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In dem Zeitalter, in dem sich die hier erzählte Geschichte abspielte, gab es, um von einem Stadtteil in den anderen zu gelangen, in Paris nur fünf Brücken, die teils aus Stein, teils aus Holz gebaut waren. Diese fünf Brücken führten alle in die Altstadt hinüber und waren: die Brücke des Meuniers, die Brücke Pont-au-Change, die Brücke Notre-Dame, der Petit-Pont und die Brücke Saint-Michel.
An Stellen, wo es der Verkehr erheischte, waren Fähren in Tätigkeit, die mehr oder minder die fehlenden Brücken ersetzen mußten.
Die fünf Brücken waren von Häusern umgeben, wie es heute noch beim Ponte-Vecchio in Florenz zu sehen ist.
Jede dieser fünf Brücken hatte ihre eigene Geschichte; wir wollen uns aber für den Augenblick besonders mit der Brücke Saint-Michel beschäftigen.
Die Brücke Saint-Michel war im Jahre 1373 aus Stein erbaut worden. Trotz ihrer offenkundigen Festigkeit riß eine Überschwemmung der Seine einen Teil der Brücke am 31. Januar 1408 weg. Im Jahre 1416 wurde sie aus Holz wieder aufgebaut. Aber in der Nacht des 16. Dezember 1547 wurde sie neuerlich fortgeschwemmt und im Jahre 1550, also zweiundzwanzig Jahre vor dem Zeitabschnitt, von dem wir erzählen, wurde sie wiederhergestellt, und zwar abermals aus Holz. Obwohl diese Erneuerung schon sehr notwendig gewesen war, hielt man die nunmehr gerichtete Brücke für sehr widerstandsfähig.
In der Mitte der Häuser, die die Länge der Brücke einfaßten, gerade gegenüber der kleinen Insel, auf der die Templer verbrannt worden waren und auf dem heute der Erdwall der Brücke Pont-Neuf sich befindet, stand ein hölzernes Haus, auf das sich ein breites Dach wie das Lid eines ungeheuren Auges senkte. Aus dem einzigen Fenster im ersten Stockwerk, oberhalb eines zweiten Fensters und einer ebenerdigen, fest verschlossenen Tür, leuchtete ein rötlicher Schein und zog die Blicke der Vorübergehenden auf die niedrige, breite Vorderseite des Hauses, die blau angestrichen und mit reich verzierten Simswerken versehen war. Eine Art Fries, der das untere Stockwerk vom oberen trennte, bestand aus unzähligen geschnitzten Teufeln in den drolligsten Stellungen, einer komischer als der andere, und dazwischen schlang sich ein ebenfalls blau angestrichenes Band mit folgender Aufschrift: René, Florentiner, Gewürzkrämer Ihrer Majestät der Königin-Mutter.
Die Tür dieses Kramladens war, wie schon erwähnt, fest verschlossen. Aber besser noch als durch die Riegel war das Haus durch den unheimlichen Ruf seines Bewohners gegen etwaige nächtliche Angriffe geschützt. Die Fußgänger, die an dieser Stelle vorbei mußten, schlugen hier immer einen Bogen bis an die gegenüberliegende Häuserzeile, als ob sie Angst hätten, es könnte da irgendein Würzgeruch durch die Hauswände bis an sie heranbringen.
Mehr noch, die Nachbarn rechter und linker Hand hatten zweifellos befürchtet, in einen schlechten Ruf zu kommen, seit der Meister René sich auf der Brücke Saint-Michel angesiedelt hatte; sie hatten daher ihre Wohnungen im Stiche gelassen, so daß die Häuser, die an das Gebäude des Meisters René angrenzten, leer und verlassen waren. Trotz dieser Einsamkeit und trotzdem die Häuser versperrt waren, hatten verspätete Vorübergehende durch die geschlossenen Fensterläden der leeren Häuser gewisse Lichtstrahlen bemerkt. Sie versicherten auch, einen gewissen Lärm vernommen zu haben, der etwa wie ein Klagegeheul klang, ein Beweis, daß irgendwelche Wesen diese Häuser besuchen mußten. Man wußte nur nicht, ob diese Wesen dieser oder einer anderen Welt angehörten.
Die Folge davon war, daß die Bewohner der angrenzenden nächsten Häuser überlegten, ob sie klugerweise nicht auch das Hasenpanier ergreifen sollten.
