Alexander Dumas d. Ä
Zehn Jahre später
Alexander Dumas d. Ä

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6. Kapitel.
Eifersucht

Anna von Oesterreich saß in ihrem Zimmer und schrieb, als ihr Sohn, Monsieur, der Herzog von Orléans, eintrat. Er war um seines hübschen Gesichts willen der Liebling der Mutter und von ihr fast noch mehr verwöhnt und verhätschelt worden als Ludwig, der ältere. Anna hätte sehr gern eine Tochter gehabt und fand in diesem weibisch veranlagten Sohn einen Ersatz dafür.

Philipp küßte seiner Mutter zerstreut die Hand und nahm Platz, ohne von ihr dazu aufgefordert zu sein. Das war ein Verstoß gegen die Etikette, den die sehr auf Konvenienz haltende Königin gewiß nicht ungerügt gelassen hätte; doch hielt sie ihn der offenbaren Zerstreuung ihres Sohnes zugute.

»Was fehlt dir, Philipp?« fragte sie befremdet. – »Vielerlei, Mama,« antwortete er in kläglichem Tone. Und er schien bereit, allem Verdruß, den er empfand, Luft zu machen; doch ganz plötzlich hielt er inne und schwieg seufzend. – »Nun, so sprich doch, Philipp,« sagte Anna. »Handelt es sich um Madame, deine Gemahlin? Dann tu dir keinen Zwang an. Ich bin deine Mutter, und sie ist meine Schwiegertochter. Ich werde dir mit Teilnahme zuhören.«

»Nun, Frau Mama, frei heraus – ist Ihnen selbst nichts aufgefallen?« fragte der Prinz. – »Was denn? du drückst dich sehr unklar aus –« – »Sie wissen, Frau Mama, ich wollte noch nicht heiraten und habe es nur mit Widerstreben getan –« – »Philipp, wie du das sagst! Mit was für einem Gesicht!« rief die Königin-Witwe. »Nimm dich in acht! Man wird glauben, du seiest mit deiner Ehe nicht zufrieden.« – »Bin ich auch nicht – mache gar kein Hehl daraus. Offen gesagt, Frau Mama, ich habe mir das Leben als Ehemann anders gedacht. Was denn? Meine Gemahlin gehört ja eigentlich gar nicht mir. Wann ist sie denn bei mir? Sie wird von allen möglichen Leuten besucht und in Anspruch genommen, schreibt nachmittags Briefe und gibt abends Bälle und Konzerte.«

»Also eifersüchtig, Philipp?« – »Gott bewahre, das überlasse ich andern. Aergerlich bin ich.« – »Was du da vorgebracht hast, das sind lauter harmlose Dinge, und solange du nichts Ernsthaftes –« – »Muß denn eine Frau gleich schuldig sein? Sie kann einem trotzdem schon das Leben schwer machen. Sie kann gewisse andere Herren in einer Weise bevorzugen, die selbst einen nichts weniger als eifersüchtigen Ehemann außer sich bringen kann.«

»Und wen bevorzugt Madame in solcher Weise?« fragte Anna. – Philipp kreuzte die Arme und sah seine Mutter mit einem Blicke an, als wenn er überzeugt sei, daß sie auf das, was er nun sagen werde, nichts zu antworten wissen würde. – »Den schönen Herzog von Buckingham,« sagte er. »Wenn Sie schon Madame in Schutz nehmen, werden Sie auch ihn verteidigen. Er ist in Madame verliebt.«

