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XXVI.

An jenem Tage, der der letzte sein sollte, versammelte Leonidas um sich seine dreihundert Lazedämonier, zugleich auch die Thebaner, die Geiseln – die Thebaner waren persisch gesinnt – und die Thespier. Während sie ihren Anführer Demophilos, den Sohn des Diadromes, umringten, erklärten die Thespier, daß sie mit Leonidas sterben würden.

»Heiliger Vater!« sprach Leonidas zu dem Wahrsager, der ihm die Unvermeidlichkeit aus den Eingeweiden der Opfer verheißen hatte. »Gehet! Es ist noch Zeit.«

»Leonidas!« antwortete Megisties. »Wenn ich meinem einzigen Sohne bereits zu gehen befahl, so ist dies schon väterliche Feigheit. Er war noch sehr jugendlich, fast ein Knabe noch. Ich befahl ihm zu gehen, und er ging. Ich aber bleibe.«

»So setzen wir uns zu unserem Totenmahl!« sagte Leonidas. »Esset, meine Freunde, an diesem Mittag mit dem Gedanken, daß ihr heute abend im Palast des Hades zu Abend speisen werdet!«

Alle setzten sich hierhin und dorthin auf die Felsen und in das Gras und aßen.

Oben auf dem Berge, wo Xerxes in jener Nacht mit den Unsterblichen gelagert hatte, vollführte der König der Könige an jenem Morgen mit Schwung die üblichen Zeremonien zu Ehren der Sonne. Inmitten der Magier waren seine Bewegungen mit Becher und Amphora feierlich, fromm und ergreifend. Xerxes verstand es, dergleichen Zeremonien mit majestätischer Gebärde auszuüben. Dann stiegen die Perser den Berg hinab, ihrer Zehntausende, in breitem Kreise zur Umzingelung der Thermopylen. Der Verräter Ephialtes geleitete sie. Die Unteroffiziere jagten mit den Peitschen in der Faust die Krieger, die an den Felsen herabstiegen, vor sich her. Bis jetzt hatte die verstärkte Mauer bei der Pforte die Lazedämonier beschützen können. Aber nun, da die Perser von allen Seiten die Felsen herabtaumelten, drängten Leonidas und die Seinen dem breitesten Teile des Passes zu. Dort erwarteten sie die Perser, den Tod vor Augen, jedoch unerschrocken um der Idee und des Ruhmes willen, der vor ihnen erglänzte. Sie wollten ihr Leben und diesen Engpaß nach Lokris so teuer wie möglich verkaufen, und mit langen Speeren und breiten Schwertern fielen die erhabenen Toren die Perser an.