Zweifellos war es auch dieses seltene Vorrecht, Angst zu erregen, ein Vorrecht, das ihm öffentlich zugebilligt wurde, das Meister René zur Möglichkeit verhalf, nach der behördlich festgesetzten Stunde noch Licht im Hause haben zu dürfen. Keine Wache, kein Nachtwächter hätte übrigens einen Mann belästigen dürfen, der Ihrer Majestät doppelt wert war, einmal als Landsmann und dann als Gewürzkrämer.
Da wir annehmen müssen, daß der Leser, gewappnet mit den Scheinweisheiten des achtzehnten Jahrhunderts, nicht mehr an Magie und an Magier glaubt, so laden wir ihn ein, mit uns in diese Wohnung zu treten, die zu jener Zeit des Aberglaubens so viel Schrecken um sich verbreitete.
Der Laden im Erdgeschoß ist von acht Uhr abends an finster und leer. Das ist der Augenblick, in dem er immer geschlossen wird, um sich manchmal erst wieder im Laufe des nächsten Tages zu öffnen. In dieser Zeit geht der tägliche Verkauf von Duftmitteln, Salben und Hautpflegemitteln vor sich. Waren aller Art, wie sie eben ein gewandter Chemiker feilbietet. Zwei Lehrlinge helfen bei diesen Einzelverkäufen, doch sie schlafen nicht in dem Haus, sie verbringen die Nacht in einem Haus in der Straße von Calandre. Am Abend entfernen sie sich einen Augenblick, bevor der Laden geschlossen wird, am Morgen gehen sie vor dem Laden auf und ab, solange, bis er geöffnet wird.
Der Laden im Erdgeschoß ist also, wie wir schon erwähnten, finster und leer.
Der Laden besitzt in seinem geräumigen und tiefen Innenraum zwei Türen, deren jede zu einer Stiege führt. Eine dieser Stiegen schlängelt sich innerhalb der Hauswand hinauf und ist seitlich angebracht, die andere aber befindet sich an der Außenwand des Hauses und ist von dem Quai, den man heute den Quai der Augustiner nennt, und von dem Ufer, das heute der Quai des Orfevres heißt, sichtbar.
Beide Stiegen führen in das Zimmer des ersten Stockwerkes.
Dieses Zimmer ist von derselben Größe, wie der untere Laden, ein Vorhang, der in der Richtung gegen die Brücke gespannt ist, teilt es aber in zwei Räume. Im Hintergrund des ersten Raumes öffnet sich eine Tür zur äußeren Stiege. An der Seite des zweiten Raumes befindet sich die Tür zur verborgenen Stiege, doch ist die Tür unsichtbar, denn sie wird durch einen hohen geschnitzten Schrank verdeckt. Die Tür ist mit dem Schrank durch zwei Eisenhaken verbunden und vermag ihn vorzuschieben, wenn sie geöffnet wird. Katharina teilt dieses Geheimnis allein mit René und das ist die Tür, die sie allein benützt, um zu kommen und zu gehen. Wenn sie das Ohr oder das Auge an diesen Schrank legt, vermag sie alles zu sehen oder zu hören, was sich in dem Zimmer zuträgt. Zwei andere Türen, die aber sichtbar sind, befinden sich noch an den Seitenwänden dieses zweiten Raumes. Die eine führt in ein kleines Zimmer, das sein Licht nur durch eine Dachluke erhält. Das ist der Arbeitsraum des Alchimisten, er enthält als Einrichtungsstücke nur einen großen Ofen, Retorten, Destillierkolben und Schmelztiegel. Die zweite Tür führt in eine Zelle, die das Merkwürdigste der ganzen Behausung bildet, denn sie erhält überhaupt kein Tageslicht, enthält auch keine Teppiche oder Hausrat, sondern nur einen steinernen Altar.
Der Boden besteht aus Steinplatten, die vom Mittelpunkt aus gegen alle Seiten des Raumes geneigt sind, und an den kurzen Wänden läuft eine Art Rinne ringsherum, die in einen Trichter einmündet. Durch dessen Öffnung erblickt man das fließende, dunkle Wasser der Seine. An Haken, die in der Wand befestigt sind, hängen verschiedene Werkzeuge von merkwürdigen Formen, teils spitzig, teils mit einer Schneide versehen. Die Spitzen sind fein wie die einer Nadel, die Schneiden sind scharf, wie die Rasiermesser. Diese Werkzeuge glänzen teilweise wie Spiegel, teilweise sind sie grau und matt oder dunkelblau.
