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Aus welchem Abgrund tratest du
Auf meinen Pfad, mich anzusehen?
Du schweigst? – Erbarme Gott sich meiner.
Aus einer dunklen Zeit, die Du in treuen Gedanken mit mir theilst, sende ich Dir dieses kleine Buch. Nimm es immer an; ich will Dir trotzdem einst noch ein anderes, größeres widmen, einen von den geschichtlichen Romanen, zu denen ich in meiner unfreiwilligen Einsamkeit feierliche Studien zu machen gedenke. Einstweilen aber gönne es mir, auf irgend eine Art zu beweisen, was für ein Herz ich zu Dir habe.
Ostrawe im November 1844.
An einem Fenster eines kleinen Zimmers, wie dies Städtchen es in einem seiner besten Häuser eben gewähren konnte, saßen eine junge blonde Frau – ein junger brünetter Mann.
Der junge Mann, Graf Carlos Chala, war Lieutenant – die junge Frau die Gattin des Adjudanten. Sie waren im Gespräche; draußen wurden eben die Heerden des Städtchens zur Abendruhe vorübergetrieben.
»Wenn ich geahnt hätte, daß Sie so wiederkommen würden!« sagte die junge Frau mit Kopfschütteln.
»Und wie hätte ich denn wiederkommen sollen, gnädige Frau? Glaubten Sie etwa gesättigt vom Leben, ermüdet vom Genuß? Ein halbes Jahr in Berlin ist nicht so unendlich gewährend.«
»Aber warum denn noch unbefriedigter? Etwas haben Sie doch gehabt.«
»Etwas – nicht genug. Eben so viel, daß der Durst geweckt, die Lebensahnung aufgeregt wurde – nicht in der kalten geistreichen Geselligkeit, ohne Enthusiasmus und Poesie, aber wenn ein Künstler mir einmal die Hand gereicht, oder die Musik einmal recht über mich kam. Dann riß es mich hin in alle Fernen – ich hätte athemlos nachstürzen mögen, und statt dessen bin ich hierher zurückgekehrt.«
Die junge Frau sagte traurig: »Ihnen wäre es besser gewesen, Sie hätten flanirt und den Hof gemacht – nicht studirt und gedacht.«
»Geben Sie sich selber die Schuld, gnädige Frau, wenn ich Sie quäle. Warum haben Sie mich erweckt? Nun wollte ich nur ausgebildet zu Ihnen zurückkehren.«
Eine andere Frau hätte es vielleicht bescheiden abgelehnt, daß sie den jungen Mann zu geistigem Streben erweckt habe. Bertha von Garnier aber sagte immer die Wahrheit, wo diese gesagt werden konnte, und so antwortete sie: »es thut mir wahrhaft leid.«
»Hätten Sie mich lieber auf immer in der Gewöhnlichkeit gesehen?«
»Ja; da Sie die unglückselige militairische Carriere ergriffen haben. O warum hat nicht ein Rath Sie zurückgehalten, da es noch Zeit war! Oder wäre es Ihnen noch möglich –«
»Ich möchte nichts Anderes. Ist es besser, über den Akten zu erblinden? Ein Diplomat könnte ich nicht sein, ich ertrüge die Convenienz nicht. Ein eleganter Pflastertreter kann ich nicht werden, weil ich arm bin, und wäre ich reich, so ruinirte ich mich vermuthlich durch das Spiel, welches mich dämonisch anziehen würde, wenn ich einmal seine Lockung anhörte. Ich kann eben nichts Besseres thun, als Rekruten einüben.«
»Da wollen Sie also eigentlich nichts.«
»Alles, das Glück.«
»Glauben Sie, das finden zu können?«
»In dem allgemeinen Elend auf der Erde, über welches einige hunderttausend Reiche erhaben sitzen?«
»Lieber Graf, Sie wissen gar nicht was Sie wollen.«
»Ja, da haben Sie Recht; das weiß ich im Innersten, und deswegen bin ich unglücklich. Aber Sie sind gewiß zum Sterben neugierig, mich singen zu hören. Ich will anfangen.«
Er setzte sich an den Flügel, der schon geöffnet war, phantasirte einen Augenblick und fing dann den Schiffer von Curschmann Carl Friedrich Curschmann (1805-1841), deutscher Komponist, vor allem von Liedern, und Sänger. »Der Schiffer fährt zu Land«, op. 15 Nr. 33 (1837), auf ein Gedicht von Friedrich Rückert. an. Athemlos hörte Bertha zu. Als er geendet hatte und sich nach ihr umwandte, sagte sie: »mein Gott, was für eine Stimme haben Sie bekommen!«
»Nicht wahr?« fragte er: »Ich dachte mir, daß mein Gesang Sie erfreuen würde. Jetzt können wir alle Duette singen, mit denen ich früher nicht fertig werden konnte. Singen wir jetzt gleich eines – etwa von Donizetti?«
»Lieber aus Don Juan;« erwiederte Bertha. Sie sangen das erste zwischen Don Ottavio und Donna Anna. Es ging überraschend gut, als hätten sie es sich ganz eingesungen. Bertha klopfte, über ihre Liebe zur Musik alles Andere vergessend, freudig in die Hände und rief: »O wie schön wird dieser Winter werden.«
