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Fast laufend verließ La Mole den Louvre und begann gleich ganz Paris nach dem armen Coconas abzujagen.
Seine erste Sorge war, sich in die Straße von Arbre-Sec zu begeben und bei Meister La Hurière einzutreten. La Mole erinnerte sich nämlich, daß er dem Piemontesen öfters einen gewissen lateinischen Spruch vorgesagt hätte, in dem Amor, Bacchus und Ceres als Götter erster Ordnung gepriesen werden. Nun hoffte er, daß Coconas in Befolgung des römischen Sinnspruches sich nach einer Nacht, die nicht weniger ereignisreich für ihn gewesen sein mochte, als für La Mole selbst, im Gasthaus »Zum schönen Sternbild« niedergelassen habe.
Doch La Mole fand bei La Hurière nichts anderes als eine Erinnerung an die seinerzeit übernommene Verbindlichkeit, ein Frühstück, das mit genügender Bereitwilligkeit aufgetragen wurde und das unserem Freund trotz aller Unruhe vortrefflich schmeckte.
Wenn schon nicht der Geist, so war doch wenigstens der Magen beruhigt, und La Mole machte sich wieder auf den Weg. Er lief die Seine hinauf, wie jener Gatte, der seine ertrunkene Frau suchte. Als er zum Quai von Grèves kam, erkannte er jene Stelle, auf der er, wie er es dem Herzog von Alençon erzählt hatte, ein paar Stunden früher auf seiner nächtlichen Wanderung von Gaunern angehalten worden war. Das war kein seltener Fall in dem Paris, das um hundert Jahre älter war, als jenes Paris, in dem Boileau durch den Lärm einer Kugel geweckt wurde, die durch den Fensterladen gedrungen war. Ein kleines Stück von der Hutfeder war auf dem Kampfplatz liegen geblieben. Besitzfreude ist jedem Menschen angeboren. La Mole besaß noch zehn Federn, eine schöner wie die andere, und trotzdem blieb er stehen, um diese, vielmehr ihr Überbleibsel, aufzulesen. Er betrachtete diesen Rest mit trauriger Miene, als schwere Schritte in seiner Nähe laut wurden, grobe Stimmen ertönten und ihn veranlaßten, beiseite zu treten. Als La Mole den Kopf hob, sah er eine Sänfte, der zwei Pagen voranschritten und die von einem Hofbereiter begleitet wurde.
La Mole glaubte die Sänfte zu erkennen und machte rasch Platz.
Der junge Edelmann hatte sich nicht geirrt.
»Herr von La Mole!« rief eine süße Stimme aus der Sänfte, und eine Hand, weiß und zart wie Atlas, teilte die Vorhänge.
»Jawohl, Madame, ich selbst!« erwiderte La Mole und verbeugte sich tief.
»Herr von La Mole mit einer Feder in der Hand . . .« sagte die Dame in der Sänfte. »Sind Sie denn verliebt, mein lieber Herr, und finden Sie gar verlorene Spuren wieder?«
»Ja, Madame,« meinte La Mole, »ich bin verliebt und zwar ganz gehörig! Aber hier finde ich nur meine eigenen Spuren wieder, obwohl ich sie gar nicht gesucht habe. Doch Eure Majestät werden mir gestatten, zu fragen, wie sich Eure Majestät befinden?«
»Vortrefflich, mein Herr; ich habe mich, wie mir vorkommt, nie wohler gefühlt und das dürfte daher kommen, weil ich die Nacht in Zurückgezogenheit verbracht habe.«
»Ah, in Zurückgezogenheit?« fragte La Mole und sah Margarete sehr erstaunt an.
»Nun ja! Was ist denn Staunenswertes daran?«
»Darf man, ohne unbescheiden sein zu wollen, fragen, in welchem Kloster?«
»Gewiß, mein Herr, ich mache kein Geheimnis daraus: im Kloster des Verkündigungsordens. Aber was treiben Sie denn hier mit Ihrer erschrockenen Miene?«
»Madame, auch ich habe die Nacht mit Andachtsübungen in der Einsamkeit verbracht, sogar in der Umgebung desselben Klosters. Seit früh aber suche ich meinen verschwundenen Freund, und auf der Suche fand ich diese Feder.«
»Sie stammt von ihm? Wahrhaftig, Sie machen mich besorgt für ihn, denn der Platz hier ist berüchtigt!«
»Beruhigen sich Eure Majestät, die Feder stammt von mir. Ich habe sie gegen halb sechs Uhr früh hier verloren. Ich rettete mich nämlich vor vier Wegelagerern, die mich, wie ich wenigstens glaube, um jeden Preis umbringen wollten.«
Margarete unterdrückte eine heftige Bewegung des Schreckens.
