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Der Leser wird nicht vergessen haben, daß im früheren Kapitel von einem Edelmann gesprochen wurde, der sich La Mole nannte und der von Heinrich von Navarra mit großer Ungeduld erwartet wurde. Dieser junge Mann betrat – genau so wie es der Admiral vorhergesagt hatte – am Abend des 24. August 1572 Paris durch das Tor Saint-Marcel. Indem er einen ziemlich verächtlichen Blick auf die zahlreichen Gasthöfe zu seiner Rechten und Linken und ebenso auf die aufdringlichen buntfarbigen Aushängeschilder warf, ließ er sein dampfendes Pferd bis in das Innere der Stadt vorgehen und hielt es erst bei der Straße von Bresec an. Er hatte den Platz Maubert überquert, den Petit-Pont, die Brücke Notre-Dame passiert und war dann längs der Quais bis an das Ende der genannten Straße gekommen, die heute Straße von Arbre-Sec heißt, und die wir im weiteren Verlauf der Erzählung, der besseren Zurechtfindung wegen, mit dem gegenwärtigen Namen bezeichnen wollen.
Dieser Name gefiel scheinbar dem Reiter, denn er lenkte sein Pferd in diese Straße und, als er zu seiner Linken eine an einem Mauerhaken knarrende prachtvolle Eisentafel bemerkte, an welcher außerdem noch kleine Metallglocken klingelten, hielt er sein Pferd zum zweiten Male an und entzifferte auf dem Schilde die Worte: »Zum schönen Sternbild«. Diese Worte waren in Umschrift um ein Bild gesetzt, das in schmeichelhaftester Weise dem hungrigen Wanderer eine Verheißung vorspiegelte: inmitten eines dunklen Himmelsgewölbes erglänzte ein bratendes Huhn, während ein Mann in rotem Mantel seine Hände, eine Börse und sein verlangendes Gesicht gegen dieses neuartige Sternbild gerichtet hielt.
»Das ist einmal eine Herberge, die sich vorteilhaft ankündigt,« sagte sich der Edelmann, »der Wirt muß ein schlauer Fuchs sein. Ich habe immer gehört, daß sich die Straße von Arbre-Sec in der Nachbarschaft des Louvre befindet und, wenn diese Wirtschaft nur einigermaßen mit dem Aushängeschild übereinstimmt, dann werde ich mich ja hier ganz wohl befinden.«
Während sich der Neuangekommene diesem Selbstgespräch widmete, verhielt sich ein anderer Reiter, der vom zweiten Ende der Straße, also aus der Straße Saint-Honoré gekommen war, ebenso begeistert vor dem Aushängeschild des Gasthofes »Zum schönen Sternbild«.
Der junge Mann, der uns wenigstens dem Namen nach bekannt ist, ritt einen Schimmel spanischer Rasse und trug ein schwarzes Wams, das mit Jetsteinen geziert war. Sein Mantel war aus dunkelviolettem Samt, seine Stiefel aus schwarzem Leder, seine Waffen bestanden aus einem Degen mit feingesticheltem Griff und aus einem gleichartigen Dolche. Seinem Gesicht nach mußte er ein Mann von vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren sein. Es war sonnverbrannt und mit einem Schnurrbärtchen geziert. Blau waren die Augen, und weißglänzend die Zähne. Sein Mund, der fein und vollkommen schön geformt war, konnte sich zu einem süßen und schwermütigen Lächeln öffnen, und dann erleuchtete immer ein seltsam gewinnender Glanz das ganze Gesicht.
Der zweite Reiter bildete geradezu einen Gegensatz zum erstgenannten. Unter dem Hut mit aufgestülpter Krempe lugte sein volles, gekräuseltes Haupthaar hervor, das eher rot als blond war. Unter dem feurigen Haarschopf blitzten ein paar graue Augen auf, die unter Anpassung an diese lebhafte Farbe fast schwarz aussahen.