Anna von Oesterreich errötete und lächelte. Der Name Buckingham erweckte süße Erinnerungen in ihr. – »Buckingham,« wiederholte sie leise. – »Ja, ein richtiger Don Juan, wie mir scheint.« – »Die Buckinghams sind brav und gut,« erwiderte Anna. – »Ei, Frau Mama nehmen einen Galan in Schutz?« rief Philipp erbittert. – »Mein Sohn,« unterbrach ihn die Königin-Witwe mit Wärme. »Dieser Ausdruck ist deiner unwürdig. Deine Gemahlin kann keinen Galan haben, und ein Buckingham kann kein Galan sein. Er stammt aus einem makellosen Geschlecht.« – »Er ist ein Engländer,« erwiderte Philipp, »und die Engländer haben wenig Respekt vor fremdem Eigentum.« – Die Königin-Witwe errötete. – »Du sprichst ohne Ueberlegung,« fiel sie ihm ins Wort. – »Da ist nichts zu überlegen,« versetzte er. »Habe ich denn keine Augen?«

»Nun, was zeigen dir deine Augen?« – »Daß Buckingham nicht von der Seite meiner Frau weicht. Er macht ihr Geschenke, und sie nimmt sie an.« – »Nun, sie sind Landsleute, es ist nichts Schlimmes dabei,« antwortete die Königin-Witwe. »Deine Torheiten erinnern mich schmerzlich an deinen Vater – er hat mir auch oft wehgetan.« – »Buckingham, der Vater, war gewiß zurückhaltender als Buckingham, der Sohn,« sagte Philipp unbesonnen.

Anna von Oesterreich preßte die Hand auf die Brust.Annas Liebesverhältnis mit Herzog von Buckingham ist historische Tatsache. Nur mit Mühe faßte sie sich. »Nun, was willst du denn eigentlich von mir?« fragte sie. – »Mich beschweren – aufs nachdrücklichste,« antwortete Monsieur. »Ich werde mir von Buckingham nichts gefallen lassen und mich im Notfall an den König selbst wenden. Oder,« setzte er in einem Tone der Festigkeit hinzu, der sonst seiner weibischen Natur fremd war, »mir selbst mein Recht verschaffen.«

»Was verstehst du darunter?« fragte Anna. – »Ich will, daß Buckingham meine Frau in Ruhe läßt. Er muß fort aus Frankreich – und ich werde ihm das sagen lassen.« – »Das wirst du nicht tun, Philipp,« rief die Königin-Mutter. »Es wäre gegen das Gastrecht, und du würdest den König erzürnen. Ein unhöfliches Benehmen gegen Buckingham wäre eine Spitze gegen England selbst und könnte zum Zwiespalt führen. Und hier liegt außerdem eine faktische Beleidigung gar nicht vor. Es ist nichts als Eifersucht auf deiner Seite. Ich ermahne dich daher zur Geduld.«

»Ich habe keine Lust mehr, mich narren zu lassen,« rief Philipp und erhob sich. »Wenn Buckingham nicht mein Haus verläßt, so werde ich es ihm verbieten.« – Anna von Oesterreich erhob sich ebenfalls – steif und förmlich. – »Dann allerdings muß mit dem König darüber gesprochen werden,« sagte sie bewegt. – »Frau Mama!« rief Philipp. »Sprechen Sie doch jetzt mit mir als Mutter, nicht als Königin, denn ich spreche ja auch mit Ihnen als Sohn. Was soll ich denn tun?« – »Ueberlasse alles mir,« antwortete sie in wärmerem Tone. »Laß dir weder gegen deine Gemahlin, noch gegen den König, noch gegen Buckingham etwas merken. Sage dem Herzog, wenn du ihn siehst –« – »Wie soll ich ihn nicht sehen?« unterbrach sie der Sohn. »Er ist ja stets in den Zimmern meiner Frau –« – »Sage ihm nichts weiter,« fuhr die Königin fort, »als daß ich ihn um einen Besuch bitte.« – Philipp küßte seiner Mutter die Hand und ging.

Lord Buckingham folgte der Einladung der Königin-Mutter und ließ sich eine halbe Stunde später bei ihr melden. Die Königin stand auf und erwiderte mit huldvollem Lächeln die graziöse Begrüßung des Herzogs. Anna von Oesterreich war noch immer schön. Trotz ihres Alters erregte ihr blondes Haar und das frische Rot ihrer Lippen die Bewunderung aller, die sie sahen. In diesem Augenblick verlieh ihr die zärtliche Erinnerung, der sie sich überließ, einen besonderen Reiz, und sie schien noch so berückend, wie in den Tagen ihrer Jugend, als der junge, leidenschaftliche Vater dieses Buckingham vor ihr stand – jener Unglückliche, der nur für sie gelebt und mit ihrem Namen auf den Lippen gestorben war.

