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Zweites Kapitel.


Guten Tag, herzliebstes Mädchen mein,
Dem Tode bin ich entronnen!
Noch ist der fröhliche Jüngling dein,
Sein Bahrtuch nicht gesponnen.

Die Kunde von dem Unfalle Rolands war diesem letztern schon nach Mora vorausgeeilt und verbreitete im dortigen Pfarrhause Schreck und Entsetzen. Herr Nils Westgöthe hatte selbst, um einem etwa keimenden Argwohne zuvorzukommen, einen Boten gesandt, der das Unglück berichten und als ein beklagenswerthes Werk des Zufalls darstellen mußte. Margarethe erstarrte bei der überraschenden, furchtbaren Nachricht. Dann brach sie in einen Strom von Thränen aus, den Jacob Pehrson vergeblich durch alle Trostgründe, welche ihm seine Erfahrung und sein Amt boten, zu stillen suchte. Sie klagte sich laut an, Rolands Untergang veranlaßt zu haben, indem sie es gewesen, die ihn nach Dalarne geladen, sie rechnete sich ihre Liebe als Verbrechen zu.

»Nein, nein!« sprach eifernd Lille dazwischen: »Du bist unschuldig, wie die Heiligen, du trägst keinen Theil an seinem Verderben. Aber der Vogt – weißt du noch, wie ich dich bat, Deinen Freund vor ihm zu warnen, wie die alte Helle in wunderbarer Stunde dasselbe sagte, wie du auch ihrem und meinem Rathe folgtest, aber Roland Doneldey, auf sein Glück und seine Kraft vertrauend, deiner Warnungen lachte? Er ist zu Grunde gegangen, in seiner Arglosigkeit, durch Verrath und schwarzen Meuchelmord. Ach, und du arme Margareth, du bist nun geworden, wie die unglückliche Helle, du theilst ein Schicksal mit ihr!«

Claudianus hatte sich indessen mit seinem Schwerte umgürtet, die Blechhaube aufgesetzt und trat mit finstern Blicken vor die Mädchen.

»Ich gehe nach Falun;« sagte der Jüngling. »Ich will den Vogt selbst sprechen, man soll mir die Gruft zeigen, in der mein edler Waffenherr begraben liegt. Findet sich eine Spur, daß er das Opfer irgend einer Bosheit geworden, so wehe dem Thäter! Ich bin ihm noch meinen Dank schuldig für Rettung aus arger Sklaverei, für Unterricht im Waffenwerke. Ich will ihm diesen darbringen, indem ich ihn räche. Man soll nicht sagen, Claudianus habe den Mörder seines Freundes und Meisters sich seines Frevels ungestraft erfreuen lassen.«

Er ging zu einer Stelle am Siljansee hinab, wo immer ein Boot zur Ueberfahrt bereit lag. Das Wetter, welches den Tag über heiter gewesen, hatte sich in der letzten Stunde plötzlich verändert. Schneegestöber und Regen wechselten mit einander, der See zeigte sich aufgeregt, schon führte der Dalelf ansehnliche Eisstücke aus den höhern Gebirgen mit sich herab. Als er das Boot bestieg, trat in dieses auch ein Mann in kriegerischer Tracht, den er schon oft in Mora gesehen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt aber in dem abgelegenen Hintergrunde des Thallandes, am Fuße der Grenzgebirge, genommen hatte. Sie grüßten einander als Bekannte. Während der Schiffer mit kräftiger und gewandter Hand das Fahrzeug durch die anfluthenden Eisschollen lenkte, erzählte Claudianus dem Rasmus Jute – so nannte sich der Reisegefährte – das unglückliche Ereigniß in Falun, welches ihn veranlasse, an Ort und Stelle selbst Untersuchungen vorzunehmen. Jute ließ sich mit einer Theilnahme, die ihre besondern Ursachen zu haben schien, alle Einzelnheiten der Begebenheit, insofern sie dem Jünglinge selbst bekannt waren, genau und zu wiederholten Malen mittheilen. Dann schüttelte er den Kopf und sprach mit einem bittern Lächeln:

