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Hinab! der Weg ist frei, der Tag ist günstig,
Doch was die Nacht uns bringt, wer kann das wissen?
Der Tag verbirgt, die Nacht enthüllet Schrecken;
So täuscht uns jener, diese zeigt sich wahr.
An einem heitern Wintermorgen öffnete sich die Thüre einer hoch im Gebirge einsam gelegenen Hütte und Rasmus Jute, seine gewaltige Dogge am Halsband führend, trat heraus. Der Sturmwind, der in dieser Höhe gewöhnlich hauste, hatte nicht gestattet, daß hier sich Massen von Schnee anhäuften, welche den Zugang zu dieser öden Stätte verhindern konnten. Spähend blickte Jute in die Umgegend, dann begab er sich etwa hundert Schritte weiter vor auf einen Hügel, von dem er durch eine Schlucht hinab die Aussicht in das Thal hatte. Sein Auge haftete an einer Stelle, wo sich eine Hütte, der ähnlich, die er so eben verlassen, zeigte, nur größer und frei auf einem Vorsprunge des Gebirgfußes ruhend.
»Sie sind abgezogen,« sprach er, mit einem Ausdrucke von Zufriedenheit hinabsehend, zu sich selbst. »Sie sind es müde geworden, einem Wilde aufzulauern, das ihrer Netze spottet, das sich an Stellen ansiedelt, wohin ihre Feigheit sich nicht wagt. Ihr Feuer ist erloschen, die Rauchsäule, die am gestrigen Abende noch hoch aufwirbelte, verschwunden, während bei uns die Flamme lustig brennt und das geräucherte Rennfleisch zum Morgenimbiß daran kocht. Wackere Leute, diese Dalekarlen! Wenn sie hinabziehn in's Thal mit ihren Heerden, um dem starren Winter hier oben zu entgehn, so lassen sie doch ihre Vorräthe an Lebensmitteln zurück, damit derjenige, den Zufall oder Mißgeschick hierherführt, nicht Hungers sterbe. Eine gute alte Sitte, die nimmer untergehen möge! Aber ob uns die dänischen Spitzbuben nicht etwa täuschen, nicht zur Unvorsichtigkeit verlocken wollen? Ich muß die Sache näher untersuchen, du Tristan sollst sie aus ihrem Hinterhalte hervortreiben, wenn sie etwa Versteckens mit uns spielen wollen!«
Er schritt rasch den Hügel hinab und nahm seinen Weg in die vor ihm liegende Schlucht. Tief liegender Schnee und Steinmassen, die sich von den Bergen gelöst und hier angehäuft hatten, erschwerten seinen Gang; aber Gewohnheit und Uebung in der Besiegung solcher Hindernisse halfen ihm bald über diese hinweg und er stand nun am Rande einer Felswand, die sich fast senkrecht nach dem Raume hinabneigte, wo die verdächtige Hütte stand. Er warf noch einen forschenden Blick auf das Dach, dessen Schneehülle rein die Strahlen der Sonne wiedergab, ohne nur durch den leisesten Anflug von Rauch verdämmert zu werden.
»Hussah, Tristan!« rief Jute dann ermunternd seinem Hunde, der sogleich die Ohren spitzte und seinen Herrn klug anblickte, zu. »Dort ist Wild,« fuhr dieser, indem er mit der Rechten nach jener Hütte deutete, fort, »jag' es aus, mein Junge, treib' es aus seinem Lager!«
Unter einem wüthenden Geheule glitt die Dogge in einer minder steil, als der übrige Theil des Felsens, sich niedersenkenden Rinne, welche eine kaum merkliche Fortsetzung der früher zurückgelegten Schlucht bildete, mit Blitzesschnelle in den Thalgrund hinab. Dann umkreiste sie in wilden Sprüngen die Hütte, welche der Gegenstand von Jute's aufmerksamer Beobachtung war, und drang endlich mit einem mächtigen Sprunge gegen die Thüre in das Innere derselben.
»Die Thüre war nur angelehnt;« sagte beobachtend der Herr des Hundes. »Alles verräth, daß die Schurken abzogen, daß das Nest leer, daß der Weg frei ist.«
In diesem Augenblicke fühlte Jute seine Schulter berührt. Als er sich umsah, standen Roland Doneldey und Claudianus hinter ihm. Roland blickte scharf in's Thal, er sah Jute's Dogge aus der Hütte hervorspringen, die Umgebungen des kleinen Gebäudes nach allen Richtungen forschend durchirren und dann langsam den Weg, den sie hinabwärts eingeschlagen, zurückkehren.
»Euer Hund scheint sich besser auf das Spioniren zu verstehen, als diese Dänen,« redete Roland den alten Waffengefährten an, »die auf der Jagd von Swen Elfsson's Meierhof bis in diese Wildniß hinauf zwanzigmal unsere Spur verloren und dann drei Tage und drei Nächte, nur einige hundert Schritte von uns entfernt, den Weg verlegten, ohne unsere Nachbarschaft zu ahnen. Aber bei Sankt Roland, sie scheinen des Lauerns müde geworden zu seyn! Ihr Feuer ist erlöscht und der Hund kehrt in Friede und Ruhe zurück.«
»Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß wir der lästigen Nachbarschaft entledigt sind;« versetzte Jute, indem er dem Hunde, der jetzt die Höhe wieder erreicht hatte und sich an ihn drängte, den geleisteten Dienst mit Liebkosungen vergalt. »Tristan ist so gut auf die Dänen abgerichtet, wie auf die Wölfe. Er hat den Krieg unter Sten Sture gegen sie mitgemacht und manches Dänen Blut hat seinen Rachen geröthet. Er wittert sie auf eine Stunde Weges und wenn ein Hund Empfindung besitzt, so sind sie ihm so verhaßt, wie seinem Herrn. Wir können es nun wagen, in das Thal hinabzusteigen. Tristan mag die Vorhut machen, er wird uns schon benachrichtigen, ob noch irgendwo Gefahr lauert. Es wäre auch traurig gewesen, wenn wir den heiligen Julafton hier oben in der Einsamkeit hätten hinbringen müssen, während drunten in Dalarne Alles in Freude und Jubel lebt. Heute ist Heiligabend und wenn wir tüchtig darauf losschreiten, so kommt Ihr gerade recht, um im Pfarrhause zu Mora den Kuchen warm vom Ofen weg zu versuchen. Mich,« setzte er halblaut und düster hinzu, »führt mein Weg nach einem andern Ziele.«
»Bei Gott, du hast Recht,« rief der junge Deutsche, indem er von einem plötzlich erwachenden lebhaften Gefühl ergriffen schien, »die heilige Weihnachtszeit ist gekommen, ohne daß ich ihrer gedachte! Wir müssen fort, wir dürfen keinen Augenblick länger verweilen. Gustav Wasa wird heute in Mora seyn und wenn mich meine Ahnungen nicht trügen, so wagt er in dieser Zeit, wo alle wackern Schweden sich der freien, glücklichen Vergangenheit in Erzählungen und Sagen erinnern, wo sie sich im festlichen Vereine, in der Volksversammlung in ihrer Gillstuga ihrer Kraft und ihres Werths bewußt werden, den ersten kühnen Wurf zum blutigen Kampfspiele mit dem Tyrannen Christian. Wir dürfen nicht fehlen, wir müssen ihm zur Seite stehen! Auf Rasmus, auf Claudianus!«
»Die Zeit des Müßiggangs und des nutzlosen Umherschwärmens ist vorüber. Die Tage des Kampfes, des kühnen, freudigen Kriegslebens brechen an. Weißt du noch, alter Waffengefährte, wie wir die Dänen bei Brän und Stäke tanzen lehrten nach unserer Pfeife? Wir wollen ihnen wieder aufspielen und, ich wette darauf, unsere kräftige Melodien bringen dieselbe Wirkung auf sie hervor, wie damals.«
Unter diesen Worten hatte Roland bereits begonnen, die Skyen, die er als ein rüstiger Bergwanderer mit sich führte, anzulegen.
