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Erstes Buch
Liebe

 

I.

An einem hellen Sommerabend fuhr ein zweisitziger Eilwagen, von Eger kommend, durch die ersten Häuserreihen Karlsbads und hielt nach kurzem Verweilen auf dem Zollhof vor einem grünlädigen Gebäude, dessen goldenes Schild es als Gasthof und Fremdenpension bezeichnete.

Der Reisende, der dem Wagen entstieg, schien zierlich, fast schmächtiger Gestalt. Sein Blick ging fern, von leichter Melancholie umflort, und als die Hand zur Hutkrempe griff, erspähte man über der hohen Stirne seidenes, mädchenhaftes Haar, dem eine kühn hervorspringende Nase Adel und Männlichkeit verlieh.

Des herbeieilenden Wirtes Bücklinge ließen den Angekommenen kalt. Er sah über sie hinweg als eine lästige Sache und schritt, Mantelsack wie Schatulle dem Hausknecht überantwortend, die Treppe zur Vordiele hinauf. Dort blieb er stehen, streifte die weißen Glacés von den Fingern und nahm aus den Händen des Kellners das Fremdenbuch entgegen.

Da er die Feder ansetzte, sprang lächelnder Uebermut aus seinen Augen. Er warf einige krause Zeichen hin, die der später des Weges kommende, vom Wirt sogleich befragte Dirigent der Kurkapelle als Noten im allgemeinen, im besonderen aber als ein Thema à la Mazur deuten zu können glaubte, und schrieb darunter in klaren, nicht eben großen Buchstaben die Worte: Friedrich Chopin.

Zwei Zimmermädchen erschienen mit Licht. Der Wirt, dem Reisenden vorangehend, öffnete eine Flucht von Türen und pries geschmeidig die Räumlichkeiten an.

Friedrich schritt mehrmals rasch hindurch. Ein Wohnzimmer mit grünen Vorhängen gefiel seinen Augen. Er nahm es nebst zugehörigem Schlafkabinett, an dessen hell tapezierten Wänden bräunliche Kupferstiche hingen. Dann ließ er Koffer und Mantelsack bringen, lohnte den Kutscher ab und war allein.

Ein befreiender Seufzer schwellte seine Lippen.

Mühevoll war es, mit Menschen umzugehen, mühevoll, ihr Geschwätz zu ertragen und ihre Lust an alltäglichen Dingen!

Gab nicht der Wald das Beispiel erhabenen Schweigens? War nicht das Murmeln der Quelle vieldeutiger als des Menschen Sprache? Und tausendmal herrlicher denn alles dies die Silberflöte der Gottheit, deren Dienst er sich geweiht?

Frohgefühl umfing den Ermatteten. Er hob die Schultern, als wälze er eine schwere Last von seinem Nacken, und trat, nachdem er die Kleider abgelegt, zum Waschtisch, um sich vom Reisestaub zu reinigen.

Während er Kopf und Schläfen kühlte, gedachte er des Zweckes, der ihn nach Karlsbad geführt.

Es galt, die Eltern zu überraschen, die ihn seit Jahren nicht gesehen hatten!

Würden sie den Sohn verändert finden?

Prüfend betrachtete er sich im Spiegel. Das Glas warf seine Gestalt zurück, rötlich umstrahlt von der Flamme zweier Wachskerzen, die in silbernen Leuchtern auf der Platte eines Nußbaumschrankes brannten.

Geschmack und Anmut entsprangen dem Bild: die hellen Beinkleider, die er weit über den Spann der Schuhe fallen ließ, die zart geblümte Piquéveste, darüber die Halsbinde aus Musselin. Ein glockenförmiger Taillenrock mit breiten, vorn aufgeschlagenen Revers, der hohe Hut und endlich Handschuhe und ein geknaufter Stock.

Friedrich sah es mit Zufriedenheit. Er schloß Schatulle und Koffer ab, nahm Meldeschein, Paß, den Geleitbrief seines Arztes und verließ den Gasthof, als über den Bergen die Sonne unterging.

Ein herber Duft kam von den Wäldern, goldene Nebel stiegen auf. Die Luft war rein und, wie ihm dünkte, von kräftigender Würze.

