Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Auch Fernstehenden blieb es nicht mehr verborgen, daß Friedrichs Befinden sich verschlechterte. Husten drohte ihm purpurn mit Erstickung, Opium und Gummiwasser verlängerten die Qual. Sein Körper schwand, tödliche Mattigkeit befiel ihn, und eines Morgens, da er das Bett verlassen wollte, entdeckte er, kraftlos zurücksinkend, daß seine Füße bis zum Knie geschwollen.

Während er mit einer Art grausiger Neugier das Phänomen befühlte, das teigig, weich und rötlich blaß von Farbe war, öffnete sich die Tür, und Gutmann trat herein, unangemeldet, wie es einzig ihm gestattet, Noten im Arm, ein Bild herkulischer Gesundheit.

Friedrich umfaßte ihn trostsuchenden Blickes.

»Es ist aus, mein alter Gut,« sagte er mit schwacher Stimme und deutete auf seine Beine, die wächsern aus dem Grund der Damastdecke starrten.

Gutmann, obwohl innerlich erschrocken, versicherte ihn laut des Gegenteils.

Man habe Beispiele, daß gerade jenes Erleichterung bringe! Auch solle er daran denken, wie oft Paris ihn schon lebend begraben, und sei nicht die schöne Jahreszeit im Anzug, die alles zum Besten kehren werde?

Friedrich ließ sich nur zu gern bereden. Er schellte dem Diener, daß er ihm die Kleider bringe, und von Gutmann wie ein Kind betreut, schlüpfte er in die grauen, faltenlosen Pantalons, zog über den Streifensamt der Weste einen langschößigen Rock von Dautremont und wankte, auf die Nachricht, daß der Wagen vorgefahren, an Gutmanns Arm der Treppe zu.

»Du wirst mich tragen müssen,« sagte er leise, mit einem scheuen Blick nach Georges Appartements. »Sie liebt nicht, wenn man krank ist!«

Gutmann nahm ihn, der leicht, fast knochenlos zu heben war, und wenig später saßen sie in der Muschel einer russischen Kalesche, die Friedrich von der Gräfin Tschernyschew geschickt, und rollten, den galonierten Diener auf dem Bock, über den Ring der äußeren Boulevards.

Die Luft war milde, vom Duft der Ahornblüten säuerlich durchweht. Tulpen flammten hinter Bronzegittern. Das Laub der Bäume glänzte in fleischig hellem Grün, und Equipagen bevölkerten die Straße, Berlinen, Parisiennes, Limonieren und Gondoles, die fünfpferdig im Galopp vorüberjagten.

Friedrich blickte ihnen trunknen Auges nach.

»Ich bin nicht geschaffen, auf dem Dorf zu leben,« rief er plötzlich und wie umgewandelt. »Allein sie will's, und vielleicht tut mir Ausruhen not. Das alte Berry! Einst sangen Amseln dort. Es ist etwas Seltsames um den Gesang der Amseln. Gut …«

 

So sah er Rohant wieder: die Indre von Regengüssen angeschwollen, tiefhängende Wolken, das Land bis Châteauroux ein Sumpf; Mißwachs, Feuchtigkeit und Schimmel, der die Blumenstoffe der Mansarden mit einer grauen Mehlschicht überzog.

Sonne schien spärlich zwischen Wetterstürzen, Vögel hockten triefend im Geäst. Ein großes Schweigen war über die Natur gebreitet wie ein Vergehen aller Dinge, und statt der Amseln füllte Unkenruf schwermütig die Nächte.

Friedrich, durch seinen Zustand mehr denn je ans Haus gefesselt, kämpfte mit unheilvollen Ahnungen.

Wohl fand er die Räume unverändert, sein Kanapee, auf dem er liegend die Tagesmahlzeit nahm, das Instrument, wenn auch verstimmt, den Schreibtisch, seine Manuskripte, Nelken im Glas, Federn und eine Stange violetten Siegellacks.

Doch mied ihn Laune, wo früher Beseligung ihn erhoben. Seine Gedanken zerflatterten. Ein Brief, viermal begonnen, gelangte in Wochen zur Vollendung, denn schwer ward es ihm, ja fast unmöglich, Disharmonie Freunden und Angehörigen auf die Länge zu verbergen.

