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Friedrich erwachte in einem breiten Bett, das von einer Fülle goldnen Lichtes überflutet ward. Verwirrt blickte er umher: ein Zimmer mit freundlich tapezierten Wänden, wehende Vorhänge, Morgenluft, das Rauschen windbewegter Wälder.
Er dachte rückwärts, fand eine Bank, auf der er am Vorabend gesessen hatte, die Prozession der Kindheit, Wien, Paris …
Wo lag Paris?
Mit glücklichem Lachen fuhr er empor. Er war in Karlsbad, schlief Haus an Haus mit seinen Eltern! Konnte Mensch sein, wie er gewünscht, Ehrgeiz vergessen, dem Tage leben, der mit der herben Schönheit eines Knaben aus dem Arm der Dämmerung stieg, ihn liebend ansah und beseligte.
Wie hatte er sich mit Einbildungen gequält, wie war er Phantomen nachgejagt, da er den falschen Glanz des Virtuosen über schöpferische Urkraft stellte!
War es nicht besser, statt sich der Willkür eines schwer berechenbaren Publikums zu beugen, unabhängig, frei in sich selbst zu sein und Jugend, Liebe, Heimat mit Tönen zu umfangen?
In heiterer Stimmung kleidete er sich an. Nie schlang ihm die Hand so leicht die seidene Binde, nie zog er koketter die goldene Schmucknadel hindurch.
Es ward ihm froh zumut, zärtlich und bang wie einem Jungen, der seine kleine Geliebte kommen sieht, und plötzlich fiel ihm das sammetäugige Mädchen ein, mit dem er als Kind Versteckens gespielt, Maria Wodzinska, nun, wie Frau Justina ihm berichtet, fast neunzehnjährig, mit einem Haar von bläulichem Schwarz und lang genug, um ihren schlanken, biegsamen Körper wie in einem Mantel zu verhüllen.
Nicht ohne ein schüchtern glückliches Erstaunen, daß ihm alles dies just heute in den Sinn käme, erinnerte sich Friedrich der Beziehungen, die ihn seit frühem mit Marias Angehörigen verknüpft:
Der Brüder Felix, Casimir und Anton, die seine Freundschaft in Paris gesucht, des Briefwechsels, der hierüber geführt, sowie der Tatsache, daß ihn die Gräfin-Mutter, bevor sie Genf verließ, nach Dresden eingeladen hatte.
Ich werde hingehen, dachte Friedrich und fühlte, daß sein Herz heftig zu schlagen anhub.
Verwundert über eine Wirkung, deren Ursache beklemmend süß im Dunkel blieb, beschleunigte er die Toilette, fuhr in den blauen, zweireihigen Tuchrock, setzte den Hut auf und verschloß die Türe, um bei den Eltern anzuklopfen.
Nikolaus Chopin war soeben aufgestanden, als Friedrich mit einem muntren »Guten Morgen« eintrat. Er küßte den Sohn auf beide Wangen und rief, indes auch Frau Justina herbeikam, um an den Liebkosungen teilzunehmen:
»Der Arzt hat sich für neun Uhr angesagt. Wenn wir uns eilen, können wir vorher bei ›Bolza‹ frühstücken!«
Friedrich hatte nichts dagegen. Er ließ sich zu einem Sessel führen, beantwortete des Vaters Fragen über seine Reisepläne und nickte Frau Justina lächelnd zu, als diese wie am Vortag das Gespräch auf die Wodzinskis brachte.
»Es ist eine vornehme, alte Familie,« begann sie eifrig, »Friedrich tut gut daran, sie aufzusuchen. Die Gräfin liebt ihn wie ihren Sohn, und Maria, ist sie nicht musikalisch?«
»Sie hat bei Field studiert,« entgegnete Friedrich und fühlte, daß er rot wurde. »Ein Walzer, den sie mir schickte, war recht hübsch. Ich habe über eines ihrer Themen phantasiert.«
Nikolaus Chopin warf seiner Gattin einen Blick zu.
»Also abgemacht,« sagte er launig. »Du fährst über Dresden nach Paris!«
Friedrich blickte versonnen vor sich hin. Es war, als streckte die Heimat ihre Arme nach ihm aus, als strahle Jugend ihn an aus schwarz gewölbten Brauen.
Er erhob sich, da die Eltern fertig waren, und schritt, sie bei den Händen fassend, die Stufen zum Gartentor hinab.