»Ich freue mich auch;« sagte Chala mit einem halb mitleidigen, halb melancholischen Lächeln. »Ich dachte schon in Berlin während meiner Stunden immer an Sie, und auch als ich den unseligen Kirchenthurm dieser meiner theuern Garnison sah, und da setzte ich in Gedanken noch hinzu: ich sei doch zu etwas gut, wenn ich Ihnen durch meine Stimme etwas Freude machen könne.«
»Sie sind sehr gut,« sprach Bertha, indem sie ihn mild und fast gerührt ansah, »Sie wollen es nur nicht immer sein; aber ich kenne ihr thörichtes Herz.«
»Ganz?« fragte er, sie einen Augenblick mit scharfem Auge erfassend.
»Ich denke;« antwortete sie erstaunt, aber unbefangen.
»Ja, o ja;« sprach er leichthin. Dann sprang er auf und entschuldigte sich: es seien einige Kameraden aus den andern Garnisonen hier, um seine Ankunft zu feiern, und er habe sie eigentlich etwas unartig allein gelassen, um gleich hierher zu kommen. Er küßte der jungen Frau die Hand, nahm die Mütze und ging.
Der Kreis seiner Kameraden erwartete ihn bereits vor dem benachbarten Hause, wo unter einer Lindenlaube auf Bänken der nachmittagliche Rauchverein sich versammelte. Auch jetzt dampften die Cigarren erquicklich. Chala zündete sich ebenfalls eine an, setzte sich auf die mittelste Bank und gab auf alle mögliche Fragen bereitwillig Antwort. Was für Avancement zu hoffen sei, was der oder jener Prinz zu dem oder jenem General gesagt, welcher General gewöhnlich am gröbsten sei, was für Veränderungen in der Uniformirung vorgeschlagen seien, ob die Husaren die neuen Mützen behalten würden, und dergleichen mehr. Dafür hörte Chala die ausführlichen Biographien sämmtlicher Pferde, die neu in das Regiment gekommen waren, die Schicksale, welche die ihm bereits bekannten in seiner Abwesenheit gehabt, die Geschichte eines Jagdrennens, bei welchem einer der Herren den ersten Preis gewonnen, und was noch sonst dergleichen Herrlichkeiten waren, die für die künftigen Vaterlandsvertheidiger unendlich interessant und für die übrige Menschheit tödtend langweilig sind. Des Todes einiger Freunde wurde nebenbei erwähnt.
Der Adjudant kam gleich, nachdem Chala sich empfohlen, eilig zu seiner Frau herein. »Mein liebes Kind, bis jetzt hat mich der Oberstlieutenant am Knopf festgehalten; jetzt muß ich zu den Kameraden – Chala begrüßen. Lebe recht wohl; ich esse heut Abend mit ihnen; warte nicht auf mich.« Er küßte sie herzlich, und die junge Frau war wieder allein.
Aber sie blieb es nicht lange – nicht lange in dem Nachsinnen, in welches sie gesunken war. Ihr kleiner Knabe steckte das Köpfchen zur Thür hinein und bettelte: Mutter möge in Garten kommen. Freudig folgte sie dem kleinen holden Locker. Der Garten war nur sehr klein und von Mauern und Dächern eingeschlossen, aber der Himmel mit rosigen Gewölken schwebte über ihm, die Vögel zwitscherten auf den Dächern, ein Kirschenbaum duftete, das Tulpenbeet schimmerte in seinem bunten Glanze. Die junge Frau war in dieser engen, armen Einschließung ebenso kindlich glücklich, wie ihr Knabe; sie jagte sich mit ihm, sie setzte sich mit ihm unter den Kirschenbaum und lehrte ihn die Gewölke ansehen, sie erzählte ihm von dem Leben der Bienen, die zwischen den Blüthen summten. Als er dann mit stolzem Bewußtsein mit der Mutter ganz ordentlich zu Abend gespeist hatte, legte sie selber ihn zum Schlafe nieder und war glücklich, daß er so schön im Einschlafen aussah. Heiter besorgte sie dann ihre letzten Geschäfte. Aber als auch sie lag und wie immer, einen friedlichen Schlaf erwartete, da erwachte wieder die Aufregung in ihr, in welcher sie bei dem ungewöhnlichen Gesange und schon bei dem Gespräche vorher gewesen. Die Musik schwebte geisterartig um sie her, und sie that an sich bange Fragen über den Freund, der so gar keine Anlage habe, glücklich zu werden. Endlich empfand sie eine ängstliche Ermüdung und sehnte sich recht einzuschlafen. »Ich will für ihn beten,« dachte sie, »Gott wird das Beste für ihn wissen.« Das Gebet beruhigte sie und sanft, als hätte ein Engel sie auf die Augen geküßt, entschlief sie zu ihrem gewohnten traumlosen Schlaf.
