Alexander Dumas d. Ä
Zehn Jahre später
Alexander Dumas d. Ä

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4. Kapitel.
Der Tod eines Titanen

Als d'Artagnan seine Freunde verlassen hatte, machten auch sie sich auf den Weg, um an ihre Posten zu gehen. Porthos richtete sich mühsam auf, aber beim ersten Schritt versagten ihm die Beine den Dienst, und er mußte sich noch einmal setzen. – »Aramis,« rief er, »das ist ein böses Zeichen. Daran erkenne ich, es geht mit mir zu Ende.« – »Nicht doch!« versetzte d'Herblay. »Die Ueberraschung ist Ihnen nur in die Glieder gefahren.« – »Ich weiß das besser,« beharrte jener. »Mein Großvater war zweimal so stark wie ich; aber bei einer Jagd fühlte er plötzlich, daß ihm die Beine schwach wurden – ein Uebel, das er nie zuvor gekannt hatte. Er raffte sich dennoch auf und pirschte weiter. Da begegnete ihm ein Wildschwein; er schoß mit der Armbrust und fehlte das Ziel. Das Tier fiel über ihn her und schlitzte ihm den Leib auf. Er war auf der Stelle tot.«

»Das ist noch kein Grund, für Ihre Person zu fürchten,« antwortete der Bischof. – »Hören Sie weiter!« fuhr Porthos fort. »Mein Vater war noch einmal so stark wie ich. Müdigkeit war ihm fremd. Aber als er eines Tages von Tisch aufstand, waren ihm die Beine schwach. Er trotzte dieser Schwachheit wie mein Großvater, und statt zu Bett zu gehen, ging er in den Garten. Bei den ersten Stufen wiederholte sich der Schwächeanfall, mein Vater fiel hin und schlug mit dem Kopf auf eine eiserne Klammer, die ihm in die Schläfe drang. Er war auf der Stelle tot.«

»Das sind zwei seltsame Zufälle, Porthos, aber wir können daraus immer noch nicht folgern, daß es Ihnen ebenso ergehen werde,« erwiderte Aramis. »Uebrigens stehen Sie jetzt schon wieder so stolz und fest da wie noch nie. Sie könnten ein Haus auf den Schultern tragen.«

»Ich fühle mich allerdings auch sehr dazu aufgelegt; aber diese Schwäche, währte sie auch nur einen Augenblick, ist für mich trotz allem ein untrügliches Zeichen. Ich fürchte mich nicht, allein ich liebe das Leben. Ich habe hübsche Landgüter und ein schönes Vermögen, das würde ich gern noch eine Zeitlang genießen. Und dann habe ich auch Freunde, die ich liebe: d'Artagnan, Athos, Rudolf und Sie!« – Der ehrliche Porthos nahm sich nicht einmal die Mühe, d'Herblay zu verhehlen, welchen Rang unter den Freunden er ihm zuerteilte.

»Wir werden auch noch lange leben,« antwortete Aramis, ihm die Hand drückend, »und der Welt noch viele Jahre das Muster von seltenen Männern sein. D'Artagnan wird uns befreien. Er will seinen Abschied einreichen, und die Verwirrung, die sein Rücktritt vom Kommando hervorrufen muß, will er benutzen, uns entschlüpfen zu lassen. Das ist sein Plan, und ich habe auch schon eine Barke an den Ausgang der unterirdischen Grotte Locmaria rollen lassen. Von dort aus können wir, sobald es Nacht ist, die See erreichen.« – »Das ist ein guter Gedanke,« sagte Porthos. »Hoffen wir also das Beste!«

Da erklang das Geschrei: »Zu den Waffen!« – Eine Menge von Männern und Frauen eilte herbei, Fackeln irrten hin und wieder, die Soldaten rückten an ihre Plätze. – »Die Flotte kommt heran!« schrie ein Bewaffneter, der Aramis erkannt hatte. – »Dann beginnt der Kampf! Auf, verteidigen wir uns!« schrie Aramis.

»Auf in den Kampf!« brüllte Porthos mit Donnerstimme. Und beide liefen zur nächsten Batterie.