»Oh, erzählen Sie!« sagte sie.
»Nichts einfacher, Madame. Es war also, wie ich die Ehre hatte Eurer Majestät schon zu berichten, ungefähr um fünf Uhr morgens herum . . .«
»Und um fünf Uhr morgens waren Sie schon ausgegangen?«
»Eure Majestät entschuldigen, ich war noch nicht zu Hause gewesen.«
»Ah, Herr von La Mole, um fünf Uhr morgens nach Hause zu gehen!« sagte Margarete mit einem Lächeln, das im allgemeinen boshaft war, das aber La Mole in einer gewissen Einfalt bewunderungswürdig fand. »So spät nach Hause zu kommen! Sie verdienten diese Strafe!«
»Ich beklage mich auch nicht, Madame,« erwiderte La Mole und verbeugte sich ehrfurchtsvoll, »und wäre ich auch umgebracht worden, so würde ich mich noch hundertmal glücklicher schätzen, als ich es zu sein verdiene. Doch schließlich, ich kehrte spät heim oder auch zeitig, wie es Eure Majestät wünschen, kam aus diesem friedlichen, glücklichen Haus, in dem ich die Nacht verbracht hatte, als plötzlich vier Manteldiebe aus der Straße la Mortellerie herauskamen und mich mit übermäßig langen Käsemessern verfolgten. Das ist komisch, Madame, nicht wahr? Aber kurz und gut, es war so! Ich mußte fliehen, weil ich meinen Degen vergessen hatte.«
»Oh, ich begreife,« sagte Margarete in reizender Einfalt, »und Sie gingen jetzt zurück, um Ihren Degen zu holen?«
La Mole betrachtete Margarete, als ob ihn irgend ein Zweifel packen würde.
»Madame, ich würde bestimmt zurückkehren und sehr gerne, denn mein Degen besitzt eine ausgezeichnete Klinge, aber ich weiß gar nicht, wo sich dieses Haus befindet.«
»Wie denn, mein Herr?« fragte die Königin. »Sie wissen nicht, wo das Haus ist, in dem Sie die Nacht verbracht haben?«
»Nein, Madame, und der Satan soll mich vertilgen, aber ich habe keine Ahnung!«
»Oh, das ist einzigartig! Ihre Geschichte ist also ein ganzer Roman?«
»Ein wahrhaftiger Roman, Sie sagten es richtig, Madame!«
»Erzählen Sie mir ihn!«
»Er ist etwas lang.«
»Das macht nichts, ich habe Zeit.«
»Und ganz unglaublich ist er vor allem andern!«
»Nur angefangen damit! Man kann nicht leichtgläubiger sein, als ich es bin.«
»Eure Majestät befehlen also?«
»Aber ja, wenn es sein muß.«
»Ich gehorche. Nachdem wir gestern abend zwei anbetungswürdige Frauen verlassen hatten, mit denen wir an der Brücke Saint-Michel zusammengewesen waren, nachtmahlten wir bei Meister La Hurière.«
»Vor allem,« fragte Margarete mit vollendeter Natürlichkeit, »wer ist denn das, der Meister La Hurière?«
»Der Meister La Hurière, Madame,« erwiderte La Mole und sah Margarete zum zweitenmal mit derselben zweifelhaften Miene an, die man schon vorhin hatte bemerken können, »der Meister La Hurière ist der Besitzer des Gasthofes ›Zum schönen Sternbild‹ in der Straße l'Arbre-Sec.«
»Gut! Ich kann das von hier aus sehen . . . Sie nachtmahlten also bei Meister La Hurière mit Ihrem Freund Coconas zweifelsohne?«
»Ja, Madame, mit meinem Freund Coconas, als plötzlich ein Mann eintrat und jedem von uns einen Zettel einhändigte.«
»Waren diese Zettel ganz gleich?« fragte Margarete.
