Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Sire,« sagte René zu Heinrich, »ich möchte gerne mit Ihnen über eine Sache sprechen, die mich schon seit langer Zeit beschäftigt.«
»Über Wohlgerüche?« fragte Heinrich lächelnd.
»Nun, jawohl, Sire! . . . über Wohlgerüche!« erwiderte René mit einer sonderbaren Art Zustimmung.
»Sprechen Sie, ich höre! Das ist ein Gesprächsstoff, der mich schon die ganze Zeit über sehr eingenommen hat.«
René betrachtete Heinrich, als wollte er aus diesen Worten seine versteckten Gedanken erraten, doch da er gleich einsah, daß dies vollständig zwecklos sein würde, fuhr er fort: »Einer meiner Freunde, Sire, ist aus Florenz angekommen. Dieser Freund beschäftigt sich sehr mit Sterndeutern.«
»Ja, ich weiß, daß das eine Sonderwissenschaft der Florentiner ist.«
»Er hat im Verein mit den ersten Gelehrten der Welt die Schicksalssterne der vornehmsten Edelleute Europas befragt.«
»Ah!« rief Heinrich aus.
»Und da das Haus Bourbon zu den hervorragendsten Familien zählt, weil es den Grafen von Clermont, den fünften Sohn des heiligen Ludwig zum Stammvater hat, wurde, wie begreiflich, auch der Stern Eurer Majestät nicht vergessen.«
Heinrich hörte noch aufmerksamer zu.
»Und erinnern Sie sich der Schicksalsdeutung?« fragte er mit einem Lächeln, das gleichgültig scheinen sollte.
»Oh!« sagte René und senkte den Kopf. »Ihre Zukunftsbestimmung ist nicht danach angetan, daß man sie vergessen könnte.«
»Wahrhaftig?« fragte Heinrich mit einer spöttischen Bewegung.
»Jawohl, Sire, soweit das Ziel dieser Deutungen in einer glänzenden Schicksalsbestimmung besteht.«
Das Auge des jungen Prinzen blitzte unwillkürlich auf, verhüllte sich aber wieder sofort mit dem Schleier einer Teilnahmslosigkeit.
»Alle diese italienischen Vorhersagungen sind schmeichelhaft,« meinte Heinrich, »denn wer schmeichelt, der heuchelt! Gibt es nicht einige darunter, die mir den Oberbefehl über eine Armee verheißen?«
Und er brach in ein Gelächter aus. Ein Beobachter aber, der weniger mit sich selbst beschäftigt gewesen wäre, als René, der hätte bemerken müssen, wie dies Lachen erzwungen war.
»Sire,« sagte René kühl, »die Deutung spricht wohl von mehr!«
»Weissagt sie, daß ich an der Spitze dieser Armee Schlachten gewinnen werde?«
»Mehr als das, Sire!«
»Ach, Sie werden sehen, daß ich eroberungslustig sein werde.«
»Sire, Sie werden König sein!«
»Eh, Himmel und Hölle!« rief Heinrich und unterdrückte ein plötzliches Herzklopfen. »Bin ich denn nicht schon König?«
»Sire, mein Freund weiß, was er verspricht. Sie werden nicht nur König sein. Sie werden regieren!«
»Demnach,« antwortete Heinrich im gleichen spottsüchtigen Ton, »hat Ihr Freund zehn Goldtaler nötig, nicht wahr, René? Denn eine solche Wahrsagung geizt, namentlich in unserer gegenwärtigen Zeit, scheinbar sehr nach einem Gewinn? Also, René, da ich durchaus nicht reich bin, will ich Ihrem Freund jetzt gleich fünf Taler geben und die andern fünf dann, wenn die Prophezeiung eingetroffen sein wird.«
»Sire,« sagte Frau von Sauve, »vergessen Sie nicht, daß Sie sich diesbezüglich schon mit Dariole eingelassen haben und beladen Sie sich nicht mit zu viel Versprechungen!«
»Madame,« erwiderte Heinrich, »wenn dieser Augenblick gekommen sein wird, wird mich hoffentlich jeder als König betrachten und wird auch mit der Hälfte von dem zufrieden sein, was ich ihm versprochen habe.«
»Sire,« sagte René, »ich fahre in meinem Bericht fort.«
»Oh, das war noch nicht alles?« fragte Heinrich. »Gut, wenn ich Herrscher sein werde, bekommt er das Doppelte!«
»Sire, mein Freund kommt mit dieser Deutung aus Florenz und hat den Versuch in Paris wiederholt, das Ergebnis war immer das gleiche und hierbei hat er mir ein Geheimnis anvertraut.«
»Ein Geheimnis, auf das Seine Majestät Wert legen könnte?« fragte lebhaft Charlotte.
»Das glaube ich wohl!« meinte der Florentiner.