Da ward ihm die Brust leicht, Müdigkeit schwand in lieblichem Besinnen, und wie er tiefer atmend enteilte, glomm Röte über der kühlen Blässe seiner Stirn, die Lebhaftigkeit mit edlen Formen früh geübter Selbstzucht bedeutsam vereinigte.

 

Dem Reisenden, der, der Schnellpost entrückt und also Mensch nach drei Tagen und drei Nächten qualvoll staubigen Gerüttels, die Straße zur Alten Wiese hinabschritt, erwuchs im Schauen zwiefältiges Vergnügen.

Tief lag die Stadt, von schwärzlichem Nadelholz umrahmt. Der Teplfluß schoß eilig hindurch. Mauergeländer hielten seinen Rand, und zahlreiche Brücken verbanden die Ufer, die mit Bäumen bestanden oder blühendem Rankenwerk verkleidet waren.

Hier schien der Mittelpunkt Europens. Man sah den schlanken Berliner Frack neben dem breiten Halsknoten des Wiener Bürgers. Engländer in kariertem Nanking schlenderten zwischen schwarz gekleideten Parisern, und auch die Staaten der neuen Welt fehlten in diesem Gemenge nicht:

Ein gelblicher Pflanzer aus Haïti trug gramvoll die Beschwerden seiner Leber. Er ging, von einem Mohren gefolgt, den Bambusstock schlaff in der Rechten, und musterte die Vorüberziehenden durch ein gefärbtes Augenglas.

Friedrich ließ sich vom Strome treiben. Es war sein Weg, der Erstlingsweg jedes frisch eingetroffenen Fremden, zur Zivilinspektion, um die Papiere vorzuweisen und sich durch Zahlung der Kurtaxe des Gastrechts zu versichern.

Ein artiger Kommissar bewirkte dies. Er nahm den Paß, an dessen Stelle eine Empfangsbescheinigung trat, strich rührig das Geld ein und vollzog den Aufnahmeakt mit glatter Feder.

»Sie sind registriert, mein Herr,« schloß er, verbindlich ausstehend. »Doktor Hlawacek? Jawohl, ein Karlsbader Kind!« And er wies dem Fragenden das Haus des Arztes.

Friedrich erreichte es durch eine schmale Gasse, die bei einem Gartengrundstück endete. Hier zog er die Glocke und übergab dem ihm öffnenden Mädchen seinen Brief, worauf man ihn in das Wartezimmer führte und auf einem schwarzen Ledersofa sitzen hieß.

Nicht lange danach erschien Hlawacek. Er trat herein, die Hand zwischen den Knöpfen der gestickten Weste. Das weiche Halstuch umschloß ein klug blickendes Gesicht. Ernst und Würde lagen darin, Teilnahme und vorsorgende Menschlichkeit.

»Sie kommen von Paris,« begann er und zog einen Birnbaumstuhl heran.

Friedrich verneigte sich bejahend. Ein plötzlicher Druck legte sich auf seine Brust, Unruhe ergriff ihn, er räusperte sich.

Dr. Hlawacek betrachtete ihn aufmerksam.

»Wie mir Ihr Arzt schreibt, haben Sie mehrfach an Erkältungen gelitten! Gab es Fälle in Ihrer Familie?«

»Eine Schwester starb in frühem Alter,« entgegnete Friedrich, und seine Stimme dunkelte vor Traurigkeit.

»Nun, um so mehr …«

Hlawacek riß ein Blatt vom Schreibblock.

»Sie können einige Becher Schloßbrunn trinken, das wird Ihnen gut tun, zum mindesten nicht schaden. Die Hauptsache ist Ruhe, ein gesetzter Lebenswandel! Ihr Beruf gleicht dem Feuer, junger Freund.«

Und sich erhebend, fügte er hinzu:

»Man kennt Ihr Spiel! Ihre Kompositionen …«

Friedrich verbeugte sich geschmeidig.

»Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet,« sagte er, um weitere Komplimente abzuschneiden.

Kühle umgab ihn. In vornehmer Haltung griff er zum Hut und gewann über den Korridor die Straße.

Langsam ging er den Teplfluß hinauf. Das Bild seiner Schwester stand vor ihm, Emilia, deren harmlose Freuden er geteilt, mit der er kindliche Strophen verfaßt und zum Geburtstage des Vaters aufgeführt.