Eine rosige Gesichtsfarbe, schmale Lippen, ein falber Schnurrbart und zwei herrliche Zahnreihen vervollständigten das Antlitz dieses Edelmannes. Man konnte ihn in jeder Beziehung einen hübschen Mann nennen und das im besten Sinne des Wortes, wenn man auch seine feine Hautfarbe, seine hohe Gestalt und seine breiten Schultern berücksichtigte. Nicht umsonst hatten sich die Frauen öfters nach ihm umgesehen, als er unter dem Vorwand die Gasthausschilder zu betrachten, seinen Blick zu allen Fenstern hob. Die Männer hatten wohl Lust zu lachen, als sie den engen Mantel, die gespannten Beinkleider und die altertümlichen Stiefel des Edelmannes bemerkten. Sofort aber war ihnen alle Lust hierzu vergangen; das Lächeln, das sie mit einem »Gott behüte uns« freimütig begonnen hatten, war erstorben, als sie das sonderbare Antlitz beobachtet hatten, das sich in einer Minute wenigstens zehnmal verändern konnte, hingegen ausnahmslos den Ausdruck der Gutmütigkeit verriet, wie man ihn stets bei verblüfften Leuten aus der Provinz bemerken kann.
Er war es, der sich zuerst an den anderen Edelmann wandte. Während dieser noch immer die Gastwirtschaft »Zum schönen Sternbild« betrachtete, sprach er ihn mit folgenden Worten an: »Verdammt! Mein Herr,« – unter hundert Fremden hätte man an der schauderhaften Aussprache der Bergbewohner sofort den Piemontesen erkannt – »sind wir hier nicht in der Nähe des Louvre? In jedem Fall scheint mir, daß Sie die gleiche Geschmacksrichtung haben, wie ich, und das ist für meine Art und Stand sehr schmeichelhaft!«
»Ich vermute in der Tat, daß dieser Gasthof dem Louvre benachbart ist, mein Herr,« antwortete der andere in der Aussprache der Provence, die in keiner Beziehung der piemontesischen nachstand. »Immerhin frage ich mich noch, ob ich die Ehre haben werde, mit Ihnen gleicher Meinung gewesen zu sein, denn ich überlege eben noch!«
»Sie sind noch nicht entschlossen? Das Haus ist doch einladend, oder sollte es nur Ihre Gegenwart sein, die mich beeinflußt hat? Dessenungeachtet müssen Sie aber eingestehen, daß die Malerei da schön ist?«
»Oh! ganz ohne Zweifel. Doch gerade dieses Bild läßt mich an den entsprechenden Tatsachen zweifeln. Man hat mir erzählt, daß Paris von Betrügern wimmle; mit einem derartigen Aushängschild kann man ebenso betrügen wie mit anderen Dingen.«
»Verdammt, mein Herr,« rief der Piemontese, »ich schere mich wenig um die Betrügereien, und wenn mir der Wirt nicht ein Huhn vorsetzt, das genau so gut gebraten ist, wie das auf dem Aushängschild, dann stecke ich ihn selbst an den Bratspieß und gehe nicht eher fort, als bis er schön braun geschmort ist. Treten wir ein, mein Herr!«
»Sie haben mich zu gleichem Entschluß gebracht,« sagte der Provenzale lachend; »übernehmen Sie also freundlichst die Führung, mein Herr.«
»Oh, meiner Treu! Das kann ich nicht beanspruchen, denn ich bin nur Ihr ganz ergebener Diener, der Graf Hannibal von Coconas.«
»Und ich bin nur der Graf Joseph Hyazinth Bonifazius Lerac von La Mole, und stehe ganz zu Ihren Diensten.«
»In dem Fall wollen wir Arm in Arm eintreten, mein Herr!«
Der Erfolg dieser Vereinbarung war, daß die beiden jungen Leute von ihren Pferden stiegen, die Zügel einem Stallknecht in die Hände warfen, sich die Degen umschnallten und Arm in Arm gegen das Tor des Gasthofes schritten. Der Wirt stand auf der Schwelle, doch ganz im Gegensatz zu den Gewohnheiten derartiger Geschäftsleute, kümmerte sich der würdige Besitzer nicht im geringsten um die Ankommenden. Er sprach gerade sehr eifrig mit einem langen, mageren und gelben Kerl, der in einem Mantel von der Farbe des Feuerschwamms eingehüllt war wie eine Eule in ihren Federn. Die zwei Edelleute waren ganz nahe an den Wirt und den zunderfarbenen Mann herangekommen, als Coconas, über die Gleichgültigkeit aufgebracht und ungeduldig geworden, den Wirt heftig am Ärmel zog.