»Meister,« sagte Claudianus, indem er ihn mit einer leichten Berührung der Hand in dieser Beschäftigung unterbrach, »als Ignotus sich bei jenem Scheidewege von uns trennte und Ihr zu weit entfernt wart, als daß er selbst mit Euch reden konnte, übergab er mir diesen Ring für Euch. Es könnte eine Zeit kommen, meinte er, in der Euch oder dein Prinzen Gustav viel daran gelegen wäre, den Boten wiederzusehen, der diesesmal ohne Erfolg heimgekehrt. Dann möchtet Ihr ihm diesen Ring senden zum Zeichen, daß eine solche Nachricht wirklich von Euch herrühre. Wenn auch das Schicksal vielleicht wolle, daß er und Ihr beide einander bald kriegerisch gerüstet gegenüber ständet, so bleibe er doch der alten Freundschaft treu und Ihr könntet in jeder redlichen Sache auf seinen Beistand rechnen. Ueber der Wachsamkeit auf die Dänen hätte ich dieses Auftrags beinahe vergessen. Glaubt mir, Meister, der Ignotus trägt ein treues Herz gegen Euch in der Brust und ein solches Pfand ist wohl einer sorglichen Aufbewahrung werth.«
Roland nahm den Ring aus der Hand des Jünglings und betrachtete ihn aufmerksam. Es war ein einfacher Goldreif mit zwei verschlungenen Händen, auf dessen innerer Seite in kleinen, kaum erkennbaren Schriftzügen die Anfangsbuchstaben des Namens Arwed Oxe eingegraben standen.
»Gustav Wasa ändert seine Entschlüsse nicht;« sprach er dann kopfschüttelnd für sich hin, »aber dieser Ring soll mir ein theures Angedenken an einen edlen Freund seyn, er wird mich immer an Stunden mahnen, in denen ein wunderliches Verhängniß uns einander nahe brachte, an einen glücklichen Augenblick, in dem es mir vergönnt war, einen irrenden Unglücklichen aus zeitlichem und ewigem Verderben zu retten. Und wer weiß – das Schicksal spielt seltsam mit uns – welche wichtige Bedeutung für die Zukunft noch in dieser Freundesgabe verborgen liegt!«
Er steckte den Ring an und machte sich rasch fertig, die kühne Fahrt in's Thal auf demselben Wege, den früher Tristan eingeschlagen, zu unternehmen. Mit prüfendem Blicke maß er die Bahn, die er zu durchfliegen hatte. Dann, seiner Geschicklichkeit und seinem guten Glücke vertrauend, die Skyen fest auf den Schneegrund pressend, fuhr er mit einer Geschwindigkeit, der kaum das Auge folgen konnte, den gefährlichen Pfad hinab. Unverletzt stand er unten und winkte den Freunden, ihm nachzufolgen. Schon hatte auch Claudianus die Skyen an seinen Füßen befestigt, schon war auch Jute bereit, sich diesem zu der flüchtigen Wanderung anzuschließen, als er plötzlich den Jüngling zurückhielt und mit jenem schwermüthigen Ausdrucke, der nur in Augenblicken einer großen Aufregung ihn verließ, sagte:
»Gedenkst du auch noch deines Eides, jenes Bündnisses, das wir im Zaubergrunde am Fuße der Fjälln unter Anrufungen der alten Götter, beim Lichte der ewigen Himmelssterne mit einander schlossen?«
»Ich gedenke, Blutbruder!« war des Jünglings kurze Antwort, die er in einem bewegten Tone gab.
»Bald,« fuhr Rasmus Jute fort, »wird es sich bewähren, ob mein Blut in deinen Adern lebendig geworden, ob unser Daseyn in eins verschmolzen ist, ob wir im Tode treu an einander halten und der Zurückbleibende die Schuld des Vorangegangenen zahlt. Nils Westgöthe muß sterben. Der Rachegeist lebt geschäftig in mir, seine brennende Glut kann nur im Blute des Verbrechens gestillt werden. Ich will den Julafton auf meine eigene Art feiern. Der Sünder ist reif, er muß fallen, damit er nicht ferner störend in das große Werk greife, das sich vorbereitet. Ich hätte noch Zeit gehabt, ich hätte die Glut im Innern wohl noch eine Weile geduldet, aber Gustav Wasa soll nicht länger bedroht, nicht länger gehindert werden von diesem Elenden, der um schnöden Goldes willen den Dolch zuckt nach der Brust eines Helden. Claudianus, ich kann untergehn in dem Versuche. Dann ist mein Werk das deinige, dann erbst du meine Rache, dann wirst du die Erde von diesem Bösewichte befreien.«
Schweigend legte Claudianus seine Hand in die dargebotene Rechte seines Verbündeten. Der Blick des Jünglings war finster und ernst und sprach eine Entschlossenheit aus, in die Jute keinen Zweifel setzen konnte. Er hatte den unerfahrenen, phantastischen jungen Menschen in ein Verhältniß verwickelt, das diesem als eine heldenmüthige, großartige Aufopferung erschien, wie sie nur das nordische Alterthum, von Sagen und Liedern verherrlicht, aufzuweisen vermöge. Claudianus empfand einen Stolz, der ihm schmeichelte, in dieser Verbrüderung, die das Leben verächtlich von sich stieß, indem sie es willenlos dem Freunde und seinen Entwürfen hingab. Freilich regte sich in seinem Innern eine zärtliche abmahnende Empfindung für Lille, allein sie war nicht klar, nicht mächtig genug, um seinen Irrthum zu erhellen, um einen wahnwitzigen Ehrgeiz zu besiegen. Daß ein bewährter Kriegsmann, wie Rasmus Jute, ihn, den unbekannten Jüngling, der noch durch keine Waffenthat sich ausgezeichnet, zum Bundesgenossen auf Leben und Tod erwählt, dünkte dem unerfahrenen jungen Thoren ein unverdienter, nicht genug zu preisender Glücksfall. Wie er einst mit befangenem, leidenschaftlichen Sinne dem betrügerischen, seine Unerfahrenheit mißbrauchenden Treiben des Erasmus Fontanus sich überlassen, so war er nun ganz dem Wahne heimgefallen, mit dem ihn ein düstres, von Rachsucht und Aberglauben beherrschtes Gemüth bestrickt.
Beide langten auf demselben Wege und ebenso glücklich, wie Roland Doneldey, in dem Thalgrunde, den ihre bisherigen Hüter, die Dänen, verlassen, an. Die drei Waffengefährten hatten, indem sie ihre Gegner in das Hochgebirge verlockt, sich weit von den Ufern des Siljan entfernt, so daß sie nicht hoffen konnten, vor dem Eintritte der Abenddämmerung das Ziel ihrer Wanderung zu erreichen. Roland Doneldey fühlte sich froh bewegt durch die Hoffnung, Margarethen wiederzusehen, durch die Aussicht auf ein kriegthätiges Leben, zu dem sein muthiger Geist ihn drängte, in welchem er Ruhm und, was ihm als das höchste Ziel seines Strebens galt, die Ritterwürde zu erlangen hoffte. In diesem Punkte, den er, seit er die Waffen führte, immer im Auge behalten, vereinigten sich seine Wünsche: dann – so lag es entschieden in seiner Seele – konnte ihm Herr Bernhard Böchower, der bei aller seiner Vorliebe für den Handelsstand doch auch ein Freund von weltlichen Ehren war, die Tochter nicht versagen, dann war sein Loos erfüllt und eine glückliche Zukunft gesichert.
Ihre Wanderung wurde durch keinen unvorhergesehenen Zufall, durch keine unwillkommene Begegnung gestört. Sie führte die drei Männer durch Einöden, in welche um diese Jahreszeit sich selten eines Menschen Fuß verirrte, durch unwegsame Gebirgsgegenden, in denen nur ein so landeskundiger Jägersmann, wie Rasmus Jute, sich zu finden vermochte. Ihre Skyen thaten ihnen gute Dienste. Mit Hülfe dieser leichten, eine weite Oberfläche bedeckenden Fußbekleidungen glitten sie flüchtig, wie das Renn, das in jenen Bergen wohnt, über die schneebedeckten Flächen und Abhänge hin. Die Stille, die ringsum herrschte, wurde nur selten durch den fernen Donner einer stürzenden Lawine, durch das Krachen der Eisdecke, welche irgend einen Bergstrom in ihrer Nähe verhüllte, unterbrochen. So gelangten sie, als die Sonne sich bereits zu den fernen Gipfeln der norwegischen Grenzgebirge neigte, an das Ufer des Siljan, dessen Oberfläche jetzt in ihrer todten Erstarrung ein trübes, unerfreuliches Bild zeigte.