»Vollkommen gleich. Nur eine Zeile stand darauf geschrieben: Sie werden in der Straße Saint-Antoine gegenüber der Straße de Jouy erwartet.«
»War keine Unterschrift am Ende der Zeile vorhanden?«
»Nein, aber drei Worte standen darunter, drei Worte, die dreimal das gleiche Versprechen gaben, sozusagen ein dreifaches Glück.«
»Wie lauteten die drei Worte?«
»Eros, Kupido, Amor.«
»Wahrhaftig, das sind drei süße Worte. Und haben sie das Versprechen gehalten?«
»Oh, mehr, Madame, hundertmal mehr!« rief La Mole mit Begeisterung.
»Fahren Sie fort, ich bin begierig zu hören, was Sie dort in der Straße Saint-Antoine gegenüber der Straße de Jouy erwartete.«
»Zwei Frauen, und jede hielt ein Taschentuch in der Hand. Es handelte sich darum, uns die Augen zu verbinden. Eure Majestät begreifen, daß wir keine Schwierigkeiten machten. Wir hielten gehorsam unsere Köpfe hin. Meine Führerin ließ mich eine Wendung nach links machen, die Führerin meines Freundes lenkte ihn nach rechts und so trennten wir uns.«
»Und weiter?« fragte Margarete, die entschlossen schien, das Verhör bis an das Ende fortzusetzen.
»Ich weiß nicht, wohin die Führerin meinen Freund hinführte, vielleicht in die Hölle. Was mich betrifft, so weiß ich nur, daß mich meine Führerin an einen Ort brachte, der das Paradies zu sein schien.«
»Und wo Ihre allzu große Neugierde auch nicht auf ihre Kosten kam?«
»Richtig, Madame, Sie sind mit einer Sehergabe begnadet. Ich wartete ungeduldig auf den Tag, um endlich zu sehen, wo ich mich befände, als um halb fünf Uhr morgens die Zofe wieder erschien, mir die Augen abermals verband und mir das Versprechen abnahm, keinen Versuch zur Entfernung der Augenbinde zu unternehmen. Sie führte mich dann hinaus, begleitete mich ungefähr hundert Schritte weit und ließ mich noch schwören, die Binde erst abzunehmen, sobald ich weitere fünfzig Schritte hinter mir hätte. Ich ging dann fort, zählte bis fünfzig und fand mich in der Straße Saint-Antoine gegenüber der Straße de Jouy wieder.«
»Und dann . . .«
»Dann bin ich so freudig zurückgekehrt, Madame, daß ich gar nicht auf die handfesten vier Strolche achtete, denen ich mit Müh' und Not entkommen bin. Und jetzt, Madame, da ich hier ein Stück meiner Feder wiedergefunden habe, zittert mein Herz wieder vor Freude und ich gelobte mir, dieses Stück als teures Andenken an die glückliche Nacht bei mir zu behalten. Doch meine gute Laune war durch einen Umstand getrübt, durch die Frage, was wohl aus meinem guten Freund geworden sein mochte?«
»Er ist also nicht in den Louvre zurückgekehrt?«
»Leider nein, Madame! Ich suchte schon überall herum, wo er allenfalls hätte sein können, beim ›schönen Sternbild‹, beim Ballspiel und an anderen standesgemäßen Orten, doch kein Hannibal, keine Spur von Coconas . . .«
Indem er diese Worte sprach und sie mit einer trostlosen Handbewegung begleitete, öffnete La Mole seinen Mantel. An verschiedenen Stellen war sein Wams zerrissen und man konnte durch die Schlitze, genau so wie es die Gecken der damaligen Zeiten an ihren Kleidern bevorzugten, das Unterfutter sehen.
»Sie sind ja durchlöchert!« rief Margarete.
»Durchlöchert, das ist das richtige Wort!« sagte La Mole, der nicht böse war, sein gefahrvolles Abenteuer auf diese Art nachgewiesen zu haben. »Sehen Sie nur, Madame, sehen Sie!«
»Warum haben Sie das Wams nicht gewechselt, da Sie doch in den Louvre zurückgekehrt sind?« fragte Margarete.