Man sah Schaluppen mit Militär herankommen, sie näherten sich von drei Richtungen her, um an drei verschiedenen Punkten zugleich zu landen. Im nächsten Augenblick hatten nur noch die Kanonen das Wort; der Donner zerriß die Luft, der Rauch trieb wie dichter Nebel über die See und das Land hin. Der erste Angriff wurde siegreich zurückgeschlagen, nur ein Boot der Königlichen erreichte die Küste, mußte jedoch unter schweren Verlusten sofort umkehren.

»Porthos! Wir brauchen einen Gefangenen!« rief Aramis, und der Riese eilte zum Strande, warf sich mitten in den Knäuel der Flüchtenden und packte einen davon beim Kragen. Indem er ihn wie einen Schild vor der Brust trug, ging er rückwärts schreitend zu den Seinen zurück. »Hier ist ein Gefangener,« sprach er. – »Ihre Beine haben sich trefflich bewährt,« lachte Aramis. – »Ich habe ihn nicht mit den Füßen gefangen,« sagte Porthos traurig, »sondern mit den Armen.«

Es war ein Offizier, und Aramis begann ihn ins Verhör zu nehmen. Nun erfuhren sie, daß d'Artagnan nach Niederlegung des Kommandos sofort als Gefangener nach Frankreich gebracht worden sei, und daß sie von seiner Seite nichts mehr zu hoffen hätten. Aramis fragte sodann, was man mit den Leuten von Belle-Ile tun wolle, wenn man sie besiegt hätte. – »Der Befehl lautet, diejenigen, die den Kampf überleben, aufzuknüpfen.« – Aramis und Porthos blickten einander an. – »Ich bin zu leicht für den Galgen,« meinte d'Herblay. »Leute, wie ich bin, henkt man nicht.« – »Und ich bin zu schwer,« setzte Porthos hinzu, »bei mir reißt der Strang.« – »Ihnen beiden,« sagte der gefangene Offizier, »hätten wir jedenfalls die Vergünstigung gewährt, sich die Todesart auszuwählen.« – »Sehr gütig!« entgegnete Aramis.

Von neuem erklang Kanonendonner, und das scharfe Knattern von Musketen mischte sich darein. Schrecklich hallte das Getöse von den Felsen der Insel wider. – »Potz Wetter, was ist das?« rief Aramis. – »Der erste Angriff, den Sie zurückgeschlagen haben, war ein Scheinmanöver, das Sie veranlassen sollte, alle Ihre Kräfte hierher zu konzentrieren. Inzwischen sind wir an einer minder stark besetzten Stelle siegreich eingedrungen,« sagte der Gefangene lächelnd. – Aramis sank zurück. »Dann sind wir verloren,« stöhnte er dumpf. Und während das Geschrei der Kämpfenden näher heranbrauste, wandte er sich an die Soldaten, die rings an ihren Posten standen, und rief: »Freunde, keinen Widerstand mehr! Er wäre nutzlos und würde euch zum Verderben gereichen! Ergebt euch der Gnade des Königs! Der König ist Euer Herr! Der König ist der Abgesandte Gottes! Denkt nicht ferner mehr daran, Herrn Fouquet an dem König zu rächen. Opfert nicht nutzlos Weib und Kind, Freiheit, Besitz und Leben! Nieder mit den Waffen! Die Soldaten des Königs sind in Belle-Ile eingedrungen, und wenn ihr euch zur Wehr setzt, so wird es kein redlicher Kampf mehr sein, sondern nur noch ein Gemetzel, das keiner von euch überleben wird! Ich befehle euch im Namen des Allmächtigen, unterwerft euch der Gnade Ludwigs XIV.!«