Hier verweilte Rasmus Jute, sah mit finstrem Blicke nach der Gegend von Falun und sprach:
»Mein Pfad trennt sich jetzt von dem Eurigen. Geht Ihr nur immer den Freuden des Julafton nach, wie sie glückliche Menschen sich bereiten; mich drängt es zu einem andern Werke, zu einer andern Lust, deren Befriedigung ich seit Jahren schon ersehnt und erstrebt. Grüßt den edlen Wasa und sagt ihm, er werde von mir hören! Ja,« setzte er mit einem tiefen Odemzuge, als wolle er seine Brust von einer Last befreien, hinzu, »man wird von mir hören – seltsame, blutige Dinge! Viele werden mich verdammen, Andere werden gerecht finden, was ich im Sinne trage, aber der Menschen Urtheil ist demjenigen gleichgültig, den das Schicksal gebieterisch seinem Verhängnisse zutreibt. Lebt wohl! Sehen wir uns wieder, so ist Wasa von einem argen Verfolger, ich bin von einer schweren Schuld an die Vergangenheit befreit.«
»Ich gehe mit dir;« sagte bedeutungsvoll Claudianus. »Mir steht das Recht zu, jede Gefahr mit dir zu theilen.«
»Nein!« antwortete, den Jüngling ernst zurückweisend, Jute. »Du mußt dich aufbewahren, um der Erbe meines Werkes zu seyn, wenn ich in dem Versuche, es auszuführen, untergehe. Nur in der Gewißheit, daß nach mir noch einer lebt, der die That übernimmt, die mir mißglücken kann, vermag ich kühn ihr entgegenzugehn. Und nun noch einmal: lebt wohl! Die Sonne des morgenden Tages bescheint einen Bösewicht weniger auf Erden oder Rasmus Jute ist dahin gegangen, wo keine Stimme der Vergangenheit mehr nach Rache verlangt, wo jedes stürmisch bewegte Herz endlich Ruhe findet.«
Eine tiefe Schwermuth sprach aus seinen Gesichtszügen. Er ergriff Rolands Hand und preßte sie krampfhaft in der seinigen. Dann betrat er mit eilenden Schritten die Eisdecke der Siljan und war bald den Blicken der zurückbleibenden Freunde entschwunden.
»Claudianus,« sagte Roland, indem er mit dem Jünglinge am Ufer des Sees hinauf nach Mora zuschritt, »ich warnte dich schon einst vor einer zu engen Vereinigung mit Rasmus Jute; ich wiederhole diese Warnung. Was kann deine fröhliche Jugend, deine heitere Seele, die noch kein Schmerz des Lebens tief verwundete, mit einem Gemüthe gemein haben, das, durch bittere Erfahrungen verletzt, durch die Missethat eines Fremdlings in seiner Tiefe leidenschaftlich aufgeregt, selbst der Macht der Liebe, der es früher offen stand, sich verschließen konnte, um allein der Rache zu leben, sich einer dunkeln Gewalt zu widmen, die zu einer unbarmherzigen Tyrannin ihrer Opfer wird und wenn diese glauben, von ihr befreit zu seyn, sie erst recht fesselt mit Qualen des Gewissens, mit Haß gegen sich selbst, mit vergeblichem Groll gegen die Vergangenheit? Wirf dieses dunkle Bündniß, das dir nicht ziemt, das Allem fremd ist, wozu dich das Leben auffordert, von dir. Du willst die Bahn des Kriegers betreten, du willst Ehre und Ruhm suchen im gerechten Kampfe für ein unterdrücktes Volk. Dazu gehört froher Muth und Heiterkeit der Seele. Was soll in dir der Tropfen Gift, der an deiner Lebensblüthe nagt? Denke an Lille, sieh sie als das Wesen an, dem zu Ehren du die Waffen führst, das am Ende der Siegesbahn steht und dir den Preis reicht. Bei einem freien Herzen wird dir die Waffe leicht, ein düstrer Sinn vermehrt ihr Gewicht.«
Bei der Erwähnung Lille's fühlte Claudianus sich seltsam ergriffen. Es schien ihm zum erstenmale, als habe er nicht recht gegen das Mädchen, dessen Neigung er durch Erwiederung vermehrt, gehandelt, als er jenes dunkle Bündniß in der Einöde des Styggforsen geschlossen. In seiner Seele entstand jener traurige Zwiespalt, der sich immer da gestaltet, wo eine nicht wieder gut zu machende Uebereilung mit einer früher übernommenen Verbindlichkeit in Widerspruch steht. Diese Erkenntniß begann ihren quälenden Einfluß auf ihn zu üben. Der Eid, den er dem Rasmus Jute in wunderlicher Begeisterung, in einer allgemeinen Aufregung seines Wesens geleistet, trat vor seine Seele, wie ein Gespenst, das keine Macht bannen konnte und dagegen kämpften wieder zärtliche Gefühle, innige Empfindungen; aber vergebens, denn des Jünglings hoher Begriff von Ehre und Ritterlichkeit konnten nicht erschüttert werden, konnten ihren Untergang nur mit seinem eigenen finden.
»Es muß erfüllt werden, was ich dem Rasmus Jute gelobt, und es ist auch am Besten so;« dachte er in stiller Selbstüberlegung. »Wir werden im Tode zusammenhalten und der Tod versöhnt Alles und gibt denjenigen Frieden, die das höhnische Spiel des Lebens verwirrte und mit sich selbst und Andern in Zwiespalt brachte. Was möchte auch die arme Lille für ein Glück mit mir finden, die eines kräftigem Beistandes bedarf, um sich von den finstern Gewalten, die sich in ihr Leben drängen, loszuringen? Sind wir nicht Beide diesen grauenhaften Mächten unterthan und wäre es nicht möglich, daß, indem ich mich ihnen als Opfer hingebe, sie von ihnen frei würde? Dann hätte ich doch wohl gethan, als ich den Blutbund mit Rasmus schloß, dann ist der Eid und die Ehre gesichert und das Verlangen des Herzens befriedigt.«
Der phantastische Jüngling gefiel sich in dieser Vorstellung. Nicht für ein Opfer seiner thörigten Uebereilung, für einen Märtyrer der Liebe und Freundschaft zugleich sah er sich jetzt an. Diese Ansicht wurzelte in ihm fest, sie stärkte, sie erhob ihn auf's Neue.
Roland von Bremen hatte indessen seine Gedanken wieder Margarethen zugewandt. Keine trübe Ahnung sagte ihm, daß statt des Willkomms aus ihrem Munde, ihn die Kunde ihres räthselhaften Verschwindens erwarte, daß ein Wiedersehn, wie er es so nahe glaubte, auf eine entfernte, unbestimmte Zeit hinausgeschoben, vielleicht gar durch eine fremde Gewaltthat vereitelt sey. Er fühlte sich heiter, er fühlte sich selbst fröhlich gestimmt. Eine sehr natürliche Ideenverbindung rief ihm Herrn Bernhard Böchower in das Gedächtniß zurück. Er mußte lächeln, wenn er daran dachte, daß der ehrsame Rathsherr ihn im fernen Frankreich wähnte, in einem Verhältnisse, das ihm Gelegenheit gebe, sich im Handelswesen zu unterrichten, während er hier in Dalarne umherschweifte und seine Zeit bald der lieblichen Tochter des gestrengen Oheims, bald den kriegerischen Entwürfen Gustav Wasa's und den Vorbereitungen zu ihrer Ausführung widmete. In jener Zeit war es höchst schwierig, Verbindungen zwischen nur einigermaßen von einander gelegenen Orten zu unterhalten. Herumziehende Krämer, reisende Metzger und Viehhändler übernahmen in der Regel Botschaften und Briefe, die, durch viele Hände gehend, oft nach Jahresfrist erst an denjenigen gelangten, an den sie gerichtet waren. Zusendungen über das Meer erlitten noch grössere Hindernisse und Verzögerungen. Wie oft wurde die Schifffahrt nicht durch kriegerische Unruhen unterbrochen, wie manches Schiff wurde durch Stürme aus seinem Laufe verschlagen, derjenigen nicht zu gedenken, welche ihr Mißgeschick den Untergang finden ließ. So geschah es denn, daß die letzte Nachricht, welche Margaretha Böchower von ihrem Vater besaß, noch, ehe Roland Lübeck verlassen, von dort abgegangen war. Sie enthielt die Weisung, Margaretha möge nur fortfahren, des würdigen Geistlichen von Mora Leben zu erheitern, bis er selbst komme, sie zurückzuführen in die Heimath. Die Zeit sey nahe, in welcher Herr Bernhard ohnehin zur Schlichtung mancher Streitigkeiten, die sich zwischen ihm und seinen Handelsfreunden in Stockholm erhoben, nach Schweden zu reisen gedenke und dann werde er auch Herrn Jacob Pehrson in Dalarne besuchen und das Töchterlein wieder mit sich nehmen in das väterliche Haus nach Lübeck. Die Ueberraschung, welche sich des alten Herrn beim unerwarteten Anblicke des Neffen bemächtigen würde, konnte sich Roland recht lebhaft ausmalen und dieses Bild versetzte ihn in eine so frohe Stimmung, daß er, während des raschen Vorwärtsschreitens oft laut vor sich auflachte und mit vermehrter Lust jede Einzelnheit hinzudachte, die sich im Erfolge dieses wunderlichen Wiedersehns ergeben möchte.