Die Zeit floh ihnen wie der Traum vom Sommer, der bräunlich über die dunklen Nadelwälder sank. Spaziergänge wechselten mit Wagenfahrten, und man gedachte schmerzvoll der nicht mehr fernen Trennung.
Nachrichten aus Paris beeilten diese. Es galt Abschlüsse mit Verlegern, die durch den geplanten Aufenthalt in Dresden nicht verzögert werden durften. So kam der Reisetag und mit ihm die Stunde, da man Abschied nehmen mußte.
Als Friedrich den gelben Postwagen bestieg, vor dessen Stangenwerk zwei sehnige Eisenschimmel wieherten, als er zum letzten Male das Wort »Mutter« aussprach und geblendet von Tränen die Züge der Eltern im Rauch des Frühnebels entschwinden sah, dünkte es ihm, als falle ein Bahrtuch zwischen ihn und die Zurückgebliebenen.
Wie, wenn es kein Wiedersehen gäbe? Wenn er die Hand, die er geküßt, starr fände in den Schollen einer winterlichen Erde? Oder selbst, angeweht vom Hauch tödlicher Krankheit, in fremder Stadt sein Leben ende?
Ein Schauer rann ihm durch die Glieder. Fröstelnd zog er den Mantelkragen hoch und drückte das seidene Futter an die Lippen, da ihn der auffrischende Wind zu einem Hustenanfall zwang. In dieser Stellung saß er, bis sich die Fahrstraße zur Ebene senkte und Sonne ob graublauem Gewölk erschien.
Der Wald ward licht, grünte auseinander. Felder entfalteten sich in üppigem Gelb, Mohn wand sich um die Radachsen, und in der Ferne sangen Mäherinnen, bloßfüßig, mit Rock und Hemd bekleidet, in bunten Kopftüchern, die brennend an die Heimat mahnten.
Friedrich sah ihre kräftigen Gestalten und fühlte, daß sein Blut rascher die Brust durchströme.
Was bin ich einsam, dachte er, wo Natur tausend reizender Wesen schuf, Liebe zu geben und geliebt zu werden!
Wo ihr Lächeln tausendfältig mich belebt, Duft spendet gleich dem Kelch der Blumen, deren jede Quell mir zu neuem Schaffen wird.
Und doch, nur einen Menschen haben, dem man zugehörig ist, an den man sich schmiegen kann, innig vertrauend, um Brust an Brust die dunklen Feuer zu entzünden …
So klagte er, während der Wagen eilig dahinschoß und Meile um Meile in einer langen Staubschleppe verschwand. Denn mit dem zunehmenden Tage stieg die Wärme, der Weg ward sandig, und die Geleise dursteten nach Regen.
Es war am Spätabend, als Friedrich auf einer blauen Wolkenwand die Türme von Dresden rosig angestrahlt erscheinen sah. Von Tharandt kommend, kreuzte er die Altstadt und hielt wenig später vor der Auffahrt des ihm anempfohlenen Hotels.
Gaskandelaber beleuchteten die Rampe. Ein Hausknecht öffnete den Wagenschlag und führte den Reisenden zu dem vorausbestellten Zimmer.
Hier lud er Koffer und Nachtsack ab, schlug den Betthimmel zurück und empfahl sich, nachdem er zuvor Straße und Nummer des Palais Wodzinski angegeben hatte.
Friedrich machte sorgfältig Toilette.
Es konnten Gäste dort sein, und dann … Maria, sie war groß geworden, erhob Ansprüche!
Ob sie auf Tournüre sah?
Schwarz war hier wohl das Passendste: der neue Kaschmirfrack, die Weste mit der fashionablen Atlasblende …
Ein Blick auf die Uhr wies ihm die neunte Stunde. Friedrich warf hastig den Mantel um, nahm seine Handschuhe und verließ den Gasthof in der ihm vorgeschriebenen Richtung.
Bald hatte er sein Ziel erreicht, ein schmales Haus mit hohen, barock geschwungenen Fenstern, davor ein Türhüter in silberfarbener Livree.
Wen er ansagen dürfe, fragte dieser, und Friedrich antwortete, während Erregung ihm die Stimme seltsam dämpfte:
»Melden Sie Friedrich Chopin aus Paris!«
Der Raum, in den man ihn führte, stieg, wie bei alten Bauten häufig, durch zwei Etagen, deren obere von einem Amorettenkranz beschlossen ward.
