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X.

Sie saßen den ganzen Tag vom frühen Morgen bis spät in die Nacht in Peer Olsen's Schenke unten am Wasser; breitschulterig, mit rohen Gesichtern, in denen tiefliegende Augen flackerten, drängten sie sich um den Balkentisch und sprachen gierig dem Porter zu, den ihnen Peer Olsen, der Wirt, geschäftig herantrug aus seinem schier unergründlichen Vorrat.

Sie rauchten aus kurzen, tönernen Pfeifen, daß an der Decke der Qualm feststand und abends die messingnen Kugellampen dem tränenden Auge verborgen blieben, und gröhlten dazu mit heiseren Kehlen, was ihnen an derben Matrosenliedern just durch die trunkenen Hirne schoß.

Wenn dann zu vorgerückter Stunde die Köpfe bleischwer auf die Tischplatte fielen, dann mochte es auch wohl vorkommen, daß einer oder der andere die Schenke verließ und unter dem Scheine des mitternachtsglänzenden Mondes zu einer der lockeren Dirnen schlich, die, von den Bewohnern der Insel verachtet, für sie noch immer gut genug waren, um ihrer Sinne lodernde Brunst in tollem Liebesgenuß zu ersticken.

So trieben sie es schon Wochen hindurch, die fünf, die in Steuermann Tymme's Gefolge an jenem Tage in Strandby erschienen, da sich Jens Lie auf die Reise gemacht.

Und konnte keiner dem Übermut der fremden, wilden Gesellen wehren.

Praest Petersen's zornig verweisende Worte reichten nicht aus, wo brutale Gewalt wohl besser am Platze gewesen wäre. Die wenigen Alten waren zu schwach und hatten übergenug zu tun, selbst ihre Töchter und Frauen zu hüten, und was Peer Olsen anbetraf, so strahlte sein feistes, schlaues Gesicht vor Vergnügen über den guten Fang, den er an Tymme's Begleitung gemacht.

Denn in der toten Zeit, wie er's nannte, der Zeit, wo das junge Mannsvolk des Eilands sein Jahresgeld auf den Schiffen verdiente, kamen ihm diese Leute gerade gelegen, für deren Bedürfnisse nichts zu viel, nichts unerschwinglich oder zu teuer war.

Stand Steuermann Tymme doch für sie ein, für sie, die gleich ihm es satt bekommen, den schweren Dienst an Bord zu verrichten, und lieber einmal ihr Leben genossen, bis verjubelt das Geld und die Not sie zwänge, dem müßigen Dasein Valet zu sagen.

So wenigstens prahlten sie, wenn man sie fragte, wie lange sie auf der Insel zu bleiben gedächten, und Steuermann Tymme nickte dazu mit seinem finsteren, tückischen Lächeln.

Er saß wie gewöhnlich schweigend am Tisch, das Glas in der Faust, die Stirne verzogen, als quäle ihn ein rastlos stürzender Strom von Gedanken, der brodelnd sein Hirn zum Sieden gebracht.

Wie das bohrte darin, unermüdlich sägend, ihn unfähig machte, auch der geringsten Freude Geschmack abzugewinnen, in deren trübem Glanz die andern ihre wettergebräunten Schädel sonnten.

Freilich, die Männer, die, an seiner Seite hingestreckt auf die Bänke, mit tobendem Lärm den Schenkraum erfüllten, hatten sie alle nicht Grund genug, das Dasein zu feiern auf ihre Art?

Mochte später kommen, was wolle! Jetzt tranken sie, jetzt, wo ein anderer zahlte, spielten die Herren auf der Insel und liebten Weiber, so viel ihres Herzens Einfalt begehrte.

Steuermann Tymme preßte ingrimmig knirschend die spitzen, gelben Zähne zusammen, daß sein behaartes, grobes Gesicht die dunkle Farbe des Kupfers zeigte.

Wie gut sie es hatten, all diese Kerle! Die fühlten nichts von den Krallen des Tieres, das in seinem Innern sich eingenistet, da er auf dem nämlichen Platz, den er heute einnahm, Silke im Brautschmuck strahlend gefunden, bereit, dem Manne sich hinzugeben, der vor Gott und der Welt ihr Gatte war.

Gepeinigt schloß Steuermann Tymme die Augen und drückte sein Glas in der Hand zusammen, das Peer Olsen, der Wirt, von der Schwelle der Tür mit ängstlichen Blicken herübersah.

»Keine Furcht, Peer Olsen! Das galt nicht dir.«

Ein kurzes Auflachen, heiser, drohend, klang über die Köpfe der Menschen hin. Dann sank der Steuermann wieder wie früher in sein ohnmächtig zehrendes Grübeln zurück.