Der Julafton gilt seit jenen Tagen, in welchen eifrige Priester das Christenthum in Schweden einführten, dort für das höchste Fest des Jahres und lange vorher schon werden alle Vorbereitungen getroffen, es feierlich zu begehen. Man reinigt das Innere der Häuser von Oben bis Unten, man putzt ihr Aeußeres und die Gänge mit grünen Tannenzweigen, man backt Kuchen und das krachende Knäkebrod, dessen Vorrath dann die ganze übrige Winterszeit noch nachhalten muß, man sucht in Küche und Keller zusammen, was man für diese Zeit bewahrte, jeder Gast ist willkommen und Alles vom Kinde an, das noch nicht die Bedeutung des Festes begreift, bis zum jahrebelasteten Greise hinauf, sieht mit klopfendem Herzen, mit freudigen Vorgefühlen, eine Zeit herannahen, welche den langen trüben Winter durch gesellige Lust, durch versöhnende Schlichtung manches alten Zwistes, durch eine und die andere zärtliche Verbindung, die für das Leben geschlossen wird, erheiternd und beglückend unterbricht. Aber der Feier dieser Tage konnten, wenigstens zu jener Zeit, in welche uns diese Geschichte versetzt, Gefühle und Ansichten nicht fremd bleiben, die der Aberglaube der Einwohner, frühe ihnen in's Herz gelegt und durch Beispiel und Sage genährt, festhielt und treu bewahrte. Niemand zweifelte, daß es in den Tagen des Julafton den Elfen vergönnt sey, aus ihrem Winterschlafe zu erwachen, daß der Strömkarl mit seinem schilfbedeckten Haupte das Eis der Flüsse und See'n durchbrechen dürfe, daß die Sjöra ihre Höhle in den Gebirgswäldern verlasse, daß der tückische Zwerg Tomtegubbe die Häuser umschwärme und hineindringe, um alle Anstalten zum heitern Feste zu zerstören, Speisen und Getränke zu verderben, wenn nicht Nisse, der gute Knecht, ihm den Eingang verwehrte und jede Hausfrau besorgt wäre, ihm durch Darbringung von Kuchen und Meth in den Hof und in den Garten auf versöhnliche Gedanken zu bringen. Eine schöne Sitte war es, daß am Vorabende des Festes, während schon die jungen Leute zur fröhlichen Nachtfeier, zu Tanz und Spiel zusammenkamen, die ältern Männer sich in der Gillstuga versammelten und hier, unter dem Vorsitze des Geistlichen und der Erfahrensten unter ihnen, das Beste der Gemeinde beriethen, Streitigkeiten beizulegen, Gegner zu versöhnen und Eltern, die aus irgend einem unstatthaften Grunde einem Herzensbunde ihre Einwilligung versagten, das Unrecht ihrer Handlungsweise begreiflich zu machen suchten. So knüpften sich dann die vielfachsten und verschiedenartigsten Interessen an diese Zeit und ließen sie Allen eben so wichtig, als wünschenswerth erscheinen. Meth und Bier, die lange unberührt im Keller gelagert, gingen dann in alterthümlich geformten Bechern und Trinkhörnern fleißig im Kreise umher und belebten zu erhöheter Freudigkeit und frischem Muthe. Die alten Sagen des Landes, Heldenthaten und ehemaligen Ruhm vergegenwärtigend, schaurige Märchen, mit allem dunkeln Grauen der nordländischen Geisterwelt ausgeschmückt, gaben Stoff zur Unterhaltung, die außerdem noch durch die Erinnerung an manche seltsame Begebenheit, an Freuden, welche frühere Weihnachtsfeste gebracht, Mannichfaltigkeit erhielt. Während die jungen Leute, in trauliche und still glückliche Paare getheilt, aufmerksam zuhörten, gewannen die Alten, welche in ihren Mittheilungen die Vergangenheit heraufbeschworen, an Bedeutung und jeder hatte Ursache, mit sich selbst und seiner Gesellschaft zufrieden zu seyn. Auch dem Armen war es verstattet, sich in diesen Tagen reich zu dünken. Alle, die es vermochten, beeiferten sich, ihn für eine lange Zeit der Entbehrung schadlos zu halten, ihn seinen Kummer, seine Besorgnisse für die Zukunft vergessen zu machen. Stille Liebe, die lange verborgen im Herzen geruht, wurde durch den allseitigen Freuderuf erweckt und verrieth sich in Seufzern und Blicken, bis endlich vielleicht von erhöheter Lust kühn gemacht, sie sich in Worten aussprach und ein gegenseitiges Geständniß die ganze Zukunft zweier Menschen entschied. Wie Lille einst in jener Johannisnacht, so schlichen auch in der ersten Nacht des Julafton, tief eingehüllt in schützende Pelze,. neugierige Mädchen und Jünglinge an Stellen, die im Rufe wunderbarer Offenbarungen standen, und befragten hier das Geschick um seine Geheimnisse und brachten oft schwerere Sorgen mit heim, als die gewesen, über welche sie Aufklärung und Beruhigung zu erhalten gehofft. Doch waren dieses nur Ausnahmen von der großen Zahl der Theilnehmer des Festes, die sich in den Stunden, wo seine religiöse Weihe sie nicht zu gemeinsamer Andacht versammelte, der lautesten Fröhlichkeit, den mannichfaltigen Genüssen, welche der Julafton mit sich brachte, überließen. Besonders wurde die Nacht vom Vorabende des Festes zum ersten Jultage von der jungen Welt durchschwärmt, von den ältern, erfahrenern Männern aber in der Gillstuga bei ernsten Berathungen hingebracht.
Unter diesen Umständen konnte es Roland, der die Art und Weise der Julfeier schon kannte, wenig überraschen, als er bei dem Eintritte in Mora noch alle Häuser erleuchtet und belebt fand, als er hinter den glänzenden Fenstern der Gillstuga die Schatten vieler Gestalten, welche sich in ihrem Innern bewegten, wahrnahm. Sein Gefährte war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um diesem erhöheten Leben in den gewohnten Umgebungen einige Aufmerksamkeit zu schenken. Seine Gedanken wanderten mit Rasmus Jute, tausend seltsame und verwirrte Bilder der Ereignisse, welche dem Blutbruder indessen begegnen möchten, zogen an seiner erregten Phantasie vorüber.
Aber wenn auch Roland Doneldey über das rege Leben, das noch ringsum herrschte, nicht erstaunte, so befremdete ihn doch der eigenthümliche Character, den es trug und der sich ganz verschieden von jenen Aeußerungen zeigte, durch welche sonst die Theilnahme an dem heitern Feste laut wurde, ganz verschieden von der mannichfachen Gestaltung, in der es in der Regel sich verkündete. Statt des fröhlichen Umherschwärmens der jungen Leute aus einem Hause in's andere, standen diese in einzelnen Gruppen versammelt in den Straßen und redeten laut und stürmisch unter einander. Roland vernahm wohl den Namen Gustav Wasa, allein, da jeder im wilden Gewirre mitsprechen und keiner ihm besondre Rede stehen wollte, so gelang es ihm nicht, etwas Näheres zu erfahren. Endlich erreichte er, sich durch die Menge durcharbeitend, welche hier auf einem weitern Raume zusammengedrängt stand, die Gillstuga. Die hohe Holztreppe, die von Außen hinauf zu dem Umgange des Gebäudes führte, war so von lärmenden Landleuten belagert, daß er sogleich die Unmöglichkeit erkannte, hier Eintritt zu finden. Claudianus war ihm von der Seite gekommen, er wußte nicht wie. Indem er um sich blickte und nach einem Bekannten forschte, fühlte er seine Rechte ergriffen. Bragi Ingemund, der sich mit Gewalt Bahn durch das Gedränge auf der Treppe gebrochen, stand neben ihm.