»Ich kenne den wackern Junker Roland Doneldey besser, als er selbst es weiß. Er ist offen, tapfer und redlich. Er ahnt keine Hinterlist, da der Gedanke, eine solche zu üben, seinem edlen Herzen fremd ist. Aber auch den Bergvogt kenne ich, den schurkischen, schleichenden Bösewicht, der zu jedem Verbrechen bereit ist, wenn ihn seine Habsucht, seine sklavische Unterwürfigkeit gegen den Dänen oder seine Leidenschaften dazu auffordern. Ich habe eine große Schuld an ihn abzutragen,« fuhr er zähneknirschend und mit der Hand nach dem Griff des Schwertes zuckend fort, »und die Zeit ist hoffentlich nicht mehr fern, wo ich ihm Kapital und Zinsen zurückzahlen werde. Ich hatte eine Schwester, junger Mensch – doch die Geschichte ist nicht für Euch, Eure reine Seele will ich nicht mit einer Erzählung beflecken, die von Schandthaten spricht, deren geringste der Mord eines wehrlosen Mädchens war! Aber noch Eins sey Euch gesagt! Hatte Nils Westgöthe nur einen geringfügigen Grund zum Hasse gegen Junker Roland, war dieser vielleicht in der Ausführung irgend eines ränkevollen Planes ihm in den Weg getreten, so könnt Ihr Euch versichert halten, daß Rolands Untergang kein Zufall, daß er die That einer still und heimlich brütenden Rache war.«

Der Nachen landete und beide Wandrer betraten das Ufer. Hier schieden sich zwei Wege: der eine führte gerade nach Falun hinab, der andre in die Waldgebirge, die sich seitwärts am linken Ufer des Siljan hindehnen.

»Lebt wohl!« sagte Rasmus Jute, indem er, ohne jedoch seine fast immer schwermüthige Miene zu ändern, dem Jünglinge die Hand reichte. »Auch mein Weg geht nach Falun, allein ich habe Ursache, das Dickigt der Wälder zu suchen, damit es mir Schutz biete. Ihr müßt deßhalb nicht glauben, daß ich auf schlechten Wegen wandle, daß ich eines bösen Gewissens wegen die Begegnung der Menschen zu scheuen habe. Nein, nein, Junker! Aber es gibt einen Einzigen, dem sein böses Gewissen räth, mich zu hassen und zu verfolgen, weil ihm wohl bekannt ist, daß er mir eine Beleidigung zugefügt hat, die nur durch Blut versöhnt werden kann. Er möchte mich aus der Welt, aus dem Leben stoßen, aber Rasmus Jute sieht sich vor und wird schon Zeit und Gelegenheit zu finden wissen, wo sich Alles ausgleicht.«

Claudianus wollte sich von diesem wunderlichen, in Räthseln sprechenden Manne trennen; allein dieser hielt ihn zurück und hob mit vermehrter Düsterheit in seinen Zügen wiederum an:

»Ihr seyd jung, feurig und für Euer Alter kräftig genug. Wenn Ihr eine Schandthat des Vogtes gegen Euern Freund entdecktet, so könntet Ihr Euch leicht hinreißen lassen, Rache auf der Stelle zu nehmen. Das thut dem Rasmus Jute nicht zu Leid. Ihm ist der Vogt verfallen mit Leib und Leben, er hat ein Leichenrecht auf ihn, er kann dieses nicht aufgeben um keinen Preis der Welt. Verrathet mich nicht, erinnert euch aber meiner Worte. Wenn es noth thut, laßt Euch noch sagen, daß es das unschuldig vergossene Blut eines unglücklichen Weibes ist, das durch die heiligsten Bande mir verwandt war, welches mich mahnt, dereinst ein blutiges Gericht über Nils Westgöthe zu halten, seyd verschwiegen, seyd auch vorsichtig für Eure eigene Person! Ein Verdacht, den Ihr laut werden ließet, wäre hinreichend, den schurkischen Bergvogt zu einem neuen Verbrechen zu veranlassen. Es gehn auch andre geheimnißvolle Dinge jetzt in den Thallanden vor, die eine Zukunft bereiten, in der man kühner Männer, welche die Waffen zu führen verstehen, bedürfen wird. Für diese Zeit erhaltet Euch! Es gibt dann einen heißen Kampf für das Recht, in dem Ehre und Ruhm zu erwerben sind.«

