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Siebentes Kapitel.

Es war natürlich, daß Alix mehr an ihre Liebe dachte, als an die, welche Chala einzuflößen, sie hoffte, denn ihre Liebe war kein Echo, keine Erwiederung, sondern die freie, schöne Schöpfung ihres Herzens. Ebenso dachte sie auch nur an das Glück des Grafen – nebenbei nur an das ihre. Das waren ungefähr ihre Gedanken: »er wird mich aus Dankbarkeit für meine Liebe lieben, und ich werde durch sein Glück glücklich werden.«

Ein Aufenthalt für die Annäherung Chala's meinte Alix, konnte es sein, daß sie reich, er arm war. Er konnte ja ihre Gesinnungen darüber nicht kennen. Diese ihm zu erkennen zu geben, legte Alix ihre Liebe keusch und freimüthig zugleich in ihre schönen, dunklen Augen.

Chala las sie darinnen, und vor dieser Hingebung, welche durch ihre Reinheit heilig wurde, kam eine Reue über sein Herz, wie er sie nie möglich geglaubt. Gern hätte er sich mit seinem Blute von seinem Gewissen losgekauft; aber Alix mit einem gleichen Blicke antworten – er konnte es nicht. Er kam seltener; Alix wurde blaß und unruhig.

Bertha hatte ebenfalls in den Augen des jungen Mädchens gelesen, und auch in Chala's Herzen, so weit es Alix betraf. Ein Gedanke daran, daß Chala sie lieben könne, hatte ihre Seele noch nicht berührt; aber das wußte sie, daß sie dem Grafen mehr sei, als Alix ihm je werden könne, und darum that Alix ihr leid, und sie beschloß, die keimende Neigung mit schonender Hand aus dieser jungen Brust zu ziehen. Daß sie schon im Leben wurzele, glaubte Bertha nicht, und so dachte sie: »der armen Alix erspare ich Schmerz, und Chala mögliche Vorwürfe.«

Es muß daran erinnert werden, daß Bertha des Grafen geheimes Benehmen nie geahnt, sondern es für ebenso tadellos gehalten hatte, wie sein äußerliches immer geblieben war.

Als daher Alix eines Morgens zu ihr kam, lenkte sie ohne merkbare Absicht das Gespräch auf Chala und sprach ihre Ansicht über seine Ansprüche aus.

Alix erröthete erst, als sie seinen Namen hörte; dann erblaßte sie mehr und mehr, je länger Bertha sprach. Ein neuer, schneidender Schmerz kam in ihr zur bewußten Empfindung: die Eifersucht. Bewußtlos hatte sie ihn schon gefühlt, als sie noch glaubte, daß sie den Grafen fürchte. Wie diese Furcht Liebe, so war der Unwille gegen Bertha Eifersucht gewesen, aber Alix hatte weder sich, noch ihre innersten Regungen gekannt. Jetzt litt sie zum erstenmale deutlich. Bertha sprach ganz einfach, selbst tadelnd von Chala; aber sie sprach, als wäre sie bekannt in seiner Seele und er hätte kein Geheimniß vor ihr. Alix erhob sich bald; Bertha lud sie nicht zum Bleiben ein; die junge Frau hatte gesagt, was zu sagen sie für ihre Pflicht gehalten hatte, und fand es natürlich, daß Alix sich darüber in der Einsamkeit fassen wollte.

Aber Alix faßte sich nicht, als sie hinter sich den schützenden Riegel ihres Schlafzimmers zugeschoben hatte – sie brach in bittere, leidenschaftliche Thränen aus. Die Möglichkeit, auf ewig allein zu lieben, erschien ihr plötzlich wie ein entsetzliches Meteor, in dessen Beleuchtung alle bekannte Gegenstände sich schauerlich verwandelten. »Ist es so, wie sie sagt,« dachte sie in unaussprechlicher Angst, »daß nur ein idealisches Geschöpf ihn zur Liebe rühren kann, da bin ich elend, denn ich bin nur ein armes alltägliches Mädchen, und ich liebe ihn. Und es ist so; sie muß es wissen; denn sie ist seine Freundin – ihr theilt er seine innersten Gedanken mit. O, ich wollte ja auch nichts weiter, als die erfahren und das Recht haben, ihn zu trösten; ich will nur ihn lieben dürfen, nur seine Frau sein. Aber er heirathet nie ohne Liebe, sagt sie, und er wird mich nie lieben – das lag in ihrem Gesicht – ich las ihre Meinung deutlich – zu deutlich. O, Gott, heiliger Gott, warum hast Du mich so arm erschaffen?«

Alix begriff länger nichts von ihrer eigenen Lieblichkeit. Die ächte Liebe schätzt sich gering und den Geliebten unermeßlich hoch. Es ist das sehr heilig, aber schmerzlich zum Vergehen. Auch Alix verging fast, und als der Graf weder an diesem, noch an dem nächsten Abende kam, da senkte ihr junger Kopf sich in tiefer Hoffnungslosigkeit.