Nie war es ihm, dem ritterlich Erzogenen, in den Sinn gekommen, daß Krankheit Liebe beeinträchtigen oder gar töten könne. Die Ehe der Eltern hatte ihn gelehrt, am Opfer Größe einer Neigung zu ermessen. Nun aber sah er Blicke des Vorwurfs, gereizte Mienen, erfuhr Abkühlung und mußte hören, wie George ihn bitter scherzend ihren » cher cadavre« nannte.

Gleich jenem Nußbaum, der, bis ins Mark erfroren, kürzlich am Gartenzaun gefällt, lag er Tage unbeachtet, wartend, daß George ihn besuche, und lauschte dem Tritt aus ihrem Arbeitszimmer als der Stimme des Schicksals.

 

In diesem Regensommer kam ihm Trost einzig von Solange, deren Ungestüm nun einer sanften Mädchenhaftigkeit gewichen war. Der Mutter unähnlich, dem Bruder nur äußerlich verbunden, fand sie, seit aus der Pension zurück, bei Friedrich Verständnis für ihre jugendlichen Träume und wußte ihm Dank und zarte Rücksicht.

Sie war es, die ihm die Frühstücksschokolade brachte, in einem Kleid von Gros de Naples frischer als die Blume, die sie stets am Gürtel trug, sie, die ihn vierhändig zu spielen bat oder, wenn das Wetter es gestattete, mit flatternden Bändern auf dem Florentiner, die braunen Locken über der Stumpfnase gebauscht, den Grübelnden zu einer Ausfahrt zwang.

»Wir werden nicht einsam sitzen,« sagte sie. »Die Pferde brauchen Bewegung und Sie Lust! Jacques kann uns begleiten. Er ist ein Muster von Hund, im übrigen, wie Sie wohl wissen, als Fußwärmer nicht zu verachten.«

»Und Sie, kleine Sol,« entgegnete Friedrich, indem er ihr die Hand küßte, »sind eine Zierde Ihres Namens, denn im Spanischen heißt man Sie Sonne!«

Solange lachte, und sie bestiegen mitsammen ein hochrädriges Kabriolett.

»Den blauen Tuchsitz als gute Kameraden teilend, Polster im Rücken, Jacques quer auf dem Boden, fuhren sie durch das sommerreife Land, das gärend in einer feuchten Hitze lag.

Es war gleichsam eine schweigende Verabredung, daß sie Georges hierbei nicht erwähnten, die in Nohant über ihren Büchern saß. Ein neuer Roman, Friedrich wie Solange noch Geheimnis, rechtfertigte solche Abgeschiedenheit. Doch trugen beide Vernachlässigung und strebten enger zueinander.

Friedrich genoß dieses Beisammensein mit einer unendlichen Süße der Empfindung. Er fragte sich, warum man Jugend ansehen könne, ohne ihrer zu begehren, warum Unberührtheit heilige, Vereinigung der Geschlechter aber Fluch jeder Liebe sei, und so Geistiges an Körperlichem abwägend, fühlte er, daß es ihm schwer sein werde, Solange zu verlieren.

»Sie werden eines Tages heiraten«, sagte er, »und mich einsamer machen, als ich war.«

Solange lehnte sich weich auf seinen Arm.

»Wir bleiben Freunde …,« erwiderte sie.

Friedrich nickte dankbar, und sein Lächeln glich dem eines sterbenden Pierrots.

 

George hörte den Wagen rollen und sah vom Schreibtisch, wie man Friedrich aus den Polstern hob. Sie stand auf, drückte die Hände an den Busen und ging, die Augen gleichsam vor etwas Widerwärtigem schließend, mit männlichen Schritten im Zimmer hin und her.

Da war er, seit acht Jahren ihr Gefährte, ein Weib, das seine geschminkte Schönheit ablegte, wenn es nach Hause kam, um die Nächte schlaflos und im Fieber zu durchquälen!

Sie war gesund, er krank! Begriff er nicht, was es hieß, einen Leichnam lieben müssen?

Ah …, einmal Kraft sehen, Brutalität! Genommen werden von jemand, der stärker war als sie! Einem Burschen erliegen, stiernackig, ganz Muskel, proletarischen Gesichts. Es würde sein, als wenn man in einen roten Apfel bisse!