»Er wählt seine Worte,« sagte sich Heinrich und kam René aber nicht zu Hilfe, »scheinbar ist die Sache schwer mit Worten auszudrücken!«
»So sprechen Sie,« rief Frau von Sauve, »um was handelt es sich?«
»Es handelt sich« – der Florentiner betonte jedes Wort nachdrücklich – »es handelt sich um die vielen Gerüchte über Vergiftungen, die seit einiger Zeit bei Hof im Umlauf sind.«
Ein Schwellen der Nasenflügel war das einzige Zeichen dafür, daß die Aufmerksamkeit des Königs von Navarra immer mehr zunahm, seit das Gespräch diese plötzliche Wendung genommen hatte.
»Und Ihr Freund aus Florenz weiß etwas von diesen Vergiftungen?« fragte der König.
»Jawohl, Sire.«
»Wie können Sie mir ein Geheimnis anvertrauen, René, das nicht das Ihrige ist, noch dazu so ein wichtiges?« meinte der König im natürlichsten Ton, der ihm zu Gebote stand.
»Dieser Freund möchte Eure Majestät um einen Rat bitten.«
»Mich?«
»Ist das so wunderlich, Sire? Erinnern Sie sich an den alten Soldaten bei Actium, der einen Rechtshandel hatte und den Kaiser Augustus um Rat fragte!«
»Augustus war ein Sachverständiger in Rechtsangelegenheiten, René, ich bin es aber nicht!
»Sire, als mir der Freund sein Geheimnis anvertraute, waren Eure Majestät noch Kalvinist, waren das Haupt dieser Partei und der Prinz von Condé stand an zweiter Stelle.«
»Nun und?«
»Mein Freund hoffte, daß Sie Ihren ganzen vielvermögenden Einfluß auf den Prinzen von Condé ausüben könnten, damit dieser ihm nicht feindlich gesinnt wäre.«
»Erklären Sie mir das deutlicher, René, wenn Sie wollen, daß ich alles verstehe,« sagte Heinrich, ohne in seinen Worten, noch in seinen Gesichtszügen die mindeste Erregung zu verraten.
»Sire, Eure Majestät werden gleich nach den ersten Worten alles verstehen. Dieser Freund kennt alle Einzelheiten des Vergiftungsversuches, dessen Opfer der Prinz von Condé war.«
»Man hat den Prinz von Condé vergiften wollen?« fragte Heinrich mit gut gespieltem Erstaunen. »Ah, wirklich? Wann das?«
René heftete seine Blicke starr auf den König und sprach nur folgende Worte: »Vor acht Tagen, Majestät!«
»Irgend ein Feind?«
»Ja, ein Feind, den Eure Majestät auch kennen und der Eure Majestät kennt.«
»In der Tat, ich habe davon reden gehört, doch ich kenne die näheren Umstände nicht, die mir, wie Sie sagten, Ihr Freund enthüllen will.«
»Nun also, dem Prinz von Condé wurde ein besonders wohlriechender Apfel aufgetragen. Zum Glück war gerade der Arzt anwesend, als man den Apfel brachte. Der nahm ihn dem Überbringer aus der Hand und roch daran, um den Geruch und die Eigenart der Frucht zu prüfen. Zwei Tage später waren ein brandiges Geschwür im Gesicht, Blutaustritt und eine Entzündung, die ihm schließlich das ganze Antlitz zerfraß, die Folge seines treuen Dienstes und seiner Unvorsichtigkeit.«
»Unglückseligerweise habe ich, da ich schon damals zur Hälfte Katholik war, meinen ganzen Einfluß auf Herrn von Condé verloren. Ihr Freund ist daher auf einem falschen Weg, wenn er sich an mich wenden will.«
»Es war nicht nur der Prinz von Condé, bei dem Eure Majestät meinem Freund hätten von Nutzen sein können, sondern auch der Prinz von Porcian, Bruder dessen, der vergiftet wurde.«
»Ah,« sagte Charlotte, »wissen Sie, René, daß Ihre Geschichten geradezu gruselig sind! Ihr Ansuchen ist schlecht angebracht. Sie führen Gespräche über den Tod, und es ist spät geworden. Wahrhaftig, Ihre Duftmittel sind mehr wert!«
Charlotte streckte abermals ihre Hand nach der Salbendose aus.
»Madame, bevor Sie Ihre Absicht ausführen, hören Sie noch an, was für grausame Taten böse Menschen auszuführen imstande sind.«
»Sie sind heute abend unbedingt unheimlich, René!« sagte Frau von Sauve.
Heinrich zog die Augenbrauen zusammen, doch er verstand, daß René zu irgendeinem Ziel kommen wollte, das noch nicht vorauszusehen war, und er war entschlossen, die Unterredung bis an ihr Ende fortzusetzen, wenn sie auch schmerzvolle Erinnerungen in ihm weckte.