Mit raschen Schritten erklimmte nach diesen Worten Rasmus Jute den Bergpfad, der in die höhern Waldungen führte. Claudianus gab sich zu sehr seinen Gedanken an den verunglückten Roland hin, um den Aeußerungen des Mannes, der ihn so eben verlassen, eine weitere Theilnahme zu widmen. Sein ganzes Innere befand sich in einer stürmischen Aufregung. Er eilte, ohne aufzublicken, durch die Regen- und Schneeschauer, die ihm der Wind entgegenpeitschte, er fühlte die Beschwerden des Weges und der Witterung nicht, seine Phantasie führte ihm tausend Möglichkeiten an, wie der Verschüttete, durch emsige, vereinigte Anstrengungen der Bergleute vielleicht noch zu retten sey. Hatte man doch oft schon solche Verunglückte, selbst nachdem sie mehrere Tage in der gräßlichen Einsamkeit ihres Grabes geweilt, wieder an das heitre Licht des Tages gebracht und dem Leben wiedergegeben, das ihnen dann im neuen Werthe erschienen, das sie nun mehr beglückt, als früher, da sie die Schauer des nahenden Todes noch nicht gekannt!

Ganz diesen Gedanken, diesen unsichern Hoffnungen hingegeben, eilte er rastlos vorwärts, als plötzlich durch Sturm und Schneegestöber die Worte eines bekannten Liedes aus theuerm, bekannten Munde zu ihm drangen:

    »Zwölf Männer standen im Kreise,
Der immer näher kam,
Inmitten sang fröhliche Weise
Jung Roland lobesam.«

    »Inmitten schwang er verwegen
Mit leichtem, keckem Sinn,
Den alten Robertsdegen
Gegen die Mauren hin.«

    »Sie ringeln um ihn, wie Schlangen,
Da kreist sein wackrer Stahl,
Der Ring ist aufgegangen –
Wo sind die Mauren zumahl?«

In den Klängen dieses Liedes sah Claudianus mit einemmale alle seine träumerischen Hoffnungen erfüllt. Wie oft hatte es nicht Roland in frohen Stunden bei Margarethen gesungen und Claudianus ihn mit der Cyther dazu begleitet! Niemand anders als er, konnte der Sänger seyn, den noch die Dämmerung des Abends, das Gestöber des Regens und Schnee's verbargen. Claudianus rief ihn laut bei Namen; das Lied verstummte und kräftige Antwort klang zurück. Wenige Augenblicke später und Claudianus hielt Rolands Hand, drückte sie an seine Brust und hieß den verehrten Freund und Waffenmeister mit fröhlichen Begrüßungen willkommen! Alles ward nun auf dem Rückwege nach Mora besprochen und aufgeklärt. Roland verhehlte seinen Verdacht gegen Nils Westgöthe nicht, verschwieg aber, nicht aus Mißtrauen gegen den Jüngling, wohl aber aus Treue gegen Gustav Wasa, dessen Erscheinung als Retter in der höchsten Noth, dessen bedeutungsvolle Anwesenheit in Dalarne.

Es war bereits völlige Dunkelheit eingebrochen, als sie an dem Pfarrhause in Mora anlangten. Um Margarethen auf ein fröhliches Wiedersehn vorzubereiten, ließ Roland seine Stimme aufs Neue erklingen und sang aus voller kräftiger Brust noch die letzten Strophen jenes Liedes:

    »Die Mauren liegen erschlagen,
Jung Roland weiter eilt,
Daß seine Schritte ihn tragen
Hin, wo sein Liebchen weilt.«

    »Das Liebchen im schwarzen Schleier
Schon trauert, nah dem Grab:
Heim kehrt der fröhliche Freier
Und reißt den Schleier herab!«

Diese Klänge waren noch nicht verhallt, als die Thüre des Pfarrhauses sich öffnete und alle Bewohner desselben die Zurückkehrenden freudig umringten. Margarethens Wangen färbte das schöne Roth der freudigsten Ueberraschung, sie wollte sprechen, aber sie vermochte es nicht, sie stand vor Roland und blickte ihn mit unendlicher Liebe an, sie sank dann, von ihren Gefühlen überwältigt, in Freudethränen ausbrechend, an seine Brust. Der Pfarrer drängte das Paar, das eigentlich erst durch Unglück die Größe seines Glücks gefunden, ins Haus, er selbst trat, als sie im Wohnzimmer angelangt waren, zu Roland Doneldey und sprach in feierlichem Tone:

»Der Herr, der dem Seher Daniel seinen Schutz verliehen in der Löwengrube, ist zu Dir hinabgestiegen in die Nacht der Grüfte und hat Dich wieder hinaufgeführt an das heitre Licht, wo Du ihn verehren kannst in tausend herrlichen Werken. Sein Auge wacht überall, in den weiten Räumen des Himmels, in den Tiefen der Erde. Ihm allein sey Dank und Preis! Er hat Grosses an dir gethan, mein Sohn.«

Diese feierliche Anrede Jacob Pehrson's wies Margarethens stürmisch aufgeregte Freude in die Schranken eines ruhigern Genusses ihres Glückes zurück. Sie setzte sich jetzt still an ihre gewohnte Stelle, sie betrachtete mit strahlenden Blicken den Freund ihrer Seele, der nun Alles erzählte, was seit seiner Entfernung in Mora sich mit ihm ereignet hatte, ohne jedoch einen Verdacht gegen Nils Westgöthe zu erregen, der Margarethen zu neuen Besorgnissen um ihn in der Zukunft Anlaß gegeben haben würde. Fast noch mehr ergriffen und zu noch lebendigerer Freude erhoben, als Margaretha durch die Erscheinung Rolands, zeigte sich Lille über die Rückkehr des Claudianus. Sie schien ganz besondere, wunderliche Gefahren für diesen gefürchtet zu haben, deren Wesen sie nicht näher bestimmte. Sie hütete ihn mit ihren Blicken, setzte sich neben ihn, sie verstand nichts von Rolands Mittheilungen, denn sie war ganz in seltsame Träumereien versenkt, welche der Anblick des Jünglings in ihr erregte. Sie träumte von Elfen, die sein Haupt umkreisten, vom Strömkarl, der nach ihm griff, von der Sjöra, die nach ihm verlangte. Als sie ihn zum Siljansee hatte hinabeilen sehen, hatten alle Bangnisse, für welche ihr reizbares Gemüth so leicht empfänglich war, sich ihrer bemächtigt. Dieses stürmische Wetter war, nach dem Glauben der Bewohner von Dalarne, den Naturgeistern besonders günstig, jedermann war ihren Einflüssen mehr unterworfen, sie rangen dann besonders nach Opfern, wenn eine Empörung in der Schöpfung sie in ihrem geheimnißvollen Weben und Treiben störte. Deshalb hatte sich jene Besorgniß um Claudianus, der ihr durch sie der Macht der Trollen näher gebracht dünkte, ihrer Seele bemeistert, deßhalb folgte sie ihm im Geiste über die Wellen des Siljan nach dem jenseitigen Gestade, deßhalb ängstigte sie sich mit dem Gedanken, ihn werde ebensowohl, wie Roland, die Tücke übernatürlicher Gewalten treffen. Nun aber konnte sie die Freude, ihn unverletzt wiederzusehn, wiederzubesitzen, kaum verbergen. Eigenthümlich, wie Alles bei dem wunderlichen Kinde, trat auch diese hervor. Während ihre Augen auf Claudianus mit rührendem Ausdrucke weilten, rannen langsam einzelne große Thränen über die Wangen herab, auf der seltsame rothe Flecken und leicht überfliegende Zuckungen sichtbar wurden. Sie hielt die Hände auf dem Schoße gefaltet, aber ein Fieberfrost, dem sie nicht zu widerstehn vermochte, machte diese fortwährend auf und nieder beben. Sie lächelte von Zeit zu Zeit durch die Thränen hindurch und dann erwiederte Claudianus dieses Lächeln, dessen Sprache tief in das reizbare Jünglingsherz drang, welches schon längst seine Neigungen und Gefühle mit der jungen Dalekarlerin theilte.