Bertha, sich rein dem Glauben, gut gehandelt zu haben, erwartete Chala, um es ihm zu erzählen, aber auch zu ihr kam er diese beiden Tage nicht; es war eine große Jagd in der Nähe; da betäubte er sich in Eiskälte und Geräusch. Am dritten gegen Mittag kam er endlich langsam auf das Haus zu. Bertha saß am Fenster und blickte ihm mit einer uneingestandenen aber großen Freude entgegen. Eben wollte er die letzten Schritte thun, da kam aus einer kleinen Straße Alix hervor. Das junge Mädchen mußte an ihm vorüber; er begrüßte es achtungsvoll und fragte was man nach zwei Tagen so fragt. Alix antwortete in derselben Art; aber ihr zitterndes Auge, ihre wechselnde Farbe, ihre bebende Stimme, Alles erzählte etwas Anderes: die Wahrheit. Chala fühlte, daß er jetzt erkannt sei, und es erschütterte ihn bis zum Erblassen. Diese furchtbare Erkenntniß – er ahnte nicht, woher Alix sie empfangen; er fragte sich nur, welchen Eindruck sie auf das unschuldige Mädchen gemacht. Mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke blickte er Alix nach, als sie weiterging; dann wandte er sich heftig von dem Hause ab, in welches er eben hatte eintreten wollen. Bertha hatte die Begegnung der Beiden mit starrem Auge, mit halbgeöffnetem Munde angesehen. »Liebte er sie doch?« fragte sie sich, und ihre Brust zog sich so krampfhaft zusammen, daß ihr fast der Athem versagte. Bewegungslos blieb sie stehen, bis Chala in eine Straße eingebogen war. Dann faltete sie bebend die Hände und sagte leise vor sich hin: »Gott sei mir gnädig; ich glaube, ich liebe ihn.«

Es war so; es war lange so gewesen; aber erst an dem fremden, brennenden Weh hatte die unschuldige junge Frau es erkannt.

Einige Augenblicke lang blieb sie in kalter, bleicher Betäubung; dann faßte sie sich zu einem kurzen inbrünstigen Gebete. Mit innerm Muthe, – wie wenige Männer ihn haben dürften, prüfte sie ihr Herz und ihre Kraft. Es war in ihr kein Kampf, kein Gedanke daran, ihre Liebe zu entschuldigen, oder mit ihrem Gewissen zu feilschen. Das Bewußtsein ihrer Pflicht lag ganz und klar vor ihr; die einzige Frage, die sie an sich selbst richtete, war die: ob sie stark genug sein werde, ihre Pflicht zu erfüllen? Mit einem schmerzlichen Danke gegen Gott erkannte sie, daß sie noch Kraft genug besitze, um es zu können. Da athmete sie auf und löste die Hände von der klopfenden Brust. Die junge Frau hatte in diesen Minuten, die über ihr Leben entschieden, nicht geweint; eine tiefe Blässe, eine ungewohnte Begeisterung im Auge bewiesen allein, daß sie eine große Prüfung überstanden. Jetzt lächelte sie, als ihr Mann kam. Er bemerkte nichts; die Lippen der jungen Frau bebten etwas, als er sie mit seinem gedankenlosen Kusse berührte; aber das Lächeln blieb auf ihnen. Es wäre vielleicht in manchem Augenblicke leichter zu sterben, als zu lächeln. Dagegen ist gewiß, daß es für ein bewegtes Herz keine größere Gefahr giebt, als Alleinsein. Die junge Frau bemerkte das bald, als der Mittag vorüber war und Eduard wieder bei seinen Geschäften saß. Die Gegenwart des Kleinen genügte nicht; denn sie bedurfte nur der Gedanken der Mutter, nicht derer der Frau. Bertha entschloß sich rasch und ging zu Antonien hinunter. Dieses frische Mädchen hatte immer Leben mitzutheilen; auch heute gab es ein unerschöpfliches Geplauder zwischen Beiden. Antonie war mit ganzer Lebhaftigkeit dabei; die junge Frau richtete muthig ihre Gedanken auf diese erste Aufgabe.