Der Graf schlief nicht. Er hatte den Abend über in dem Gasthause, wo die männliche Gesellschaft des Städtchens sich allabendlich versammelte, Billard gespielt; Karten nahm er nie an, weil er kein Glück und kein Geld hatte. Als er allein in seiner neuen, noch unheimlichen Wohnung war, fragte er sich, welches Leben er wohl an diesem Orte und in dieser Gesellschaft ertragen werde. »Ertragen ich kann es nicht!« rief er. Die Gewißheit, daß er es müsse, daß eben dieses Leben das einzige für ihn sei, brachte ihn fast zur Raserei. Dennoch war es so. Die Hälfte seines kleinen Vermögens hatte er während des Aufenthaltes in Berlin aufgebraucht. Die andere Hälfte ging darauf, wenn er sich bei dem geringen Gehalte die nächsten zehn Jahre hindurch ohne Schulden erhalten wollte. Es blieb ihm noch übrig, in fremde Dienste, etwa nach Algerien zu gehen, aber erstens ist auch dazu Geld nöthig und dann widerte ihn, der, leider, mit allen unseligen Ansprüchen eines alten Namens erzogen worden war, alles Abentheuerliche an. In Spanien hätte er allenfalls für das ihm heilige Princip der Legitimität kämpfen mögen; doch dieser Kampf Der erste der sog. »Carlistenkriege« endete 1840. Die Carlistenkriege teilten seit 1833 Spanien in zwei Lager; sie stellten Auseinandersetzungen dar, in welchen die Zentralmacht (wenngleich mitunter nur knapp) die Oberhand behalten konnte, ohne andererseits der carlistischen Bewegung endgültig Herr werden zu können, und werfen ein Schlaglicht auf den spanischen Sonderweg: Während im 19. Jh. und namentlich um 1848 in vielen Ländern Europas progressive Revolutionäre gegen ihre konservativen Staatsspitzen aufstanden, hatte es in Spanien umgekehrt eine liberale Staatsspitze mit einem Aufstand von Konservativen zu tun. Im Kern handelt es sich um einen innerspanischen Kulturkampf, der sich von der napoleonischen Besatzung bis zum Spanischen Bürgerkrieg von 1936 hinzog und in immer neuen Bürgerkriegen ausgefochten wurde. Der Ausgangspunkt: die Frage der Legitimität der Thronfolge (Isabella oder Carlos), bildete mit seinen dynastischen Zielsetzungen lediglich den Vordergrund. hatte aufgehört. Es blieb ihm also keine Aussicht, als die in das erbärmlichste Einerlei. Er stand vor seinen Pistolen still und berührte das eine; aber er wandte sich voll Abscheu ab. Er war vierundzwanzig Jahr alt, und das Leben in ihm, das noch ohne alle Erschöpfung war, empörte sich. Dieses Letzte blieb ihm immer noch. In dieser Nacht durchmaß er mit hastigen Schritten immer und immer wieder das ärmliche Gemach, die Lippen gepreßt, die Arme verschränkt. Es gelang ihm, zur Betäubung zu kommen, und als der Morgen anbrach, fiel er auf dem Sopha in dumpfen Schlaf.
