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IV.

Noch einmal sah er Sommer gehn und in des Herbstes Goldfülle sich verwandeln. Die Georginen blühten dunkler, Kresse und Weinlaub flammten an den Häusern, und dann kam Tau, ein schwerer, kühler Tau, der Friedrichs Herz gleich einer Graburne befeuchtete.

Das Geld, das er in England gespart, war bis auf den letzten Rest zu Ende, Einnahmen standen nicht in Aussicht. Was Wunders, daß ihn, der Luxus und Wohlleben gewöhnt, in solcher Lage düstere Verzweiflung übermannte?

»Ich weiß nicht, wie es geschehen ist,« sagte er mit hohler Stimme zu Franchomme, und rote Flecken brannten auf seinem abgemagerten Gesicht.

»Mehr einschränken, als ich es tat, geht über meine Kraft, die Aerzte kosten ein Vermögen … Ich werde nicht einmal meinen Sarg bezahlen können.«, schloß er.

Franchomme erstickte einen Krampf in seiner Kehle. Das Bild des Jugendlichen, wie er vor Jahren es gesehn, die lange Krankheit und endlich jene furchtbare Veränderung, die an dem Ausgang keinen Zweifel ließ, festigten in ihm die Ueberzeugung, daß ein Eingreifen unbedingt erforderlich.

»Ich will schauen, was zu machen ist,« sagte er kurz, um nicht in Weinen auszubrechen.

Friedrich tastete nach seiner Hand und hauchte, bevor er es verhindern konnte, einen Kuß darauf.

»Tu es um meinetwillen,« bat er.

Seine Lippen zitterten.

 

Als Franchomme den Berg Chaillot hinunterschritt, quollen ihm die Tränen unaufhaltsam.

»Der Unglückliche!« murmelte er halblaut, »aber wie ihm helfen? Ich selbst besitze nichts, Gutmann und Grzymala sind auch nicht reich. Es müßte jemand sein, der Ueberfluß hätte an Gütern und an Liebe … Vielleicht Fräulein Stirling?«

Plötzlich schneuzte er sich heftig. Wenn jemand, so ist sie es! dachte er.

Er kannte jene stille Leidenschaft, die sie Friedrich entgegenbrachte, wußte durch Grzymala von ihrem Angebot in Calder House, und rasch entschlossen nahm er einen Wagen und fuhr zu dem von ihr gemieteten Hotel.

Miß Stirling empfing ihn mit der ihr eigenen ruhigen Freundlichkeit.

»Wie geht es ihm?« fragte sie, das »ihm« warm betonend.

»Schlecht!« antwortete Franchomme und schilderte, durch ihren Blick ermutigt, Friedrichs prekäre Situation.

In Janes Augen glomm ein schönes Licht.

»Ich danke Ihnen, daß Sie zu mir gekommen sind,« sagte sie, als Franchomme zu Ende war.

»Glauben Sie, daß fünfundzwanzigtausend Franken …«

Sie brach ab und errötete.

»Ich habe gerade so viel bei mir.«

Franchomme beugte sich über ihre Hand.

»Die Nachwelt wird es Ihnen nicht vergessen!«

Wenig später saß er im Wagen und fuhr, des Erreichten froh, nach seiner Wohnung:

Ein Umschlag, darin das Geld, versiegelt und durch einen Ladendiener adressiert, sollte der Pförtnerin gegeben und diese angewiesen werden, ihn Friedrich als von einem Allbekannten herstammend zu übermitteln.

 

Es war zu Anfang der nächsten Woche und Franchomme mit anderen Dingen vollauf beschäftigt, als Friedrich ihn in einem dringenden Billet ersuchte, falls es möglich, bei ihm vorzusprechen. Franchomme tat dies in dem Gedanken; daß jener die Geldsumme erhalten habe, fand ihn indessen bis zur Bitterkeit gereizt und aufs neue seinen Mangel mit den stärksten Ausdrücken beklagend.

»Ich kann hier wie ein Hund krepieren,« stieß er hervor, »und niemand wird sich darum kümmern. Es tut mir leid, daß ich dir überhaupt etwas anvertraut!«

Franchomme verbarg kaum seine Ungeduld.

»Du hast doch keinen Grund, dich zu beunruhigen.«

»Ich keinen Grund?« schrie Friedrich, »ich bin ohne Geld.«

»Wie, und die fünfundzwanzigtausend Franken, die man dir geschickt hat?«

»Fünfundzwanzigtausend Franken? Wo sind sie, wer hat sie geschickt? Ich habe nicht einen Sou davon erhalten!«

»Nun, in der Tat, das ist sehr sonderbar!«

Franchomme griff aufgeregt nach seinem Hut.

War das Paket an falscher Stelle abgegeben oder hatte man es unterschlagen?

»Du wirst noch von mir hören,« rief er und stürzte aus dem Zimmer.

 

Draußen traf er auf Grzymala und Gutmann, die Friedrich zu besuchen kamen. Er teilte ihnen das Vorgefallene mit, und man entschloß sich, Mr. Alexis zu befragen, der, ein berühmtes Medium, die Kunst des Hellsehens um Geld ausübte und Fräulein Stirling von einem Landsmann warm empfohlen war.