Sie warf auf den Herzog einen Blick, der zwischen dem einer liebenden Mutter und dem einer sich noch schön fühlenden Frau zu schwanken schien, und bat ihn auf englisch Platz zu nehmen. Es war eine große Zuvorkommenheit, daß die ältere Dame den jungen Kavalier in der Sprache seines Landes anredete. Buckingham wußte das und war durch diesen freundlichen Empfang tief ergriffen. »Mylord,« begann Anna von Oesterreich, »wie finden Sie Frankreich?« – »Ein schönes Land, Majestät.« – »Aber wie jeder Engländer ziehen Sie Ihr Vaterland vor?« fragte die Königin weiter. – »Mein Vaterland, ja,« antwortete der Herzog diplomatisch. »Aber wenn die Frage zwischen London und Paris liegt, so ist mir Paris lieber.« – »Ich habe gehört, Sie besitzen drüben schöne Güter und bewohnen einen prachtvollen Palast,« sagte Anna. – »Es ist meines Vaters Palast,« antwortete der Herzog, die Augen niederschlagend.

»Teure Erinnerungen müssen Sie an diesen Ort knüpfen,« sprach die Fürstin, selbst von solchen Erinnerungen berührt. »Da werden Sie gewiß Frankreich bald verlassen, um diesen Schätzen wieder nahe zu sein.« – Buckingham sah befremdet auf. – »Ich glaube im Gegenteil,« versetzte er rasch, »ich werde England verlassen, um dauernd in Frankreich zu wohnen.« – »Ah,« rief Anna, »so stehen Sie bei dem neuen König nicht in Gunst?« – »Im Gegenteil, der König schenkt mir unbegrenztes Wohlwollen.« – »Dann müssen Sie einen geheimen Grund haben,« sagte Anna.

»Nein,« erwiderte Buckingham lebhaft. »es ist gar nichts Geheimes dabei. Es gefällt mir in Frankreich – ich fühle mich wohl an diesem Hofe – man findet hier Geschmack und feine Sitte – und Genüsse, die es in meiner Heimat nicht gibt.« – »Aber ein Mann von Ihrem Range darf doch über die Genüsse nicht vergessen –« begann die Königin. – »Majestät scheinen zu viel Gewicht auf diesen Punkt zu legen,« unterbrach der Brite sie. – »Das Leben in der Heimat geht über alles, Herzog,« fuhr die Königin-Witwe fort, »ich bin lange von meinem Vaterlande fort, und doch ist kein Jahr verflossen, wo ich mich nicht danach gesehnt hätte.«

»Kein einziges?« erwiderte der Lord. »Auch keins von denen, wo Majestät die Königin der Schönheit waren – was Sie übrigens heute noch sind?« – »O, keine Schmeicheleien, Mylord,« rief Anna. »Ich bin eine alte Frau – ich könnte Ihre Mutter sein.« – Sie sagte diese Worte in seltsam warmem Tone. – »Ja, Mylord,« fuhr sie fort, »ich könnte Ihre Mutter sein, und deshalb gebe ich Ihnen einen guten Rat.«