Der fuhr plötzlich wie aus dem Schlafe auf und verabschiedete seinen Besuch mit folgenden Worten: »Auf Wiedersehen! Kommen Sie nur bald und halten Sie mich immer auf dem laufenden!«
»Eh! Sie merkwürdiger Kauz,« sagte Coconas, »sehen Sie denn nicht, daß man etwas von Ihnen will?«
»Verzeihung, meine Herrn, ich habe Sie tatsächlich nicht gesehen,« dienerte der Wirt.
»Verdammt! Das hätten Sie unbedingt müssen! Nun aber, nachdem Sie uns doch noch bemerkt haben, sagen Sie statt ›mein Herr‹ gefälligst: Herr Graf.«
La Mole hielt sich rückwärts und ließ Coconas, der scheinbar die ganze Angelegenheit in die Hand genommen hatte, reden. Trotzdem konnte man an seinen gerunzelten Brauen bemerken, daß er sich bereithielt, dem Genossen beizuspringen, wenn es nötig werden würde.
»Was befehlen also der Herr Graf?« fragte der Wirt in schon ruhigerem Tone.
»Das hört sich schon besser an, nicht wahr?« meinte Coconas zu La Mole, der ihm beipflichten mußte. »Der Herr Graf und ich, von Ihrem Aushängschild mächtig angezogen, wünschen in Ihrem Gasthause zu Abend zu essen und zu nächtigen.«
»Meine Herrn,« erwiderte der Wirt, »ich bin in Verzweiflung . . . aber es steht nur ein leeres Zimmer zur Verfügung, und ich fürchte, damit werden Sie sich kaum zufrieden geben.«
»Na, dann umso besser,« warf La Mole ein; »dann werden wir eben anderwärts wohnen müssen.«
»Keineswegs, auf keinen Fall!« rief Coconas. »Ich will hier wohnen, mein Pferd ist erschöpft. Ich nehme also das Zimmer, wenn Sie es schon nicht haben wollen.«
»Ah! das ist etwas ganz anderes,« erklärte der Wirt mit der gleichen unverschämten Gelassenheit; »wenn Sie nur einer sind, dann kann ich Sie überhaupt nicht bei mir aufnehmen.«
»Verdammt!« schrie Coconas. »Das ist bei meiner Ehre ein drolliger Tropf! Gerade vor einem Augenblick waren zwei ihm zu viel und jetzt ist ihm einer zu wenig! Du willst uns also keine Wohnung überlassen, Schelm?«
»Meiner Treu, meine Herrn, wenn Sie in dem Ton zu mir reden, werde auch ich offen zu Ihnen sprechen.«
»Antworte also, aber antworte rasch!«
»Nun gut; ich will mir also lieber die Ehre versagen, Sie in meinem Hause unterzubringen.«
»Weil . . .?« fragte Coconas, bleich vor Zorn.
»Weil Sie keine Diener bei sich haben und weil mir für ein besetztes Herrenzimmer zwei Dienerzimmer leer bleiben. Wenn ich Ihnen das Herrenzimmer überlasse, bleiben mir zwei Dienerzimmer unvermietet.«
»Herr von La Mole,« sagte Coconas und wandte sich nach rückwärts, »scheint es Ihnen nicht so, als ob wir diesen Kerl da niedermetzeln müßten?«
»Das ist nur ratsam!« sagte La Mole und bereitete sich gleich Coconas vor, den Wirt mit der Reitpeitsche braun und blau zu schlagen.
Doch trotz dieser zweifachen Drohung, die angesichts der zwei entschiedenen Edelleute durchaus nicht beruhigend zu wirken vermochte, zeigte der Wirt keine Überraschung und wich nur einen Schritt zurück, um in seinem Hause zu stehen.
