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Wie, dieser Kerker meine Todtengruft?
Ein Lichtstrahl dringt herein,
Willkomm'nen Tages Lebensluft,
Von Jenseits auch ein sel'ger Schein.
Wir haben unsern jungen Abentheurer in einer Lage verlassen, deren Gefahr er, als sich der tückische Bergvogt entfernte, nicht ahnte, deren ganzes Schreckliche er dann erst erkannte, als der dumpfe Donnerton der entzündeten Mine das Getöse des einfallenden Erzganges ihn zurück nach dessen Oeffnung rief. Selbst auf die starke Seele eines Mannes wie Roland, mußte der Anblick, der sich ihm hier bot, einen erschütternden Eindruck machen. Er sah sich geschieden von der Welt, von den Menschen, von allem Lebenden. Die Worte des schwarzen Henk, als dieser, während Rolands kurzem Verweilen in der großen Halle, von der bereit liegenden Mine sprach, hatte er überhört. Indem er die ganze Schreckensbegebenheit für ein Werk des Zufalls, für ein Ereigniß nahm, das, wie er gehört, sich oft unerwartet im Innern der Bergwerke zutrug, entstand und belebte sich in ihm die Hoffnung, Nils Westgöthe werde nun alle Kräfte der vereinigten Grubenleute aufbieten, ihn durch rastlose Arbeit, durch eifriges Nachgraben, aus diesem Kerker zu befreien. Er lauschte, er glaubte schon ein Geräusch, wie das von grabenden Schaufeln, von pochenden Aexten zu vernehmen. Grausame Täuschung! Nach wenigen Augenblicken überzeugte er sich beim matten Dämmerscheine seines Grubenlichtes, daß jenes Geräusch von der näher dringenden Fluth im Hintergrunde, von der wachsenden Strömung der Gewässer verursacht werde. Bald mußten diese zu ihm emporsteigen, in einer Stunde vielleicht war er, wenn bis dahin keine Rettung kam, ihnen als Opfer heimgefallen! Er dachte an Margaretha, an den Bergmann, der ihm bei'm Hinabsteigen begegnete. Tausend heitre Bilder der Vergangenheit traten vor seine Seele, das Leben erschien ihm jetzt, da er ihm entsagen sollte, mit Reizen geschmückt, die sich ihm bisher verborgen hatten. Mit vermehrter Gewalt drangen indessen die Wasser aus dem Hintergrunde heran. Er versuchte sich durch Rufen bemerklich zu machen, die drohendere Gefahr zu bezeichnen; allein es blieb Alles still jenseits dieses Grabes, durch seine Hülle schien der Schall einer menschlichen Stimme nicht durchdringen zu können. Dennoch verlor Roland den Muth, die Besonnenheit nicht. Er befestigte, nach dem Beispiel des Bergvogts, das Grubenlicht an sein Barett, er sah ein, daß er die kurze Zeit, in welcher der Docht der Lampe noch Nahrung fände, benutzen müsse, um durch einige Thätigkeit, durch eine rasche Untersuchung aller örtlichen Verhältnisse einen möglichen Weg zur Rettung aufzufinden. Er erkletterte jene Anhöhe, von der herab sich die Höle zeigte, durch welche, nach der Angabe Westgöthe's, die Wasser sich in einen unergründlichen Abgrund verlaufen sollten. Bei dieser Erinnerung belebten sich mit einemmale andere Erinnerungen in seiner Seele. Hatte nicht der Vogt einer Mine gedacht, die zu diesem Zweck angelegt worden sey? Hatte er nicht von der Verschüttung des Ganges durch deren Sprengung gesprochen? Die Aeußerung des schwarzen Henz war für ihn verloren gegangen, die Worte des Vogts lebten aber jetzt bedeutungsvoll in seinem Innern auf und erweckten eine Ahnung von schwarzer Bosheit, von eifersüchtigem Hasse und feigem Meuchelmorde, die bald zur Gewißheit stieg.