Roland hatte eben seinen Bericht mit der wunderbaren Vereinigung der alten Helle und ihres Bräutigams, mit der Kunde von ihrem plötzlichen Tode geschlossen, als hinter dem mächtigen Ofen hervor die bekannte Stimme eines Gastes, der indessen den Pfarrhof heimgesucht, ertönte. Es war der alte Huskurer Bragi Ingemund, welcher, aufstehend und sich dem jungen Deutschen nähernd, sprach:

»Es geschehen wunderbare Dinge in den Thälern und auf den Bergen. Dort gibt die Erde ihre Todten wieder, hier müssen die Lebenden flüchten vor dem Tode. Die Seen sind ausgetreten in den Hochgebirgen und haben die Ebenen, in denen die armen Lappen wohnen, überschwemmt, dann ist ein plötzlicher Frost eingefallen und Eisfelder breiten sich über die einzige Winternahrung der unglücklichen Rennthiere, über das nährende Moos hin, so daß sie zu Tausenden Hungers sterben. Mit diesen Thieren aber verliert der Lappe Alles, denn ihre Milch, ihr Fleisch, ihr Fell befriedigt seine wenigen Bedürfnisse. Viele von ihnen haben bereits die Hochgebirge verlassen und ziehen in ganzen Schaaren hinab in die Thäler. Ich selbst bin einigen Familien begegnet, die unter dem Drucke des Elends und der Entbehrung beinahe erlagen. Ihre Zauberer sehen dieses Mißgeschick als einen Vorboten großer Begebenheiten an; sie deuten auch auf die vielen Nordlichter, die sie bereits auf ihren Bergen erschaut haben, sie sprechen von wunderlichen Gebilden, die sich in diesen gezeigt, von feurigen bewaffneten Männern, von blutig rothen Schwertern, mit welchen diese gefochten, von händeringenden Weiber- und Kindergestalten. Ich selbst stand hoch oben am Fämundsee und erlebte ein Gewitter, das unter meinen Füßen wüthete. Hat sich je dergleichen gezeigt in dieser Jahreszeit und in unserm Hochlande? Ich kann die Ahnungen der Zauberer nicht verwerfen. In diesen Ereignissen liegen wunderbare Anzeigen verborgen, die uns auf unruhige Zeiten vorbereiten.«

»Bragi Ingemund,« sagte kopfschüttelnd der alte Pfarrer, »ein Mann von Euerm Verstande, Euern Erfahrungen und Kenntnissen sollte einem blinden Heidenaberglauben, der solche Naturereignisse mit der Zukunft in eine wunderbare Verbindung bringen will, keinen Eingang in seine Seele gestatten. Was der Mensch mit gesunden Sinnen, mit klarem Geiste voraussehn kann, dazu bedarf er keiner übernatürlichen Vorbedeutungen. Unser armes Vaterland schmachtet unter der Tyrannei des Erbfeindes – wie lange wird es diese Schmach, diesen Druck noch ertragen können? Die Edlen werden verfolgt, man will sie vernichten. Ist einmal das Volk dieser Stützen beraubt, so werden auch die Unterdrückungen gegen dieses anheben. In andern Gegenden ist es schon geschehn, gegen die Dalekarlen geht man umsichtiger zu Werke, weil man sie fürchtet, weil man ihre Unerschrockenheit, ihre Kraft und ihren Muth aus frühern Kämpfen kennt. Wie sind nicht die dänischen Schergen vor ihnen geflohen, als sie unter Sten Sture mit ihren langen Spießen, mit dem sicher treffenden Bogen und Pfeil anrückten? Jetzt sind die Thalmänner lässig und ruhig geworden, weil man sie in ihren Gerechtsamen nicht stört, weil kein dänischer Soldat noch das heitre Dalarne betreten, weil sie wenig Verbindungen mit den Leuten jenseits der Berge unterhalten und das Elend nicht kennen, mit welchem der Däne das übrige Schwedenland heimsucht. Aber wenn die Reihe sie trifft, werden sie schon aus ihrem Traume erwachen. Und dann wird es an bewaffneten Männern, die kühn im Feuer stehen, nicht fehlen, dann werden die blutig rothen Schwerter sich kreuzen, dann werden die Wittwen weinen, die Waisen jammern. Ich glaube nicht, daß sich die Ereignisse der Zukunft anders gestalten können, als auf diese Art. Aber um das vorauszusehn, bedarf es keines thörichten Wahnglaubens, dem der menschliche Geist sich auf eine unwürdige Weise gefangen gibt. Wunder übt Gott durch seine Heiligen, wenn seine Weisheit sie für Noth hält: der Menschen Wunderdeutungen sind ein eitles und gefährliches Ding!«

