich nicht mit den anderen Frauen, auch mit dir, Atossa, beratschlagen könne. Aber ich sah dich niemals. Denn der falsche Smerdis hielt sämtliche Frauen in verschiedenen Gemächern voneinander getrennt.«
Atossa entsann sich dessen. Sie entsann sich, daß sie wie eine Gefangene gewesen war, sie, die Tochter des Kyros, sie, die Schwester und Gemahlin des Kambyses, sie, die der falsche Smerdis nach dem Tode des Kambyses zur Frau genommen mit dem ganzen übrigen Harem. Sie entsann sich auch der geheimen Kundschaft des Otanes und ihrer Ränke. Aber sie entsann sich auch, daß es für die eingesperrten Frauen unmöglich gewesen war, zueinander zu gelangen, trotz aller Ränke der Nebenfrauen und Sklavinnen.
»Und dann ...«, sagte Phaidyme.
»Jetzt kommt es«, dachte Amestris schadenfroh.
»Jetzt kommt es«, sagten die Frauen hinter ihr kichernd.
»Dann ließ mir mein Vater durch den geheimen Kundschafter befehlen, ich solle mich vergewissern, ob Smerdis Ohren habe. Denn der echte Smerdis habe Ohren, aber der falsche Smerdis habe keine. Kyros hatte sie ihm abschneiden lassen, ich weiß wirklich nicht, wegen welches Vergehens.«
Auf den Ruhebetten und hinter den Ruhebetten und hinter dem Webstuhl lachte und kicherte es.
»Es war sehr gefährlich für mich,« fuhr Phaidyme unbeirrt fort, »mich davon zu überzeugen, ob Smerdis Ohren habe. Aber ich habe es getan, um zu erfahren, ob Smerdis in der Tat Smerdis war. Einmal, nachdem ich wiederum sein Lager geteilt ...«
Alle Frauen rückten geheimnisvoll näher, gleich als wollten sie von Phaidymes Lippen die gewichtigen Worte auffangen.
»Schlief der Smerdis nach dem Liebesspiel ein.«
»Und dann, Phaidyme?«
»Und dann, dann, fürstliche Phaidyme?« riefen die Nebenfrauen und die Königin.
»Dann tastete ich ...«
Phaidymes Hände machten eine tastende Gebärde.
»Und dann fühlte ich, fühlte ich, daß Smerdis unter seinen langen Haaren keine Ohren hatte.«
Ein Frauengelächter brach los. Aber es verstummte sogleich.
»Was gibt es?« fragte Phaidyme erstaunt.
»Nichts, älteste Schwester«, sagte Amestris. »Eine der Sklavinnen hier hinter uns ist in die kochenden Früchte gefallen.«
»Es ist eine Schande!« sprach Atossa verstimmt über das allzu laute Gelächter. »Wo ist sie, Amestris? Wo ist sie? Ich will sie sehen! Ich will sie haben! Hier!«
Amestris erteilte rasch einen Befehl.
»Bringt sie mir! schnell!« rief Atossa.
Es dauerte nur noch einige Augenblicke. Draußen in dem Portikus, wo die Frauen mit ihren Schönheitstränken, ihren Ölen, ihrem Zuckerwerk beschäftigt waren, hatten einige schnell einen großen kupfernen Kessel über eine Sklavin ausgeschüttet, die sie allezeit neckten. Die Sklavin schrie laut auf, als der laue, süße Brei ihr über Kopf und Glieder troff. Die anderen Frauen stießen sie hinein.
»Hier ist sie, Allerhöchste«, riefen die Frauen und zerrten die triefende Sklavin vor Atossa hin.
Die Peitsche klatschte durch die Luft.
»Mußt du die eingekochten Früchte verderben?« kreischte Atossa und schlug und schlug. »Ans Kreuz mit der dummen Dirne!«
Die Frauen zerrten die schreiende, widerstrebende Sklavin durch den Saal.
Der Oberste der Eunuchen Ogoas erschien an der Pforte des Saales zwischen den Ruhebetten der Amestris und Artozostra.
»Königin von Persien!« Seine Stimme klang schrill. »Es sind Boten da aus Kelainai vom König der Könige und von den Prinzen der Perser. Seht hier die Briefe!«
Er wies auf einen Korb, den zwei andere Eunuchen schleppten. Es war die königliche Post. Begleitet von den Zeremonien der Eunuchen, die fast krochen, wurden der Königin Atossa und Amestris große Briefrollen und mit goldenen Siegeln versehene Schreibtafeln von Xerxes und von Masistes, dem zweiten Sohne der Atossa, ausgehändigt, auch von beiden Neffen, Neffen zweiten Grades, und Enkeln, die alle im persischen Heere befehligten. Artystone wurden Wachstafeln ausgehändigt von ihren Enkelsöhnen Mardonios und Arsames, den letzten Feldherrn der äthiopischen Truppen, Parmys solche ihres Sohnes Ariomardos, der den Befehl über die Moschen führte, Artozostra solche von ihrem Gemahl Mardonios, Artaynte solche von ihrem Vater Masistes. Ihre Mutter Artaxixa kam von dem Einkochen in dem Portikus herbei, um zu schauen, welche Briefe für sie dabei seien. Auch Phaidyme erhielt einen Brief von ihrem Vater Otanes.