Wenn die Stunde voll Licht war, im Dämmer des Todes versinken? Schönheit nicht mehr schauen, Harmonie nicht hören?

Ein Schatten glitt über sein Gesicht, dann ein Lächeln.

»Holdes Leben,« flüsterte er und schlug den Weg zur Sprudelpromenade ein.

 

Friedrich Chopin, Frédéric oder auch Fryderyk, wie man ihn in der Sprache der drei Nationen hieß, die seinem Talent den romantischen Tiefsinn, leichte Anmut, Ritterlichkeit und einen geschichtlichen Schmerz vermacht, hatte, treu dem Programm, das er durchzuführen entschlossen war, die Glashandlungen der Alten Wiese aufgesucht und dort ein Trinkgefäß erstanden, als er, dem Schloßbrunnen sich nähernd, den plötzlichen Anruf: »Herr Frycek!« vernahm.

Des kosenden Diminutivs entwöhnt, blieb er aufhorchend stehen. Das Herz schlug ihm beim teuren Laut des Vaterlandes. Er sah die unermeßliche Ebene, über die der Gluthauch des Sommerwindes strich, sah den Strom, der sie silberschärpig durchschnitt, goldene Kuppeln am Horizont, das Bild der Jungfrau von Edelsteinen strahlend …

Heimat, dachte er und wandte sich erblassend um.

Ein Herr in dunklem Schnürrock trat an der Seite seiner Gattin auf ihn zu. Das kühne Gesicht, der schwarz herabhängende Schnurrbart kennzeichneten den Edelmann, dem nur. der vergoldete Krummsäbel fehlte, um ihn mit hoch geschwungener Klinge auf fliehende Tartarenhaufen einstürmen zu sehen.

Friedrich bedachte sich nicht lange.

»Zawadzki,« rief er überrascht.

»Gruß der gnädigen Frau!«

Die beiden Männer umarmten sich.

Frau Zawadzka stand dabei, ein neugieriges Lächeln auf dem rosigen Gesicht.

»Nun, Herr Kavalier, wo treibt man sich herum?«

»Auf den Pfaden der Tugend, gnädige Frau,« entgegnete Friedrich, indem er ihr den Handschuh küßte.

»Die Eltern wollen nach Karlsbad. Ich bin drei Nächte gefahren, um hier vor ihnen einzutreffen. Sie ahnen von meinem Kommen nichts.«

Frau Zawadzka klatschte in die Hände.

»Das ist hübsch,« sagte sie lebhaft.

»Sind die Teuren schon da?«

Ihr Gatte zupfte sie am Aermel, der leicht gebauscht aus einem malvenfarbenen Umschlagkragen fiel.

»Wie sollten sie hier sein, wenn Friedrich selbst eben erst gekommen ist!«

»Aber sie könnten doch,« beharrte Frau Zawadzka und schob ein wenig gekränkt die Unterlippe vor.

Friedrich sah es und kam ihr zu Hilfe.

»Die gnädige Frau hat recht, wir sollten die Hotels absuchen!«

Frau Zawadzka triumphierte.

»Nun …,« hielt sie ihrem Manne vor, »nun …?«

Und sich zu Friedrich kehrend:

»Ich werde Adieu sagen!«

»Sie wollen uns verlassen?« entgegnete der und führte ihre Fingerspitzen an die Lippen.

»Eine Verabredung mit Frau Hoffmann! Sie kennen sie ja …«

Die Herren entfernten sich Arm in Arm. Aus ihren Bewegungen sprach Rhythmus, Feuer und die Ungezwungenheit vertrauten Umgangs.

 

Von altem Ruf, ursprünglich Vary oder Warmbad genannt, war Karlsbad in nicht ganz fünf Jahrhunderten zu einer Stadt erblüht, die den sie umschließenden Sammet der Waldrücken gleich einem kostbaren, wenn auch zu engen Kleide trug.

Die Quellen mehrten sich über Nacht, der Andrang der Kurbedürftigen nahm zu, und damit wuchs auch die Zahl der Gasthöfe, die, Fremdenpensionen und Privatlogis mit eingerechnet, die Läufer der Einheimischen fast übertraf.

