Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 2
Alexander Dumas

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Der Brustharnisch.

Am andern Morgen erhob sich, glänzend und rein, wie am vorhergehenden Tage, eine blendende Sonne und vergoldete den Marmor und den Sand von Versailles.

Die Königin war um fünf Uhr aufgestanden. Sie ließ den König bitten, sogleich nach seinem Erwachen zu ihr zu kommen.

Ein wenig ermüdet durch den Empfang einer Deputation der Nationalversammlung, der bei ihrer Erscheinung am vorhergehenden Tag hatte antworten müssen, – das war der Anfang der Reden, – hatte Ludwig XVI., um sich von seiner Müdigkeit zu erholen, und damit man nicht sagen sollte, die Natur komme bei ihm zu kurz, etwas länger geschlafen.

Kaum hatte man ihn angekleidet, als die Bitte der Königin, während er seinen Degen nahm, zu ihm gelangte:

Er faltete leicht die Stirne und sagte: Wie, die Königin ist schon aufgestanden? Ist sie noch krank?

Nein, Sire.

Und was will die Königin so frühzeitig von mir?

Ihre Majestät hat nichts geäußert.

Der König nahm ein erstes Frühstück und ging zu Marie Antoinette.

Er fand die Königin ganz angekleidet wie für einen feierlichen Empfang, schön, bleich, Ehrfurcht gebietend. Sie empfing ihren Gemahl mit jenem kalten Lächeln, das wie eine Wintersonne auf den Wangen der Königin glänzte, wenn sie an großen Empfangstagen des Hofes der Menge einen Strahl zuwerfen mußte.

Der König begriff die Traurigkeit dieses Lächelns und dieses Blickes nicht. Er war nur über eines besorgt, nämlich über den wahrscheinlichen Widerstand, den Marie Antoinette in Beziehung auf den am Tage vorher gefaßten Plan leisten würde.

Wieder eine neue Laune, dachte er.

Darum faltete er die Stirne.

Die Königin verfehlte nicht, durch die ersten Worte, die sie vernehmen ließ, diese Meinung bei ihm zu verstärken.

Sire, sagte sie, ich habe seit gestern wohl überlegt.

Ah! da kommt es, dachte der König.

Ich bitte, Sire, schicken Sie alles weg, was nicht zum Vertrautesten gehört.

Der König gab murrend seinen Hofleuten Befehl, sich zu entfernen.

Eine einzige von den Frauen der Königin blieb bei Ihren Majestäten: das war Madame Campan.

Da legte die Königin ihre schönen Hände auf den Arm des Königs und sprach:

Warum sind Sie schon angekleidet? das ist schlimm.

Wie, schlimm! warum?

Ließ ich Sie nicht bitten, sich nicht anzukleiden, ehe Sie hieher kämen? Ich sehe Sie mit der Weste und dem Degen, während ich hoffte, Sie würden im Schlafrock kommen.

Der König schaute sie ganz erstaunt an.

Diese Laune der Königin erweckte in ihm eine Menge seltsamer Gedanken, deren Neuheit gerade den Eindruck des Sonderbaren noch verstärkte.

Was haben Sie, sagte er zur Königin, beabsichtigen Sie das, worüber wir gestern miteinander übereingekommen, zu verzögern oder zu verhindern?

Keineswegs, Sire.

Ich bitte Sie, nur keinen Spott mehr über einen Gegenstand von solchem Ernst! Ich muß, ich will nach Paris gehen, ich kann mich nicht mehr hievon frei machen. Mein Hausstaat ist bestellt; die Personen, die mich begleiten werden, sind schon seit gestern bezeichnet.

Sire, ich beabsichtige nichts, doch . . .

Bedenken Sie, sprach der König, der sich stufenweise belebte, um sich Mut zu geben, bedenken Sie, daß die Nachricht von meiner Reise nach Paris schon den Parisern hat zukommen müssen, daß sie sich vorbereitet haben, daß sie mich erwarten; daß die sehr günstige Stimmung, die nach der Vorhersagung diese Reise in den Geistern erregt hat, sich in eine unheilvolle Feindseligkeit verwandeln könnte. Bedenken Sie endlich . . .

Aber, Sire, ich bestreite Ihnen nicht, was Sie mir zu sagen mich beehren, ich habe mich gestern gefügt und bin auch heute ergeben.

Warum dann diese Umschweife, Madame? Warum dann diese Fragen über meine Kleidung, über meine Pläne?