Nach dieser Ansprache wandte er sich an den Offizier, der die Beweggründe dieser plötzlichen Umwandlung von energischem Widerstand zu wehrloser Ergebung nicht begreifen konnte. »Mein Herr!« setzte d'Herblay hinzu, »Sie sind frei, kehren Sie zu den Ihren zurück.« – »Mein Herr,« antwortete der Offizier, »Sie retten auf diese Weise wohl alle diese Einwohner, aber weder sich noch Ihren Freund.« – »Auch wir hoffen, die Gnade des Königs nicht vergebens anzuflehen,« antwortete Aramis. – »Gnade?« rief Porthos wild. »Was ist das für ein Wort?« – »Meine Herren,« sprach der Offizier, »der Befehl lautet ausdrücklich –« – »Herr,« unterbrach ihn Aramis, der fürchtete, Porthos könnte in seinem Zorn etwas von der geplanten Flucht ausschwatzen, »ich bin Bischof – ein Bischof kann nicht ohne weiteres gerichtet werden.« – »Allerdings,« erwiderte der Offizier. »Diese Chance hätten Sie noch für sich.« – Darauf verneigte er sich und ging.

Die Grotte von Locmaria war ein natürlicher unterirdischer Gang, der ein gutes Stück landeinwärts lag und bis hart ans Gestade der See führte. Im letzten Teile lag er allerdings nicht mehr unter der Erde, war aber durch ein Gewirr von übereinandergestürzten Steinblöcken so trefflich verdeckt, das man unter völliger Deckung das Meer erreichen konnte. Aramis und Porthos verließen den Wall und machten sich im Schutze der Nacht auf den Weg. Mit jener Rücksichtslosigkeit, die in schwierigen Lagen dem Bischof zu eigen war, überließ er es unbedenklich den Leuten von Belle-Ile, sich mit den Königlichen auseinanderzusetzen, wie sie wollten.

»Lieber Freund,« sprach Porthos, sich verschnaufend, »da wären wir! Aber sprachen Sie nicht von drei Fischern, die hier ein Boot für uns in Bereitschaft halten sollten? Ich sehe jedoch niemand.« – »Sie warten im Innern der Höhle,« antwortete Aramis. Sie traten ein, gekrümmten Rückens schritten sie in die feuchte, pechschwarze Höhle, und d'Herblay ließ einen Ruf, ähnlich dem der Nachteule, erschallen. Ein gleicher erklang als Antwort. – »Sind Sie es, Yves?« fragte der Bischof. – »Ja, Monseigneur, mit Goennec und seinem Sohne.« – »Ist alles bereit?« – »Alles, bischöfliche Gnaden!«

Sie zündeten bei diesen Worten eine Laterne an, und man sah nun ein Boot zwischen den Steinen liegen. Aramis untersuchte es beim matten Schein der Kerze, überzeugte sich, daß es alles enthielt, was er mit sich nehmen wollte, prüfte die Flinten, die Munition und das kleine Faß Pulver, das man im Heck verstaut hatte, und befahl dann, das Fahrzeug fortzutragen. Obwohl es gut beladen war mit Proviant, Wein in Schläuchen, Waffen und anderen Bedarfsartikeln, war es doch leicht, da es einer jener schlanken, hochbordigen Kähne war, die man besonders auf Belle-Ile mit großem Geschick anzufertigen verstand. Die drei Männer hoben es bis zur Höhe des Knies empor und schoben es nun ruckweise, immer wieder absetzend, Schritt für Schritt vorwärts. Das ging langsam, aber man mußte sich gedulden. Schließlich wurde das Ende des unterirdischen Ganges erreicht. Hier versperrte ein gewaltiger Steinblock den Ausgang, an dessen Schwere die Kräfte der drei Fischer versagten.

Porthos trat heran, stemmte den Rücken und die gewaltigen Schultern gegen das Hemmnis und bohrte die Füße in den Sand des Grundes. Dann hob er sich langsam empor, und der Stein lockerte sich in seinem festen Gefüge, Erde prasselte hernieder, Wurzeln zerrissen wie Bindfäden, die Platte ging in die Höhe und kollerte nach außen herum, das Dämmerlicht des grauenden Tages schimmerte in die Höhle hinein.

Aramis stieg als erster hervor, um Ausschau zu halten. Dann ließ er die Fischer mit Hilfe des Barons den Kahn hinausschieben, und die Männer trugen ihn nun leichter und schneller auf dem ebenen Boden im Schutze der Steinwände weiter, um ihn dann das letzte kurze Stück über das Ufer hin auf hölzernen Rollen ins Wasser zu schieben. Aramis und Porthos schickten sich an, ihnen zu folgen, als, gehetzt von mehreren bellenden Hunden, plötzlich ein Fuchs in die Oeffnung der Grotte schoß.