Zawadzki und Chopin erfuhren es zu ihrem Schaden. Vergeblich fragten sie im »Goldenen Schild«, »Paradies« und »Morgenstern«, im – »Roten Adler« auf der Wiese, auf dem Markt beim »Löwen«, »Merkur« und bei der »Post«.

Indessen stieg Friedrichs Ungeduld. Die Nähe der zu erwartenden Vereinigung ließ ihm die Eltern schärfer hervortreten. Er gedachte der Rechtschaffenheit seines Vaters und dessen wechselvollen Schicksals:

Wie er, als Pole in Frankreich geboren, mit jungen Jahren in die Heimat zurückgekehrt, wie er den Fahnen Kosciuszkos zugeeilt, da das von Teilungen zerrissene Vaterland gegen die Unterdrücker sich erhob.

Wie er am Tage von Praga nur durch ein gütiges Geschick dem Schlächter Suworow entronnen, als Hauslehrer auf den Gütern sein Leben gefristet und in dieser Stellung mit Justina Krzyzanowska sich vermählt, einem armen, aber adligen Mädchen, angetan mit häuslichen Tugenden, liebevoll, von weicher Gemütsart, der besten der Mütter.

Friedrich entbrannte vor Dankbarkeit.

Er war seiner Eltern einziger Sohn, Frucht höchster Zuneigung, innigster Gemeinschaft. Hier lag die Wurzel seines Talents. Hier sproß jene kriegerische Musik, die in seinen Kompositionen zu tragischer Größe sich emporschwang, hier die Beseelung seines Spiels, der zarte Anschlag, die Schauer atemraubender Versunkenheit!

Wo hatte Natur je glücklichere Vorbedingungen erwirkt?

Zawadzki kreuzte seinen Gedankenflug.

»Lassen Sie uns dort hineingehen,« sagte er und wies auf ein Haus amtlich bescheidenen Ursprungs.

»Ein letzter Versuch, wenn Sie so wollen …«

Es war die Zivil- und Kurinspektion.

Sie fanden den artigen Kommissar und trugen ihm ihre Sache vor.

Nikolaus Chopin?

Nein, der war noch nicht gemeldet!

Zawadzki lächelte in seinen Schnurrbart.

»Gott schuf die Frauen, damit wir lernen.«

Friedrich verbarg nur schwer seine Enttäuschung.

»Auf morgen,« wiederholte er, als sie sich trennten.

»Auf morgen!«

 

Maske des Schlafs sank über das Antlitz des spät Heimgekehrten. Alle Unruhe entwich. Still lag er da, die Hände wie zum Empfang eines Geschenkes leicht geöffnet.

Aus Nacht ward Dämmerung, der Tag erhob sich in rosig grünem Licht. Grasspitzen funkelten, eine Lerche stieg auf und jubilierte in die Sonne.

Friedrich erwachte von ihrem Trillern. Frühsänger, dachte er, Goldkehle, Freudenspender, und er vernahm ein Klopfen an der Türe.

Lauschend richtete er sich in den Kissen auf.

Das Pochen schwoll an.

Eine zarte Stimme mahnte:

»Friedrich!«

Sein Atem stockte. Tränen entstürzten seinen Lidern.

»Mutter!« schrie er.

Zwei Arme umschlangen seinen Hals. Ein schmales Gesicht mit klugen, grauen Augen neigte sich über seine Stirn, Haubenbänder streiften ihn. Dann ein Kuß von unsagbar keuscher Leidenschaftlichkeit.

Friedrich verharrte in sanfter Betäubung.

»Wo kommt ihr her?« fragte er, kaum der Sprache mächtig.

Nikolaus Chopin, der mit Zawadzki im Hintergrund gestanden hatte, nahm für seine Gattin das Wort.

»Wir fuhren langsam und trafen nachts hier ein. In der Stadt begegneten wir dem Wagen der Danielskis, die nach Teplitz wollten. Sie hinterließen uns ihr Logis und reisten ab. Um vier Uhr stürmt jemand unsere Türe. Ich öffne, Zawadzki steht davor. ›Friedrich ist hier,‹ ruft er, ›wir haben Sie gestern überall gesucht!‹ Nun, Gott sah unsere Freude. Wir machten uns auf und sind gekommen, dich zu wecken.«

Die Stimme brach ihm. Weinend umarmte er den Sohn.