Sie fanden in ihm einen Menschen, der schläfrig, mit blaßblauen Augen sie gleichsam durch einen Schleier musterte und sich, nachdem er sie abwesend angehört, bereit erklärte, ihre Sache zu verfolgen.

»Nur«, sagte er, die Stimme leicht erhebend, »brauche ich, um in Rapport zu kommen, ein Stück aus dem Besitztum der beargwöhnten Person. Schaffen Sie mir etwas von der Pförtnerin …«

Gutmann versprach dies zu besorgen, und anderen Mittags zeigten sich die Freunde, ein Halstuch von Musselin in Händen, das jener mit Geschick entwendet worden. Mr. Alexis nahm es ohne Zögern, schloß die Lider und öffnete sie zu einem durchdringenden Blick.

»Das Geld ist in der Wanduhr der Portierloge!« verkündete er triumphierend und wischte sich die feucht gewordene Stirn.

Der Eindruck seiner Worte war so überzeugend, daß niemand an der Richtigkeit zu zweifeln wagte, und man entfernte sich mit Danksagungen, nicht ohne zuvor das Honorar erlegt zu haben.

In der Rue Chaillot angelangt, war es Franchomme, der nunmehr die Führung übernahm. Er läutete bei der Portierloge, und gleich darauf erschien die Pförtnerin, unterwürfig und, wie ihm dünkte, mit allen Zeichen eines nicht sauberen Gewissens.

»Sie wünschen?« fragte sie im Dialekt.

»Den Brief, der in der Wanduhr liegt,« erwiderte Franchomme, indem er sie fixierte.

Das Weib erbleichte. Dann, einsehend, daß Leugnen hier unmöglich, schlürfte sie zu dem anbefohlenen Ort und kam mit dem noch unerbrochenen Paket zurück.

» Eh bien, la v'là vot' lettre!« sagte sie.

Die Freunde maßen sie verächtlich und stiegen, das Merkwürdige dieses Vorfalls ventilierend, zu Friedrichs erstem Stock empor.

»Wir bringen Geld,« rief Gutmann, da sie den Meister aufrecht im Bett sitzend erspähten.

Friedrich griff bebend nach dem Umschlag.

»Fünfundzwanzigtausend Franken! Es ist zu viel! Ich werde nur die Hälfte …«

»Von wem?« wandte er sich plötzlich an Franchomme.

»Von Fräulein Stirling!« sagte jener, der es nutzlos fand, den Namen länger zu verschweigen.

Friedrich richtete den Blick zur Decke.

»Ja, sie ist gut,« murmelte er. »Nun werde ich in Ruhe warten können …«

 

Seit diesem Tage war er Hingebung und Geduld. Sein Leiden, durch einen Blutsturz der Erfüllung nah gebracht, trug er wortlos, mit Zeichen sich verständigend und alles meidend, was die Laune fröhlicher Besucher trübe stimmen konnte.

Oft, um die Zeit zu kürzen, bat er, daß man ihm etwas vorlese. Der junge Gavard kam, und einige Seiten aus Voltaires »Dictionnaire Philosophique« beschäftigten den Kranken, der – seltsam, es zu hören – im Tode noch den Abhandlungen über den Geschmack lebhaftestes Interesse widmete.

Allein auch dies versank im Dämmer schmerzlich dahinschleichender Stunden, da die Heimat in der Feuchte seiner Augen glomm: was er von Bäumen wußte, von Läufern und von Menschen, die in seidenen Gewändern unter einem weiten Himmel gingen.

Er schwankte lange. Dann aber, als ihm klar wurde, daß Zögern übertriebene Rücksicht, schrieb er den Seinigen nach Warschau, Haltung bis zum Aeußersten erzwingend und doch nur jenen einen Satz variierend: »Kommt, wenn Ihr mich noch einmal sehen wollt!«

 

Sie hatten ihn aufgerichtet, Polster im Rücken ihm gehäuft, Franchomme und Gutmann stützten ihn. Die Haut durchsichtig über der schweißgetränkten Braue, Augen glänzend nach der Tür gekehrt, so lauschte er dem Anrollen des Wagens.

Ein leichter Tritt, Rascheln von Frauenkleidern, dann ein Gesicht ihm ähnlich, ein Schrei, die Enge des Gemachs zerreißend:

»Friedrich!«

»Louise …«

Bruder und Schwester hielten sich umschlungen, küßten sich, ihre Tränen kindlich mischend, im Gedanken an die Mutter, deren Segen, aus der Ferne mitgegeben, sie in diesem Augenblick beschattete.

Louise streichelte des Mageren Hand.

»Wir werden dich retten,« schluchzte sie, »verreisen, eine bessere Wohnung nehmen …«

Friedrich antwortete mit einem seltsam ernsten Blick, und in diesem Blicke las sie, daß seine Pilgerschaft erfüllt und daß er nichts anderes wünsche, als zu sterben.


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