Seidentapeten verkleideten die Wände, blaßgrün mit goldgewirkten Tulpen, dazu damastbezogene Mahagonimöbel, ein großer Kristalllüster und über einer bauchigen Kommode sprühend von eleganter Lebensfreude ein Bildnis Stanislaus August Poniatowskis.
Friedrich erhaschte dies gleichsam im Fluge, indes ihm einfiel, daß Haus und Dienerschaft dem Palatin Wodzinski gehörig, Schwager der Gräfin-Mutter, so Marias Onkel, und, kaum gedacht, eine Tür in seinem Rücken aufging, durch deren geschweiften Rahmen ein hochgewachsener Herr mit zwei Damen verschiedenen Alters trat.
» C'est Frédéric, en effet …,« hörte er eine bekannte mütterliche Stimme sagen, küßte die ihm gebotene rundlich weiße Hand, verbeugte sich, da ihm der Name des Palatins entgegenschlug, und stand im gleichen Augenblick der jungen Maria gegenüber.
Er hatte Muße, sie eingehend zu betrachten, da auch diese, wie von einem jähen Erstaunen angewandelt, Friedrich prüfenden Blickes überflog.
Sie trug ein Kleid aus schwarzem Taffet, das, nur mit einer einzigen Rose geschmückt, den matten Teint ihres Gesichtes wie Elfenbein erscheinen ließ. Der Mund war klein, sinnlich bezaubernd, das Auge von samtenem Glanz, schwärmerisch und voll verhaltenen Feuers.
Einer, der aussah wie du …, mochte sie denken und fühlte, daß ein Zittern über ihre Hüften glitt.
Nicht war vergessen jener Traum von Schnee, von Sonne, die hinter gigantischen Eismauern gefror, von blauem Wasser, in dessen abendlichem Spiegel die Rosengipfel des Mont Blanc erglühten, nicht jene Liebesverse, mit denen ein Dichter ihres Landes sie in Genf umworben: Julius Slowacki, von gleichem Wuchs, gleichen Alters und von gleichem Ruf.
»Sie erkennen mich nicht?« fragte sie und streckte lächelnd ihre Hand aus.
Friedrich neigte sich darüber.
»Es ist lange her,« erwiderte er.
»Wir waren Kinder, als wir in Sluzewo spielten …«
»Und Warschau,« fiel Maria ein. »Ich weiß, daß man schon damals Mühe hatte, mich von Ihrem Flügel fortzutreiben.«
»So schrieb ich recht, wenn ich durch Felix in Ihnen die Kollegin grüßen ließ!«
Maria bog graziös die Schultern.
»Sie sind galant,« sagte sie, »wie die Stadt, aus der Sie kommen. Gehen wir ein wenig zum Kamin!«
Sie nahmen Platz, indes ein Diener Holz zulegte und die Gräfin-Mutter, nachdem sie Friedrich über das Befinden ihres »teuren und sehr lieben Freundes Nicolas« befragt, sich mit dem Palatin an einem Bric-à-Brac zum Brettspiel niedersetzte.
Friedrich versank in eine Art wohliger Träumerei. Während Maria von Field und ihren Studien sprach, er selbst mitteilsamer denn gewöhnlich der Virtuosenlaufbahn abschwor und den Komponisten als sein künstlerisches Postament bezeichnete, sah er neben sich Marias elastisch weichen Körper, sog ihren Atem, der vertraulich nahe ihm die Stirne streifte, und spürte, daß es ihm schwer ward, die Stunde des Besuches nicht zu überschreiten.
Ungern erhob er sich, da eine Bronzeuhr in schlankem Glassturz metallisch schlug und der Palatin, gleichsam verwundert, einen Blick auf die Emaillefläche des Zifferblattes warf.
»Ich möchte die Gnädigsten nicht länger stören.«
Die Gräfin-Mutter unterbrach ihr Spiel.
» Au revoir, mon cher,« sagte sie gütig, »Sie sind uns zu jeder Zeit willkommen!«
Maria brachte den Gast zur Tür. Sie ging schmiegsam in den Hüften und flüsterte, als Friedrich die Klinke in der Hand hielt:
»Morgen um fünf, pour parler de la jeunesse! Sie finden mich allein zu Hause.«
Friedrich entgegnete irgend etwas von »zu viel Glück« und sah sich, nachdem er, ohne es zu merken, Treppe und Vordiele passiert, im fahlen Licht der von Gaslampen erhellten Straße.