»Es ist gut, daß Ihr zurück seyd;« sagte der alte Huskurer in einem bewegten, innere Unruhe verrathenden Tone. »Seltsame Dinge haben sich zugetragen während Eurer Abwesenheit, Begebenheiten, die Euch tief betrüben werden und die wohl ungeschehen geblieben wären, hätte Euch nicht eine unerklärliche Laune aus dem Hause Eures Oheims, von der Seite Margarethens entfernt. Doch ich will nicht mit Euch schelten. Ich weiß, daß Ihr in Verbindungen steht, deren Wichtigkeit alle andere Rücksichten überwiegt, daß Ihr Verpflichtungen übernommen habe, in deren Erfüllung ein tapfrer Mann seine Ehre und seinen Ruhm sucht. Kommt mit mir an einen abgelegenen Ort, wo wir ungestört mit einander sprechen können! Diese Dalekarlen haben eine geschäftige Zunge und, wenn sie Meth und Bier beleben, so fehlt es ihnen an Worten nicht, sich über ernste und bedeutende Angelegenheiten selbst zu verwirren und dumm zu machen. Ehe sie aber an Thaten gehn, ehe sie zum Speer, zu Pfeil und Bogen greifen, um das bedrohte Gut, die geschmälerte Freiheit zu retten, machen sie sich tausend Bedenklichkeiten wegen nutzloser Kleinigkeiten, wegen eines möglichen unerheblichen Verlustes. Kommt mit mir! Hier toben sie und lärmen sie, allein das was nöthig ist, was allein Heil bringt, bleibt ihrem thörigten Gerede fremd.«
Von Besorgniß ergriffen, folgte Roland dem Huskurer, der ihn aus dem Gedränge zog, an eine einsame und dunkle Stelle hinter der Gillstuga, zu der noch das ferne Getöse drang, ohne jedoch eine besonnene Unterredung zu stören. Der junge Mann ahnete Böses, doch nur für seinen fürstlichen Freund, dessen Vorsatz es gewesen, sich nach Mora zu begeben, nicht für Margarethen, die er in voller Sicherheit unter dem Schutze ihres Oheims wähnte.
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll,« begann Bragi Ingemund, indem er rasch auf dem schneebedeckten Grunde hin und her schritt und Rolands Hand in der seinigen behielt, »ob bei Euern eigenen Angelegenheiten oder bei denen, welche das ganze Land, welche das Glück und die Freiheit Schwedens betreffen; aber es mag wohl am Besten seyn, ich behalte das, was Euch am Meisten erschüttern dürfte, zurück, damit Ihr ein offenes Ohr für die fremdere Sache habt, die Ihr doch wissen müßt, da Ihr, wie ich großes Recht habe vorauszusetzen, keinen geringen Antheil daran nehmt. Aber hört nur das Lärmen und Schreien aus dem Orte herüber! Glaubt man nicht, diese Thalmänner, sonst stark und muthig, wären Weiber geworden, die mit einander keiften und haderten um der gemeinsten und geringfügigsten Sache willen? Und dennoch wird die Zeit erscheinen, wo diese Worte Thaten werden, denn die Wahrheit behauptet am Ende ihr Recht über diese rohen Gemüther, wenn sie nur Zeit gehabt hat, sich geltend zu machen.«
»Komm zur Sache!« unterbrach Roland ungeduldig den Alten, der es nach der Art von Leuten, welche gewohnt sind, Andern Rath zu ertheilen, liebte, seine Bemerkungen, oft sehr zur Unzeit, einzuschalten. »Was ist geschehen, das den heitern Julafton mit seinen harmlosen Freuden in ein wildes Treiben verwandelt, das diese Thalleute in ihrer sonstigen Ruhe und Besonnenheit stört und die Lust von ihnen fern hält?«
»Eben ihre Besonnenheit ist aufgeregt worden und sie verstehen noch nicht, sich in dieses neue Gefühl zu finden;« versetzte bedeutungsvoll Bragi Ingemund. »Wenige Worte werden Euch Alles erklären,« fuhr er fort. »Gustav Wasa war hier, er hat zu den versammelten Thalleuten gesprochen, er hat ihnen von dem Blutbade in Stockholm erzählt, er hat ihnen verkündigt, welche Bedrückungen, welches Elend die Dänen über sie bringen würden, er hat sie zur Rache, zum Widerstande ausgefordert.«
»Und die Thalmänner?« fiel Roland hastig ein. »Was thaten sie, was gaben sie zur Antwort?«
»Sie standen da, wie Leute, in deren Mitte plötzlich der Engel mit dem feurigen Schwerte erscheint, aber sie blendet und erschreckt, statt sie zu begeistern;« sagte der Huskurer. »Was sie vernahmen, mußte ihnen freilich wie eine schreckliche und zugleich wunderbare Sage aus der alten Zeit erscheinen und deshalb mag es nicht befremden, daß ihr einfacher Sinn dadurch verwirrt wurde. In diesen ruhigen Thälern klingt eine Erzählung, wie die von den Stockholmer Gräuelthaten, wie ein Märchen, der Mord ist ein fremdes, Grauen erregendes Gespenst und der edle Gustav selbst mußte sie der Held einen jener Sagen dünken, den befreundete Meergewalten durch Gefahren begleitet und aus ihnen errettet. Warlich, er ist ein Sohn des Glücks, wenn es einen gibt, und zum Befreier dieses Landes erwählt, wenn dieses anders eine Zukunft ohne Schmach, ohne Tyrannei zu erwarten hat! Noch wandelt er in Nacht, aber allenthalben bricht der Schimmer eines besondern, höhern Schutzes, der bald in einem Glanze des Heils über ganz Schweden aufgehn wird, hervor. In Isala hatten ihn die Dänen, welche Nils Westgöthe ausgeschickt, ihn zu fangen, schon aufgespürt und er war nahe daran, in ihre Gewalt zu gerathen, als die kluge Hausfrau des wackern Elfsson ihn ausschalt, gleich einem niedrigen Knechte, und ihn mit harten Worten aus dem Zimmer zur Arbeit trieb. Das lenkte die Aufmerksamkeit der Tyrannenknechte von ihm ab. Elfsson verbarg ihn nun in einen Wagen, der mit Stroh hoch beladen war, um ihn nach Rättwyck zu bringen. Auch auf diesem Wege trat ihm die Gefahr entgegen, trat sie ihm so nahe, das er ihre Abwendung mit Blut ersaufen mußte. Dänen hielten den Wagen an und stießen ihre Spieße in das Stroh, das den Flüchtling verbarg. Er wurde in den Fuß verwundet und sein Blut röthete verrätherisch die leicht durchdringliche Hülle. Da ward Swen Elfsson von dem einzigen Gedanken erleuchtet, der in dieser Noth hülfe bringen konnte. Ohne daß es die Dänen bemerkten, schnitt er sein Pferd in den Schenkel, so daß des Thieres Blut reichlich aus der Wunde strömte und den Weg benetzte. Getäuscht zogen die Dänen weiter. Ohne seiner Verletzung zu achten, sprach der edle Flüchtling in Rättwyck zu dem Volke. Er forderte es auf, nach den Waffen zu greifen und der eigenen Kraft zu vertrauen, die allein dem schmählichsten Elende vorbeugen könnte. Er nannte den Namen Sten Sture's, der einen guten Klang hat in Dalarne, er zeigte die Wunden, die er unter jenem tapfern Reichsoberhaupte erkämpft, er bot sich ihnen als Anführer in der heiligen Sache des Rechts und der Freiheit an. Man hörte ihn aufmerksam an, man nahm seine Worte beifällig auf, wollte aber, ohne den Beistand der Nachbarn in Mora, nichts unternehmen, an welche man ihn verwies.«
»Und diese?« unterbrach Roland wiederum eifrig den Huskurer.
»Ihr habt ja gehört und gesehn, wie wenig Einigkeit und Uebereinstimmung unter ihnen herrscht;« antwortete der Alte. »Viele wollten sogleich die Waffen ergreifen und gegen die Sitze der Vögte aufbrechen, Andere aber betrachteten den edlen Wasa mit argwöhnischen Blicken und sprachen laut den Vorwurf aus, er wolle sie zu seinen persönlichen Absichten mißbrauchen und das Elend des Kriegs in das ruhige Land ziehn. Vergebens verwandte Herr Jacob Pehrson seinen ganzen Einfluß, die Männer von Mora zu einem heldenmüthigen Bund für Freiheit und Vaterland zu vereinigen. Man entschied sich zuletzt dahin, Gustav Wasa möge für jetzt auf seine eigene Sicherheit bedacht seyn, indessen man nähere und genaue Nachrichten über die Lage der Dinge einziehn wolle. Bitter getäuscht in seinen Hoffnungen, verließ der edle Herr die Thoren, die da wähnen, sie werde die blutige Tyrannei Christian's, die Habgier seiner Vögte verschonen, während ringsum das ganze Land unter ihrem Drucke seufzt, ihrer Raubsucht sein Bestes hingeben muß. Er wandte seinen Schritt den Grenzgebirgen zu. Wer weiß, ob er nicht dort unter den Schneestürzen der Fjälln ein frühes Grab findet. Sein Vaterland stößt ihn aus, es weißt den Retter von sich, den ihm das Schicksal zugeschickt – wehe Schweden! Es wird verschwinden aus der Reihe der mächtigen Staaten, es wird untergehen, weil seine Bewohner zusammen nicht so viel Muth besaßen, als der einzelne Mann, der ihm jetzt verachtungsvoll den Rücken wendet!«
Schmerzliche Empfindungen regten sich bei dieser unerwarteten Nachricht in der Seele Rolands.