In einer Ecke zappeln zwei schwarze Hühner, die an den Füßen aneinander gebunden sind. Dieser Raum ist das Heiligtum des Wahrsagers.
Wir kehren in das Mittelzimmer zurück, in das Zimmer mit den zwei Abteilungen.
Hier treten gewöhnlich diejenigen ein, die sich einen Rat holen wollen. Ägyptische Ibisse, Mumien mit vergoldeten Bändchen, Krokodile, die von der Zimmerdecke herab ihren Rachen aufsperren, Totenköpfe mit leeren Augen und wackeligen Zähnen, endlich verstaubte alte Bücher, sorgsam von den Ratten benagt, das alles bietet dem Auge des Besuchers jenes die Sinne beeinflussende Durcheinander, das sogar imstande ist, die Gedanken vom rechten Weg abzubringen. Hinter einem Vorhang stehen Fläschchen, eigenartige Schachteln und zweihenkelige Krüge von düsterem Aussehen. Alles ist von zwei kleinen silbernen und ganz gleichen Lampen beleuchtet. Sie machen den Eindruck, als wären sie irgend einem Altar von Santa-Maria-Novella oder der Kirche Dei-Servi zu Florenz entführt worden. Das Öl der Lampen ist duftig, jede hängt an drei geschwärzten Ketten vom dunklen Gewölbe herab und ihr gelbes, helles Licht erfüllt den Raum. René geht allein, die Arme gekreuzt, mit großen Schritten in der zweiten Abteilung des Mittelzimmers auf und ab und läßt den Kopf sinken. Nach langen und qualvollen Betrachtungen bleibt er vor einer Sanduhr stehen.
»Ah!« sagt er. »Ich vergaß sie umzudrehen, und da ist wahrscheinlich schon seit langer Zeit der ganze Sand abgelaufen.«
Dann sieht er zum Mond hinauf, der sich gerade mit Mühe aus einer schwarzen Wolke loslöst, die Wolke scheint sich auf die Spitze des Glockenturms von Notre-Dame senken zu wollen.
»Neun Uhr! Wenn sie kommt, dann dürfte sie wie gewöhnlich in einer oder in anderthalb Stunden kommen, wir werden für alles genügend Zeit haben.«
In dem Augenblick war irgend ein Lärm auf der Brücke zu vernehmen. René legte sein Ohr an die Öffnung eines langen Rohres an, dessen anderes Ende in Form eines Drachenkopfes auf die Straße hinausging.
»Nein,« sagte er sich, »das ist nicht sie, das sind nicht sie! Das sind Männerschritte, die vor meiner Tür halten, man kommt zu mir!«
Drei kurze Schläge an der Tür wurden hörbar.
René ging rasch die Stiege hinunter und legte erst das Ohr an die Tür, bevor er öffnete.
Drei gleiche Schläge ertönten.
»Wer ist da?« fragte Meister René.
»Ist es notwendig, unsere Namen zu nennen?« ließ sich eine Stimme vernehmen.
»Das ist unerläßlich!«
»Ich nenne mich also Hannibal Graf von Coconas!« sagte dieselbe Stimme.
»Und ich heiße Graf Lerac von La Mole!« fügte eine zweite, bisher noch nicht gehörte Stimme hinzu.
»Warten Sie ein wenig, meine Herren, ich stehe zu Ihren Diensten.«
René zog zu gleicher Zeit die Riegel zurück, schob die Querstangen auf die Seite und öffnete den jungen Leuten. Hernach begnügte er sich damit, den Schlüssel einmal umzudrehen und führte die zwei Besucher über die äußere Stiege in die zweite Abteilung des Mittelzimmers.
La Mole machte beim Eintreten das Zeichen des Kreuzes unter dem Mantel, er war bleich und seine Hand zitterte, ohne daß er die plötzliche Schwäche hätte bezwingen können. Coconas betrachtete alle Dinge sehr genau nacheinander, und als er bei seinen Untersuchungen zu der Türe kam, die in die Zelle führte, wollte er sie öffnen.