»Kein Zweifel,« sagte Roland, indem er in den dunkeln Abgrund, der ihn angähnte, blickte, zu sich selbst, »daß der ehrenwerthe königliche Vogt seines Nebenbuhlers hier auf eine wohlfeile Weise los zu werden denkt, daß er schon irgend einen Vorwand im Hinterhalte trägt, sich vor den Augen der Welt zu rechtfertigen. O Margaretha, warum habe ich deine Warnungen in den Wind geschlagen, als ein leichtsinniger Thor, warum der Worte Lille's gespottet, die doch im ganzen Thallande für eine wunderbar Begabte gehalten wird! Welche Thränen, arme Margaretha, hätte ich dir gespart, welchen Schmerz, der nun statt der Erfüllung von tausend seligen Hoffnungen, dein ganzes Leben durchziehn wird!«
Er schwebte an dem Rande einer unabsehbaren Tiefe, in welche der Schein seiner Lampe sich verlor, ohne ihren Grund erblicken zu lassen. Eine halb verwitterte Leiter stieg in den Abgrund hinab, allein man vermochte nicht zu erkennen, wie weit sie reiche. In ein eben so undurchdringliches Dunkel erhoben sich die Seitenwände. Die Strahlen der Lampe erstreckten sich nur auf einen kurzen Raum, dann verschwamm Alles in unsichere Dämmerung, die bald in völlige Nacht überging.
Roland dachte an die Möglichkeit, daß hier mit Hülfe der Leiter vielleicht noch ein Ausweg zu finden sey, ehe die Gewässer herandrangen, ehe sie die Hölenmündung, in der er stand, erreichten. Er blickte zurück. Die Strömung rauschte heftiger, schon umspülte sie in stets wachsenden Kreisen die Anhöhe, eine Rückkehr in den verschütteten Gang schien nicht mehr möglich. Hier war kein Augenblick zu verlieren, hier zeigte sich nur in einem Wagstücke eine, wenn gleich sehr unsichre Hoffnung auf Rettung. Er prüfte die herabhängende Leiter. Sie schien stark genug, ihn zu tragen. Rasch, aber vorsichtig zugleich, betrat er die schlüpfrigen Sprossen. Sie führten ihn tief hinab, sie hielten die Last des kräftig gebildeten Mannes aus. Da schwebte aber plötzlich sein Fuß frei in der Luft, vergebens reichte er nach einer untern Sprosse, eine Untersuchung mit dem Grubenlichte belehrte ihn, daß die Leiter hier aufhöre, daß sie nur ein Ueberbleibsel eines alten Verbindungsweges sey, den man absichtlich oder den Vernachlässigung und die Einwirkung der Zeit zerstört hatten.
Jetzt schien wirklich die peinliche Lage des jungen Mannes ihren höchsten Grad erreicht zu haben. Ueber sich vernahm er das Strömen der Wasser, jeden Augenblick konnte er ihren Einbruch erwarten, mußte er fürchten, von ihnen mit hinab in die unabsehbare Gruft gerissen zu werden; unter ihm gähnte die schwarze Leere, ein furchtbarer Rachen, geöffnet, ihn zu verschlingen. Aber mit der Größe der Gefahr, vermehrte sich sein Muth. Er konnte sich nicht willenlos in den Gedanken ergeben, hier auf eine erbärmliche Weise zu verderben; es war ihm immer, als spräche eine Stimme in seiner Seele: verzage nicht, Roland! Sey wach, sey kühn! Du wirst dich retten und noch manchen schönen Tag am heitern Sonnenlichte mit der Geliebten verleben, du wirst deine Laufbahn noch schmücken mit rühmlichen Kriegsthaten, dem Rechte und der Freiheit zur Ehre!
Er blickte verwegen, fast auffordernd auf die dämmerige Umgebung, ob sie ihm nicht Gelegenheit zu einem Wagnisse, das retten könne, biete. Da traf sein Auge auf eine schwarze Bergwand, die in geringer Entfernung, so daß man sie mit einem Stabe wurde erreicht haben, ihm schräg gegenüber lag, da sah er eine Vertiefung in der Wand und in dieser Vertiefung saß eine menschliche Gestalt, ein Bergmann, vorn übergebeugt, wie schlafend.