»Ah,« meinte La Mole, »weil sich jemand in meinem Zimmer befand!«
»Wieso denn das?« staunte Margarete und machte große Augen. »Wer war in Ihrem Zimmer?«
»Seine Hoheit!«
»Still!« unterbrach Margarete.
Der junge Mann gehorchte.
»Qui ad lecticam meam stant?«»Wer steht vor meiner Sänfte?«
»Zwei Pagen und ein Reiter!«
»Gut, es sind ungebildete Menschen! Sagen Sie mir, La Mole, wen haben Sie in Ihrem Zimmer vorgefunden?«
»Den Herzog Franz.«
»Was tat er?«
»Ich weiß nicht was.«
»Mit wem?«
»Mit einem Unbekannten!« fragte sie La Mole.
»Duo pueri et unus eques.«
»Optime, barbari!« sagte sie. »Dic, Moles, quem inveneris in cubiculo tuo?«
»Franziscum ducem.«
»Agentem?«
»Nescio quid.«
»Quocum?«
»Cum ignoto!«
»Das ist merkwürdig!« meinte Margarete. »Also Sie konnten Coconas nicht finden?« fragte sie, ohne augenscheinlich über ihre Frage viel nachzudenken.
»Ebenso nicht, wie ich Eurer Majestät zu sagen schon die Ehre hatte, ich vergehe schon vor Unruhe!«
»Nun also,« sagte Margarete seufzend, »ich will Sie von Ihrer Nachsuche nicht weiter abhalten, aber ich weiß nicht, warum mir der Gedanke kommt, daß er sich ganz von selbst einfinden wird. Immerhin, suchen Sie weiter!«
Die Königin legte einen Finger an den Mund. Da aber die schöne Margarete La Mole kein Geheimnis anzuvertrauen und keinen besonderen Wink zu geben hatte, begriff der junge Mann, daß diese reizende Bewegung, die ja auch nicht der Verschwiegenheit zu gelten brauchte, eine ganz andere Bedeutung haben müßte.
Die Begleitmannschaft setzte sich in Bewegung und La Mole, der nun seine Suche fortsetzen wollte, ging den Quai zurück bis zur Straße Long-Pont, die ihn dann wieder bis in die Straße Saint-Antoine führte.
Gegenüber von der Straße de Jouy blieb er stehen.
Hier war es, wo ihm und Coconas in der verflossenen Nacht von den zwei Zofen die Augen verbunden worden waren. Er hatte sich dann nach links gewendet und hatte zwanzig Schritte gezählt. Jetzt führte er die gleiche Bewegung aus und stand vor einem Haus, vielmehr vor einer Mauer, hinter welcher sich ein Haus befand. In der Mitte dieser Mauer befand sich eine mit einem Schutzdach versehene Pforte, die mit starken Nägeln gespickt war und in der Schießscharten angebracht waren.
Das Haus lag in der Straße Cloche-Percée, eine schmale Gasse, die bei der Straße Saint-Antoine begann und in die Straße Roi-de-Sicile mündete.
»Zum Henker!« sagte La Mole. »Hier muß es gewesen sein . . . ich könnte darauf schwören . . . und während ich beim Hinausgehen die Hände vorstreckte, spürte ich doch die Nägel an der Tür und ging dann zwei Stufen herab . . . Dieser Mann, der durch die Straße lief und um Hilfe schrie, den man dann in der Straße Roi-de-Sicile umgebracht hat, der ist doch in jenem Augenblick vorübergekommen, als ich den Fuß auf die erste Stufe setzte. Na, sehen wir weiter nach!«
La Mole trat an die Tür heran und klopfte.
Die Tür öffnete sich und eine Art Pförtner mit Schnurrbart kam hervor.
»Was ist das?« fragte der Mann.
»Ah, ah!« sagte La Mole. »Man scheint ein Schweizer zu sein. Mein Freund,« begann er darauf, bemühte sich gleichzeitig die freundlichste Miene aufzusetzen, »ich möchte gerne meinen Degen wieder zurückbekommen, den ich hier in diesem Hause, in dem ich die Nacht verbracht habe, liegen ließ.«
»Ich nicht verstehen!« brummte der Pförtner.