Doch wie sich frei machen, wie einen Willenlosen zwingen zur Tat? Dabei den Schein wahren, Nimbus des Opfers um sich breiten?

Und so dies nicht möglich, wo den Grund finden, der schwer genug, Leidenschaft ewig in Haß zu wandeln?

Georges Brauen zogen sich schwarz getürmt zusammen. Ihr Blick fiel düster auf die Weiße des begonnenen Manuskripts. Dann schob sie heftig den Aermel zurück, tauchte die Feder ein und setzte die unterbrochene Arbeit fort.

Mitternacht traf sie über gehäuften Blättern, die Zähne verkrampft und so im Drang wütigen Schaffens, daß der Ruf: »George …« sie nur als ein fremder Klagelaut berührte.

Gereizt stieß sie den Stuhl beiseite, nahm einen Leuchter und öffnete die Tür zum Nebenzimmer.

»Was willst du?« frage sie kurz.

Friedrich blickte sie fieberglänzend an.

»Es ist schrecklich, allein zu sein mit den Stimmen der Toten!«

George studierte seine Züge, wie ein Maler etwa sein Modell betrachtet.

»Ich bin nicht zur Pflegerin geboren,« entgegnete sie.

»Aber du liebst mich doch, und Liebe, meistert sie nicht alle Dinge?«

Georges Augen entfuhr ein grünlich-heller Blitz.

»Du kennst das Wort: In der Liebe gibt es nur Anfänge? Nun, bei uns sind diese Anfänge wohl jetzt vorüber!«

 

Friedrich erwiderte nichts. Das Haupt sank ihm auf die Brust, und, mit letzter Kraft zur Wand sich kehrend, hielt er den Tränenstrom zurück, bis George, die eine Weile unschlüssig gestanden, die Tür krachend hinter sich ins Schloß warf.

Ein Dröhnen blieb in seinen Ohren, ein Zischen glühenden Eisens, das wie die Faust des Henkers unauslöschlich ihm die Seele brannte. Hoffnung durfte ihn nicht länger täuschen: Es war das Ende und, wenn er recht bedachte, logische Folge des Vorangegangenen.

Nun wußte er, warum George sich ihm entzog, warum sie ihm nächtlich die Liebkosung verweigerte, die früher in heißem Umstricken sie geeint.

Nicht Rücksicht auf ihn, den Kranken, war der Grund, nein, Ueberdruß, Erkalten der Sinne, und ihre Besorgtheit nur eine Maske für die Umwelt!

Wann war es, daß er den samtenen Ton der Liebe zuletzt gehört, die Brust gefühlt, den warmen Körper, der unter seinen Küssen gleich einer teefarbenen Rose golden entblätterte?

Und er beschwor diese Vision mit einer Art wilder Sehnsucht, sein Leiden enden zu sehn, wünschte sich Tod und konnte nicht leben und nicht sterben.

 

Seit jener Nacht rang er mit dem Entschluß zu gehen. Am Morgen aufgestanden, nannte er sich einen Ehrlosen, wenn er den Tag nicht nütze, Nohant zu verlassen. Doch fand ihn der Abend nicht über Vorbereitungen hinausgekommen, und er erkannte schließlich, daß ihm der Mut fehle, an Gewohntem eine Aenderung vorzunehmen.

In krankhaftem Erbeben fühlte er, wie er unrettbar an diese Frau verloren, wie auch bei ihm sich der Grundsatz bewahrheite, daß man durch Liebe schlechter werde, und wie sein Leben hinfort Buße sein müsse für die Ungesetzlichkeit ihrer Gemeinschaft.

Aus solchen Gedanken zwang er sich zur Arbeit, stumpf, verbraucht, Todwasser statt einer blühenden Quelle in der Brust. Ein Werk für Cello und Klavier, Auguste Franchomme in melancholischem g-moll bestimmt, ließ ihn den Niedergang qualvoll empfinden.

»Ich tue mein Möglichstes,« schrieb er dem Freund, »indes komme ich nicht von der Stelle. Hält dieser Zustand an, wird mein Schaffen kaum mehr an den Gesang der Grasmücken erinnern. Porcelaine cassée … am Ende bleibt mir Resignation.«


 << zurück weiter >>