»So weile ich nicht allein in diesem Grabe!« war sein freudiger Ausruf. Allein die Gestalt blieb starr und bewegungslos, sie saß da, wie in den Felsen gehauen, obgleich Roland jedes einzelne Kleidungsstück, das sie trug, zu unterscheiden vermochte. Er rief nach ihr hin, so laut er konnte. Sie antwortete nicht diesem wiederholten Rufe, sie schien in einem tiefern Schlafe als dem gewöhnlichen, sie schien im Todesschlafe zu ruhen. Schaudernd erkannte Roland dieses. War es eine Bosheit des Schicksals, die ihm hier ein Bild seiner eigenen Zukunft vorführte? Diesen Gedanken, der ihn widrig durchzuckte, suchte er zu entfernen. Da rauschte es mächtiger über seinem Haupte, da fühlte er Haupt und Schultern durchnäßt, da kündigte sich der nahe Einbruch des Wasserstromes an. Aber indem er diese Entdeckung machte, bemerkte er in jener Bergwand neben der Vertiefung mit der Menschengestalt eine Oeffnung, die den Eingang eines weiter führenden Gewölbes zu bilden schien. Im Dämmerschein der Leuchte erkannte er dieses freilich nur in einem geringen Umfange, aber doch so weit, das er, konnte er diese Oeffnung erreichen, vor dem augenblicklichen Untergange gesichert war. Die Kluft, welche zwischen seinem Standpunkte und jenem Asyl lag, durfte er hoffen, mit einem kühnen Sprunge zurückzulegen. Er setzte das Leben nicht ein zu diesem Versuche, denn es schien schon verloren, er konnte nur gewinnen, es blieb ihm keine Wahl. Diese Ueberlegung war das Werk eines Augenblicks. Dann empfahl er sich Gott und stand, glücklich erhalten, im nächsten Momente jenseits des Abgrundes. Furchtbar brausend wälzten sich zugleich die durchbrechenden Wogen der Gewässer durch die obre Höhle herein, zertrümmerten die herabhängende Leiter und führten sie mit sich in den Abgrund. Roland wäre verloren gewesen, hätte er einen Augenblick länger gezögert!
Er sah die breite schäumende Wassermasse an sich vorüberschweben, er konnte aus der Zeit, die sie brauchte, ehe sie tosend den Boden des Abgrundes berührte, ermessen, in welche ungeheure Tiefe sich der Schlund erstrecke, an dessen Rand er stand. Den Todten in der Felsennische sah er nicht mehr, da diese sich ihm zur Seite, in der nämlichen senkrechten Bergwand, welche seine Zufluchtsstätte enthielt, befand. Er holte tief Odem, es dünkte ihn jetzt, als sey Alles überwunden, als stehe der Weg, der in die Freiheit, in das Leben führte, nun vor ihm offen. Vor seine Seele trat die Gestalt jenes Bergmanns, dem er und Westgöthe auf dem Wege in das unterirdische Gebiet begegnet. Der Blick des Mannes hatte ihn zu bedeutungsvoll getroffen, als daß er nicht überzeugt seyn sollte, jener habe ihn ebenso gut erkannt, wie er ihn. Und wenn alle mich verlassen, wenn keiner ist, der eine Hand anlegen mag, den Fremdling aus dem Grabe, dem er lebendig hingegeben worden, zu erlösen, so wird er meiner gedenken, so wird er jedes Mittel aufbieten, mir Rettung zu bringen! Von diesem Gedanken belebt, schritt Roland tiefer in den Gang, dessen Oeffnung er mit einer so gewaltsamen Anstrengung erreicht hatte. Der Boden war schlüpfrig, an den Wänden sikerte Wasser herab, kleine und abgelöste Erzstufen lagen im Wege. Bald verhallte hinter ihm das Brausen des Wassersturzes, tiefe Stille umgab ihn, die nur durch das Niederfallen einzelner Wassertropfen unterbrochen wurde. Er wanderte in einem alten Schachte, der, wie der Schlamm und die Steintrümmer am Boden zeigten, seit langer Zeit nicht mehr im Gebrauch war. Sein Weg führte aufwärts, er verdoppelte seine Schritte, um, wo möglich, ehe das Verlöschen des immer matter brennenden Grubenlichtes eintrat, zu einer glücklichen Entscheidung seines Schicksals zu gelangen. Aber noch zeigte sich kein Blick des Trostes, kein Schimmer der Rettung. Die Luft in der Grube war schwül, kein belebender Hauch, der eine Verbindung mit der äußern Welt verkündigt hätte, drang herein, kein Strahl des Tages drang durch irgend eine Erdritze, obschon Roland nun schon an eine halbe Stunde lang aufwärts geschritten war. Da stand er plötzlich am Ende des Ganges, da sah er vor sich einen Haufen von Erztrümmern, von Felsengestein, der den Schacht schloß, und vielleicht schon vor undenklichen Zeiten durch einen Einsturz gebildet worden war. Diese Trümmermauer reichte vom Boden bis zur Decke, nirgend fand sich eine Lücke zur weitern Fortsetzung des Weges, jede Aussicht, die letzte Hoffnung auf Rettung schien verloren.
