Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 2
Alexander Dumas

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Wie der König am 14. Juli 1789 zu Abend speiste.

Auf ein Wort von Marie Antoinette wurde dem König auf einem kleinen Tische im Kabinett der Königin aufgetragen.

Aber es geschah dann ganz das Gegenteil von dem, was die Königin gehofft hatte. Ludwig XVI. ließ Stillschweigen gebieten, doch nur, um in seinem Abendbrot nicht gestört zu werden.

Während Marie Antoinette sich alle Mühe gab, um den Enthusiasmus anzufachen, verschlang der König.

Die Offiziere fanden diese gastronomische Sitzung nicht würdig eines Abkömmlings vom heiligen Ludwig und bildeten Gruppen, deren Gedanken durchaus nicht so ehrerbietig waren, als die Umstände es heischten.

Die Königin errötete, ihre Ungeduld offenbarte sich in allen ihren Bewegungen. Diese feine, aristokratische, nervöse Natur konnte eine solche Herrschaft der Materie über den Geist nicht begreifen. Sie näherte sich dem König, um diejenigen, welche sich vom Tische entfernten, dahin zurückzuführen.

Sire, sagte sie, haben Sie keine Befehle zu geben?

Ah! ah! erwiderte der König mit vollem Munde, was für Befehle, Madame? Werden Sie in diesem Augenblick unsre Egeria sein?

Und während er diese Worte sprach, nahm er mutig ein junges Feldhuhn mit Trüffeln in Angriff.

Sire, sagte die Königin, Numa war ein friedlicher König. Heute aber denkt man allgemein, wir brauchen einen kriegerischen König, und wenn sich Eure Majestät das Altertum zum Muster nehmen soll, so muß sie, da sie nicht Tarquinius sein kann, Romulus sein.

Der König lächelte mit einer Ruhe, die an Glückseligkeit grenzte.

Sind diese Herren auch kriegerisch? fragte er.

Und er wandte sich gegen die Offiziere um, und sein von der Hitze des Mahles belebtes Auge kam den Anwesenden von Mut glänzend vor.

Ja, Sire! riefen alle einstimmig, den Krieg! wir verlangen nur den Krieg!

Meine Herren, meine Herren, sprach der König, Sie machen mir in der That das größte Vergnügen, indem Sie mir beweisen, daß ich bei Gelegenheit auf Sie zählen kann. Aber ich habe für den Augenblick einen Rat und einen Magen: der erste wird mir raten, was ich thun soll, der zweite rät mir, was ich thue.

Und er lachte und reichte demjenigen, welcher ihn bediente, seinen Teller voll von Überresten, um einen frischen zu nehmen.

Ein Gemurmel des Erstaunens und des Zorns durchlief wie ein Schauer diese Menge von Edelleuten, die auf ein Zeichen des Königs all ihr Blut vergossen hätten.

Die Königin wandte sich ab und stampfte mit dem Fuß.

Der Prinz von Lambescq ging auf sie zu und sagte zu ihr:

Sie sehen, Madame, Seine Majestät denkt ohne Zweifel wie ich, es sei besser, zu warten. Das ist Klugheit, und obgleich es nicht die meinige ist, so ist die Klugheit doch leider eine in unsern Zeitläuften notwendige Tugend.

Ja, mein Herr, ja, sie ist eine sehr notwendige Tugend, erwiderte die Königin, indem sie sich auf die Lippen biß.

Und traurig zum Tod, lehnte sie sich an den Kamin an, das Auge in der Nacht verloren, die Seele in Verzweiflung versenkt.

Diese zwiespältige Stimmung des Königs und der Königin fiel aller Welt auf. Die Königin hielt nur mit Mühe ihre Thränen zurück. Der König aß mit jenem sprichwörtlichen Appetit der Familie Bourbon fort.

Nach und nach entstand auch eine Leere im Saal. Die Gruppen schmolzen, wie in den Sonnenstrahlen der Schnee in den Gärten schmilzt, der Schnee, unter dem sodann stellenweise die schwarze, trostlose Erde erscheint.

Als die Königin die kriegerische Gruppe verschwinden sah, auf die sie so sehr gerechnet hatte, glaubte sie ihre ganze Macht verschwinden zu sehen. Aus dieser Erstarrung wurde sie durch die sanfte Stimme der Gräfin Jules aufgeweckt, die sich ihr mit Frau Diana von Polignac, ihrer Schwägerin, näherte.

Beim Tone dieser Stimme erschien die süße Zukunft, mit ihren Blumen und ihren Palmen, wieder im Herzen dieser stolzen Frau; eine aufrichtige und wahrhaft ergebene Freundin war mehr wert, als zehn Königreiche.

Oh! du, du, murmelte sie, die Gräfin Jules in ihre Arme schließend, es bleibt mir also eine Freundin?