Ueber die Kleidung, jawohl! erwiderte die Königin, indem sie abermals jenes Lächeln versuchte, das durch sein fortwährendes Verschwinden immer düsterer wurde. Ich wünschte, Sie würden Ihr Kleid ablegen.

Scheint es Ihnen nicht anständig? Es ist ein seidenes Kleid von veilchenblauer Farbe. Die Pariser sind gewohnt, mich so gekleidet zu sehen; sie liebten bei mir diese Farbe, auf der überdies ein blaues Band gut steht. Sie haben es mir oft selbst gesagt.

Sire, ich habe keine Einwendung gegen die Farbe Ihres Kleides zu machen.

Gegen was denn?

Gegen das Futter.

Wahrhaftig, Sie machen mich neugierig mit diesem ewigen Lächeln . . . das Futter . . . welcher Scherz . . .

Ah! ich scherze nicht.

Gut, nun betasten Sie meine Weste, mißfällt sie Ihnen auch? Taffet, weiß und Silber, eine Garnitur, die Sie mir selbst gestickt haben, eine von meinen Lieblingswesten.

Ich habe auch nichts gegen die Weste.

Wie sonderbar sind Sie: ist es der Busenstreif, ist es das Hemd von gesticktem Batist, was Ihnen mißfällt? Ei! muß ich mich nicht putzen, um meine gute Stadt Paris zu besuchen?

Ein bitteres Lächeln faltete die Lippen der Königin, ihre Unterlippe besonders, die man ihr als Österreicherin so sehr zum Vorwurf machte, verdickte sich, als ob sie von allen Giften des Hasses und des Zornes geschwollen wäre.

Nein, Sire, sagte sie, ich tadle nicht Ihre schöne Toilette, es ist immer das Futter, immer, immer.

Das Futter meines gestickten Hemdes! ah! erklären Sie sich endlich!

Nun wohl, ich erkläre mich. Der König, gehaßt, überlästig, der sich in die Mitte von siebenmalhunderttausend triumph- und revolutionstrunkenen Parisern werfen will, der König ist kein Fürst des Mittelalters; und dennoch müßte er heute seinen Einzug in Paris in einem guten eisernen Panzer, unter einem Helm von gutem Mailänder Stahl halten; dieser Fürst müßte es so einrichten, daß keine Kugel, kein Pfeil, kein Stein, kein Messer den Weg zu seinem Fleische finden könnte.

Das ist im Grunde wahr, sagte Ludwig XVI. nachdenkend; doch, meine Freundin, da ich weder Karl VIII., noch Franz I., noch sogar Heinrich IV. heiße, da die Monarchie von heute nackt ist unter dem Sammet und der Seide, so werde ich nackt unter meinem seidenen Kleide gehen, ja, ich werde mit einem Zielpunkte gehen, der Kugeln lenken kann. Ich habe den Ordensstern auf dem Herzen.

Die Königin gab einen erstickten Seufzer von sich.

Sire, sagte sie, wir fangen an uns zu verstehen. Sie werden sehen, Ihre Frau scherzt nicht.

Sie machte Madame Campan, die im Hintergrunde des Zimmers geblieben war, ein Zeichen, und diese nahm aus einer Schublade einen Gegenstand von breiter, flacher, länglicher Form, der in ein seidenes Tuch gehüllt war.

Sire, sagte die Königin, das Herz des Königs gehört vor allem Frankreich, das ist wahr, doch ich glaube auch, daß es seiner Frau und seinen Kindern gehört. Ich, für meinen Teil, will nicht, daß dieses Herz den feindlichen Kugeln ausgesetzt sei. Ich habe meine Maßregeln getroffen, um meinen Gemahl, meinen König, den Vater meiner Kinder vor allem zu schützen.

Zu gleicher Zeit nahm sie aus der seidenen Umhüllung ein Bruststück von feinen, stählernen, mit einer so wunderbaren Kunst gekreuzten Panzerringelchen, daß man hätte glauben sollen, es sei ein arabischer Stoff, dergestalt war durch den Einschlag der Mohr nachgeahmt, so viel Geschmeidigkeit und Elasticität fand sich im Gewebe und Spiel der Oberflächen.

Was ist das? sagte der König.

Betrachten Sie es, Sire.

Ein Bruststück wie mir scheint.

Ja, Sire, ein Bruststück, das bis an den Hals schließt, mit einem kleinen Kragen, der, wie Sie sehen, den Kragen der Weste zu verdoppeln bestimmt ist.