Als Antonie, wie fast immer, über Chala sprach fühlte Bertha ein Beben in ihren Händen. Ihre Stimme aber klang fest vor ihrer Entschlossenheit, und unbefangen, als wäre es noch gestern und sie noch unwissend und glücklich, antwortete sie Antonien.

Dagegen richtete sie die großen Augen ernstlich fragend auf Antonie, als diese mit einer eigenthümlichen Betonung äußerte: »auch Fräulein von der Burg bin ich heute begegnet.« – »Was ist daran Ungewöhnliches?« fragte Bertha. – »Daran ist nichts,« antwortete Antonie; »aber an dem Aussehen des Fräuleins war etwas. Das ganze schöne Gesicht war wie von Schmerz verklärt. Es ist das ein Ausdruck, der mir eigentlich sehr gefällt, aber an Fräulein Alix möchte ich ihn doch lieber nicht sehen – dazu habe ich sie zu lieb.« Bertha schwieg gedankenvoll; Antonie fragte: »glauben Sie nicht auch, daß der Graf Chala da nicht ganz gut gehandelt hat?« – »Bemerkten Sie je eine Huldigung von ihm gegen Alix?« fragte Bertha zurück. – »Ach, die hat der Graf nicht nöthig um von einem so jungen Mädchen geliebt zu werden,« erwiederte Antonie. »Dazu ist es genug an seiner häufigen Gegenwart.«

Die junge Frau schwieg wieder. Als sie am Abend allein war, fragte sie sich: »ist es eigentlich denkbar, daß Chala, so schön wie Alix ist, kalt gegen ihre Liebe bleiben sollte? Und ich – sprach ich mit ihr aus reinen Beweggründen?« Ernst antwortete Bertha sich darauf mit Nein und nahm sich vor, dem Grafen, sollte er ja noch unentschlossen sein, ihrer Ueberzeugung nach zu einer ernstlichen Bewerbung um Alix zuzureden.

Er kam auch an diesem Abend nicht mehr; erst am nächsten Tage gegen Sonnenuntergang trat er langsam, fast zögernd in ihr Zimmer.

Bertha glaubte, ihn wie gewöhnlich zu empfangen; dennoch hatte Chala noch nie so deutlich den Abgrund ermessen, der ihn von ihr schied. Er suchte jedoch den Ursprung dieser Empfindung in dem Entschlusse, den er gefaßt: noch diesen Abend um Alix anzuhalten.

Aus seiner Reue entstanden, beruhigte dieser Entschluß ihn in Etwas. Resignirt, wie er glaubte, kam er jetzt, um Bertha, außer seiner schuldigen Liebe, Alles mitzutheilen und einen innern stummen Abschied von ihr zu nehmen.

Es war jedoch nicht leicht, einen Anfang zu finden, und Bertha konnte ihm daher zuvorkommen.

Sie fragte ihn, natürlich genug, d. h. nach den ersten alltäglichen Reden ohne alle Einleitung: »wissen Sie, daß ich während Ihrer Abwesenheit aus allzuguter Absicht recht albern gewesen bin?«

Erstaunt bat Chala um eine Erklärung. Die junge Frau erzählte ihm, ihren ganzen Muth sammelnd, wie sie in dem Glauben, er liebe Alix nicht, diese unmittelbar vor ihm gewarnt. Chala hörte zu, ohne Bertha anzusehen; ihm schlug das Herz vor unsinniger Hoffnung. Da endete Bertha mit den Worten: »und das war eben albern, – denn Sie lieben Alix.«

Chala blickte rasch empor – er wollte nein antworten. Aber Bertha lächelte – mit dem Schmerz in ihrer Seele lächelte sie, wie bei einer heitern Neckerei; Chala sah das Lächeln – den Schmerz ahnte er nicht, und als daher Bertha ausrief: »läugnen Sie nicht – ich sah Ihnen gestern zu!« antwortete er: »ich läugne es so wenig, daß ich es Ihnen eben gestehen wollte.«

Die junge Frau erblaßte; aber die Abendröthe bedeckte eben ihr Gesicht, und so schien es zu glühen, und der Graf mußte zu heftig in sich kämpfen, um ihre Bewegung gewahren zu können.