»Meinen Degen . . .«
»Ich nicht verstehen!« wiederholte der Mann.
». . . den ich hier gelassen . . . meinen Degen, den ich . . .«
»Ich nicht verstehen . . .«
». . . in diesem Hause, in dem ich genächtigt . . .«
»Gehe zum Teufel . . .«
Und er warf ihm die Tür vor der Nase zu.
»Verdammt!« schrie La Mole. »Wenn ich den Degen hätte, den ich suche, dann würde ich ihn gern durch den Leib dieses Tölpels stoßen . . . aber ich habe ihn eben nicht, darum muß das einem anderen Tage vorbehalten bleiben.«
Darauf setzte La Mole seinen Weg bis zur Straße Roi-de-Sicile fort, ging dann nach rechts, etwa fünfzig Schritte geradeaus, bog noch einmal nach rechts ein und befand sich in der Straße Tizon. Das war eine kleine Parallelstraße zur Straße Cloche-Percée und glich ihr auf ein Haar. Ja, noch mehr: kaum hatte La Mole dreißig Schritte zurückgelegt, als er sich wieder vor der Tür befand, die ein Schutzdach hatte, mit Nägeln besetzt und mit Schießscharten versehen war, sogar die gleiche Mauer und die zwei Stufen waren da. Man hätte glauben können, daß sich die Straße Cloche-Percée um ihre eigene Achse gedreht habe, um den Edelmann noch einmal vorbeizulassen.
La Mole überlegte ein wenig, ob er nicht rechts und links verwechselt hätte, dann klopfte er an die Tür, um hier ebenso nachzufragen, wie er es vorher versucht hatte. Doch diesmal hatte er gut klopfen es öffnete ihm nicht einmal jemand diese Tür.
Dann ging er wieder zurück, machte denselben Weg hin und her und erkannte natürlich, daß das Haus zwei Eingänge hatte, den einen in der Straße Cloche-Percée, den zweiten in der Straße Tizon.
Doch diese Schlußfolgerung trug ihm weder den Degen ein, noch war sie ihm wertvoll zur Auffindung seines Freundes.
Einen Augenblick lang hatte er die Absicht, sich einen neuen Degen zu kaufen, um ihn dem schuftigen Pförtner, der nur deutsch reden wollte, zwischen die Rippen zu stechen. Doch er überlegte, daß der Pförtner im Dienste Margaretes stehen könnte, daß sie ihre Gründe gehabt haben müßte, diesen Grobian anzustellen, und daß es ihr unangenehm werden könnte, seiner beraubt zu werden. Und um nichts in aller Welt wollte La Mole Margarete irgendwie unangenehm werden.
Aus Angst, der bösen Versuchung am Ende nicht widerstehen zu können, machte er sich gegen zwei Uhr nachmittags eiligst gegen den Louvre auf.
Da sein Wohnzimmer diesmal nicht besetzt war, konnte er ruhig eintreten. Dieser Umstand war namentlich wegen seines Wamses wichtig und dringlich, das, wie die Königin schon bemerkt hatte, erheblich beschädigt worden war.
Er ging daher sofort auf sein Bett zu, um sein zerrissenes Wams mit dem perlgrauen zu vertauschen. Der erste Gegenstand, den er zu seinem größten Erstaunen neben dem perlgrauen Wams liegen sah, war der gute Degen, den er in der Straße Cloche-Percée vergessen hatte.
La Mole nahm ihn in die Hand, drehte und wendete ihn nach allen Seiten um, es war tatsächlich die gesuchte Waffe.
»Ah, ah!« sagte er sich. »Sollte irgendein Zauber dabei im Spiele sein?« Dann seufzte er tief auf und meinte: »Ach, wenn der arme Coconas sich nur so finden lassen könnte, wie der Degen hier!«
Zwei oder drei Stunden später, als La Mole seinen Rundgang um das kleine Haus mit dem zweifachen Eingang gemacht hatte, öffnete sich dessen Tür, die auf die Straße Tizon hinausging. Es war ungefähr fünf Uhr abends und daher schon finstere Nacht.