Bleich kam er am andern Morgen mit neuen Noten, die er mitgebracht, zu Bertha; aber sein Auge erwachte bald aus der Abspannung, in der es sich gar nicht ähnlich sah. Es war lieblich in der Gegenwart der jungen Frau; sie sprach, sie blickte und lächelte mit so süßer Heiterkeit; alles Geräusch, welches so hörbar in einem kleinen Haushalt ist, war in dem ihrigen gestillt, durch ihre geräuschlose Geschäftigkeit, die sie immer frei ließ, wenn ein Besuch kam, oder ihr Mann ihrer bedurfte. Auch der Kleine störte nicht; er war nicht der kleine Quälgeist seiner Mutter, sondern ihre Freude und die aller besuchenden Freunde. Chala erröthete zwischen Bertha und ihrem Kinde fast vor der Erinnerung an seine nächtliche Raserei. Es kam über ihn, wie es in der Frühe in einem duftigen Walde über die Empfindung kommt, gleich einem Athem voll Balsam, lind und beruhigend. Er hoffte, ohne recht zu wissen was seine Hoffnung sei, auf irgend eine überirdische Erlösung, ohne Grund, auf dem er fußen konnte; doch ertrug er wenigstens die Gegenwart.
Es gestaltete sich nun zwischen Bertha und Chala ganz, wie es gewesen war, ehe er nach Berlin ging. Er kam regelmäßig Abends und erlaubten es der Dienst und die Kameradschaft, auch am Tage auf Stunden, und dann wurde gelesen, oder gesungen, – gesprochen seltener – Chala entging den Gesprächen, die ihn aus seinem augenblicklichen Ausruhen auftreiben konnten. Der Gesang allein hätte jedoch hinreichende Beschäftigung gewährt. Etwas hatte sich aber doch geändert! – früher war Bertha dem jungen Manne überlegen und gewissermaßen seine Lehrerin gewesen – jetzt hätte er ihr Lehrer sein können. Er ward es nicht, d. h. er tadelte nie; aber die junge Frau horchte ihm das Bessere ab und bildete sich ihm nach. Auch im Lesen nahm sie von ihm an. Sie hatte die in einer Mittelstadt nicht ganz gewöhnliche Gelegenheit gehabt, von der Erzieherin eines befreundeten Hauses englisch zu lernen; Chala hatte es in Berlin gründlich erlernt. Die junge Frau liebte Moore und Shakspeare – Chala brachte ihr Byron und Burns, beides Dichter brennender Worte, nur daß die Glut Byrons eine verfeinerte ist, während bei Burns das Feuer gerade heraus aus dem siedenden Blute schlägt. Bertha horchte diesen flammenden Dichtungen – erbleichte und erglühte unter dem Horchen; aber wenn Chala schwieg und sie aufgeathmet hatte, dann war ihr Gesicht eben so klar, wie vorher, ihre schönen braunen Augen blickten ihn unschuldig an, und sie sang mit frischer Lust, oder tändelte, selbst ein Kind mit ihrem Kinde. Nur die Musik und die Dichtung schienen über dieses krystallene Gemüth Gewalt zu haben.
Das Verhältniß wurde auf mehrfache Art besprochen. Das Haus, dessen Oberstock Garniers bewohnten, gehörte einem Arzt, welcher Wittwer war und eine einzige Tochter hatte. Dieses junge Mädchen hatte sich in der völligen Unabhängigkeit, in welcher der originelle Vater sie ließ, zu einem ebenfalls originellen Charakter ausgebildet, welcher unbarmherzige Satyre über alles Gewöhnliche und naiven Enthusiasmus für alles Liebenswürdige in seltsamer Mischung enthielt. An Stoff zu der einen, wie zu dem andern fehlte es Antonien nie, da sie überall mit großen, klugen Augen Beobachtungen machte. In die höhere Gesellschaft des Städtchens war sie nicht aufgenommen; denn die schloß sich so feierlich ab, als repräsentirte sie den letzten Adel auf der Erde. Bertha jedoch, die zu frisch war, um nicht die Damen ihrer Gesellschaft oft etwas einschläfernd zu finden, hatte eine herzliche Bekanntschaft mit dem geistvollen Mädchen geschlossen, und Antonie war oft die Dritte bei der Musik. Antonie nun erklärte von Bertha: »Die Frau von Garnier ist ein Engel, und wer das nicht einsieht, der muß gar kein menschliches Gefühl haben; aber der Mann, der verdient sie in aller Ewigkeit nicht. Ja, gut ist er, und er läßt sie leben; aber sonst thut er auch nichts für sie – gar nichts; denn er kann sie weder interessiren, noch glücklich machen, und wenn ein Mann das nicht kann, wozu hat ihn denn da die Frau? Der Herr von Garnier kann seine Frau nicht einmal ungeheuer lieben, dazu ist er viel zu alltäglich – er kann also gar nichts für sie. Ich möchte gar zu gern erfahren, wie die Frau ihn heirathen konnte, und wenn ich wie der Graf Chala wäre, ich verliebte mich rasend in sie, mit so einer Liebe, daß sie heiliger wäre, als jedes Gesetz. Der Graf Chala kann gewiß so lieben – er hat leidenschaftliche Augen – das habe ich beim Gesange mehr, als einmal bemerkt, und er äußert auch nie etwas Alltägliches, oder gar etwas Gewöhnliches; der Herr von Garnier dagegen bringt nie andere, als ganz alltägliche Aeußerungen heraus, und ich habe selbst schon recht gewöhnliche Meinungen von ihm gehört.«
In der Gesellschaft der jungen Frau und des Grafen wurde anders geurtheilt.