Von einer bittern Empfindung ergriffen, setzte sich Roland am Fuße des Trümmerhaufens nieder, stellte die Lampe vor sich hin, und sah mit stillem Ingrimm in ihr Flämmchen, dessen Schein mehr und mehr abnahm, das endlich nur noch in einzelnen, leisen Zuckungen auftauchte.
»So wird mein Leben verlöschen in dieser Gruft, wenn Er nicht kommt, wenn Er nicht rettet!« sprach er düster für sich hin. »Und wenn Er auch will, wenn seine Kraft, seine Redekunst Alles in Bewegung setzt, um dem Freunde Hülfe zu bringen in der höchsten Noth: wer weiß, ob die Hindernisse, die sich ihm entgegen stellen, nicht unüberwindlich sind, ob Menschenkraft hinabzureichen vermag in dieses Grab.«
Die Zuckungen der Lampe wurden spärlicher. Jetzt blieben sie lange aus, dann glimmte das Flämmchen noch einmal empor, um nach wenigen Augenblicken ganz zu verlöschen. Tiefe Nacht, eine drückende Stille umgaben den verlassenen jungen Mann.
»Hier will ich den Tag erwarten,« begann er wiederum sein Selbstgespräch, »den Tag, dessen Morgenröthe der Tod ist. Ich könnte mich zurückfinden, ich brauchte nur kühn zwischen den Wänden dieses Ganges fortzutappen, um dann plötzlich in jenen Abgrund zu stürzen, wo ein schneller Tod mich vor einem langsamen qualvollen Hinsterben sichern würde. Aber ich will nicht untergehn als ein Feiger, ich will meinen zwei Todfeinden, dem Hunger und dem Durst kühn in das grimmige Antlitz sehen, bis ich erliege, sterbend aber nicht besiegt.«
Eine seltsame Müdigkeit kam über ihn. Schon schlossen sich seine Augenlieder, schon wollte das Bewußtseyn ihn verlassen, als mit einemmale ein fernes dumpfes Klopfen, ein Ton der Außenwelt, ein Bote möglicher Rettung, sein Ohr traf. Wie ein Blitz durchzuckte dieser Klang sein ganzes Wesen. Er sprang auf, er horchte schärfer nach der Gegend, woher der Ton kam. Er ließ sich deutlicher, er lies sich in vermehrter Kraft vernehmen. »Das ist Er, das ist kein andrer, als Er, der nach mir forscht, der den Freund nicht unthätig dem Verderben überläßt!« jauchzte Roland laut auf. Er erhob seine Stimme, er ließ sie mächtig nach dem Trümmerhaufen hin erschallen. Man vernahm ihn, ein fernes, kaum hörbares Rufen, aber doch stark genug, die Seele mit frischem Muthe, mit neuer Lebenshoffnung zu erfüllen, antwortete. Das Herz des jungen Mannes pochte in unruhigen Schlägen. Seine ganze Aufmerksamkeit war nach Außen gerichtet, alle Gefühle drängten sich nach einem Punkte. Bald schien das fortdauernde Geräusch der Klopfenden und Nachgrabenden sich zu vermehren, bald sich zu vermindern; es tönte oft näher, dann wieder ferner. Roland unterließ nicht, in kurzen Zwischenräumen seine Stimme stark zu