»Ist kein Brief da von Otanes für mich, seine Tochter und Königin?« fragte Amestris zornig.
Die Eunuchen fanden zwischen all den Briefen, die sie vor Ehrfurcht über das leere Mosaik kriechend zwischen den kreisförmig aufgestellten Ruhebetten voneinander sonderten, den Brief des Otanes an seine Tochter, die Königin, und überreichten ihn.
Es herrschte große Erregung. Die Königinnen und Prinzessinnen erbrachen die Siegel, und die Nebenfrauen und die Sklavinnen drängten sich hinter ihnen, auf Neuigkeiten versessen.
Atossa begann aus dem Brief des Xerxes einen Satz vorzulesen, während sie ihre kurzsichtigen Augen hinter einem geschliffenen Beryll zusammenkniff, der ihr als Augenglas diente, aber nur für ein Auge; das andere kniff sie ganz zu: »Allerhöchste fürstliche Mutter, Tochter des Kyros, Gemahlin meines unvergeßlichen Dareios!« las Atossa vor. »Während ich im Begriff bin, mit unseren mächtigen Heeren über die Schiffbrücke im Hellespont zu ziehen, teile ich, Euer Sohn, der König der Könige, Euch mit, daß ich Mangel leide an Nebenfrauen und geringeren Bettgenossinnen, deren uns nur eine beschränkte Anzahl gefolgt ist.«
»Mir schreibt der König das gleiche«, rief Amestris, die Königin.
Es stellte sich heraus, während viele Stimmen Aufmerksamkeit heischten, daß sämtliche persischen Feldherren – ihre Söhne, Brüder, Neffen, Oheime, Enkelsöhne und Neffen zweiten Grades – den vier Königin-Witwen und der Königin mitteilten, daß sie nicht genügend Nebenfrauen und Bettgenossinnen im Heere mitgeführt hätten, um den Hellespont überschreiten zu können. Sie schrieben dies aus Berechnung. Nicht nur Xerxes schrieb es an Amestris, Masistes schrieb es an Artaxixa, Ariomardos schrieb es an Parmys. Alle Männer schrieben es ihren Müttern und Gattinnen. Denn so sie nur dem Obereunuchen befohlen hätten, ihnen Nebenfrauen und Bettgenossinnen zu senden, bevor sie Sardes verließen und über den Hellespont zogen, würde zweifellos ein Aufruhr und ein Weiberkrieg ausgebrochen sein unter den Königinnen und den Prinzessinnen. Nun aber, da der König und die Prinzen ihnen allen den Fall mitteilten und es ihnen selbst überließen, welche Nebenfrauen und Bettgenossinnen sie den Eunuchen zu schicken anempfehlen würden aus den tausenden von Frauen im Palaste zu Susa, fühlten sich die fürstlichen Frauen geschmeichelt und entwaffnet. Artaxixa freilich, die sehr schöne Mutter der Artaynte, deren Nasenspitze rot geschminkt war von den eingekochten Früchten – sie hatte deren Süßigkeit beim Einkochen mit großer Sorgfalt geprüft und abgeschätzt – , rief aus:
»Mein Masistes hat niemals genug Bettgenossinnen. Ach, Artaynte, meine Tochter, welch unersättlichen Vater hat dir die Sonne gegeben!«
»Und mir welchen Gatten! Kind, geh jetzt zum Einkochen! Was hast du da so faul auf dem Ruhebett zu hocken, anstatt deiner Mutter beim Einzuckern der Rosenkerne zu helfen?« Sie zerrte Artaynte vom Ruhebett herunter und setzte sich selber darauf. Artaynte schmollte, aber sie war bestrickend schön. Sie verschwand schmollend in dem Portikus. Rosenduft und süße Dünste dampften herein.
Amestris befahl, den Webstuhl zur Seite zu schieben.
»Allerhöchste!« rief sie Atossa ehrfurchtsvoll zu. »Ist es Euch recht, wenn wir untereinander beratschlagen, welche Nebenfrauen und Bettgenossinnen wir auswählen wollen, um sie nach Sardes zu senden für unsere Männer und Söhne und Neffen?«
»So rufe Ogoas in unseren Kreis!«
Die Königin winkte dem Obereunuchen, in den Kreis zu treten.
Der oberste Eunuche winkte noch vierzehn anderen Eunuchen, die ihm als Gefolge zustanden, ihm in den Kreis zu folgen.
Atossa und Amestris schickten alle Nebenfrauen und Sklavinnen fort.
Die aber blieben dennoch, schielten und horchten hinter den Säulen der Portici.
Die Ruhebetten mit den Frauen darauf wurden dichter zusammengeschoben. Die Beratung begann.