»Wie,« rief er aus, »so hat denn Dalarne auf sein altes Recht verzichtet, eine heilige Freistätte unglücklicher Flüchtlinge zu seyn? Oder gab man es nur in diesem einzelnen Falle auf, aus Feigheit, aus thörigter Sorglosigkeit und Bequemlichkeitsliebe? «
»Der Prinz ist als Landesverräther geächtet;« sagte der Huskurer. »Landesverräther, Straßenräuber und Mörder schützt das alte Recht der Dalekarlen nicht, wenn sie es auch behaupten wollten. Das Beispiel, das Mora gegeben, vernichtet die letzten Hoffnungen des edlen Herrn, jetzt ist er seinen Feinden blosgestellt, wie Ragnar Lodbrok einst im tiefen Verließe dem Giftzahne der gierigen Schlangen. Kein Freund begleitet ihn, niemand erhebt eine Waffe zu seinem Schutze.«
»Roland von Bremen lebt noch!« versetzte voll Selbstgefühl der junge Deutsche. »Mag Schweden seinen Retter von sich stoßen. Mag die Muttererde ihren edelsten Sprößling verkennen, mag Treue und Redlichkeit in diesem Lande erstorben seyn, um die Selbstsucht wuchern, um die Feigheit sich in Sicherheit einschläfern zu lassen – ein Freund lebt noch, der den edeln Gustav in keiner Gefahr verläßt, ein Fremdling zwar dem Lande, welchem Wasa Blut und Leben widmen wollte, aber kein Fremdling der Treue, der Ehre und dem Muthe. Lebe wohl, Bragi Ingemund! Sage den Thalmännern, daß der deutsche Roland ihr Vaterland mehr geliebt, als sie selbst, indem er seine Schritte an die des Mannes feßle, dem allein das wahre Heil Schwedens am Herzen liege, der es erkenne und den festen Willen, die feste Kraft in sich trage, es wieder aufleben zu lassen in alter Herrlichkeit und Größe. Sein Geist besitzt den Zauber, auf dessen Gebot die Freiheit aus ihrem Grabe ersteht, das Recht sich aus seiner Unterdrückung erhebt. Grüße meinen Oheim und Margarethen. Ich eile dem Prinzen nach.«
»Ihr werdet es nicht;« sprach, ihn zurückhaltend, mit unsichrer Stimme Bragi Ingemund. »Es gibt ein Gefühl, das wichtiger ist, als das der Freundschaft, es gibt ein Band, das enger fesselt, als das der Freundestreue. Noch eine unglückliche Kunde harret Eurer. Margaretha ist verschwunden, geraubt – wahrscheinlich in der Gewalt Eures schlimmsten Feindes.«
Ungläubig starrte Roland den Alten an. Was dieser hinterbrachte, schien so rein unmöglich, schien so ganz dem Verhältnisse, in dem Margarethe im Hause ihres Oheims lebte, zu widersprechen, daß er sich im ersten Augenblicke in die Wahrheit einer solchen Eröffnung nicht finden konnte, daß diese betäubend und lähmend auf seinen Geist wirkte. Da hob Bragi Ingemund den Schleier von dem ganzen Geheimnisse, da erzählte er, wie er Frau Barbara Ornflykt, die Retterin Gustav's, hülflos im Walde angetroffen, wie er sie zu dem Pfarrhause in Mora geleitet, wo sie gastliche Aufnahme gefunden, wie dann Margarethe sich durch einen Unbekannten, den er für niemand anders, als den mit Nils Westgöthe befreundeten Erasmus Fontanus halte, habe bewegen lassen, zur abendlichen Zeit die Kapelle von Rättwyck zu besuchen, wie Frau Barbara, betrogen durch die List der Entführer, sie dann vergebens zurückerwartet und sich mit ihm und Herrn Jacob Pehrson endlich, aber zu spät, um noch Hülfe zu bringen, überzeugt habe, ein Gewaltstreich sey gegen das arme, unbefangen in die Falle gehende Mädchen verübt worden. Weder der Pfarrer noch er zweifle, daß der Bergvogt Urheber dieses Bubenstücks sey. Vergeblich aber habe Herr Pehrson seitdem zum öftern versucht, Gehör bei Nils Westgöthe zu erlangen. Dieser umgebe sich mit einer Wache dänischer Kriegsleute, zu deren Anführer er eben jenen Erasmus Fontanus gemacht, und lasse niemand vor sich. Frau Barbara Ornflykt habe den Schmerz gehabt, Mora zu verlassen, um sich nach dem klösterlichen Asyle, das sie gewählt, zu begeben, ohne ihre Freundin wieder zu sehen, ohne eine beruhigende Kunde über sie zu erhalten.
Von stürmischen Empfindungen ergriffen, unschlüssig, was nun zu thun sey, verharrte Roland einige Zeit in einem düstern, brütenden Schweigen. Das Getöse aus dem Dorfe herüber wurde lauter, Waffenlärm mischte sich hinein – er vernahm beides nicht. Der Huskurer aber lauschte mit geschärften Sinnen in die Ferne. Was er zu hören glaubte, erregte immer mehr seine Aufmerksamkeit, er entfernte sich einige Schritte von Roland nach dem Orte hin, er stieß einige abgebrochene Worte aus, welche Ueberraschung und Erstaunen verriethen. »Du hast Recht, Alter!« hob indessen Roland in einem erbitterten, Unwillen und Schmerz verkündenden Tone an. »Mein schlimmster Feind hat mir das gethan. Allein er ist nicht nur mein Widersacher, er ist auch der boshafteste Verfolger des edeln Gustav, ein habgieriger Sklav des Tyrannen Christian. Er dürstet nach dem Blute des unschuldig Geächteten, so ächte ich ihn denn hiermit unter Gottes freiem Himmel, bei'm Lichte dieser Sterne, das durch dunkle Wolken bricht, bei der Heiligkeit dieser Stunde, nach deren Ablauf ein Tag erscheint, der Heil und Freiheit über die ganze Welt gebracht. Nils Westgöthe sey verfehmt als ein schändlicher Frauenräuber, als ein feiger Meuchelmörder, als ein Verräther seines Vaterlandes! Ich gebe ihn Preis der Schärfe meines Schwertes, der Spitze meines Dolchs! Erst falle er; dann bringt mich mein Schritt zu dem flüchtigen Freunde!«
In diesem Augenblicke erreichte das Getöse in Mora eine Höhe, welche nun auch Roland stutzig machte. Man hörte den lauten Ruf: »Nieder mit den Dänen! Werft sie hinaus! Schickt sie mit blutigen Köpfen heim!« Waffenlärm klang dazwischen und rasch auf einander folgten einige Büchsenschüsse, welche die Anwesenheit dänischer Kriegsleute verriethen, da die Thalleute kein andres Geschoß, als Pfeil und Bogen besaßen.