Ein Rausch des Entzückens trieb ihn zum Hotel.
Wie … dieses Mädchen, klug, vornehm, du vrai grand monde, und ihm verbunden durch das Geheimnis einer reizend gewährten Gunst?
War es Laune oder Anzeichen plötzlich erwachter Neigung?
Die Kerzen an seinem Bette brannten tief in dieser Nacht.
Es war am Spätnachmittag des anderen Tages, daß Friedrich nach einem Spaziergang auf den Elbbrücken sich in der Neustadt einen Wagen nahm, um zum Palais Wodzinski zu fahren. Die Luft hing blaßblau über grünen Kirchenkuppeln. Blätter trieben golden im Strom, und auf den Marmorbildern der Orangerie lag kühl und hell Septembersonne.
Friedrich tat lässig, unbewegt. Verstohlen nur zog er die Uhr zu Rate, und ohne des Für und Wider zu gedenken, das herzpochend ihm den Schlaf geraubt, dünkte es ihm, als habe Leben nie so warm sein Haupt umfangen.
Der Türhüter empfing ihn mit respektvoller Verbeugung. Er hob den schweren Messingdrücker und sagte, nachdem er Friedrich Hut und Mantel abgenommen:
»Das Fräulein erwartet Sie im blauen Zimmer!«
Es war ein Raum, achteckig, im Stile eines Boudoirs, bespannt mit rotblumigem Leinenstoff auf blauem Grunde.
Ein Flügel stand zwischen Nippes von Meißen und Berlin, in seine Biegung geschmiegt, mit weichen Daunenkissen eine hellblauseidene Causeuse.
Als Friedrich eintrat, sah er Maria, die in einem Buch zu lesen schien. Kerzenlicht floß über den weißen Sammet ihres Nackens, und wie sie vorgeneigt die Lippen ein wenig öffnete, bot sie ein Bild so hingebender Weiblichkeit, daß Friedrich ohne zu atmen stehen blieb und im Dunkel ließ, ob Zufall oder Absicht diesen Anblick ihm geschenkt.
Sein Räuspern weckte Maria wie aus einer zärtlichen Umarmung. Sie fuhr auf, klappte das Buch zu, auf dessen grünem Maroquin mit goldenen Buchstaben die Worte: Julius Slowacki »In der Schweiz« geschrieben standen, und sagte:
»Ach, Sie sind es, Friedrich …«
»Befahlen Sie nicht, um diese Zeit zu kommen?«
» C'est vrai, ich vergaß … Doch setzen Sie sich zu mir!«
Friedrich folgte ihr, verwirrt, gekränkt. Er wußte nicht, was er von allem halten solle. Doch sank er gutwillig in die blauen Kissen, schwieg und erschauerte, da eine kleine, rieselnde Falte von dem Kleid der Freundin ihn berührte.
Maria betrachtete ihn neugierig.
»Also erzählen Sie! Ist Paris noch immer elegant, sind seine Frauen kapriziös, die Männer leichtsinnig? Trägt Louis Philippe Plüschpantoffeln, und ist es wahr, daß Liszt von Gräfinnen vergöttert wird?«
Friedrich biß sich auf die Lippen.
»Es ist wahr,« sagte er ärgerlich. »Wenn er donnert, regnet es erlauchte Tränen. Um seine Haarlocken streiten sich Herzoginnen von Geblüt.«
Maria lachte hell auf.
»Sie sind drollig, mein Lieber, und schon … eifersüchtig?«
Sie hob den Kopf und blickte den jungen Mann mit glänzenden Augen eigentümlich an.
Etliche Sekunden blieb es still.
Dann sagte Friedrich, dem das Blut in heißer Welle zu den Schläfen stieg:
»Lassen Sie mich nicht sprechen! Wenn ich spielen dürfte …«
Maria dehnte sich lächelnd.
»Bitte,« entgegnete sie, »der Flügel ist geöffnet.«
Es war ein Erard von blauem Holz. Der Ton glitt voll aus einer schweren Klaviatur, und Friedrich, durch Stimmung wie nie mit Kraft begabt, wühlte die Saiten leidenschaftlich auf, daß Maria wie unter einer Flut von Küssen zurücksank, mit bebenden Händen, bis zu den Stirnhaaren von Röte übergossen, indes die weiße Rundung der Brust, aus einer Wolke von Spitzen und Kaschmir tauchend, über dem Flügelrand sich hob und senkte.