»Erlauben Sie, mein verehrter Herr,« sagte da René mit seiner feierlichen Stimme und legte seine Hand auf die des jungen Mannes, »die Besucher, die mir die Ehre geben, hier einzutreten, dürfen sich nur in diesem Raum aufhalten.«
»Ah, das ist etwas anderes!« meinte Coconas. »Übrigens, ich empfinde das Bedürfnis, mich ein wenig niederzusetzen.«
Er ließ sich auf einen Stuhl nieder.
Es entstand einen Augenblick Ruhe, Meister René wartete, daß einer oder der andere der jungen Leute anfangen würde, einen Wunsch zu äußern. Inzwischen hörte man den noch pfeifenden Atem Coconas, ein Zeichen, daß er noch nicht ganz gesund war.
»Meister René,« begann er endlich, »Sie sind ein geschickter Mann, sagen Sie mir also, ob ich immer an den Folgen meiner Verwundung zu leiden haben werde, die mich vorläufig noch daran hindern, zu Pferd zu steigen, infolge der Kurzatmigkeit die Waffen zu gebrauchen und einen Speckkuchen zu verzehren.«
René näherte sein Ohr der Brust Coconas und hörte aufmerksam auf die Arbeit der Lungen.
»Nein, Herr Graf, Sie werden vollständig gesund werden.«
»Glauben Sie?«
»Ich versichere es!«
»Das ist mir sehr angenehm zu hören!«
Abermals entstand eine Ruhepause.
»Wollten Sie auch nicht noch andere Sachen erfahren, Herr Graf?«
»Sehr richtig,« erwiderte Coconas, »ich möchte gar zu gerne wissen, ob ich wirklich verliebt bin?«
»Das sind Sie!« sagte René.
»Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß es, weil Sie mich darum fragen!«
»Verdammt, ich glaube, Sie haben recht! Aber in wen bin ich verliebt?«
»In diejenige, die jetzt bei jeder Gelegenheit den Fluch wiederholt, den Sie eben ausgestoßen haben.«
»Wahrhaftig, Meister René,« meinte Coconas erstaunt, »Sie sind ein findiger Mann! Jetzt ist die Reihe an dir, La Mole!«
La Mole errötete und blickte verwirrt vor sich hin.
»Eh, zum Teufel,« rief Coconas, »so sprich doch!«
»Sprechen Sie nur!« ermunterte der Florentiner.
»Aber, Herr René,« stammelte La Mole und allmählich wurde seine Stimme sicherer, »ich will Sie ja gar nicht fragen, ob ich verliebt bin, denn ich weiß, daß ich es bin, und will es auch gar nicht verheimlichen. Doch sagen Sie mir, ob ich wiedergeliebt werde, denn alles, was mir früher ein Grund zur Hoffnung gewesen ist, deutet jetzt auf das Gegenteil.«
»Sie haben vielleicht manches unterlassen, was für die Sache wichtig gewesen wäre.«
»Was ist dabei anderes zu tun, mein Herr, als der Dame seines Herzens Ehrfurcht und Ergebenheit zu beweisen und ihr damit zu zeigen, daß sie tief und aufrichtig geliebt wird?«
»Sie wissen, daß derlei Bezeigungen sehr oft unbedeutend scheinen mögen.
»Das heißt also, alle Hoffnung aufzugeben?«
»Nein, das heißt, die Wissenschaft zu Rate zu ziehen. Es gibt im Menschen Abneigungen, die man bezwingen kann, und es gibt Neigungen, die man unterstützen muß. Das Eisen ist kein Magnet, wenn man es aber magnetisch macht, zieht es selbst wieder auch Eisen an.«
»Ohne Zweifel, ohne Zweifel,« murmelte La Mole; »aber ich weise alle Winkelzüge von der Hand.«
»Ah! Wenn Sie von Haus aus widerspenstig sind, dann hätten Sie nicht hierherkommen dürfen.«
»Aber, aber, La Mole!« warf Coconas ein. »Willst du dich jetzt als Kind aufführen? Übrigens, Meister René, können Sie mich den Teufel sehen lassen?«
»Nein, Herr Graf!«
»Das ist ärgerlich, denn ich habe ihm nämlich zwei Worte zu sagen, und das hätte vielleicht Herrn von La Mole Mut gemacht!«
»Nun gut!« sagte La Mole. »Gehen wir unbekümmert um diese Frage herum! Man hat mir von Wachsfiguren erzählt, die der geliebten Person ähnlich sehen . . . Wäre das vielleicht ein Mittel, um zum Ziel zu gelangen?«
»Ein unfehlbares!«
»Und kann bei dieser Erkundung nichts das Leben oder die Gesundheit der geliebten Person beeinträchtigen?«
»Nichts!«
»Dann wollen wir es versuchen.«
»Willst du vielleicht, daß ich anfange?«
»Nein,« sagte La Mole, »da ich mich schon in die Sache eingelassen habe, so will ich auch bis an das Ende gehen.«
»Herr von La Mole, begehren Sie es sehr, ungestüm, gebieterisch, hier zu erfahren, woran Sie sich zu halten haben?«
»Ach, ich vergehe vor Sehnsucht!« rief La Mole.