Was hatte bisher ihm die List genützt, seine Spur verschleiernd den Gegner zu täuschen, der, ahnungslos, überzeugt von der Wahrheit der absichtlich falsch verstreuten Gerüchte, die Insel verlassen, um für seines Weibes Unterhalt in der Ferne sich abzumühen, indes dem Feinde hier, wie es geplant, das Feld seiner Wünsche offen stand?

War er denn auch nur einen Schritt dem ersehnten Ziele näher gekommen, das jede schlaflos verwälzte Nacht vor seinen erhitzten Gedanken stand, aus der Ferne lockend, ihn stündlich narrend, wie jenes blinkende Weiß der Quelle, das in der Wüste falbem Dunst dem lechzenden Reiter entgegensprüht, um jäh zu verwehen in Sand und Staub, wenn kraftlose Hände das Wasser schon im ledernen Becher zu schöpfen wähnen?

Es war, als hätte des Zufalls Dämon, sein Freund sonst, diesmal ihn treulos verlassen.

Denn jenes erste Zusammentreffen mit Silke am einsamen Strand im Morgennebel war zugleich bis heute das letzte geblieben, und weder der Spürsinn seiner Gefährten noch seine eigene Wachsamkeit hatten vermocht, die Gelegenheit zu einem zweiten herbeizuführen.

Wohl hatte er selber dann und wann einen Zipfel von Silkes Röcken erblickt, wenn flüchtig, rot sie, den Körper umflatternd, hell leuchtend sich abhoben von dem goldbraunen Grunde der Haide oder dem stumpfen Gelb der lichtübersättigten Dünen von Strandby.

Doch nie war es ihm vergönnt gewesen, den vor seinen Augen gaukelnden Schmetterling mit der Kraft seiner stählernen Fänge zu halten und sich an der wehrlosen Angst zu ergötzen, die den gefangen sich windenden Falter irr, blitzschnell die Flügel bewegen läßt.

Steuermann Tymme ergriff sein Glas und tat einen kurzen, hastigen Trunk.

Wie kam dieser Bursche, der Sindal, dazu, den Schützer zu machen der Frau Jens Lie's?

Erwürgen hätt' er ihn mögen, den Hund, der ihm zur Unzeit den Spaß verdarb!

Und wieder krochen seine Gedanken, beschwert von Wut, zu jenem Tage im Juli zurück, da er Silke allein am Wasser begegnet.

Er sah sie vor sich gelähmt vor Schreck, der ihr das Blut aus der Stirne trieb, als sie Sekunden nach Fassung rang, um endlich den Weg weiter fortzusetzen. Er sah die kalte Verachtung auch, mit der sie schweigend sich abgewandt, als beide Seite an Seite waren, und nie vergaß er das seltsame Lachen, das, ihn verspottend, Sindal gegolten, der, zufällig aus der Haide kommend, in klarer Erkenntnis der Sachlage schrill durch die Zähne pfiff und mit ein paar Sprüngen bei Silke war, indes er selber das Nachschauen hatte.

Das Nachschauen, jawohl! Doch zum letzten Mal! Denn von heute an sollte es anders werden, das schwor er sich zu mit tausend Eiden. Er hatte nun lange genug gewartet, zwei Monate fast, und der Sommer verging.

Steuermann Tymme schlug auf den Tisch, daß dröhnend die Faust dem lauten Getümmel Einhalt gebot, Gehorsam heischend im Augenblick, und es still ward rings in Peer Olsens Schenke.

»He, Sören, hierher und auch du, Christian Nörregaard!«

Zwei Männer stampften schwer durch den Raum und stellten vor Steuermann Tymme sich auf. Der sah sie durchdringend, prüfend an, dann griff er befriedigt den einen beim Arm und sagte zu ihm, seine Stimme dämpfend:

»Du kennst doch Sindal, den Lotsen?«

»Ich kenne ihn.«

»'S ist gut. Du wirst ihm folgen, wohin er auch geht. Nur wenn er die Insel verlassen sollte, als Lotse gerufen auf hohe See, so folgst du ihm nicht, sondern eilst zu mir und meldest, was du erfahren hast.«

Und der Ausführung seines Befehles sicher, zog Tymme den zweiten der beiden Gerufenen in eine dunkle Ecke des Zimmers und redete flüsternd auf ihn ein, bis auch dieser willig zur Türe ging, um dem Auftrag des Steuermanns nachzukommen.

Der starrte durchs Fenster den Männern nach, wie sie in verschiedenen Richtungen sich, unauffällig schlendernd, entfernten.

Dann riß er sein Glas von der Platte auf und, es leerend bis auf den letzten Tropfen, zerdrückte er splitternd es zwischen den Fingern, daß über die weiße Fensterbank ein Regen blutiger Tränen rann.

Er würde sie brechen wie dieses Glasl

Auch seine Stunde würde noch kommen.


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