Die Miene, mit welcher der Huskurer diese Ermahnungen des Geistlichen aufnahm, schien nicht ein völliges Eingehn in dessen Ansichten auszusprechen; jedoch besaß er bei aller Anhänglichkeit an seine durch Erziehung erzeugten, durch seine Lebensweise gepflegten Grundsätze, eine zu große Ehrfurcht vor der Würde und der Gelehrsamkeit Jacob Pehrson's, um einen Versuch zu machen, ihn zu widerlegen. Während er sich nach seinem Sitze hinter dem großen Ofen zurückzog, hatte sich Roland erhoben und brach im Tone eines fröhlich erwachenden Muthes, in die Worte aus: »Die Dalekarlen schlafen, aber ich hoffe, daß einer kommt, dessen Ruf sie erweckt. Dann bleibt das Schwert nicht länger müßig in der Scheide, dann verläßt die Armbrust ihren Platz an der Wand, dann wird der Spieß nicht mehr zur Jagd auf die Bären mitgenommen, sondern auf die Dänen, die schlimmer wüthen als die Thiere der Wildniß. Die Tage von Brän und Stäke werden sich erneuern, die schwedischen Waffen werden wieder einen guten Klang erlangen durch den ganzen Norden. Blicke nicht unwillig, Bäschen! Ich weiß doch, daß dein Herz höher schlägt, daß es sich freudiger bewegt, wenn du hörst, daß der Vetter Roland von Bremen sich wacker gehalten, daß er an der Spitze kräftiger Thalmänner diese oder jene Feste erstürmt, daß sein Name von den Kriegern mit Liebe und Achtung genannt wird. Du bist die Tochter einer freien Hansestadt, du mußt den Zwang der Tyrannei verdammen. Laßt uns dem Tage, wo die Waffen erhoben werden, wie einem Freudentage entgegensehen, den Schlachten als fröhlichen Festen!«

»So wollen wir!« rief begeistrungsvoll aufspringend Claudianus. »Ich muß mir die ersten Lorbeern verdienen, ich muß zeigen, daß ich nicht umsonst bei einem so berühmten Kriegshelden, wie Junker Roland, in die Schule gegangen. Ich habe eine heitre Zeit meines Lebens verloren, aber im Getümmel des Kampfes will ich sie wiedergewinnen. Freiheit, Freiheit! Das ist ein Ruf, der bald in alle Herzen dringen wird, bei dem sich alle Schwerter erheben werden. In Schmach und Knechtschaft habe ich gelebt, ohne sie zu erkennen; jetzt kenne ich sie und zu ihrem Verderben setze ich froh Blut und Leben ein.«

»Kein Krieg! Kein Krieg!« schrie plötzlich in schneidendem, herzdurchbebendem Tone Lille. Sie sprang auf, sie blickte starr vor sich hin und streckte beide Hände aus, als wollte sie etwas Entsetzliches von sich abwehren. »Habe ich denn nicht,« fuhr sie in demselben Tone fort, »seine Schrecken, sein Elend, sein Blutvergießen erschaut im furchtbaren Mitternachtsgesichte? Weiß ich nicht, daß du, Roland Doneldey, große Gefahr laufen, daß du, Claudianus, frühe in seinen blutigen Wogen untergehen wirst, daß Lille dann den Geistermächten zum Opfer fällt, die ein grauenhaftes Recht auf sie behaupten? Margareth, bitte mit mir diese Männer, daß sie das Thal ruhig erhalten, daß sie die Thalleute ermahnen, lieber Unbill zu erdulden, als Blut zu vergießen. Ach, es wird nichts helfen, es wird die schreckliche Zeit nicht von uns abwenden, denn, wie die alte Helle sagte, das Gewebe, das die hohen Nornen geheimnißvoll bilden, zerstört keines Sterblichen Hand!«

»Thörichtes Kind-,« nahm im ernsten, strafenden Tone der Pfarrer das Wort: »laß diese grauenhaften Gewalten, diese furchtbaren Gespensterbilder, die aus dem finstern Heidenthume so gern noch in unsre himmelsklare Zeit sich herüber drängen möchten, ruhen in der Vergessenheit, zu der sie die heilige Macht des Christenthums verbannt. Nur Einer waltet im Himmel und auf Erden, dessen Wille sich durch seinen eingebornen Sohn, durch seine Heiligen verkündet. Er vertheilt die Loose der Sterblichen, er leitet den Gang der Welt, er allein weiß, was da wahrhaft frommt, obgleich es schmerzen mag in den Augenblicken des Duldens. Alle Macht, die neben ihm wirken will, wirkt gegen ihn und gehört dem Reiche der Finsterniß an, den dämonischen Geistern die, zum Heile der Menschen, sein Gebot in den höllischen Abgrund verwiesen hat. Niemand wage es, sie dort zu stören, ihre Theilnahme am irdischen Leben aufzuregen, denn hiermit neigt er sich zu ihnen hin, wird ihnen befreundet, und verfällt endlich ganz ihrer finstern Macht!«