Plötzlich wurde ganz leise an die Tür der Straße gepocht, so leise, daß es der Meister René allein nur hörte, weil er dieses Klopfen jedenfalls auch erwartet hatte.
Er näherte gelassen und mit La Mole über die Angelegenheit sprechend, sein Ohr dem Rohre, das auf die Straße zuging, und vernahm Stimmen, die seine Aufmerksamkeit fesselten.
»Fassen Sie also Ihre Wünsche kurz zusammen,« sagte er, »und rufen Sie die Person an, die Sie lieben.«
La Mole ließ sich, als ob er zu einer Gottheit sprechen wollte, auf die Knie nieder, und René begab sich in den zweiten Wohnraum, um von hier wie eine Katze über die äußere Treppe hinabzuschleichen. Eine Weile später streiften leichte Schritte den Fußboden des Hauses.
Als La Mole sich erhob, stand René wieder vor ihm. Der Florentiner hielt eine kleine, sehr mäßig gearbeitete Wachsfigur in der Hand. Den Kopf der Figur schmückte eine Krone, um die Schultern trug sie einen Mantel.
»Wollen Sie von Ihrer königlichen Geliebten immerdar geliebt werden?« fragte der Gewürzkrämer.
»Ja, und sollte es mir das Leben kosten, und sollte ich darob meine Seele verlieren!« antwortete La Mole.
»Das genügt!« sagte der Florentiner. Er nahm dann einige Tropfen Wasser aus einem Krug, und während er sie mit den Fingerspitzen auf den Kopf der Figur träufeln ließ, murmelte er einige lateinische Worte.
La Mole schauderte, er begriff, daß sich hier eine gottlose, unheilige Handlung vollzog.
»Was beginnen Sie?« fragte er.
»Ich taufe diese kleine Figur und gebe ihr den Namen Margarete.«
»Aber zu welchem Zweck denn?«
»Um die Liebe festzuhalten.«
La Mole öffnete schon den Mund, um den Zauberer von weiteren Versuchen abzuhalten, doch ein spöttischer Blick Coconas hielt ihn davon zurück.
René, der die Bewegung bemerkt hatte, wartete einen Augenblick.
»Zu allem gehört der feste und vollkommene Wille!« sagte er.
»Fahren Sie nur fort,« erwiderte La Mole.
René zeichnete auf ein kleines Fähnchen aus rotem Papier einige kabbalistische Zeichen, steckte dann eine Stahlnadel durch das Papier und stach mit der Nadel der kleinen Figur in die Herzgegend.
Und merkwürdig, sofort erschien bei der Stichwunde ein Blutstropfen. Sodann setzte der Zauberkünstler das Papier in Brand.
Die Hitze der Nadel schmolz das Wachs ringsherum und trocknete das Tröpflein Blut auf.
»So,« sagte René, »durch die Stärke der Neigung wird auch Ihre Liebe das Herz der geliebten Frau durchdringen und versengen.«
Coconas, der einen klaren Verstand besaß, lachte in seinen Schnurrbart hinein und machte sich ganz leise lustig. Der liebende und abergläubische La Mole hingegen fühlte, wie ihm kalter Schweiß an den Haarwurzeln perlte.
»Und jetzt,« setzte René fort, »legen Sie Ihre Lippen auf die Lippen der Figur und sagen Sie: Margarete, ich liebe dich, Margarete komm!«
La Mole gehorchte.
In dem gleichen Augenblick hörte man, daß sich die Tür des zweiten Raumes öffnete, leichte Schritte näherten sich.