Eine Frau, gehüllt in einen langen, pelzbesetzten Mantel, und begleitet von einer Zofe, trat aus der Tür heraus, die ihr eine etwa vierzigjährige Kammerfrau geöffnet hatte. Sie eilte rasch in die Straße Roi-de-Sicile, pochte an einer kleinen Pforte des Palastes Argenson, die ihr alsbald geöffnet wurde. Dann schritt sie durch das große Eingangstor desselben Palastes, das auf die Straße du Temple hinausging, erreichte ein kleines Ausfallstor des Palastes Guise, öffnete es mit einem Schlüssel, den sie in der Tasche gehabt hatte und war gleich darauf verschwunden.
Eine halbe Stunde später kam aus der gleichen Tür des kleinen Hauses ein junger Mann mit verbundenen Augen heraus. Er wurde von einer Frau bis an die Ecke der Straße Geoffroy-Lasnier und der Straße de la Mortellerie geleitet. Hier bat sie ihn noch fünfzig Schritte fortzuzählen und dann erst die Binde von den Augen herabzunehmen.
Der junge Mann folgte umständlich dieser Weisung und entfernte nach Vollendung der verabredeten Schritte die Augenbinde.
»Verdammt!« rief er und sah sich nach allen Seiten um. »Wenn ich nur wüßte, wo ich jetzt bin! Keine Ahnung habe ich und wenn ich mich hängen lassen müßte! Sechs Uhr!« Die Glocke von Notre-Dame verkündete diese Stunde. »Was kann aber mit diesem armen La Mole unterdessen geschehen sein? Eilen wir zum Louvre, vielleicht sind dort Neuigkeiten zu erfahren!«
Mit diesen Worten lief Coconas schnurstracks durch die Straße de la Mortellerie durch und kam bei den Toren des Louvre in kürzerer Zeit an, als ein gewöhnliches Pferd für diese Wegstrecke gebraucht hätte. Er stieß um sich herum und warf auf seinem Weg die bewegliche Reihe der braven Bürger durcheinander, die dicht gedrängt auf dem Platz von Baudoyer bei den Warenläden auf und ab spazierten. Dann trat er in den Palast ein.
Hier befragte er gleich den Schweizer und den Wachtposten. Der Schweizer glaube La Mole am Morgen eintreten gesehen zu haben, hatte ihn aber nicht hinausgehen gesehen. Der Posten war erst seit anderthalb Stunden auf dem Platze und hatte gar nichts gesehen.
Coconas erreichte noch immer laufend seine Wohnung und riß die Tür auf. Hier fand er aber nichts, als das gänzlich zerfetzte Wams La Moles und war nun doppelt besorgt.
Dann dachte er an La Hurière und stürmte zum würdigen Gastwirt des »Schönen Sternbildes« hin. La Hurière hatte La Mole gesehen, La Mole hatte bei ihm gefrühstückt. Jetzt war Coconas erst beruhigt und da er großen Hunger hatte, verlangte er ein Abendmahl.
Er fand seine Lust, gut zu essen, zweifach begründet: erstens war sein Gehirn beruhigt, zweitens war sein Magen leer. Er schmauste daher so gründlich, daß er erst gegen acht Uhr fertig wurde. Durch zwei Flaschen eines leichten Tischweins von Anjou, den er besonders schätzte und den er mit Augenzwinkern und wiederholtem Zungenschlag Glas für Glas genossen und geschlürft hatte, wieder zu Kräften gekommen, erhob er sich vom Tisch und nahm seine Suche nach La Mole wieder auf. Die neuerliche Forschungsreise begleitete er mit Fußstößen und Faustschlägen, die er der Menge austeilte und die sich im gleichen Verhältnis mit der Zunahme der Freundschaft verstärkten, wie das so immer nach einer wohltuenden Schlemmerei einzutreten pflegt.
Das dauerte beiläufig eine Stunde. Während dieser hatte Coconas alle Straßen, die dem Quai de la Grève benachbart waren, durchlaufen, den Kohlenhafen, die Straße Saint-Antoine und die Straßen Tizon und Cloche-Percée, weil er glaubte, daß sein Freund hierher zurückgekommen sein könnte. Endlich sah er ein, daß es nur einen Platz gäbe, wo La Mole unbedingt erscheinen müßte und das war die kleine Pforte des Louvre. Er entschloß sich bei dieser auf die Rückkehr La Moles zu warten.