Und lange zurückgehalten, entschlüpften die Thränen ihren Augenlidern, rollten an ihren Wangen herab und übergossen ihre Brust; doch statt bitter zu sein, waren diese Thränen süß, statt zu bedrücken, erleichterten sie ihr Herz.

Während eines kurzen Stillschweigens, das nun eintrat, hielt Marie Antoinette die Gräfin beständig in ihren Armen.

Die Herzogin, ihre Schwägerin an der Hand haltend, brach das Stillschweigen.

Madame, sagte sie mit einer so schüchternen Stimme, daß sie beinahe beschämt klang, ich glaube nicht, daß Eure Majestät den Plan tadelt, den ich ihrem Urteil unterwerfen will.

Welchen Plan? fragte die Königin aufmerksam; sprechen Sie, Herzogin, sprechen Sie!

Und während sie sich anschickte, auf die Herzogin Diana zu hören, lehnte sich die Königin auf die Schulter der Gräfin.

Madame, fuhr die Herzogin fort, die Meinung, die ich aussprechen will, kommt von einer Person, deren Autorität Eurer Majestät nicht verdächtig sein wird, sie kommt von Ihrer Königlichen Hoheit Madame Adelaide, der Tante des Königs.

Welche Umschweife, liebe Herzogin, sagte die Königin heiter, zur Sache.

Madame, die Umstände sind traurig. Man hat die Gunst, der sich unsre Familie bei Eurer Majestät erfreut, sehr übertrieben. Die Verleumdung befleckt die erhabene Freundschaft, die Sie uns im Austausch für unsre ehrfurchtsvolle Ergebenheit huldreich bewilligen.

Nun! versetzte die Königin mit einem Anfang von Erstaunen, finden Sie nicht, daß ich herzhaft genug gewesen bin? Habe ich nicht gegen die öffentliche Meinung, gegen den Hof, gegen das Volk, selbst gegen den König meine Freundschaften aufrecht erhalten?

Oh! Madame, im Gegenteil, Eure Majestät hat ihre Freunde so edelmütig in Schutz genommen, daß sie ihre Brust allen Streichen entgegengesetzt, so daß heute, da die Gefahr groß, sogar furchtbar ist, die von Eurer Majestät so edel verteidigten Freunde feige und schlechte Diener wären, wenn sie nicht ihrer Königin Gleiches mit Gleichem vergelten würden.

Oh! das ist gut, das ist schön, sagte Marie Antoinette, indem sie die Gräfin, die sie immer noch an ihre Brust gepreßt hielt, voll Begeisterung küßte und Frau von Polignac die Hand drückte.

Aber statt das Haupt unter dieser Liebkosung ihrer Königin stolz zu erheben, sah man beide erbleichen.

Madame Jules Polignac machte eine Bewegung, um sich von den Armen der Königin loszuwinden, doch diese hielt sie gegen ihren Willen an ihrem Herzen zurück.

Aber, stammelte Diana von Polignac, Eure Majestät begreift wohl nicht recht, was wir ihr anzukündigen die Ehre haben, um die Schläge abzuwenden, die ihren Thron, ihre Person, vielleicht wegen der Freundschaft, mit der sie uns beehrt hat, bedrohen. Es ist ein schmerzliches Mittel, ein für unsre Herzen bitteres Opfer, wir müssen uns jedoch demselben unterziehen, denn es ist uns von der Notwendigkeit geboten.

Bei diesen Worten war die Reihe, zu erbleichen, an der Königin. Denn sie fühlte nicht mehr die mutige und treue Freundschaft, sondern die Furcht; aus dieser Einleitung sprach die Furcht, unter dem Schleier dieser schüchternen Zurückhaltung war die Angst versteckt.

Lassen Sie hören, Herzogin, sagte sie, sprechen Sie, was für ein Opfer ist das?

Oh! es ist durchaus nur ein Opfer für uns, Madame, antwortete die Herzogin. Wir sind, Gott weiß warum, in Frankreich verhaßt. Indem wir Ihren Thron von unsrer Last befreien, werden wir ihm den Glanz, die ganze Wärme der Liebe des Volkes wiedergeben, eine Liebe, die durch unsre Gegenwart erstickt oder zurückgedrängt worden ist.

Sie sollen sich entfernen, rief die Königin betroffen aus, wer hat das gesagt? wer hat das verlangt?

Und sie schaute die Gräfin, die den Kopf senkte, voll Bestürzung an, und schob sie sanft mit der Hand von sich.

Ich nicht, erwiderte die Gräfin Jules. Ich verlange im Gegenteil zu bleiben.

Doch diese Worte wurden mit einem Ton gesprochen, der besagen wollte: Befehlen Sie mir zu reisen, Madame, und ich werde reisen.

Marie rächte sich für den Schmerz, den sie empfand, nur durch den eiskalten Blick, mit dem sie ihre Freundin umhüllte.

Ah! Herzogin Diana, das ist Ihre Ansicht? sagte sie, während sie ihre Brust mit ihrer fieberhaften Hand zusammenpreßte.