erheben und zu seinem Troste kam dann doch jedesmal Antwort und wie es ihm dünkte, aus verminderter Entfernung zurück. Eine peinliche Viertelstunde, in der seine Seele zwischen Furcht und Hoffnung schwankte, verging. Wie leicht konnten nicht die Suchenden in der Richtung nach dem verschütteten Gange irren, wie leicht, wenn sie sie auch glücklich gefunden, wieder von ihr abkommen, so fern, daß selbst seine Stimme sie dann nicht mehr erreichte! Aber nein, nein! Immer näher drang das Getöse der Arbeitenden, immer vernehmlicher tönte ihre Antwort auf Rolands fortgesetztes Rufen. Jetzt konnte er schon einzelne Stimmen unterscheiden, jetzt verstand er schon die Worte des Trostes, der nahenden Hülfe, welche man ihm zurief. Da noch ein Augenblick – ein Stern drang durch die Nacht der Gruft, er wuchs rasch zur blendenden Sonne und in ihrem Glanze erkannte Roland, als er, das strahlende Licht wieder ertragen könnend, die Blicke erhob, jenen Bergmann, der ihm so bedeutungsvoll erschienen, und in ihm seinen alten Freund und Beschützer – Gustav Wasa.
Mit wenigen leichten Schritten stand er oben unter einem Haufen von Bergleuten, die ihn freudig jubelnd begrüßten. Eine geraume Zeit verging, in der er ihre Fragen beantwortete, ihren menschenfreundlichen Bemühungen seinen Dank zollte. Man hatte ihn verloren gegeben, man hatte kaum gehofft, sich einen Weg zu ihm hindurchgraben zu können. Alle deuteten auf Gustav Wasa, als auf denjenigen, der nichts unversucht gelassen, ihn seinem schrecklichen Schicksale zu entreißen. Als alle Vorstellungen, alle Bitten bei dem Bergvogte, den verschütteten Gang wieder zu öffnen, um den lebendig Begrabenen zu befreien, vergeblich geblieben, als Nils Westgöthe hartnäckig das Gebot der Pflicht vorgeschützt, die ihm nicht erlaube, um eines Einzelnen willen die ganze Grube und so viele wackere Leute dem Untergange auszusetzen, da war der fremde Bergmann – wie die Männer aus Falun den verkleideten Helden nannten – rasch zu den alten erfahrenen Grubenmännern getreten, hatte sie beschworen, ihm mit Rath und That zu der Rettung des Unglücklichen beizustehen, und als er von einer Sage gehört, daß ein vor fast hundert Jahren eingestürzter Schacht in jene unterirdische Gegend geführt, wo Roland weilen müsse, alle um sich versammelt und zu dem Versuche bewogen, diesen Schacht wieder aufzugraben, um, was in ihren Kräften stehe, zur Rettung des Verlassenen zu thun. Ein glücklicher Erfolg lohnte die wackere That. Roland stand heiter um sich blickend unter den Bergleuten, drückte jedem dankbar die Hand und erfreute sich der Theilnahme der braven Männer, die ihnen lebendig aus Auge und Miene blickte.