Nicht hundert Schritte weit vom Louvre entfernt, half er gerade einer Frau wieder auf die Beine, deren Gatten er bereits auf dem Platz Saint-Germain-l'Auxerrois über den Haufen gerannt hatte, als er plötzlich im Zwielicht eines großen Leuchtfeuers in der Nähe der Louvrebrücke den kirschroten Samtmantel und die weiße Hutfeder seines Freundes bemerkte. Schon aber glich diese Erscheinung nur mehr einem verschwindenden Schatten. Er sah ihn gerade noch bei der kleinen Pforte den Gruß des Wachtpostens erwidern.
Dieser berüchtigte kirschrote Mantel hatte auch Aufsehen in der Menge erregt, und darum war ein Irrtum ganz ausgeschlossen.
»Eh, verdammt!« rief Coconas. »Das war ganz sicher er, und gerade ist er nach Hause gegangen! Eh, eh, La Mole; eh, mein Freund! Potztausend, ich habe doch eine laute Stimme, wieso hat er mich nicht gehört! Doch zum Glück habe ich auch tüchtige Beine und werde ihn einfach einholen!«
In dieser Hoffnung stürmte Coconas mit kräftigen, flinken Beinen davon und kam in wenigen Augenblicken beim Louvre an. Doch welchen Eifer er auch angewendet, zu dem Zeitpunkt, in dem er seinen Fuß in den Hof setzte, verschwand auch schon der rote Mantel, der es sehr eilig zu haben schien, im Vorraum.
»Oh, La Mole!« schrie Coconas und lief gleich weiter. »Warte doch auf mich, ich bin es ja, Coconas! Was der Teufel läufst du mir so davon? Solltest du dich etwa retten wollen?«
Tatsächlich flog gleichsam der rote Mantel zum zweiten Stockwerk hinauf.
»Ah, du willst mich nicht hören?« brüllte Coconas. »Ah, du hast was gegen mich? Du bist böse auf mich? Nun gut, zum Teufel und verdammt! Was mich betrifft . . . ich kann einfach nicht mehr!«
Von den untersten Stufen der Treppe hatte Coconas dem Flüchtigen diese Worte nachgerufen. Er hatte es aufgeben müssen, ihn mit den Beinen zu verfolgen, doch er folgte ihm noch mit den Augen, sah ihn in der Wendung der Treppe und sah, daß er in der Höhe der Wohnung Margaretes angekommen war. Plötzlich trat eine Frau aus dieser Wohnung und nahm den von Coconas Verfolgten beim Arm.
»Oh, oh!« sagte sich Coconas. »Das sieht mir ganz danach aus, als ob das die Königin Margarete selbst wäre. Er wurde also erwartet. Das ist ja etwas anderes und ich begreife, daß er mir keine Antwort geben wollte.«
Er legte sich auf die Brüstung der Treppe vor und blickte durch den Hohlraum hinauf.
Nach einigen geflüsterten Worten sah er, wie der rote Mantel der Königin in die Wohnung folgte.
»Schon gut, schon gut,« sagte sich Coconas, »so ist es! Ich habe mich nicht geirrt. Es gibt Augenblicke, in denen uns die Gegenwart des besten Freundes ungelegen ist, und dieser liebe La Mole scheint einen derartigen Augenblick zu erleben.«
Gemächlich stieg Coconas jetzt die Treppe hinauf, ließ sich dann auf eine mit Samt überzogene Bank auf dem Treppenabsatz nieder und dachte sich folgendes: »Gut so! Anstatt ihn aufzusuchen, werde ich ihn jetzt erwarten . . . jawohl! Aber ich glaube, daß er bei der Königin von Navarra ist . . . da könnte ich allerdings ein bißchen lange warten . . . kalt ist es auch hier! Verdammt, vorwärts, vorwärts! Ich kann ja ebensogut in meinem Zimmer warten . . . er muß doch einmal zurückkommen, und wenn der Teufel dazwischenfahren möchte!«
Kaum hatte er diesen Entschluß gefaßt, kaum schickte er sich an, ihn auszuführen, als er plötzlich aus dem oberen Stockwerk einen leichten, munteren Schritt vernahm und gleichzeitig auch ein Liedchen trällern hörte, das seinem Freund sehr vertraut war. Coconas drehte seinen Hals nach dieser Seite hinauf. Es war wirklich La Mole, der von oben, scheinbar aus seinem Zimmer, die Stiege herunterkam. Als er Coconas erblickte, begann er gleich vier Stufen auf einmal zu nehmen, durchmaß die Entfernung von seinem Freund nur in Sprüngen und warf sich schließlich in seine Arme.