Coconas, neugierig und ungläubig, zog sofort seinen Dolch, und weil er fürchtete, daß ihm bei einem Versuche die Tür zu öffnen, René die gleiche Bemerkung wie früher entgegenhalten würde, so schlitzte er kurzerhand den dichten Vorhang mit dem Dolch auf und stieß, als er durch die Öffnung durchblickte, sofort einen Ruf des Erstaunens aus. Der Schrei zweier Frauen war die Antwort.
»Was gibt es?« rief La Mole und hätte beinahe die Wachsfigur fallen lassen, wenn René sie ihm nicht aus den Händen genommen hätte.
»Weiter nichts, als daß die Herzogin von Nevers und die Königin Margarete da sind!« sagte Coconas.
»Also, Ungläubiger,« rief René mit einem herben Lächeln, »zweifeln Sie noch an der Stärke der beschworenen Neigung?«
Wie versteinert blickte La Mole auf die Königin. Coconas war nur einen Augenblick lang verblüfft, als er die Herzogin von Nevers erkannte. Der eine bildete sich ein, daß die Hexerei des Meisters René den Geist Margaretes herbeigerufen habe, der andere, der die Tür noch offen stehen sah, durch welche die zwei reizenden Geister gekommen waren, hatte bald eine Erklärung für dieses Wunder herausgefunden. Er erkannte in dieser Erscheinung das Spiel eines gewöhnlichen Zufalls, wie er so häufig in der Welt vorkommt.
Während sich La Mole bekreuzte und zum Steinerweichen seufzte, hatte Coconas Zeit genug gefunden, sich weltweise Fragen zu stellen und mit der Waffe des unbedingten Mißtrauens verrückte Gedanken davonzujagen. Coconas bemerkte durch den Schlitz des Vorhanges, daß die Herzogin betreten war und nahm auch das spöttische Lächeln der Königin Margarete wahr. Er sah ein, daß dieser Augenblick ein entscheidender war, und da er gleichzeitig begriff, daß man viel besser als sein eigener, der Dolmetsch eines Freundes sein kann, ging er statt sich der Herzogin zu nähern, auf die Königin zu und ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder. Und in einer Art, wie man den großen Artaxerxes auf den Jahrmarktsfestlichkeiten darstellt, nahm er diese Stellung ein und schrie mit einer Stimme, die infolge des Pfeifens aus der verwundeten Lunge ihren Eindruck nicht verfehlen konnte, folgende Worte: »Madame, gerade jetzt, über Wunsch meines Freundes, des Grafen von La Mole, hat Meister René Ihren Geist herbeigezaubert! Doch zu meinem größten Erstaunen ist Ihr Geist in Begleitung eines Körpers erschienen, der mir sehr lieb und wert ist und den ich auch meinem Freund anempfehlen will. Geist Ihrer Majestät der Königin von Navarra, wollen Sie die Güte haben, dem Körper, der Sie begleitet, zu sagen, daß er gefälligst von der anderen Seite des Vorhanges zum Vorschein kommt?«
Margarete fing an zu lachen und gab der Herzogin einen Wink. Henriette ging um den Vorhang herum.
»La Mole, mein Freund!« sagte Coconas, »Sei ein Redner wie Demosthenes, wie Cicero, wie der Herr Kanzler Herr von L'Hospital und bedenke, daß es jetzt um mein Leben geht, wenn es dir nicht gelingen sollte, die Körperlichkeit der Frau Herzogin von Nevers davon zu überzeugen, daß ich Ihr ergebenster, Ihr gehorsamster und treuester Diener bin.«
»Aber . . .«, stammelte La Mole.
»Tu, was ich dir sage, und Sie, Meister René, geben Sie acht, daß uns niemand stört.«
René folgte Coconas.