»Potz Wetter!« rief d'Herblay, »das ist eine Meute! Und hören Sie, da sind auch menschliche Stimmen! Sie kommen hierher. Wir wollen vorsichtshalber in die Höhle zurückkehren.« – Sie schlüpften rasch hinein, da brausten auch schon die Hunde heran, die hinter dem Fuchs hersetzten, und sprangen durch den schmalen Gang. Draußen aber vernahm man Pferdegetrappel und lautes Geschrei. »Es sind Offiziere der königlichen Garden,« sprach Aramis. »Sie haben zufällig einen Fuchs aufgestöbert, und da sie Zeit zum Jagen haben, so gibt es also auf Belle-Ile schon nichts mehr zu tun. Die Besatzung hat sich ergeben.« – »Die Jäger werden den Hunden folgen und hierherkommen,« sagte Porthos. – »Und uns hier finden, freilich,« setzte Aramis hinzu. »Aber wir werden sie hinter den Steinen erwarten und niedermachen, sobald sie hereinkommen. Das wird zehn Minuten dauern.«

Und er griff nach der Pistole und nahm den Dolch zwischen die Zähne. Der Bischof von Bannes war wieder der Musketier von ehedem geworden.

Die Jäger kamen heran. Aramis und Porthos eröffneten durch eine Lücke des Gesteins das Feuer und streckten mit vier Schüssen vier Feinde nieder. Aber sie konnten nicht hindern, daß zwei der Reiter, erschrocken über den unvermuteten Angriff, mit lautem Geschrei entflohen. Sie wollten nun zuerst ohne weiteres zu dem Boot eilen, das die Fischer inzwischen fast bis ins Wasser gebracht hatten, allein Aramis hielt seinen Freund zurück. Es war aussichtslos, in diesem Augenblick zu entfliehen. Die Schüsse waren gehört worden, die Reiter riefen Hilfe herbei, und was nützte es, ins Boot zu kommen und in See zu stechen. Sie wurden dann ja doch verfolgt, eingeholt und gefangen genommen. Dagegen gab es kein Mittel. Sie mußten sich zurückziehen, die feindliche Abteilung, die gegen sie anrücken würde, erwarten und ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen. Sie hatten im Innern der Grotte doch wenigstens eine einigermaßen sichere Stellung und konnten es im Schutze steinerner Pfeiler und finsterer Gänge mit einer großen Ueberzahl aufnehmen.

Sie blieben hinter den Steinblöcken, bis sie ihre Feinde heranrücken sahen. Aramis zählte 75 Mann. – »Was ist da zu tun?« murmelte er und wühlte mit Wut in seinen ergrauenden Haaren. – »Wir können keinen offenen Kampf mit ihnen wagen,« antwortete Porthos. »Aber wir wollen sie in die Höhle locken. Dort stellen wir uns hinter den steinernen Pfeilern auf, und alle, die herankommen, schlagen wir nieder, ehe sie erkennen, wo wir stecken. Wie dünkt Sie das?« – »Ausgezeichnet, lieber Freund,« erwiderte Aramis. »Ich bin sehr dafür, nur fürchte ich, die Hälfte wird Angst bekommen und draußen bleiben. Wir müssen aber alle vernichten. Bleibt nur ein einziger übrig, so sind wir verloren.« – »Also wie locken wir sie da heran?« – »Indem wir uns gar nicht rühren, lieber Porthos,« sagte d'Herblay. – »Und für den Notfall,« setzte Porthos hinzu, »haben wir noch das Faß Pulver, das die Fischer in der Grotte zurückgelassen haben, um das Boot zu erleichtern.« – »Das wollen wir aber möglichst wieder mit ins Boot nehmen,« meinte Aramis. »Und nun ans Werk, ich höre Stimmen!« – Porthos zog sich in die zweite Wölbung der Höhle zurück, Aramis kroch in die dritte. Der Riese hob die schwere Eisenstange vom Boden auf, mit der man das Boot vorwärts bewegt hatte. Sie wog etwa fünfzig Pfund, und er handhabte sie wie einen Spazierstock.