»Junker Roland!« sprach in einem erregten Tone Bragi Ingemund. »Ich glaube, der Augenblick, in dem diese trägen, aber tapfern Gemüther zur Erkenntniß erwachen mußten, ist früher gekommen, als wir ahnten. Trügt mich nicht Alles, so sind sie aneinander gerathen mit dänischen Söldlingen und ist der erste Schnee von ihren Herzen gelöst, so wird er bald zur mächtigen Lawine, die in ihrem Sturze Alles mit fortreißt.«
»Bei Gott, alter Mann,« rief, von Thatenlust ergriffen, den Weg zum Ziele endlich offen sehend, Margarethens Rettung hoffend, der junge Deutsche, »der Krieg ist ausgebrochen, der Ruf des Schicksals ertönt in diesem Waffenlärm und wird bald ganz Schweden im Sturme durchziehn. Jetzt, mein gutes Schwert, sollst auch du das Deinige thun! Hoch Freiheit und Gerechtigkeit! Gustav Wasa für immer!«
Mit diesem Losungsworte stürzte Roland, das entblöste Schwert hoch in der Rechten, in den von Häusern begrenzten Weg, der in das Innere des Ortes führte. Eine weißgekleidete Gestalt flog ihm entgegen. Es war Lille, die, von Angst und Liebe gequält, ausrief:
»Was säumt Ihr doch und haltet Euch fern vom Gefechte, in dem der arme Claudianus untergehn wird, wenn Ihr Euch nicht schirmend ihm zur Seite stellt? Ich sah Euch in der Ferne, ich suchte nach Euch aller Orten. Ach, es wird wahr, was ich erschaut im mitternächtigen Gesichte, der Krieg wird dieses Land durchziehn, wird seine blutigen Opfer nehmen und unter ihnen den armen Claudianus und Lille kann dann den Schmerz des Lebens nicht mehr ertragen und wird die Beute des verlangenden Strömkarl! Zaudert nicht! Laßt Euer Schwert vernichtend niederfallen auf die Häupter der Friedensstörer! Sie sind eingebrochen am Vorabende des heiligen Julafton, wie die Mörder, sie begehrten den geächteten Wasa, sie drangen in Häuser und Hütten, um zu rauben und zu tödten, bis die Thalmänner nach Sense und Axt griffen, bis Claudianus sein Schwert gegen ihren Hauptmann erhob und Euer ehrwürdiger Oheim selbst das Speer erhob und sich an die Spitze der Leute von Mora stellte. Blut ist geflossen und wird zum Strome werden, der über Schweden hinrauscht. Eine lange blutige Nacht folgt dieser Nacht und für Lille strahlt keine Sonne, gibt es keinen Tag mehr. Ich sehe die blutige Gestalt des Claudianus, todt, starr, mit weitklaffender Brustwunde, das kühne, reine Herz durchbohrt – Alles ist Blut, Alles ist Nacht – schreckliche Bilder treten sinneverwirrend daraus hervor und die Sjöra lacht in wilder Freude und der Strömkarl breitet höhnisch seine Arme nach mir aus.«
Ueberwältigt von dem Drange ihrer Empfindungen, von der Macht der seltsamen Gebilde ihrer Phantasie, sank sie zu Boden. Roland hatte indessen seine eiligen Schritte dem Platze zugelenkt, von dem das Geschrei und der Waffenlärm herüberklangen; Bragi Ingemund, durch Alter unfähig gemacht, an dem Gefechte Theil zu nehmen, von Besorgniß um die Ohnmächtige ergriffen, blieb bei dem Mädchen zurück. Als Roland auf dem großen Platze vor der Gillstuga anlangte, fand er hier Alles in wilder Verwirrung, in einem Kampfe, der von Seiten der Thalmänner mit Kraft und Muth, aber zugleich mit einer Regellosigkeit geführt wurde, die, bei der besonnenen Ordnung, mit welcher die Dänen fochten, die baldige Niederlage der Landleute zur Folge haben mußte. Er sah den wackern Pfarrer von Mora sich mit der Stärke und Gewandtheit eines jungen Kriegers mehrerer Dänen erwehren, er sah den Jüngling Claudianus im wüthenden Gefechte mit dem ehemaligen Studenten Erasmus Fontanus, der jetzt die dänische Farbe und das Hauptmannszeichen trug, er sah diese und die Dalekarlen, die mit Sense, Heugabeln und Dreschflegeln bewaffnet waren, vor den eingeübtern Kriegsmännern zurückweichen, wenn auch langsam, doch aber immer in einer Weise, welche befürchten ließ, daß ihre Schaar sich bald in gänzliche Flucht auflösen werde. Die Pechkränze, welche zur Feier des Tages auf den Treppen der Gillstuga, vor den Häusern der Einwohner brannten, warfen ihr rothes, blutiges Licht auf diese Scene der Verwirrung.
Seine plötzliche Erscheinung belebte die Thalmänner mit neuem Muthe. Viele glaubten Gustav Wasa in ihm zu sehn, Andere, die ihn genauer kannten, vertrauten auf seine Kriegskunde und schlossen sich ihm sogleich an. Er aber bildete rasch aus diesen und andern herbeieilenden Dalekarlen, die sich jetzt erst bewaffnen können, eine Schaar, die er auf einem Seitenwege den Dänen in den Rücken führte. Wie wichtig in diesen Augenblicken Gustav's Anwesenheit in Mora sey, wie nun der Moment gekommen, der des erhabenen Flüchtlings Plane zur Ausführung bringen konnte – dieser Gedanke trat so mächtig und dringend vor seine Seele, daß er, noch ehe er auf die schon siegestrunkenen Dänen losstürmte, einen jungen Dalekarlen, Engelbrecht aus Mora, der wegen seiner Schnellfüßigkeit berühmt war, mit wenigen Worten beauftragte, dem edeln Geächteten nachzueilen, ihn von Allem zu unterrichten, was hier vorgehe, und im Namen der ganzen Gemeine zur Rückkehr aufzufordern. Die Thalmänner, welche ihn umgaben, stimmten mit lautem Jubelrufe in diese Anordnung ein und unter dem Kriegsgeschrei: »Hoch Schweden allüberall! Nieder die dänischen Schergen!« begann dann der Angriff im Rücken der Dänen mit einer Gewalt, der diese nicht widerstehn konnten. Freilich waren es nur Waffen der Noth, mit welchen die Dalekarlen stritten, aber sie wußten sie mit einer Kraft und Geschicklichkeit zu führen, welche ihre Mangelhaftigkeit ersetzte. Jetzt wichen die Gegner, jetzt fanden sie sich zwischen zwei Gewalten eingedrängt. Vor Rolands mächtiger Gestalt, vor seinem Arme, der das Schwert, welches aus der Rüstkammer eines Riesen gekommen schien, mit Leichtigkeit schwang, zerstiebte Alles, wie Spreu vor dem Sturme. So drang er unaufhaltsam vor. Da erblickte er mit einemmale den Oheim, der fehltretend auf ein Knie niedersank und nun wehrlos dem Streiche seines Gegners blosgegeben war. Claudianus, von ihm abgedrängt, bemühete sich vergebens, dem Greise zu Hülfe zu kommen. Es war Erasmus Fontanus, der schon das Schwert hoch über dem Silberhaupte des Pfarrherrn schwang, um den Todesstreich zu führen. Ein Hohn der Grausamkeit, des Blutdurstes sprach aus seinen Zügen. Mit Wohlgefallen blickte er auf sein Opfer, auf den frommen Greis, der die Hände zum Gebete gefaltet, den Todesstreich erwartete.
Da erklang, wie Donnerton, durch das Getöse Rolands Stimme:
»Wahre dich, Erasmus Fontanus! Die Rache ist nahe. Minderhouts Geist klagt dich an vor dem Throne des ewigen Richters. Sein Strafgericht schwebt über deinem Haupte.«
Das Schwert, eben noch zum tödtlichen Schlage bereit, entsank machtlos der Hand des dänischen Hauptmanns. Erasmus Fontanus besaß Muth, aber dem Roland von Bremen gegenüber, dessen Ueberlegenheit er schon auf dem Schiffe des Capitäns Harslö erkannt, aufgeregt in der Tiefe seines bösen Gewissens, fühlte er sich plötzlich schwach, wie ein Kind, sah er kein andres Heil, als in der schleunigsten Flucht. Wie eine entrinnende Schlange sandte er im Entweichen noch sein Gift nach Roland hin, indem er zähneknirschend rief:
»Dich weiß ich empfindlicher zu treffen, als mit dem Schwerte, dein ganzes Lebensglück ist ein Spiel meines Willens, dein Liebstes meiner Gewalt heimgefallen.«
Mit diesen Worten bahnte er sich den Weg der Flucht durch die Schaar seiner eigenen Leute, die, das Beispiel des Anführers wahrnehmend, diesem folgten und nun, alle Banden der bisherigen Ordnung zerreißend, den Ausgängen des Dorfes zuströmten. Hier begünstigte das Dunkel der Nacht ihre Flucht. Nur Einzelne von ihnen wurden von den verfolgenden Dalekarlen erreicht und fielen als Opfer des gereizten Unwillens der Thalleute. Vergebens bemühete sich Roland von Bremen, wiederum in die Nähe desjenigen zu gelangen, den seine blose Erscheinung besiegt und in die Flucht geschlagen hatte. Eine undurchdringliche Finsterniß herrschte überall außerhalb des Dorfes und er sah sich genöthigt, mit den übrigen Verfolgern nach dem Orte zurückzukehren, dessen Glocke den Sturm, der sich erhoben, den benachbarten Gemeinen verkündete, aus denen ähnliche Töne antworteten, so daß in kurzer Zeit das ganze Thalland von einem wichtigen Ereignisse, das sich begeben, zu dem Hülfe und Beistand Aller aufgefordert werde, in Kenntniß gesetzt war.