»Verdammt, mein Herr!« rief Margarete. »Sie sind ein Mann von Verstand. Ich höre, was haben Sie mir zu sagen?«
»Ich habe Ihnen zu sagen, Madame, daß der Geist meines Freundes – denn auch er ist nur ein Geist, und der Beweis hierfür ist, daß er noch nicht das kleinste Wort gesprochen hat! – daß also der Geist meines Freundes mich ersucht hat, von der Fähigkeit des Körpers vernünftig zu reden, Gebrauch zu machen und Ihnen somit folgendes zu sagen: Schöner Geist, der körperlose Edelmann hat seine Leiblichkeit und seinen Atem nur infolge Ihres strengen Blickes verloren. Wenn Sie Sie selbst wären, dann würde ich den Meister René bitten, mich gleich lieber in irgend ein schwefeliges Loch zu befördern, bevor ich mich der Tochter Heinrichs des Zweiten, der Schwester Karls des Neunten und der Gemahlin des Königs von Navarra gegenüber einer derartigen Ausdrucksweise bediene. Doch frei vom irdischen Hochmut sind die Geister, sie zürnen nicht, wenn man sie liebt. Darum bitten Sie Ihren Körper, Madame, die Seele dieses armen La Mole ein wenig zu lieben, eine Seele in Not, wie sie eine solche noch nie gekannt hat, eine Seele, die vordem von der Freundschaft verfolgt wurde, welche Freundschaft ihr bei drei Gelegenheiten einige Zoll Eisen in den Bauch befördert hat, eine Seele, die vom Feuer Ihrer Augen verbrannt ist, ein Feuer, das tausendmal stärker ist, als alle Feuer der Hölle. Haben Sie daher Mitleid mit der armen Seele, lieben Sie ein wenig das, was einstmals der hübsche La Mole gewesen und, wenn Ihnen die Sprache mangelt, dann geben Sie ein Zeichen, dann schenken Sie ein Lächeln! Die Seele meines Freundes ist besonders auffassungsfähig und wird alles verstehen. Tun Sie es, verdammt, oder mein Degen wird den Körper des Herrn René allsogleich durchbohren, damit er vermöge seiner Macht über die Geister auch den Ihren, den er so zur Zeit herbeigerufen hat, bezwingt. Hat er Sie doch beschworen, um weniger schicklich zu wirken, als es sich für einen so ehrlichen Geist ziemt, der Sie mir zu sein scheinen.«
Auf diesen Redefluß Coconas, der sich vor die Königin etwa so hingestellt hatte, wie Aeneas, als er im Begriffe war in die Hölle hinabzusteigen, konnte sich Margarete nicht mehr zurückhalten, sie brach in ein Gelächter aus. Im übrigen aber bewahrte sie das Schweigen, wie es bei einer derartigen Gelegenheit ein königlicher Geist unbedingt tun muß, und streckte Coconas nur die Hand hin.
Der nahm sie vorsichtig in seine Hand und rief La Mole herbei.
»Geist meines Freundes,« schrie er, »sofort hierher!«
La Mole, verblüfft und vor Erregung bebend, gehorchte.
»Gut so!« sagte Coconas und faßte ihn rückwärts beim Kopfe. »Jetzt nähern Sie den Hauch Ihres schönen, braunen Gesichtes der weißen, hauchartigen Hand, die ich Ihnen da hinhalte.«
Darauf ließ Coconas seinen Worten die Tat folgen und vereinigte die feine Hand mit den Lippen La Moles und hielt beides einen Augenblick lang ehrerbietigst fest, ohne daß sich die Hand dem sanften Druck entzogen hätte.
Margarete hatte nicht aufgehört zu lächeln, aber die Herzogin von Nevers lächelte nicht mit, sie war noch ganz erregt von der plötzlichen Erscheinung der beiden jungen Männer. Sie fühlte das Unbehagen einer im Nu entstehenden Eifersucht in sich wachsen, denn es schien ihr, daß Coconas seine eigene Angelegenheit einer anderen wegen nicht hätte so vergessen dürfen.
La Mole bemerkte ihr Stirnrunzeln, sah den drohenden Blick ihrer Augen, und trotz des berauschenden Taumels, aus dem er nicht erwachen wollte, verstand er die Gefahr, die seinem Freunde drohte und erriet, was er versuchen müßte, um sie von ihm abzuwenden.
Er erhob sich daher, ließ die Hand Margaretes in der Hand Coconas, ging auf die Herzogin zu, faßte sie ebenfalls bei der Hand und ließ sich auf ein Knie nieder.