Als er sich dem edeln Schweden, den das Schicksal so tief gebeugt, daß er in den Gruben von Falun eine Freistätte suchen müssen, näherte, gab ihm dieser ein Zeichen, vorsichtig zu seyn und ihn nicht zu verrathen. Er trat ihm mit bäurischem Anstande entgegen, drückte ihm bedeutungsvoll die Hand und flüsterte ihm, unbemerkt von den andern zu: »morgen um Mitternacht im Föhrenwäldchen am Siljansee! Dort habe ich dir viel zu vertrauen.«
Roland fühlte sich beim Anblicke des edlen Flüchtlings von trüben Empfindungen ergriffen. Gustav Wasa, der ruhmgekrönte Held, der Sprößling eines alten Königsgeschlechtes, stand vor ihm in der armseligen, schmutzigen Kleidung eines Grubenarbeiters in den Bergwerken von Falun, als ein Geächteter, als ein Verfolgter! Seine hohe Gestalt war gebeugt, sein Antlitz von Kummer gebleicht, von Entbehrungen gefurcht. Aber der Blitz des Auges leuchtete noch kühn wie früher, die hoch gewölbte Stirn schien allen Stürmen, allen Angriffen des Mißgeschicks zu trotzen.
»Ich wußte, daß Ihr mich retten würden« sagte, den Händedruck erwiedernd, mit halblauter Stimme Roland. »Ihr waret die einzige Hoffnung, auf die ich baute in meiner Grabesverlassenheit. Ihr würdet mein Vertrauen nicht täuschen, diese Ueberzeugung stand fest in meiner Seele.«
Indessen hatten sich mehrerere Bergleute in den alten Schacht begeben, um nach dem Todten zu forschen, der, wie Roland ihnen gleich Anfangs mitgetheilt, durch den Anschein des Lebens ihn so wunderlich getäuscht. Sie hatten Leitern und Stricke mitgenommen, sie wollten für das ehrliche Begräbniß eines Kameraden sorgen, von dessen Verschwinden jedoch keinem der Anwesenden, selbst nicht den ältesten Bergleuten etwas bekannt war. Seit undenklicher Zeit war niemand in den Gruben von Falun verunglückt, bis auf Roland, der nach der Versichrung des Vogts, durch die zufällig entzündete Mine verschüttet worden sey. Während man auf die Rückkehr dieser Männer wartete, zog sich Rolands Freund still und unbemerkt in ein nahe liegendes Gehölz zurück. Viele Leute aus Falun waren herbeigekommen, um denjenigen zu sehen, dessen Rettung allen ein Wunder schien: unter ihnen auch die alte Helle. Sie drängte sich zu Roland und sprach:
»Warum hast du die Warnung kundiger Leute verachtet, welche die Sehergabe, die ihnen das Geschick verliehen, mit schweren Opfern bezahlen müssen, mit einem Seelenleiden, das man nicht noch durch Ungläubigkeit vermehren sollte? Wohin hat dich nun dein Stolz, dein Uebermuth geführt? Am Rande des Grabes bist du hingeschritten und wenig lag dazwischen, so hätte es dich verschlungen und deine Thorheit hätte ein liebendes Herz der Verzweiflung, dem lebenslangen Jammer hingeben. Diesesmal haben die Bergtrollen es wohl mit dir gemeint und dir geholfen; aber hüte dich, sie zum zweitenmale in Versuchung zu setzen: sie sind boshaft und ihre Gunst verwandelt sich leicht in Haß, wie grade ihre Launen es mit sich bringen.«
Der Kreis der Anwesenden wich, als Roland von Helle angeredet wurde, zurück, da man sich scheuete, der Alten, die im Rufe der Hexerei stand, nahe zu kommen. Man drängte sich jetzt zu der Grubenöffnung, aus der man die Stimmen der wiederkehrenden Bergleute vernahm, man sah mit Erstaunen, wie diese jetzt den Leichnam eines Jünglings, in alterthümlicher Bergmannstracht, frisch und unversehrt, mit rothen Wangen, aber geschlossenen Augen an das Licht des Tages brachten. Man glaubte einen Schlafenden zu sehen in aller Fülle und Blüthe der Gesundheit, nicht einen Todten, der lange schon im Schooße der Erde geruht haben mochte, da niemand ihn erkannte, niemand sich seiner erinnerte.