Weitergepeitscht von den Unteroffizieren, erlagen die ersten Perser dem Angriff der Griechen. Klagend stürzten sie ins Meer. Sie fielen unter den Füßen derer, die hinter ihnen die Felsen herabpolterten. Sie fielen, bis die langen griechischen Speere zerbrachen und die kurzen griechischen Schwerter an den persischen Schilden zersplitterten. Die aber stiegen immer weiter und weiter die Felsen hinab, eine glitzernde Sturzflut von Tausenden von Sonnen. Leonidas selber kämpfte gleich einem wütenden Löwen. Die persischen Spieße fielen, eine Wolke von langen, scharfen Nadeln, über ihn her. Plötzlich sah er dort drüben Ephialtes, den er erkannte, und dann, dann sah Leonidas Xerxes selber umringt von seinen glänzenden Offizieren und den Unsterblichen. In Leonidas wuchs die Wut, bis er nicht mehr fühlte, wie sein Helm gespalten ward und sein Kopf blutete, wie das Blut überall an seinem Körper herabsickerte aus den Stichwunden von Speer und Spieß. Inmitten seiner Getreuen drang er mit geschwungenem Schwerte in der Richtung zum persischen König vor. Seine blauen Augen blitzten wild. Ephialtes floh zur Seite. Xerxes selbst war so erstaunt über das wütende Andrängen des Königs von Sparta, den er bereits zehnmal gefangenzunehmen und ihm vorzuführen befohlen hatte, daß er mit geöffnetem Munde stehenblieb. Er stand zwischen seinen beiden jüngeren Brüdern, Abrokomes und Hyperanthes, Söhnen des Dareios. Völlig unerwartet sah Xerxes nur einen Schritt hinter sich seine Brüder, die beiden Prinzen, im Kampfe mit den brüllenden Lazedämoniern Mann gegen Mann. Sie hieben die Unsterblichen nieder, sie hieben die beiden Prinzen nieder, Leonidas selber näherte sich, setzte den Fuß auf die Leiche des Abrokomes, und Xerxes, gleichsam versteinert, weil das Unmögliche geschah, schien sich nicht wehren zu können, stand mit geöffnetem Munde und konnte es nicht glauben, daß seine beiden Brüder dort gefallen lagen, dort unmittelbar vor ihm, zertreten von diesem Wahnsinnigen, von diesem Schwärmer. In diesem Augenblick hatte sich Leonidas Xerxes völlig genähert. Leonidas hatte keinen Speer mehr, denn der war zerbrochen, kein Schwert mehr, denn das war zersplittert. Hoch erhob er seine beiden bluttriefenden Hände, krampfte sie zum Griffe, stürzte auf Xerxes los, entriß ihm sein Diadem und schleuderte es dem König der Könige ins Gesicht. Xerxes brüllte vor Schmerz und Entrüstung, die Unsterblichen umringten ihn mit einem Wall von Schwertern. Die Lazedämonier umringten Leonidas, der wankte und von Blut triefte. Sie zogen sich, wie eng auch umzingelt, zurück und bargen ihren sterbenden König in ihrer Mitte. Viermal wogte die Masse auf und ab, auf und ab zwischen den engen Felsen. Viermal schien es, als würden die Griechen die Perser vertreiben angesichts der schmerzlichen Verzweiflung des Xerxes, der mit emporgestreckter Faust bei den Leichen seiner Brüder stand. Doch da näherte sich Ephialtes mit dichteren, stärkeren, neu gesammelten Truppen. In Schwärmen stiegen sie die Felsen herab. Die Thebaner wurden bereits unzuverlässig, ergaben sich, riefen, daß sie für Persien seien, es stets gewesen seien. Nur die Lazedämonier und die Thespier, in ihrer Mitte der sterbende Leonidas, erreichten in dichten Haufen den Hügel an der Pforte, durch die der Feind eingedrungen war, hinter der bezwungenen Mauer, die sie nicht mehr beschützte nun, da die Feinde von überallher herbeiströmten. Dort kämpften sie weiter mit nur noch vereinzelten Schwertern, aber sie rangen und zerrissen den Feind mit Händen und Zähnen, bis es schien, als ob eine Masse hoch erhobener persischer Schilde wie mit einem rasselnden Prasseln über sie hinstürze und sie begrabe, und die persischen Speere jeden Rumpf durchbohrten, der sich unter ihren rasselnden Schilden wand und die persischen Schwertern jeden Kopf abhieben, der sich unter ihren rasselnden Schilden hervorwand. Der Weg nach Delphi, nach Athen war frei.

 

Xerxes schämte sich seiner Verluste. Er schickte einen Herold zu seiner Flotte, die zwischen dem Vorgebirge Artemision und Histiää auf Euböa lag, und forderte das Seeheer auf, das für die Perser so ruhmreiche Schlachtfeld der Thermopylen zu besichtigen.

Die Seekrieger und Ruderer kamen, um zu schauen. Sie sahen ungefähr tausend persische Gefallene, denen sie die letzte Ehre erwiesen. Alle übrigen Tausende hatte Xerxes in aller Eile begraben lassen in den Schluchten unter Erde und abgefallenen Blättern. Die Schiffsbesatzungen sahen wohl Tausende von griechischen Gefallenen, die Xerxes dort an der gleichen Stelle hatte aufstapeln lassen zu theatralischer Wirkung.

Die List war allzu durchsichtig. Die Seekrieger und Ruderer kehrten am folgenden Tage zur Flotte zurück. Sie hatten gehört und hatten begriffen. Ihr Lächeln und ihr Flüstern verriet, daß sie begriffen hatten.

Xerxes rückte mit seinem Heere tiefer in Hellas ein. Die Thermopylen blieben offen, frei und verlassen.

 

Die Geier waren in Scharen dem Flug der beiden Adler gefolgt, die hin und wieder über den blauen Badetümpeln und schäumenden Meerengen, über den Schluchten und zwischen den Steineichen sichtbar umherflatterten. Die Flügel der Geier rauschten in den kommenden Tagen gleich einer dunklen Wolke unheilkündend über den Thermopylen.

Doch das Rauschen der Geierflügel währte nicht, wohl aber jenes andere Rauschen, das Leonidas um sein Haupt wie eine Harmonie und wie Musik gehört hatte, als er sinnend vor seinem Zelte saß, und jahrhundertelang währte jenes andere Rauschen, nicht das Rauschen von Raubtierflügeln, sondern das unvergängliche Rauschen der reinen Flügel weißer Siegesgöttinnen und das leise Rascheln ihrer Gewänder zugleich mit dem Rascheln der wehenden Zweige und Kränze, der Myrten und des Lorbeers, die sie den Kindern der Unvergeßlichen reichten, die dort den unvergleichbaren Heldenkampf gekämpft rings um Leonidas, ihren blonden König von Sparta, den Helden und Heros, das Vorbild für alle späteren Helden.


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