»Man merkt,« meinte er spöttelnd, »daß die Herren aus der Provinz sind. In Paris ist es nicht mehr Brauch, Herbergsväter niederzumachen, wenn sie ihre Mietstuben verweigern. Die großen Herrn soll man umbringen, nicht aber brave Bürger, und wenn Sie noch mehr schreien, werde ich gleich meine Nachbarn herbeirufen. Dann werden Sie es sein, die Hiebe erleiden müssen, obwohl eine solche Behandlung zweier Edelleute durchaus unwürdig ist.«
»Der macht sich über uns lustig!« schrie Coconas erbittert. »Verdammter Kerl!«
»Gregor, meine Hakenbüchse!« befahl der Wirt seinem Diener in einem Tone, als ob er befohlen hätte: »Zwei Sessel für die Herrn!«
»Gift und Galle!« heulte Coconas und zog seinen Degen. »So ereifern Sie sich doch auch ein bißchen, Herr von La Mole!«
»Nein, wenn Sie erlauben, und wieder nein! Denn während wir in Hitze geraten, wird unser Nachtmahl kalt werden.«
»Wie denn? Das wollen Sie jetzt berücksichtigen?«
»Ich berücksichtige die Vernunftgründe des Herrn ›Zum schönen Sternbild‹, obwohl er mit seinen Reisenden recht schlecht umzugehen versteht und gar, wenn diese Reisenden Edelleute sind. Statt uns zu sagen: Ich will von Ihnen nichts wissen, und dabei grob zu werden, hätte er uns lieber höflich sagen können: Treten Sie ein, meine Herrn! In Erwägung dessen, daß, wenn wir auch keine Diener bei uns haben, wir doch sicherlich solche aufnehmen würden, hätte er sein Gedächtnis nicht mit dem Gedanken belasten müssen: Herrenzimmer . . . so viel, Dienerzimmer . . . so viel!«
Während er dies sagte, schob La Mole den Wirt, der schon nach seiner Hakenbüchse langte, ruhig beiseite, ließ Coconas vorgehen und trat hinter ihm in das Haus.
»Meinetwegen!« meinte Coconas. »Mir ist es aber immerhin peinlich, den Degen in die Scheide zu stecken, bevor ich mich nicht vergewissert habe, daß er ebenso sticht, wie die Spicknadeln von dem Kerl da!«
»Geduld, mein guter Kamerad,« erwiderte La Mole. »Geduld! Die Gasthöfe in Paris sind alle von den jungen Leuten besetzt, die der Hochzeitsfeierlichkeiten oder des nächsten Krieges mit Flandern wegen hierhergeeilt sind, und wir würden nirgends eine Wohnung finden. Ferner ist es vielleicht in Paris gebräuchlich, ankommende Fremde so zu empfangen.«
»Verdammt! Sind Sie aber nachsichtig!« brummte Coconas, zwirbelte zornig seinen roten Schnurrbart auf und betrachtete den Wirt mit niederschmetternden Blicken. »Der Gauner soll sich aber in acht nehmen! Wenn seine Küche schlecht ist, wenn seine Betten hart sind, wenn er nicht mindestens dreijährigen Flaschenwein hat, wenn sein Diener nicht geschmeidig ist wie eine Binse . . .«
»Schon gut, schon gut, mein Herr,« meinte der Wirt und wetzte das Messer aus seinem Gürtel an einem Schleifstein; »beruhigen Sie sich, Sie sind in einem Schlaraffenland!«
Und indem er seinen Kopf senkte, murmelte er leise vor sich hin: »Sicherlich ein Hugenotte! Die Verräter sind seit der Hochzeit ihres Bearners mit Margot von Valois so frech geworden!«
Mit einem Lächeln, das seine Gäste hätte erschauern lassen, wenn sie es bemerkt hätten, fügte er hinzu: »Eh! eh! Das wäre heiter, wenn gerade mir Hugenotten in das Haus fallen würden . . . und daß . . .«
»Wohlan! Werden wir jetzt nachtmahlen?« unterbrach Coconas in scharfem Ton die Selbstgespräche des Wirtes.
»Aber wie es Ihnen beliebt, mein Herr!« antwortete dieser, zweifellos durch seine letzten Gedanken besänftigt.