»Verdammt, du bist es?« rief Coconas. »Teufel, wo bist du denn herausgekommen?«
»Eh, ich kam aus der Straße Cloche-Percée, bei Gott!«
»Aber nein! Ich will nicht wissen, ob du aus dem Haus dort gekommen bist . . .«
»Woher soll ich gekommen sein?«
»Aus der Wohnung der Königin.«
»Der Königin?« . . .
»Der Königin von Navarra!«
»Aber ich bin gar nicht in ihre Wohnung gegangen.«
»So laß doch die Witze!«
»Mein lieber Hannibal,« sagte La Mole, »du faselst! Ich komme aus meinem Zimmer, wo ich zwei Stunden auf dich gewartet habe.«
»Du bist jetzt eben aus deinem Zimmer herausgegangen?«
»Selbstverständlich!«
»Du warst es also nicht, den ich auf dem Platz des Louvre verfolgt habe?«
»Wann soll das gewesen sein?«
»Gerade vor ein paar Augenblicken!«
»Nein!«
»Nicht du bist in der kleinen Pforte verschwunden, so ungefähr vor zehn Minuten?«
»Nein!«
»Dann bist du auch nicht derjenige gewesen, der die Treppe da hinaufgelaufen ist, als ob er von einer Unzahl von Teufeln verfolgt würde?«
»Nein!«
»Verdammt,« rief Coconas, »der Wein vom ›Schönen Sternbild‹ ist doch wahrlich zu harmlos, um mir derartig den Kopf zu verdrehen! Ich sage dir, daß ich eben deinen roten Mantel gesehen habe und ebenso deine weiße Hutfeder. Von der Pforte des Louvre bis an den Beginn dieser Stiege habe ich beides verfolgt. Und der rote Mantel und die weiße Feder, sogar auch dein Arm, der so schön pendeln kann, wurden hier von einer Dame erwartet, die ich für die Königin von Navarra gehalten habe. Diese ganze prächtige Zusammenstellung wurde dann durch eine Tür in eine Wohnung hineingezogen, die, wenn ich mich nicht täusche, die Wohnung der schönen Margarete ist.«
»Verdammt!« sagte La Mole erbleichend. »Wäre das schon ein Betrug?«
»Wohlan!« meinte Coconas. »Fluche nur soviel du willst, doch sage mir nicht, daß ich mich getäuscht habe.«
La Mole zögerte ein wenig, nahm seinen Kopf zwischen beide Hände und kämpfte mit der Hochachtung und mit der Eifersucht. Doch die Eifersucht siegte, er lief auf die Tür zu und begann mit allen Kräften darauf loszutrommeln, was einen Heidenlärm verursachte und mit der Majestät des Ortes, auf dem man sich befand, in keinem Einklang stand.
»Man wird uns noch festnehmen!« meinte Coconas. »Doch was ist weiter daran gelegen? Komisch ist die Sache wenigstens! Sag doch, La Mole, gibt es im Louvre am Ende Gespenster?«
»Was weiß ich!« rief der junge Mann, der fast so blaß aussah, wie die Feder, die seine Stirne beschattete. »Doch ich hatte immer das Verlangen, solche zu sehen, und weil sich scheinbar die Gelegenheit gerade dazu bietet, werde ich alles daran setzen, mich diesen Gespenstern von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustellen.«
»Dagegen habe ich nichts,« erwiderte Coconas, »nur klopfe nicht gar so heftig, sonst wirst du sie gar noch verscheuchen.« So verzweifelt La Mole auch war, er verstand die Richtigkeit dieser Bemerkung, klopfte zwar weiter, aber mit weniger Ungestüm.