Lille weinte laut. Sie verbarg ihr Angesicht an der Brust Margarethen's, die zu ihr getreten war, sie vermochte lange, trotz aller Bemühungen, nicht zu sprechen, sie schluchzte krampfhaft und brach endlich, sich Gewalt anthuend, in die Worte aus:

»Warum bin ich am unglückseligen Tage geboren, warum muß ich einer Macht unterworfen seyn, die ich selbst hasse und verabscheue? Niemand glaube, daß, was ich sage, was ich thue, ein Werk meines freien Willens sey? Ringe ich nicht die Nächte hindurch im Gebete mit diesen unheimlichen Gewalten? Rufe ich nicht alle Heiligen zum Beistande, zur Hülfe im quälenden Kampfe gegen sie? Wer kann mich verdammen, wenn er nicht ihr Wesen kennt, die höllische Tücke, mit welcher sie in einsamer schwacher Stunde sich des Gemüthes bemächtigen, die Kraft, mit der sie den Willen unterjochen, die süßen Lockungen, mit denen sie die Lust nach dem Verkehr mit ihnen, den Drang nach geheimer Kenntniß, den Wunsch, die Zukunft, welche die wohlthätige Himmelsmacht weise verhüllt, zu erkennen, erregen? Oft erscheine ich mir selbst, wie eine wunderliche Gespenstergestalt, die irgend ein höhnischer Zufall in die Gemeinschaft der Menschen gebracht hat. Reden, wie sie das Alltagsleben mit sich bringt, dünken mich fremd, die gewöhnlichen Umgebungen drücken, ängstigen mich, diese Angst steigt zur entsetzlichen, unerträglichen Qual und treibt mich hinaus in die Einsamkeit der Wälder, an das stille Ufer der Seen. Dann rauscht's wunderlich in den Bäumen und in den Wellen und es ist mir, wie ich auch mit ganzer Geisteskraft mich dagegen auflehne, als habe ich die wahre Heimath gefunden, die Freunde, in deren Mitte ich mich wohlfühle. Ich gehe wie träumend umher, das eigentliche Leben ist gar nicht für mich vorhanden, ein eignes Geisterleben in der Natur tritt in meine Träume, die Elfen flüstern von den Wiesen heraus: komm her zu uns und werde eine von den Unsrigen! Du weißt nicht, wie lieblich es ist, im nächtlichen Tanze beim Mondenschein auf der Spitze der Halme einherzuschweben und den süßen Thau der Blumen zu trinken! – Steige zu uns herauf, rufen andre aus den laubigen Wipfeln der Bäume herab, und schaukle dich mit uns in den Zweigen, erwärme dich im Sternenstrahle, trinke den reinen Odem der Natur, der hier oben weht. Die Geister kennen keine Klage, kein Leid, ihr Daseyn ist Unsterblichkeit, ihre Unsterblichkeit ein ewiges, freudiges Spiel. – Dann singen die Strömkarlen aus den Wassern in süßer, unwiderstehlicher Weise: ein Edelstein ist unsre Wohnung, zahllos sind ihre Gemächer, von ewigem Glanze erhellt. Blumen neigen sich zu ihr herab, schimmernde Fische spielen an den Wänden, die Wasser umrauschen sie in süß tönender Weise. Was zögerst du, nieder zu dem Palaste zu schweben, wo du als Königin herrschen kannst? Wir wollen dich herabtragen auf gewölbten Muscheln, die Geister der Wasser sollen dir huldigen, komm! komm! Dein Widerstand ist nutzlos. Du wardst dem Strömkarl anverlobt, ehe du das irdische Leben sahest, du wirst doch dereinst auf unserm Throne sitzen, wenn du die Last des Erdenlebens nicht mehr ertragen kannst, wenn du eine Zuflucht suchst vor seinen Bedrängnissen. – Habe ich mich dann unwillkührlich verloren in diese Träumereien und lausche begierig ihren Lockungen, dann dringt oft plötzlich ein Laut des gewöhnlichen Lebens, eine Menschenstimme, der Ruf eines Vogels, in meine Seele und bringt mich zur Besinnung zurück. Ich erschrecke vor mir selbst, ich verwünsche mein willenloses Hingeben an die verführerischen Mächte, ich reiße mich mit Gewalt von der Stelle los, wo ihr Zauber mich umfing, ich fliehe, wie von einem Feinde verfolgt, unter das Treiben der Menschen. Aber wie schaal, wie klein und niedrig erscheint es mir in einer solchen Stimmung! Es ist, als hätte ich ein Paradies verlassen, wo mich Freunde umgeben und eine Wildniß betreten, deren Bewohner mich nicht begriffen und welche mir ebenso fremd seyen. Ach, und eine solche Wildniß ist mein ganzes Leben unter den Menschen! Sie verstehen mich nicht, sie verkennen meine Gefühle, sie haben keine Empfindung für meine Leiden!«