»Wir wünschen es und zwar schleunigst,« ordnete Coconas an und wandte sich dann an La Mole: »So, Herr Graf,« sagte er, »nun sagen Sie mir, indessen man unser Zimmer vorbereitet, finden Sie zufällig, daß dieses Paris eine lustige Stadt ist?«
»Meiner Treu, nein! Bisher habe ich hier nur scheue und mürrische Gesichter gesehen. Vielleicht haben die Pariser Angst vor Gewittern? Sehen Sie doch einmal hinaus: der Himmel ist schwarz und die Luft ist träg.«
»Sagen Sie, Graf, Sie wollen den Louvre aufsuchen, nicht wahr?«
»Auch Sie, glaube ich, Herr von Coconas?«
»Gut! Wenn Sie wollen, werden wir ihn zusammen suchen.«
»Hm, dürfte es nicht schon ein wenig zu spät sein, um auszugehen?«
»Spät oder nicht, ich muß noch hinaus. Meine Weisungen sind sehr bestimmt: möglichst schnell in Paris einzutreffen und mich gleich nach der Ankunft mit dem Herzog von Guise in Verbindung zu setzen!«
Bei Nennung dieses Namens näherte sich der Wirt plötzlich sehr aufmerksam.
»Mir scheint, daß uns dieser Schurke aushorchen will!« sagte Coconas, der als echter Piemontese sehr nachtragend war und dem Wirt »Zum schönen Sternbild« den unhöflichen Empfang nicht vergessen konnte.
»Jawohl, meine Herrn, ich habe Sie vernommen,« sagte plötzlich der Mann und legte die Hand an die Mütze, »doch nur, um Ihnen sogleich dienlich zu sein. Ich höre den Namen des großen Herzogs von Guise und laufe schon herbei! Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Ah, sieh mal her! Der Name scheint Zauberwirkung zu haben, denn Unverschämter, der du warst, du wirst jetzt unterwürfig! Verdammt, Meister . . . Meister . . . ja, wie heißt du denn eigentlich?«
»Meister La Hurière,« antwortete der Wirt mit einer Verbeugung.
»Also, Meister La Hurière, glaubst du, daß mein Arm weniger schwer ist, als der des Herzogs von Guise, der scheinbar das Vorrecht hat, dich höflich zu machen?«
»Nein, Herr Graf, das glaube ich nicht; nur weniger lang dürfte er sein. Übrigens muß ich Ihnen gestehen, daß dieser große Heinrich in Paris unser Abgott ist!«
»Welcher Heinrich?« fragte La Mole.
»Mir kommt vor, daß es nur einen Heinrich gibt!« antwortete der Wirt.
»Verzeihung, mein Freund, es gibt noch einen anderen Heinrich, und ich würde Ihnen nicht raten, etwas Schlechtes über ihn zu sagen! Das ist Heinrich von Navarra, abgesehen von Heinrich von Condé, der ebenso seine Verdienste hat.«
»Die da kenne ich nicht . . .« sagte der Wirt.
»Aber ich kenne sie umso besser,« sagte La Mole; »und da ich an den König Heinrich von Navarra gewiesen bin, ersuche ich Sie, in meiner Gegenwart über ihn kein übles Wort fallen zu lassen.«
Der Wirt begnügte sich damit, seine Mütze flüchtig zu berühren und ohne Herrn von La Mole zu antworten, liebäugelte er gleich wieder mit Coconas.
»So wird der Herr also mit dem großen Herzog von Guise sprechen? Wahrlich, der Herr ist ein vom Glück begünstigter Edelmann! Ohne Zweifel handelt es sich um . . .?«
»Um was?« fragte Coconas.
»Um das Fest!« antwortete der Wirt mit einem sonderbaren Lächeln.
»Sie sollten ›um die Feste‹ sagen, denn Paris strotzt von solchen, wie ich gehört habe. Man spricht wenigstens hier nur von Bällen, Gastmählern und reiterlichen Veranstaltungen. Unterhält man sich nicht ein bißchen viel in Paris, wie?«
»Bisher, mein Herr, nur mit Maß und Ziel, doch hoffentlich wird man sich bald noch mehr unterhalten!«
»Die Hochzeit Seiner Majestät, des Königs von Navarra, hat viele Menschen in die Stadt gelockt,« warf La Mole ein.