»Es ist ja noch ärger, als es war; seinem Betragen nach hat er sich einzig und allein für sie ausgebildet;« meinte eine andere junge Offiziersfrau. »Ich habe die Garnier immer sehr geliebt; aber ich muß sie jetzt tadeln.«
»Es kann ihm nicht verdacht werden,« brummte ein junger, großer Offizier, der gymnasiastenhaft krumm saß und mehr als zwei Ellenbogen zu besitzen schien, so eckig bewegte er die Arme – »die Frau ist hübsch; wenn ich englisch könnte und singen – ich möchte gleich statt Chala's bei ihr sein; ich könnte es auch, denn ich bin ruhig; aber mit Chala wird es noch zu Unglück kommen.«
»Das ist ja prächtig,« sagte ein älterer Offizier mit einem satyrischen Munde in einem geistreichen Gesichte. »Ich habe eine ordentliche Passion dafür, meine Freunde unglücklich zu sehen.«
»Eine schöne Freundschaft!« rief eine Dame aus der Nachbarschaft.
»Ja, gerade, denn da werden sie unendlich interessanter.«
»O interessant genug ist Graf Chala,« erwiederte die junge Offiziersfrau, »und Herr von Garnier ist ganz das Gegentheil, aber deswegen ist seine Frau durchaus nicht entschuldigt.«
Der junge Ehemann selbst dachte ganz sorglos über diese Angelegenheit, wenn eine bis jetzt so natürliche und einfache Bekanntschaft überhaupt als eine Angelegenheit behandelt werden sollte. Oefter als das vergangene Jahr hindurch, kam er zu den Kameraden, in deren Gesellschaft er sich eben so heimisch fühlte, wie Chala dieselbe ungeduldig ertrug. »Ich kann es wieder;« sagte er lachend; »Chala unterhält mir meine Frau.« Als der Offizier mit dem satyrischen Munde ihn fragte, ob er denn nicht eifersüchtig sei, lachte er lustig. Auf eine zweite Frage antwortete er ein so ernstes Nein, daß die dritte ihm erspart blieb. Chala hielt bisweilen im Gespräche, oder im Vorlesen inne, wenn Eduard, so hieß der junge Ehemann, hinein kam. Dieser schien es einige Male nicht zu bemerken; endlich aber äußerte er doch eines Tages: »Du scheinst zu glauben, daß ich deinen Geist und den deiner Lieblingsdichter nicht begreifen könne? Unrecht hast du eigentlich damit nicht; aber, lieber Freund, es schadet gar nichts; trotz dem liebe ich meine Frau, und sie liebt mich und ist sehr glücklich mit mir; nicht wahr, liebes Kind?« Und er küßte sie herzlich. Bertha nickte dem heitern jungen Manne freundlich zu; Chala antwortete: er habe daran nie gezweifelt. Die Antwort klang jedoch nicht ganz aufrichtig, und Chala kam einige Tage hindurch seltener und nur auf kurze Zeit. Bei einer schicklichen Gelegenheit sprach er einmal etwas scharf die allgemeine Bemerkung aus, daß der Kuß ein heiliges Geheimniß zwischen Liebenden bleiben müsse, selbst wenn die Ehe sie gesichert und geschützt. Einmal in fremder Gegenwart ausgetauscht sei er unauslöschlich entweiht. Bertha empfand im Innersten ihres weiblichen Gefühls ganz mit dem Grafen; aber eben deswegen berührte seine Aeußerung sie so empfindlich, daß sie mit unwilligem Erröthen schwieg. Eine leichte Kälte gegen Chala blieb auch mehrere Tage lang bei der sonst so lieblich unbefangenen Frau sehr bemerkbar. Chala beeiferte sich, durch erneuerte Aufmerksamkeit Bertha wieder zu gewinnen, es gelang ihm; sie bedurfte seiner Gesellschaft so sehr. Auch blieb er von nun an bis zum Ausrücken des Regimentes unverändert liebenswürdig, und mit Bedauern und in vollkommener Zufriedenheit miteinander sagten Beide sich für die Dauer des Manövers Lebewohl.