Ein Thema von unsagbarer Süßigkeit folgte dem Sturm der Raserei. In schluchzende Triller aufgelöst, jäh sich verlierend, brünstig sich findend, war es das Locken zweier Nachtigallen, der Odem nächtlichen Laubes, das Lied der Erde, in tausend Farben widerschillernd eine Phantasie auf das Wort:
Sie tollten wie Kinder, die, mit einer Flamme spielend, sich plötzlich berühren, gebannt verharren und von der Glut ergriffen werden.
Die Galerien fanden sie anbetend vor Madonnenbildern, im Grünen Gewölbe standen sie berauscht vom Glanz kostbarer Steine, und unter den Königlichen Schlössern gab es keines, das sie, den Spuren des Vaterlandes folgend, nicht besucht.
Bisweilen nur schien Maria nachdenklich. Sie verschlang Friedrich mit starrem Ausdruck, als forsche sie in seinen Zügen nach Vergangenem.
Dann aber ward sie von jäher Ausgelassenheit, nannte ihn »ihren lieben Doppelgänger« und zog den Verwunderten, wenn sie zur Dämmerstunde im Palais Wodzinski weilten, in einen Winkel des Saals, um lachend die Spiele ihrer Jugend zu beleben.
Der Palatin sah dieses Treiben ungern.
»Man sollte sie nicht allein gehen lassen,« sagte er eines Mittags, da Friedrich die Komtesse zu einer Spazierfahrt nach dem Großen Garten abgeholt.
»Ein Liebeshandel wäre für beide Teile unbequem!«
Die Gräfin-Mutter hob sorglos ihr Lorgnon.
» Une amitié d'enfance,« meinte sie ablenkend. »Ueberdies reist Frédéric heute abend ab.«
Es war, als habe ihre Stimme, so gedämpft, so durchaus vornehm, die Kraft, Mauern und Weite zu durchdringen. Denn Friedrich, der in diesem Augenblick an Marias Seite ein Parktor italienischen Stils passierte, rief, sich aus den Wagenkissen aufrichtend, in einer Anwandlung dumpfen Zorns:
»Man kann mich nicht zwingen, nach Paris zurückzukehren!«
Maria, gewiegt von Rädern, in weißem Kaschmir und gleichfarbigem Stoffhut, aus dessen altrosa Bandschleifen die Augen zwischen zwei Kohlestrichen dunkel schimmerten, blickte ihn mit halbgeschlossenen Lidern an.
»Sie werden wiederkommen,« entgegnete sie, »und es wird schöner sein, als blieben Sie hier.«
Peitschenknall nahm ihr das Wort vom Munde: die Equipage glitt träumerisch in gelbes Laub. Rasenflächen dehnten sich, auf deren grünem Sammet violette Herbstzeitlosen glühten, Buchenstämme und vor der hellen Fassade eines Kavalierhauses breite Kastanien mit zackig rotem Blattwerk.
Dann wieder Teiche, an deren mattem Spiegel ernste Statuen dämmerten, geschorene Hecken, Rasenbänke, und über diesem allem ein Himmel unerfüllter Wünsche, aschgrau, durchkreuzt von Streifen brennenden Verlangens, das mit dem Rand der Sonnenscheibe in herbstlicher Traurigkeit versank …
Als der Wagen sie zum Nachtmahl im Palais Wodzinski absetzte, fiel es wie ein Alp von Friedrichs schmerzbeschwerter Brust.
Der runde Tisch, auf dessen weißem Damast Kristall und Silber funkelten, der braune Plüsch der Genueser Stühle, des Palatins feierliche Miene und der Gräfin-Mutter behende Art zu essen, gaben ihm die Laune wieder.
Er nahm ein Glas Tokajer, das Maria ihm kredenzt, näherte es dem ihrigen und flüsterte, da ihre Hände sich berührten:
»Wann werde ich Sie wiedersehen?«
»Wenn ich es wünsche …«
»Und Sie wünschen es?«
Maria nickte leicht.
»In Marienbad im nächsten Sommer!«
Wenig später erschien der Haushofmeister und trat diskret zu Friedrichs Stuhl.