Der König nahm die Unterweste in seine Hände und untersuchte sie neugierig.

Als die Königin diese wohlwollende Aufmerksamkeit sah, war sie erfüllt von Freude.

Der König schien ihr mit Wonne jede der Maschen dieses wunderbaren Netzes zu zählen, das mit der Dehnbarkeit einer wollenen Strickerei unter seinen Fingern wogte.

Das ist wunderbarer Stahl, sagte er, und eine herrliche Arbeit.

Nicht wahr?

Ich weiß wahrhaftig nicht, wo Sie sich das haben verschaffen können.

Ich habe es gestern von einem Manne gekauft, der es mir seit langer Zeit für den Fall, daß Sie in den Krieg ziehen würden, angeboten.

Das ist wunderbar! wunderbar! sagte der König, der die Sache als Künstler prüfte.

Und das muß Ihnen stehen, Sire, wie eine Weste von Ihrem Schneider.

Oh! glauben Sie?

Probieren Sie es.

Der König sprach nicht ein Wort; er mißtraute selbst seinem veilchenblauen Kleid.

Die Königin zitterte vor Freude; sie half Ludwig XVI. die Orden ablegen und Madame Campan das übrige.

Der König legte selbst seinen Degen ab. Wer in diesem Augenblick das Antlitz der Königin betrachtet hätte, würde es von jener Klarheit des Triumphes erleuchtet gesehen haben, welche die höchste Glückseligkeit widerstrahlt. Der König ließ sich seine Halsbinde ausziehen, und die zarten Hände der Königin steckten den stählernen Kragen darunter.

Dann befestigte Marie Antoinette selbst die Spangen dieses Bruststücks, das, um den Druck des Stahls auf das Fleisch zu schwächen, mit seinem Büffelleder gefüttert, auf eine bewunderungswürdige Art an die Körperform sich schmiegte.

Dieses Bruststück ging tiefer herab, als ein Küraß, und beschützte den ganzen Körper.

Waren Weste und Hemd darüber angezogen, so bedeckten sie es völlig. Es vermehrte nicht um eine halbe Linie die Dicke des Leibes und gestattete, ohne irgend eine Beengung zu verursachen, jede Bewegung.

Ist es sehr schwer? fragte die Königin.

Nein.

Sehen Sie doch meinen König an! welch ein Wunder, nicht wahr? sagte die Königin händeklatschend und gegen Madame Campan gewendet, welche die Knöpfe an den Aermeln des Königs vollends zumachte.

Madame Campan äußerte ihre Freude ebenso naiv, als die Königin.

Ich habe meinen König gerettet! rief Marie Antoinette. Versuchen Sie diesen unsichtbaren Panzer, legen Sie ihn auf einen Tisch, versuchen Sie es, ihn mit einem Messer zu durchschneiden, versuchen Sie es, ihn mit einer Kugel zu durchbohren, versuchen Sie es! versuchen Sie es!

Oh! machte der König mit einer Miene des Zweifels.

Versuchen Sie es, wiederholte Marie Antoinette in ihrer Begeisterung.

Ich würde es aus Neugierde gern thun, versetzte der König.

Thun Sie es nicht, es ist unnötig, Sire.

Wie, es ist unnötig, daß ich die Vortrefflichkeit Ihres Wunders probiere!

Ah! so sind die Menschen! denken Sie, ich hätte dem Zeugnis eines andern, eines Gleichgültigen Glauben geschenkt, da es sich um das Leben meines Gatten, um das Heil Frankreichs handelt?

Es scheint mir doch, das haben Sie gethan, Antoinette, Sie haben einem andern Glauben geschenkt.

Sie schüttelte den Kopf mit einer reizenden Hartnäckigkeit.

Fragen Sie, sagte sie auf Madame Campan deutend, fragen Sie diese gute Campan, was wir heute morgen gethan haben.

Mein Gott! was denn? fragte der König im höchsten Maße neugierig.

Heute morgen, was sage ich, heute nacht, haben wir, wie zwei Tolle, alles Dienstpersonal entfernt und uns in dessen Zimmer, das ganz hinten im Bau der Pagen liegt, eingeschlossen. Wir haben uns versichert, daß uns niemand überraschen konnte, ehe wir unsern Plan ins Werk gesetzt.

Campan hielt den Sack, in dem dieser Brustharnisch verschlossen war, ich, ich trug ein langes deutsches Jagdmesser von meinem Vater, diese unfehlbare Klinge, die so viele Wildschweine tötete.