»O schönste und verehrungswürdigste aller Frauen!« rief er aus. »Ich spreche von den lebenden Frauen, nicht von den Geistern« – er blickte Margarete an und lächelte ihr zu – »erlauben Sie einer Seele, die sich von ihrer groben Hülle losgelöst hat, die Versäumnisse eines Körpers wieder gutzumachen, der in einer irdischen Freundschaft zu sehr aufgegangen ist. Herr von Coconas, wie Sie ihn hier sehen, ist nichts als ein Mensch, ein Mensch von dreister und standhafter Art, ein Körper, der vielleicht schön anzuschauen ist, der jedoch vergänglich ist, wie alles Fleischliche: Omnis caro fenum! Obgleich dieser Edelmann mir von früh morgens bis spät abends Litaneien, die alle an Ihre Person gerichtet sind, in flehentlichster Weise vorbetet, obgleich Sie sahen, daß er die gewaltigsten Hiebe, die jemals in Frankreich geführt worden sind, austeilte, kann er jetzt in der Nähe einer Geistererscheinung und trotz seiner Beredsamkeit kein Wort zu einer Frau sprechen. Darum hat er sich an den Geist der Königin gewandt und mich ersucht, Ihren schönen Körper anzusprechen, Ihnen zu sagen, daß er Ihnen sein Herz und seine Seele zu Füßen legt. Er bittet, es mögen Ihre göttlichen Augen ihn mitleidig ansehen, es mögen Ihre rosig leuchtenden Finger ihn mit zärtlichem Zeichen rufen, es möge Ihre schwingende, klangreiche Stimme Worte zu ihm sprechen, die unvergeßlich sind. Und sollte ihm das alles versagt bleiben, sollten seine Bitten Sie nicht rühren können, dann bittet er mich um einen Dienst, um den Liebesdienst, ihm meinen Degen zum zweitenmal durch den Leib zu stoßen. Und die Klinge dieses Degens ist eine wirkliche, denn nur im Sonnenstrahl findet die Degenklinge ein nicht greifbares Abbild. So will er das Eisen im Leib fühlen, zum zweitenmal, weil er nicht leben kann, wenn Sie ihn nicht ermächtigen, ein Leben zu leben, das nur Ihnen gewidmet ist.«
So sehr Coconas seiner Rede Schwung und Witz gegeben hatte, so sehr hatte La Mole gefühlvoll, mit berauschender Kraft und schmeichelnder Hingabe, seine Bitte vorgetragen. Die Augen Henriettes wandten sich von La Mole, dem sie die ganze Zeit zugehört hatte, ab und richteten sich auf Coconas, um zu sehen, ob der Gesichtsausdruck des jungen Edelmannes mit der verliebten Rede seines Freundes auch im Einklang stünde. Es schien, daß sie befriedigt war, denn errötend, seufzend und besiegt, mit einem Lächeln, das zwei in Korallen eingefaßte Perlenreihen erscheinen ließ, sagte sie zum jungen Mann: »Ist das auch alles wahr?«
»Verdammt!« schrie Coconas, entzückt von diesem Blick und wie von Feuer übergossen. »Das ist wahr! Oh, wahr, Madame, wahr für Ihr Leben, wahr bis zu meinem Tod!«
»Dann kommen Sie!« sagte Henriette und streckte ihm ihre Hand mit einer Hingabe entgegen, welche an ihren gleichgültigen Blicken zum Verräter wurde.
Coconas warf sein Barett in die Luft und war mit einem Satz bei der jungen Frau, während La Mole, durch einen Blick Margaretes seinerseits erinnert und ermutigt, mit seiner Freundin einen verliebten Tanz aufführte.
In dem Augenblick erschien René bei der Tür im Hintergrunde.
»Ruhe!« rief er mit einer Stimme, die alles Feuer der Liebe sofort verlöschte . . . »Ruhe!«
Und schon hörte man, wie sich in der Wand ein knirschendes Eisen in einem Schloß drehte und hörte, wie eine Tür in ihren Angeln ächzte.
»Aber,« sagte Margarete in stolzer Art, »ich glaube doch, daß niemand das Recht hat, hier einzutreten, sobald wir uns hier befinden?«
»Nicht einmal die Königin-Mutter?« flüsterte ihr René zu.
Margarete stürzte sofort auf die äußere Stiege los und zog La Mole mit sich, Henriette und Coconas, die sich halb umschlungen hatten, flohen ihnen nach. Alle vier flogen davon, flogen von hinnen, wie zierliche Vögel, die ein plötzlicher Lärm erschreckt und gestört hatte, als sie gerade auf blühenden Zweigen miteinander schnäbelten.