In Mora hatte sich indessen eine streitbare Macht versammelt, deren Anzahl sich von Augenblick zu Augenblick vermehrte. Der Name Gustav Wasa's erklang von Aller Munde, durch ihn schmeichelte man sich jetzt ebensosehr, alle Hoffnungen, alle Wünsche erfüllt zu sehen, wie man früher seine Anwesenheit gefürchtet. Mancher wußte eine merkwürdige That aus seinem frühern Kriegsleben zu erzählen, Andere berichteten schreckliche Dinge von den Dänen, erwähnten neuer Verfügungen Christian's gegen das Thalland, unter welchen die ausschweifendsten, daß zum Beispiel jedem Dalekarlen die rechte Hand und der linke Fuß abgehauen werden solle, um ihn zur Waffenführung untauglich zu machen, den meisten Glauben fanden. Ein allgemeiner Schrei der Wuth, der Empörung, der Rache drang zum nächtlichen Himmel empor. Diese Stimmung, aus der Herr Jacob Pehrson die Rettung Schwedens, die Vernichtung des dänischen Joches erkeimen sah, suchte der würdige Geistliche zu steigern, aber zugleich auch zu augenblicklicher weitrer Thätigkeit zu beleben. Er eilte die Treppe der Gillstuga hinauf, er betrat den Balcon, der das ganze Haus umgab, und sprach von hieraus Worte einer begeistrungsvollen Vaterlandsliebe zu der Gemeinde, die seinen Ermahnungen immer ein williges Ohr geliehen. Er forderte sie auf, diesen Augenblick des ersten Schrecks, der die Dänen ergriffen habe, zu benutzen und ihnen gen Falun nachzustürmen, den dortigen Vogt zu verjagen, die Bergleute zum vereinten Kampfe für Schwedens Freiheit zu bewegen.
Während er diese Rede hielt, mischte sich Roland unter das Volk, sprach in gleichem Sinne zu einem und dem andern und drang auf sofortigen Aufbruch, indem hier in der Tiefe seines Herzens die Stimmen der Freundschaft und der Liebe nach einem Ziele riefen, indem er auf diese Weise seinem königlichen Freunde zu dienen und Margarethen wieder zu gewinnen hoffte. Alles, was kriegerische Begeistrung, was bedrängte Liebe eingeben konnte, floß in beredten Worten von seinen Lippen. Dennoch konnten sich die Thalmänner, in denen sich wieder einige Bedenklichkeiten erhoben, zu keinem weitern entscheidenden Schritte entschließen. Selbst des würdigen Geistlichen Ermahnungen blieben fruchtlos und man bestand darauf, nicht eher zu einer Unternehmung auszuziehn, bis Gustav Wasa angelangt seyn werde, bis dieser sich an die Spitze der versammelten Männer von Dalarne gestellt habe.
Unter diesen Umständen hatte Roland einem schweren Kampf mit sich selbst zu bestehen. Es drängte ihn, nach Falun zu eilen und Margarethen aus den Händen ihres schändlichen Räubers zu befreien; dann aber mußte er fürchten, daß diese Thalleute, in welchen die Flamme der Begeistrung für das Vaterland kaum entzündet war, wieder erkalten, daß sie, sich selbst überlassen, den schon erwachenden Bedenklichkeiten immer weitern Raum gestatten möchten und am Ende diese erste Anregung zu einem großen Werke spurlos vorübergehn dürfte. Er suchte sich taub gegen die Mahnungen der Liebe zu machen, er richtete alle seine Gedanken, sein ganzes augenblickliches Streben auf den fürstlichen Freund, dessen nahe bevorstehende Ankunft, wie er überzeugt war, alle Zweifel beendigen mußte, indem ein Aufbruch gegen Falun, wo der königliche Thalvogt seinen Sitz hatte, dem Gelingen seiner Entwürfe ebenso nothwendig, als wichtig war.
Indessen riefen die Sturmglocken die Männer von Dalarne aus den Gebirgen hernieder, aus den tiefer liegenden Gegenden herauf. In großen Massen strömten sie, mit Waffen aller Art versehen, zu dem Orte, der zuerst das Zeichen zum Aufstande gegeben. Man erblickte einige mit mächtigen, stachelumringten Keulen, die ihre Voreltern schon in den alten Kriegen gegen Dänemark geführt, Andere mit Streitäxten, wie sie in den frühesten Zeiten, unter den heidnischen Königen im Gebrauche gewesen, die meisten aber nur bewaffnet mit Werkzeugen, die sonst dem friedlichen Geschäfte des Acker- und Wiesenbaues gewidmet waren. Keinem der Herbeieilenden aber fehlte es an dem zur Jagd und zum Kriege gleich dienlichen Bogen und dem Köcher mit Pfeilen.
Diese Vermehrung ihrer Macht erhob den Muth der Männer von Mora. Jetzt zeigten sie sich wieder lauter und streitlustiger, jetzt forderten sie die Nachbarn zur Vereinigung gegen die Dänen auf, indem sie deren Einbruch in ihre Wohnungen, mitten im Frieden, verkündigten, indem sie mit schrecklichen Farben die Grausamkeiten schilderten, welche der Dänenkönig dem Thallande zudenke. Jacob Pehrson, Roland und selbst Claudianus blieben indessen nicht müßig. Sie schürten die Glut zur Flamme und bald erfüllte der Ruf nach Kampf und Freiheit wieder den weiten Thalgrund.
So erschien der Morgen und mit ihm, in des Boten Engelbrecht Begleitung, Gustav Wasa. Der erste Tag der schwedischen Freiheit brach an. Die zwei ältesten Männer des Thallandes, noch rüstig und fest entschlossen, die Heimath zu verlassen, um den Rest ihrer Tage dem Kampfe für die Freiheit des Vaterlandes zu widmen, traten dem Prinzen entgegen und klagten nun sich und ihre Freunde an, seine Absichten verkannt, in ihm nicht sogleich den einzigen Mann, der zum Helfer in der Noth von der Vorsehung erkoren sey, erblickt zu haben. Der ganze Ort war von streitlustigen Männern und Jünglingen erfüllt und diejenigen, welche hier nicht Raum fanden, umgaben auf freiem Felde die Wohnungen oder sammelten sich in Schaaren auf der benachbarten Eisdecke des Siljan. Allenthalben erklangen Verwünschungen der Dänen, verbannte Edle, die sich bisher in den Wäldern verborgen, eilten herbei und bestätigten alle Gräuel des Stockholmer Blutbades, das den Thalleuten bisher als ein unglaubliches Märchen erschienen, indem sie die unheilvollste Zukunft, Werke der Blutdurst und der Tyrannei verkündigten, mit denen Christian nun auch endlich Dalarne bedrohe.
Man hatte von Steinen eine Erhöhung in der Mitte des Platzes vor der Gillstuga errichtet, die Gustav Wasa nun bestieg. Mit feurigen, begeistrungsvollen Worten, mit einer Beredsamkeit, welche kein Herz ungerührt ließ, faßte er nun noch einmal Alles zusammen, was Schweden gelitten, was ihm unter Christian's grausamer Herrschaft, der jetzt wie ein blutgieriger Tiger, von Schrecken und Mord begleitet, seine Länder durchziehe, noch bevorstehe, und als nun ein Schrei des Abscheu's, ein Ruf zu Kampf und Nothwehr von allen Seiten erklang und in den Felsklüften der Berge wiederhallte, da schloß der junge Held, der endlich den heißesten Wunsch seines Lebens erfüllt sah, seine Mahnung mit den Worten:
»Gott hat uns zusammengeführt, Er und seine Heiligen werden uns ferner leiten. Es ist der alte Gott der Gerechtigkeit, der die Blutstropfen der schuldlos Gemordeten zählt und wägt auf der Wage seiner Allmacht. Er stürzt die Könige und erhebt die Unterdrückten. Laßt uns in seinem Heiligthume Segen erflehen zu unserem Werke, und dann auf zu dem nächsten Sitze der dänischen Gewaltsamkeit, auf gen Falun!«
Die Kirche von Mora konnte die Menge der Herzuströmenden nicht aufnehmen, allein in stiller Andacht stand Alles mit unbedecktem Haupte bis weithin außer dem Bezirke des Dorfes.
Einer befand sich unter ihnen, dessen Herz in stürmischen Schlägen die Brust zu zersprengen drohete, der von den Qualen schrecklicher Ungeduld, bedrängter Liebe ergriffen, sehnlich das Ende des feierlichen Hochamts, das Herr Jacob Pehrson angestimmt hatte, herbeiwünschte: es war Roland von Bremen, der Freund Margarethens, den Furcht und Hoffnung, den Alles, was Macht über ein liebendes Herz besitzt, allen Uebrigen voran nach dem Sitze des königlichen Bergvogts rief.