»Namentlich viele Hugenotten, sehr richtig, mein Herr!« sagte La Hurière ziemlich heftig, nahm sich aber gleich darauf wieder zusammen. »Oh, Verzeihung! Sind die Herrn vielleicht von dieser Religion?«
»Ich, protestantischen Glaubens?« schrie Coconas. »Hören Sie mir damit auf! Ich bin Katholik, wie unser heiliger Vater, der Papst!«
La Hurière wandte sich zu La Mole hin, als ob er auch dessen Glaubensbekenntnis erforschen wollte. Doch La Mole verstand entweder die fragenden Blicke nicht oder er hielt es für angezeigt, die Frage in anderer Weise zu beantworten.
»Wenn Sie schon nicht Seine Majestät den König von Navarra kennen, Meister La Hurière, dann ist Ihnen vielleicht der Herr Admiral bekannt? Wie ich hörte, ist der Herr Admiral bei Hof beliebt, und weil ich ihm anempfohlen bin, würde ich gerne von Ihnen erfahren, wo er wohnt, wenn Ihnen bei dieser Angabe nicht etwa die Zunge zu sehr schmerzt!«
»Er wohnte in der Straße von Bethisy, rechts von hier!« gab der Wirt mit innerlicher Befriedigung zur Antwort, wobei diese Genugtuung auch ein wenig äußerlich zum Ausdruck kam.
»Wie das? Er wohnte? . . . er ist also übersiedelt?«
»Jawohl, vielleicht sogar in eine andere Welt hinüber!«
»Was soll denn das heißen?« riefen beide Herrn zugleich aus. »Der Admiral aus dieser Welt geschieden?«
»Wie? Herr von Coconas,« meinte der Wirt mit einem boshaften Lächeln, »Sie gehören zur Gefolgschaft des Herzogs von Guise und wissen nichts davon?«
»Wovon?«
»Daß der Admiral vorgestern beim Hause des Stiftsherrn Peter Piles, als er im Begriffe war, den Platz von Saint-Germain-l'Auxerrois zu überschreiten, von einer Büchsenkugel getroffen wurde?«
»Wurde er getötet?« rief La Mole.
»Nein, die Kugel hat ihm bloß den Arm zerschmettert und zwei Finger weggerissen; doch man hofft, daß die Ladung vergiftet war.«
»Wie, Elender?« schrie La Mole. »Man hofft?«
»Ich wollte sagen: man glaubt! Überwerfen wir uns nicht wegen eines Wortes . . . ich habe mich versprochen.«
La Hurière kehrte dem Edelmann rasch den Rücken, warf Coconas einen verständnisinnigen Blick zu und streckte nach Art eines Possenreißers die Zunge heraus.
»Also wirklich?« meinte Coconas freudestrahlend.
»Wirklich?« murmelte La Mole betroffen und mit schmerzlichem Ausdruck.
»Es ist so, wie ich Ihnen gesagt habe, meine Herren.«
»Unter solchen Umständen muß ich, ohne auch eine Sekunde zu verlieren, in den Louvre,« sagte La Mole; »werde ich den König Heinrich dort vorfinden?«
»Vermutlich, da er dort wohnt!«
»Auch ich muß zum Louvre!« rief Coconas. »Der Herzog von Guise wird ja anzutreffen sein?«
»Jedenfalls, denn ich habe ihn vor nicht langer Zeit mit zweihundert Edelleuten hier vorübergehen gesehen.«
»So kommen Sie, Herr von Coconas!« sagte La Mole.
»Ich folge Ihnen, mein Herr!«
»Aber das Nachtmahl wartet!« warf der Wirt ein.
»Ah!« meinte La Mole.
»Ich werde wahrscheinlich mit dem König von Navarra zu Abend essen!«
»Und ich werde beim Herzog von Guise nachtmahlen!« rief Coconas. »Ich aber,« brummte La Hurière und folgte mit den Blicken den davoneilenden jungen Leuten, »ich werde meinen Helm putzen; ich werde meine Büchse mit frischer Lunte versehen und meine Partisane zuspitzen . . . denn man weiß ja nicht, was geschehen kann!«