Campan schloß drei Thüren und verpolsterte die dritte; wir befestigten den Brustharnisch an der Wand, auf der Gliederpuppe, die zum Ausspannen meiner Kleider dient, und ich versetzte mit einer festen Hand, das schwöre ich Ihnen, dem Küraß einen Messerstich; die Klinge bog sich, sprang aus meinen Händen und fuhr zu unserm großen Schrecken in den Boden.

Teufel! rief der König,

Warten Sie doch, sage ich Ihnen. Campan hob die Klinge auf und sprach zu mir: Sie sind nicht stark genug, Madame, und Ihre Hand zitterte vielleicht; ich, ich werde kräftiger sein. Sie werden sehen. Sie ergriff das Messer und gab der an der Wand befestigten Gliederpuppe damit einen so mächtigen Stoß, daß meine arme deutsche Klinge auf den Maschen völlig abbrach. Sehen Sie, hier sind die zwei Stücke, Sire. Ich will Ihnen aus dem, was übrig ist, einen Dolch machen lassen.

Oh! das ist fabelhaft, rief der König; und keine Bresche?

Eine Schramme auf dem obersten Kettenglied, und es sind, mit Ihrer Erlaubnis, drei übereinander.

Ich möchte das sehen.

Sie werden es sehen. Und die Königin entkleidete den König mit einer wunderbaren Behendigkeit, um ihn schneller ihre Ideen und ihre Großmut bewundern zu lassen.

Hier ist eine etwas verdorbene Stelle, wie mir scheint, sagte der König, indem er mit dem Finger auf eine leichte, an der Oberfläche befindliche etwa einzöllige Niederdrückung deutete.

Das ist von der Pistolenkugel, Sire.

Wie, Sie haben auch mit der Pistole geschossen?

Ich zeige Ihnen die abgeplattete, noch schwarze Kugel. Sehen Sie; glauben Sie nun, daß Ihr Leben in Sicherheit ist?

Sie sind ein Schutzengel, sprach der König, während er langsam das Bruststück aufhakte, um die Spur des Messerstichs und der Kugel besser zu betrachten.

Beurteilen Sie meine Angst, teurer König, als ich den Pistolenschuß auf den Panzer thun mußte, sagte Marie Antoinette. Ach! es war noch nichts, den abscheulichen Lärm zu machen, vor dem ich so sehr Angst hatte; aber, indem ich auf das für Ihren Schutz bestimmte Bruststück schoß, kam es mir vor, als schösse ich auf Sie selbst; ich hatte bange, Sie zu verwunden, ich befürchtete ein Loch zu sehen, und dann waren meine Arbeit, meine Bemühungen, meine Hoffnung auf immer ruiniert.

Teure Antoinette, sagte Ludwig XVI., wieviel Dank bin ich Ihnen schuldig!

Und er legte den Brustharnisch auf den Tisch.

Ei! was machen Sie denn? fragte die Königin.

Und sie nahm das Bruststück und reichte es zum zweiten Mal dem König.

Doch er erwiderte mit einem Lächeln voll Anmut und Adel: Nein ich danke.

Sie schlagen es aus? rief die Königin.

Ich schlage es aus.

Oh! bedenken Sie doch, Sire.

Sire . . . flehte Madame Campan.

Es ist die Rettung; es ist das Leben.

Genug! genug! rief der König.

Oh! Sie weigern sich, aber sie werden Sie töten!

Meine Liebe, wenn die Edelleute im achtzehnten Jahrhundert im Felde sind, so sind sie es mit einem Kleide von Tuch, mit Weste und Hemd, das ist für die Kugeln; stellen sie sich auf den Boden eines Ehrenkampfes, so behalten sie nur das Hemd, das ist genug für den Degen. Ich, ich bin der erste Edelmann meines Reiches, ich werde weder mehr noch weniger thun, als meine Freunde. Ueberdies: da wo sie Tuch nehmen, habe ich allein das Recht, Seide zu tragen. Ich danke, meine liebe Frau, ich danke, meine gute Königin, ich danke.

Ah! rief die Königin, zugleich in Verzweiflung und entzückt, warum hört ihn seine Armee nicht?

Der König aber hatte sich ruhig vollends angekleidet, ohne daß er den Akt des Heldenmuts, den er vollbracht, nur zu begreifen schien.

Kann denn eine Monarchie verloren sein, die in solchen Augenblicken ihren Stolz findet? murmelte die Königin.

 


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