»Doch, doch, Lille!« flüsterte eine gepreßte, zitternde Stimme ihr in's Ohr: »Claudianus leidet mit dir. Er wird die unterirdischen Gewalten zum Kampfe fordern und sie zwingen, dich frei zu geben. Bist du ihrer Macht entrungen, so wird auch das Leben dich schon wieder erfreuen.«

Durch Thränen warf das Mädchen einen Blick der Rührung auf den Jüngling. Dann sah sie schwermüthig ringsumher und schwankte, auf Margarethen gestützt, aus dem Zimmer.

»Dieser Eigensinn kann durch nichts gebrochen werden;« sagte, ihr finster nachsehend, der Pfarrer. »Sie beharrt bei ihren Einbildungen und wenn man ihr die Wahrheiten der Religion zum Schutze gegen diese bietet, so wird sie beredt in der Lüge und stößt den einzigen Trost, die einzige Hülfe hartnäckig von sich.«

»Sie ist krank;« sprach besänftigend der alte Huskurer. »Dem Kranken kann man es nicht anrechnen, wenn er die Mittel oft verkennt, die zu seiner Heilung gereichen.«

»Der Herr offenbart sich allgewaltig und eindringlich jedem Gemüthe, das sich nicht absichtlich seiner Mahnung verschließt;« versetzte in einem strengen Tone der Geistliche, dem der noch in Dalarne herrschende Volksaberglaube ein Gräuel war. »Sie soll sich mit aller Liebe, aller Demuth dem Schutze Gottes und seiner Heiligen übergeben, dann wird sich Friede in ihre Seele neigen, dann wird Uebermuth und Thorheit sie nicht mehr verleiten, den Täuschungen eines Verkehrs mit übernatürlichen Gewalten ihre Seele zu öffnen. Ich kenne wohl das Gefühl, das der Lust, sich in solchen Verbindungen mit den Geistermächten zu wähnen, zum Grunde liegt. Es ist ein gotteslästerlicher, aus alten Zeiten ererbter Hochmuth, die verdammliche Eitelkeit, sich im Besitze einer Macht zu glauben, durch die man den übrigen Menschen überlegen ist, welche die Geheimnisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entschleiert. Demuth, Ergebung in den Willen Gottes ziemt dem Christen und das Licht der ewigen Wahrheit darf nicht von solchen Selbsttäuschungen verfinstert werden, wenn nicht der Anspruch auf die Seligkeit der Himmels verscherzt werden soll.«

So wenig auch die drei anwesenden Männer dem strenggläubigen Pfarrer in allen hier ausgesprochenen Ansichten beipflichteten und Bragi Ingemund besonders, der in seinem Thätigkeitskreise manchen alten Volksglauben, manche noch aus grauem Heidenthume herstammende Gewohnheit zum Guten zu benutzen wußte, sich unbedingt in diese Meinungen ergeben konnte; so versuchte doch Niemand eine Widerlegung, die, wie man wußte, den würdigen Mann nur mehr gereizt, aber nicht überführt haben würde. Auf allen lasteten auch die Folgen der Sorgen und Anstrengungen des Tages, jeder empfand das Bedürfniß der Ruhe, zu der ohnehin die späte Stunde des Abends aufforderte.



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