»Kennen Sie auch Einzelheiten über die Vergiftung des Prinzen von Porcian?« begann er wieder.
»Gewiß,« war die Antwort, »man wußte, daß er in jeder Nacht ein brennendes Licht neben seinem Bette stehen hatte. Man vergiftete das Öl der Lampe und er starb infolge des Geruches den Erstickungstod.«
Heinrich verkrümmte und verschlang seine feuchten Finger ineinander.
»Ihr Freund, wie Sie ihn nennen,« murmelte er, »kennt also nicht nur die näheren Umstände dieser Vergiftung, sondern auch den Täter.«
»Ja, und darum hätte er gerne von Ihnen wissen wollen, ob Sie auf den überlebenden Prinzen von Porcian Ihren Einfluß dahin ausüben könnten, daß er dem Mörder seines Bruders Verzeihung gewähren würde.«
»Unglückseligerweise war ich damals noch zur Hälfte Hugenotte und habe daher auf den Prinzen von Porcian gar keinen Einfluß,« wiederholte sich Heinrich, »Ihr Freund befindet sich also im Irrtum, wenn er sich an mich wendet.«
»Was halten Sie von der Stimmung des Herrn von Condé und des Herrn von Porcian, Sire?«
»Wie sollte ich deren Stimmung kennen, René? Gott hat mir, soviel ich weiß, nicht die Eigenschaft geschenkt, in den Herzen anderer lesen zu können?«
»Eure Majestät können sich darum selbst befragen,« erwiderte der Florentiner ruhig. »Gibt es nicht im Leben Eurer Majestät ein Ereignis, das so düster ist, daß es als Probe für eine milde Nachsicht genommen werden könnte, ein Ereignis, das so schmerzvoll ist, daß es als Prüfstein für Hochherzigkeit dienen könnte?«
Diese Worte waren in einem Tone gesagt, daß sogar Charlotte erschrak. Die Anspielung war so unmittelbar, so fühlbar, daß die junge Frau sich umdrehte, um ihre Röte zu verbergen und um dem Blick Heinrichs nicht zu begegnen.
Heinrich versuchte sich zum letztenmal zu beherrschen. Seine Stirne, die sich während der Worte des Florentiners in drohende Falten gelegt hatte, glättete sich wieder. Nur der edle Schmerz eines Sohnes schien sein Herz gepackt zu haben, als er in rätselhafter Nachdenklichkeit sagte: »In meinem Leben . . . ein düsteres Ereignis? Nein, René, nein, soweit ich mich an meine Jugend erinnere, war sie ausgefüllt von Torheit und Sorglosigkeiten, und ein wenig kamen die mehr oder minder grausamen Notwendigkeiten hinzu, wie sie die Gesetze der Natur und die Prüfungen Gottes allen Menschen auferlegen.«
Jetzt bezwang sich René und seine Aufmerksamkeit war bald auf Charlotte, bald auf Heinrich gerichtet, als ob er den einen ermuntern, den anderen zurückhalten wollte. Charlotte hatte sich tatsächlich wieder ihrem Spiegeltisch zugewandt und wollte die Scham verbergen, die ihr dieses Gespräch in die Wangen trieb. Neuerlich langte sie nach der Salbendose auf dem Tische.
»Sire, wenn Sie schließlich der Bruder des Prinzen von Porcian oder der Sohn des Prinzen von Condé wären und man Ihren Bruder vergiftet oder Ihren Vater ermordet hätte . . .«
Charlotte stieß einen leichten Schrei aus und näherte wieder die Salbe ihren Lippen. René sah die Bewegung, doch diesmal hinderte er sie weder mit einem Wort, noch mit einem Griff an der Durchführung des Vorhabens, sondern er rief nur laut: »Um des Himmels willen! Antworten Sie, Sire, wenn Sie an ihrer Stelle wären, was täten Sie?«
Heinrich sammelte sich, trocknete mit zitternder Hand seine Stirne, auf der kalte Schweißtropfen standen. Dann richtete er sich in seiner ganzen Größe auf und mitten in dem Stillschweigen, während Charlotte und René kaum zu atmen wagten, antwortete er mit folgenden Worten auf die gestellte Frage: »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre und dabei sicher wäre, König zu sein, das heißt: Gott auf Erden zu vertreten, dann würde ich auch wie Gott handeln, ich würde verzeihen!«
»Madame,« schrie René und entriß die Salbe den Händen der Frau von Sauve, »Madame, geben Sie mir die Dose zurück! Mein Lehrling hat sich, wie ich glaube, geirrt, als er Ihnen diese Dose brachte. Morgen schicke ich Ihnen eine andere!«