»Nach London zurückzukehren?« rief er. – »Ja, Mylord,« antwortete sie. – Er faltete mit einem Ausdruck des Entsetzens die Hände. – »Wie, ich soll abreisen? Mich selbst verbannen?« rief er. – »Ei, möchte man doch fast glauben, Sie seien in Frankreich daheim!« sagte die Fürstin. – »Majestät, ein Liebender ist dort daheim, wo die Geliebte weilt.« – »Kein Wort mehr, Mylord!« fiel Anna ihm ins Wort. »Sie vergessen, mit wem Sie reden. Sie verraten sich!« – Buckingham sank aufs Knie. – »Ich habe nichts gesagt – ich weiß nichts,« stammelte er. »Und übrigens, wir reden ja unter vier Augen – es weiß ja niemand, daß Majestät mit mir darüber sprechen.« – »Doch, Mylord, man weiß es,« antwortete Anna. – »Wie?« rief der Herzog außer sich. »Wer hat mich denunziert? Madame, es gibt Geheimnisse, die denen, die sie aufdecken, das Leben kosten!« – »Wie töricht! Der, der Ihr Geheimnis entdeckt hat, ist Ihrem Arm entrückt: er ist mit allem Recht gewaffnet und obendrein ein Ehemann voller Eifersucht. Es ist mein Sohn, der Herzog von Orléans.«

Buckingham erblaßte. – »Majestät sind grausam,« stieß er hervor. – Die Königin ergriff seine Hand, »Villiers,« sagte sie mit Ungestüm, »was verlangen Sie? soll eine Mutter ihren Sohn opfern? soll eine Königin dulden, daß Schmach über ihr Haus kommt? Schlagen Sie sich das aus dem Sinn! Sie reden von den Verstorbenen; die waren wenigstens ehrerbietig und gehorsam – fügten sich geduldig in die Verbannung und nahmen die Verzweiflung mit sich wie einen Schatz, den sie in ihr Herz schlossen.«

Verstörten Antlitzes stand Buckingham auf. »Majestät haben recht,« versetzte er; »doch jene, von denen Sie reden, erhielten den Befehl der Verbannung aus einem geliebten Munde – man trieb sie nicht fort – man bat sie abzureisen.« – »Und wer treibt denn Sie fort? Ich rede hier ja nur für mich selbst. Ich verlange einen Gefallen, den Sie mir persönlich tun sollen. Ich möchte auch dies noch einem Ihres Namens zu verdanken haben.« – »Ich bin in Verzweiflung, Majestät – was Sie sagen, ist wohl ein Trost, doch er wird mir nicht genügen –« – »Freund,« erwiderte die Königin mit huldvollem Lächeln, »haben Sie Ihre Mutter gekannt?« – »Nur wenig,« antwortete er, »doch erinnere ich mich, daß die edle Dame mich mit Küssen bedeckte, wenn ich weinte.«

»Villiers,« flüsterte die Königin und schlang den Arm um den Hals des jungen Mannes, »ich fühle für Sie wie eine Mutter – und ich will nicht, daß Sie weinen.« – »Dank, gnädigste Frau,« antwortete er bewegt, »ich fühle, mein Herz hat noch für ein tieferes, sanfteres Gefühl als die Liebe Raum. Wann soll ich reisen?« – »Uebermorgen abend; es darf nicht auffallen,« antwortete sie, ihm die Hand drückend. »Kündigen Sie jedoch heute schon Ihren Entschluß an.« – »Und ich darf nie nach Frankreich zurückkehren?« – Anna schwieg einen Moment, dann rief sie heiter: »Nun, kommen Sie in zwei Jahren wieder. Ich lese trotz aller augenblicklichen Trauer in Ihrem Antlitz, daß die Gedanken, die Sie heute bestürmen, in sechs Monaten vergessen sein werden.« – »Die Zeit geht am Herzen eines Buckingham spurlos vorüber,« antwortete der Lord. – »Still, still!« fiel Anna ihm ins Wort und küßte ihn auf die Stirn. »Nicht weich werden – ich bin die Königin, Sie sind Untertan Karls II. Ihr Souverän erwartet Sie. Villiers, farewell!« – »For ever!«farewell – lebewohl! – for ever – auf ewig! rief Buckingham und eilte, die Tränen verschluckend, hinaus. Anna preßte die Hand aufs Herz. – »Arme Königin!« flüsterte sie. »Jawohl, die Zeit geht für das hier drinnen spurlos vorüber. In einem Winkel des Herzens bleibt man immer zwanzig Jahre alt.«



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