Ach! Madame, erwiderte diese, es ist nicht meine Wahl, es ist nicht mein Wille, der mir diktiert, was ich zu thun habe, es ist das Gebot des Geschicks.

Ja, Herzogin, sprach Marie Antoinette. Und sich zur Gräfin Jules umwendend: Und Sie, Gräfin, was sagen Sie?

Die Gräfin antwortete durch eine Thräne, so brennend wie ein Gewissensbiß, doch ihre ganze Kraft hatte sich in der Anstrengung, die sie gemacht, erschöpft.

Gut, sagte die Königin, gut; es ist mir süß, zu sehen, wie sehr ich geliebt bin. Ich danke, meine Gräfin, ja, Sie sind hier Gefahren preisgegeben, ja, die Wut dieses Volkes kennt keinen Zügel; ja, Sie haben recht, und ich allein war wahnsinnig. Sie verlangen, zu bleiben, das ist Aufopferung, aber ich nehme diese Aufopferung nicht an!

Die Gräfin Jules schlug die Augen zur Königin auf. Doch statt die Ergebenheit der Freundin darin zu lesen, las die Königin nur die Schwäche des Weibes.

Herzogin, sagte Marie Antoinette, Sie sind also entschlossen, abzureisen?

Und sie legte einen besondern Nachdruck auf das Wort Sie.

Ja, Eure Majestät.

Ohne Zweifel auf eines Ihrer Güter . . . auf ein entferntes . . . sehr entferntes.

Madame, um zu reisen, um Sie zu verlassen, sind fünfzig Meilen ebenso schmerzlich, als fünfhundert.

Sie gehen also ins Ausland?

Ach! ja, Madame.

Ein Seufzer zerriß das Herz der Königin, kam aber nicht über ihre Lippen.

Und wohin gehen Sie?

An den Rhein, Madame.

Gut. Sie sprechen deutsch, Herzogin, sagte die Königin mit einem unbeschreiblich traurigen Lächeln, und ich habe es Sie gelehrt. Die Freundschaft Ihrer Königin wird Ihnen wenigstens zu etwas genützt haben, und das macht mich glücklich.

Dann wandte sie sich an die Gräfin Jules und sprach: Ich will Sie nicht trennen, meine liebe Gräfin. Sie wünschen zu bleiben, und ich schätze diesen Wunsch. Aber ich, die ich für Sie fürchte, will, daß Sie reisen, ich befehle Ihnen zu reisen.

Und sie hielt an dieser Stelle inne, erstickt durch Gemütsbewegungen, die sie, trotz ihres Heldenmutes, vielleicht nicht die Kraft gehabt hätte zu bewältigen, wäre nicht plötzlich die Stimme des Königs an ihr Ohr gedrungen, der an allem, was wir hier erzählten, keinen Anteil genommen.

Seine Majestät war beim Nachtisch.

Madame, sagte der König, es ist jemand bei Ihnen; man macht Sie darauf aufmerksam.

Aber, Sire, rief die Königin, jedes andre Gefühl als das der königlichen Würde abschwörend, vor allem haben Sie Befehle zu geben. Sehen Sie, es sind nur drei Personen hier geblieben, doch das sind diejenigen, mit welchen Sie zu thun haben: Herr von Lambescq, Herr von Bezenval und Herr von Broglie. Befehle, Sire, Befehle!

Mit schwerfällig zögerndem Auge schaute der König auf.

Herr von Broglie, sagte er, was denken Sie von alledem?

Sire, antwortete der alte Marschall, wenn Sie Ihre Armee aus der Nähe der Stadt Paris entfernen, so wird man sagen, die Pariser haben Sie geschlagen. Lassen Sie aber dieselbe in Ihrer Nähe, so muß Ihre Armee die Pariser schlagen.

Gut gesprochen! rief die Königin, dem Marschall die Hand drückend.

Gut gesprochen! wiederholte Herr von Bezenval.

Der Prinz von Lambescq allein schüttelte stillschweigend den Kopf.

Nun! und hernach? sagte der König.

Befehlen Sie: Marsch! erwiderte der alte Marschall.

Ja . . . Marsch! rief die Königin.

Gut! da Sie es alle wollen: Marsch! versetzte der König.

In diesem Augenblick übergab man der Königin ein Billet folgenden Inhalts: Um Gottes willen! keine Übereilung, Madame! Ich erwarte eine Audienz von Eurer Majestät.

Seine Handschrift! murmelte die Königin.

Dann wandte sie sich um und fragte: Ist Herr von Charny bei mir?

Er kommt soeben ganz staubig und, ich glaube sogar, ganz blutig an, antwortete die Vertraute.

Einen Augenblick Geduld, meine Herren, sagte die Königin zu Herrn von Bezenval und Herrn von Broglie; erwarten Sie mich hier, ich kehre bald zurück.

Und sie ging in größter Eile in ihr Boudoir.

 


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