»Die Chaise des gnädigen Herrn ist vorgefahren.«
Friedrich erhob sich zögernd.
»Schon …,« murmelte er.
Mit bebenden Lippen nahm er Abschied, dankte in Worten, die seine Bewegung kaum verbargen und bei der Gräfin einen mütterlichen Kuß, beim Palatin ein wohlwollendes Räuspern auswirkten. Dann stand er neben Maria in der Halle.
Ohne zu wissen, was er tat, zog er eine Notenrolle aus dem Mantel.
» Pour Mademoiselle Marie …,« stammelte er zärtlich.
Sie hielt den Walzer, dessen melancholische Koketterie sie tags zuvor bezaubert hatte, atmete weich und löste die Rose, die sie am Ausschnitt ihres Taffetkleides trug.
»Nehmen Sie,« bedeutete sie stumm.
Friedrich preßte die Blume an den Mund, die voll war vom warmen Dufte ihres Körpers. Taumelnd erreichte er den Wagen. Die Laternen flatterten wie rote Vögel in die Dunkelheit.
Paris hatte ihn wieder, Paris mit seinem Winter von Seide, Spitzen und Satins, mit seinen Frauen, die niemals verheißender gelächelt hatten, mit einer Saison, die an Ereignissen alle vorangegangenen übertraf.
Liszt war in dem kaiserlichen Thalberg ein Rival erstanden, dessen aristokratisches Spiel er, aus der Schweiz herbeigeeilt, in zwei gigantischen Konzerten niederschlug.
Pleyel und Erard rangen um die Palme, die Stadt zerfiel in Lager, und man zitierte den Ausspruch einer großen Dame, die auf die Frage: »Liszt oder Thalberg?« verzückt entschieden:
» Thalberg est le premier pianiste du monde.«
» Et Liszt?«
» Liszt … c'est le seul!«
Friedrich blieb diesen Kämpfen fern. Er, der Gesellige, lebte zurückgezogen in der Chaussée d'Antin. Ging er aus, war es schlafwandelnd beim kurzen Licht der Tage, und statt wie früher die Abende in den Salons, im Kreis der Freunde zu verbringen, saß er spät über einem Bündel goldfarbener Briefe, die, von Resedaduft umflossen, in steilem Schnörkel die Unterschrift »Maria« trugen.
Unfähig, seine Gedanken zu beherrschen, kreisten diese gleich Faltern beharrlich um die Wachskerze, die den Schreibtisch ihm erhellte, ja einmal, da er der Leidenschaft nicht wehren konnte, zog er die Hand durch die Flamme, schrie und erstickte den Schmerz mit wilden, sinnlosen Küssen.
In solches Uebermaß des Leidens kam gegen Winterende ein Brief Nikolaus Chopins, dem Friedrich seine Schmerzen anvertraut. Der Vater schrieb, er verstehe des Sohnes Zustand vollkommen, habe doch auch er geliebt, und da er wie Frau Justina eine Heirat billigten, um nicht zu sagen, wünschten, schlage er vor, die Mutter als courrier d'amour nach Dresden zu senden, falls Friedrich nicht vorziehe, die Sache selber in die Hand zu nehmen. Geld und Gesundheit seien in erster Linie dazu nötig, und er solle trachten, beides zu gewinnen.
Als Friedrich diese Zeilen erhielt, als er sie wieder und wieder gelesen und so die vagen Vorstellungen seiner Träume in feste Umrisse gebracht, gleichsam zur Tat geworden sah, füllte sich ihm der Blick mit erlösenden Tränen.
Nie hatte er deutlicher gewußt, wie sein Leben bis zu dieser Stunde leer gewesen, wie er geirrt, da er in jugendlichem Ueberschwang Ruhm statt Liebe gesetzt und sein Herz den vielen hingegeben, deren Dank in einer Laune, einem flüchtigen Genuß bestand.
Daß es Vorrecht, ja Bedingung für den Künstler sei, aus ihnen Trieb zum Schaffen zu ziehn, gestand er ein. Doch was den Menschen betraf, so war er um so einsamer, je höher die Gunst der Menge ihn umbrandete.
Ich will glücklich sein, dachte er, glücklich wie die andern, und er, der niemals aufgehört hatte, sich des Vaterlandes zu erinnern, faßte den Entschluß, zurückzukehren, als Gatte Marias, die ihm Jugend, Liebe, Heimat war.