Friedrich lag stumm an seiner Brust. Dieselben Eltern, nur ein wenig gealtert, Hände, die er geküßt, Augen, in deren Obhut er gewandelt!

Eine Welle von Seligkeit schlug über ihn. Seine Gedanken wurden zu stammelnden Lauten: »Glück, Glück, Glück …«

 

Und wie geht es den Schwestern?« fragte Friedrich, als sie um den runden Tisch beim Frühstück saßen.

Es war im Böhmischen oder Puppschen Saal. Kaffeeduft würzte die Luft, der Goldrand der Tassen funkelte auf weißem Damast.

Nikolaus Chopin griff zum Gebäck.

» Elles se trouvent à leur aise,« sagts er, indem er den Teller mit den Kringeln herumgab.

»Louise und Isabella lassen grüßen, die Schwäger empfehlen sich.«

Wieder betrachtete er den Sohn.

»Du hast dich nicht im geringsten verändert!«

Frau Justina sah schärfer als ihr Gatte.

»Ein wenig abgespannt, wie mir scheint. Man sprach in Warschau von mehr Arbeit, als dir gut sei.«

Friedrich wehrte irgendetwas mit der Hand ab.

»Zuviel Besorgtheit, Euer Gnaden! Vier bis fünf Unterrichtsstunden am Tage, Komponieren, Gesellschaften …« Er brach ab und legte seine Arme um die Eltern. »Was ist das alles gegen eure Nähe?«

Schweigen ernte die Glücklichen.

Das Tagesgestirn blendete vom Himmel. Es drang durch die großen Saalfenster, deren leichte Gardinen seinen Glanz nicht dämpfen konnten.

In den Alleen herrschte buntes Leben. Ein Strom von Kurgästen wälzte sich zu den Brunnen und von dort wieder zurück, Uniformen blitzten, man hörte Russisch sprechen.

Nikolaus Chopin zog plötzlich die Börse, die in Perlen gestickt auf rotem Grund den polnischen Adler zeigte.

»Wir wollen nach Hause,« drängte er und wies auf zwei eintretende Offiziere, deren einer, mit breiten Goldraupen und prall ansitzenden Kaschmirhosen, über dem plumpen Generalsrock die Aufschläge der Petersburger Garde trug.

Friedrich maß ihn mit kühlem Blick.

»Räuber,« zischte er, als jene an einem Nebentische Platz nahmen.

Seine Nasenflügel bebten. Er stand auf und – folgte den vorangeschrittenen Eltern.

Draußen entrang sich ein Stöhnen seiner Brust.

»Wie lebt das Vaterland?« murmelte er mit gepreßter Stimme.

Nikolaus Chopin wandte sich vorsichtig um.

»Es gibt kein Vaterland,« sagte er hart.

»Sie haben eine Provinz daraus gemacht, das Heer aufgelöst, die Wappen geschändet. Alle Universitäten sind geschlossen. Unsere Sprache starb. Nur die Toten reden in ihr!«

Friedrich war keiner Entgegnung fähig. Zu viel der Eindrücke stürzten über ihn. Er brachte die Eltern in ihr Logis und verabschiedete sich, um, wie er vorgab, einen wichtigen Gang zur Post zu tun.

Am Hirschensprung verließ er die Straße und schlug sich quer durch den Wald zu einer Bank, auf der er versunken niedersaß. Hier blieb er lange, ohne Bewegung. Das Singen des Windes war um ihn, Bäume wandelten sich zu Kornfeldern, ob deren leise wogenden Halmen der Atlas des Mohns gleich feuchten Flecken schwamm.

Dann eine Prozession, in der Mitte der Priester mit goldener Monstranz, Bauern mit langen, schweren Röcken, Frauen, deren Kopftücher wie Feuer flammten. Darüber hochaufgerichtet, von weißen Sommerwolken umgaukelt, das Kreuz, das auf dem gebeugten Volke lag.

Friedrich öffnete beide Arme und sank voll Inbrunst auf die Knie.

»Heimat,« schrie sein Herz.

Rückblickend empfing er die Geschenke seiner Jugend.


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