Plötzlich fielen die Blicke der alten Helle auf die Gestalt des todten Jünglings, die ein blühendes Leben heuchelte. Die Alte schrie laut auf, warf ihre Krücken weg, eilte, wie in den Tagen der Kraft, mit raschen Schritten vor und sank weinend neben der Jünglingsleiche nieder. Sie schlang ihre Arme um diese, sie ergriff ihre Hand, sie rüttelte den Todten, als wolle sie ihn aus einem tiefen Schlafe erwecken, allein endlich überzeugt, daß diese Bemühungen vergeblich seyen, daß der Tod die Beute, die ihm einmal verfallen, nimmer lasse, brach sie schluchzend in die Worte aus:
»Oluf, Oluf, mein Bräutigam, so sehe ich endlich dich wieder! So wird endlich der Wunsch der Lebensmüden erfüllt werden, und sie ausruhen nach der Pein des Lebens, sie wird ein Grab mit dir finden! Ja, ihr Männer,« wandte sie sich ernst an die Umstehenden, »ich verlange daß Ihr mich in ein Grab mit ihm legt, denn ich habe ein Recht darauf. Was blickt Ihr mich scheu an, als wäre ich eine Wahnsinnige? Ihr werdet sehen, daß die Augen der alten Helle bald brechen, denn der Spruch der Elfen ist erfüllt, und sie hat den Bräutigam wiedergesehen, den ihr die bösen Bergtrollen am Tage vor der Hochzeit geraubt. Sie war damals erst achtzehn Jahre alt und jetzt zählt sie deren hundert und zehn. Niemand ist da, der sich jener Zeit erinnern könnte, aber in ihrem Herzen lebt sie noch, wie ein lieblicher Frühling, und oft, wenn sie still und mit düstrer Miene durch die Reihen der Menschen schlich, dann war sie innerlich freudig und ergötzte sich der blühenden Erinnerungen.«
Sie blickte seltsam lächelnd in das Antlitz des Todten und strich ihm die noch wohlerhaltenen Locken aus der Stirn. Unter den Anwesenden entstand ein Flüstern, mehrere der ältesten Bergleute deuteten auf die Leiche und theilten den übrigen mit, daß ihnen allerdings aus ihrer frühen Jugend eine Sage von einem verschütteten Bergmann, Namens Oluf, erinnerlich sey, dessen Leiche man, ohngeachtet der angestrengtesten Bemühungen, nicht habe wieder auffinden können, daß ihnen auch damals alte Bergleute erzählt, wie es eine wunderbare Kluft im Innern der Bergwerke von Falun gebe, in der nichts verwese, nichts verderbe, sondern nach vielen Jahren unversehrt wieder gefunden werde, wie aber schon seit langer Zeit vergebens nach dem Wege zu diesem Gewölbe geforscht worden sey Historische Sage..
Indessen hatte die alte Helle ihren Rosenkranz zur Hand genommen und über dem Todten still gebetet. Dann brach sie plötzlich kraftlos ganz zusammen. Indem sie sich vergebens bemühete, die Rechte der Leiche zu ergreifen, schlossen sich ihre Augen und kaum vernehmlich stöhnte sie im Todeskrampfe:
»Das ist der Brautkranz, den die Nornen gewunden haben. Sie sind die Hochzeitsjungfern – der Segen wird gesprochen, die Ringe sind gewechselt – nun bin ich dein, mein Oluf, auf ewig!«
Unter diesem schönen Bilde schlummerte sie hinüber. Sie lächelte noch, nachdem der Geist die lebensmatte Hülle verlassen, und erst nach einiger Zeit trat jener starre Ernst in die gefurchten Züge, der da verkündet, daß der Mensch ein unbestreitbares Eigenthum des Todes geworden. Keiner unter den Anwesenden konnte dem unglücklichen Paare, das wunderliche Fügungen getrennt und wieder zusammengeführt, seine Theilnahme versagen. Man hatte die alte Helle gefürchtet, jetzt schenkten ihr alle ein aufrichtiges Mitleid.
Beider Leichen wurden, wie die Sterbende es gewünscht, in eine Gruft vereinigt. Auf dem Kirchhofe von Falun erzählen bei ihrem Grabe noch jetzt die Einwohner der Bergstadt die wunderbare Geschichte von dem Bergmanne Oluf und seiner hundertjährigen Braut Helle.