Auch wankte sie nur einen Augenblick lang in ihrem Muthe. Im nächsten schon sagte sie mit inniger und fester Stimme: »ich danke Gott für diese Liebe. Es ist das Glück, das er Ihnen sendet.« – »Ja, das Glück,« wiederholte der junge Mann; »ich bin auch ungeduldig, es zu besitzen. Erlauben Sie mir daher, Ihnen Lebewohl zu sagen. Ich will augenblicklich anhalten.«

Er berührte mit seinen Lippen frostig ihre Hand. Die Lippen zuckten ihm – ihre Hand war eiskalt. Als er das Zimmer verlassen hatte, drückte sie die Hand auf das Herz; es schien zerspringen zu wollen.

Chala ging rasch nach dem Burg'schen Hause. Er brauchte eine Viertelstunde, um es zu erreichen. Die Zimmer waren bereits erleuchtet; aber die Familie war noch allein.

Bedeutungsvoll grüßte der Graf das junge Mädchen, dem es bei seinem Eintritt dünkte, die Erde bebe. –

Der gute Major hatte eine unglückliche Eigenschaft – er war immer da, wo er in irgend einer Art stören konnte. Auch heute war er der Schatten seiner Tochter, und es blieb dem Grafen unmöglich sich ihr zu nähern, ehe die gewöhnliche Gesellschaft kam.

Alix sehnte sich unsäglich nach einem Augenblick, um sich zu sammeln. Kaum sah sie sich, wie sie glaubte, unbemerkt genug, als sie, gleich als fiele ihr irgend eine Besorgung ein, aus dem Saale in die anstoßenden Zimmer ging. Aus dem letzten derselben führte eine Thür auf den Hausflur. Alix öffnete sie; da trat Chala ihr entgegen; er hatte den Saal eine Sekunde nach ihr von der andern Seite verlassen und war rasch durch den Corridor und den Hausflur gekommen. Einen leisen Schrei ausstoßend bebte Alix zurück. Er folgte ihr in das Zimmer und schloß die Thür.

»Vergebung,« sagte er dann. »Aber ich mußte heute noch zu Ihnen sprechen; mein Geschick hängt davon ab.«

Er stand vor ihr und blickte auf sie nieder, auf sie, die schon sein war, ehe er noch um sie geworben. Ihre Augen waren zu Boden gesunken. Kaum konnte sie sich halten, daß sie nicht auch sank. Eine ernste Rührung kam über Chala. Langsam kniete er vor dem unschuldigen Mädchen nieder. »Alix,« sprach er feierlich, »ich verdiene Sie nicht; aber – wollen Sie mein sein?«

Die Kraft verließ sie. Der Uebergang von der Hoffnungslosigkeit zur vollkommenen Erfüllung hatte sie betäubt – sie konnte nicht mehr, sie schwankte – Chala sprang empor, fing sie auf, trug sie zum Sopha. Da lag sie fast besinnungslos an seiner Brust. Ueberwältigt von dieser Liebe, die er fand, preßte er sie an sich, küßte ihre Lippen. »Ich will wenigstens Sie glücklich machen;« dieses Gelübde sprach er lautlos über die schönen geschlossenen Augen aus.

Als Alix sich erholt hatte, sprach er ernst, männlich, fast väterlich zu ihr. Er sagte ihr nicht: »ich liebe Dich;« ihn schauerte davor, diese Stunde durch eine Lüge zu entweihen – aber er sagte ihr: »Alix, ich will Sie lieben, wie Sie es werth sind – ich will Sie glücklich machen, und Sie sollen die Mittlerin zwischen mir und dem Leben sein.«

Dann gönnte er ihr eine kurze Entfernung und kehrte zur Gesellschaft zurück. Alix kam ebenfalls bald wieder; ihre Augen wichen den seinigen aus; doch ihr Antlitz blühte in Bräutlichkeit.

Gegen das Ende des Abends fand der Graf Gelegenheit der Majorin die Bitte zuzuflüstern, daß sie ihn am nächsten Morgen allein annehmen möchte. Frau von der Burg gewährte mit einem feinen Lächeln. –

Als gegen Mitternacht Chala in seiner Wohnung war, fragte er sich mit dumpfer Verzweiflung: »was habe ich gethan?« Die ungeheuerste Leidenschaft trieb ihn hin, zu Bertha's Füßen zu sterben. Er stand ihr; aber der fürchterliche Kampf warf ihn endlich fast ohne Besinnung danieder.



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