Man hörte jetzt ein Kommandowort, und alsbald sprangen 25 Mann von den oberen Felsen herab und drangen in die erste Höhlung vor. Dort legten sie an und schossen in die zweite hinein. Der Knall dröhnte in der Wölbung, die Kugeln prasselten gegen die Steinwände. Der Rauch erfüllte die Gänge. Da aber die Salve gar keinen Erfolg hatte, befahl der Führer den Leuten weiter vorzudringen. Porthos stieß einen Seufzer aus und hob die Eisenstange. Schwer hob und senkte sie sich zehnmal, und zehn Leichen lagen am Boden. Die Soldaten sahen in der Finsternis nichts. Sie hörten nur Geschrei und immer wieder eine Stimme, die aus einer noch tieferen Höhle ihnen zurief: »Kommt nur heran! Kommt nur heran!« – So drangen immer wieder neue Feinde vor, und immer wieder fiel die mörderische Eisenstange auf sie hernieder.

Nun aber hatte sich der Kapitän draußen eine Fackel aus Tannenzweigen gemacht und kam mit Licht herein. Soldaten folgten ihm. Aber bei dem Anblick, der sich ihnen bot, flüchteten sie voll Entsetzen. Der Kapitän selbst erschrak zu Tode, als er die Menge von Leichen erblickte und doch niemand sah, der sie getötet haben konnte. Er tat noch einen Schritt in den blutigen Knäuel hinein. Da packte ihn eine Faust, die aus dem Dunkel hervorschoß, bei der Kehle. Die Fackel entfiel seiner Hand und verlosch knisternd in einer Lache von Blut. Eine Sekunde später lag die Leiche des Kapitäns neben dem verkohlten Tannenzweig. Alles das geschah auf zauberhafte Weise, als wenn dort drinnen eine rätselhafte, menschenmordende Maschine arbeitete. Die Soldaten wagten sich nicht mehr herein und beratschlagten, was sie tun sollten.

Porthos schöpfte Atem. Er wartete, die Eisenstange in der Hand. Da hörte er die Stimme seines Freundes. »Kommen Sie,« flüsterte Aramis. »Nehmen Sie dieses Fäßchen Pulver, ich habe eine Lunte hineingesteckt. Werfen Sie es mitten unter unsere Feinde, es wird ihrer aller Tod sein.« – »Brennen Sie an!« sprach Porthos. – »Warten wir, bis sich alle versammelt haben, und dann sollen Sie wie Jupiter ihren Blitz schleudern.« – »Brennen Sie an!« wiederholte Porthos. – »Ich eile inzwischen zu den Bretagnern und helfe ihnen alles fertig machen. Sie kommen dann nach, so rasch Sie können. Bis zu ihrer Ankunft wird alles bereit sein, und wir fahren dann gleich ab.« – »Brennen Sie an,« sagte Porthos ein letztes Mal. – Aramis gab ihm das Faß und den brennenden Schwamm und kroch selbst zum Ausgang der Höhle. – Wie ein Leuchtkäfer glühte das Stückchen Schwamm in der Finsternis – der erste Funke eines ungeheuren Brandes – dann glomm die Lunte auf, und während Aramis den Steingang entlangkroch, erstieg Porthos die Wand, hob das Fäßchen hoch empor und zeigte sich in seiner Riesengestalt den verblüfften Feinden. Sie sahen diesen Recken. Geschwärzt von Rauch, bespritzt von Erde und Blut, glich er mehr einem Dämon der Tiefe als einem Menschen. Sie glaubten Vulkan selbst vor sich zu sehen, und sie erkannten den Gegenstand, den die Erscheinung schwang, sahen die brennende Lunte und stoben mit furchtbarem Angstgeschrei auseinander. Doch zu spät! Im mächtigen Bogen, von beiden Armen des Riesen geschleudert, flog das Pulverfaß mitten zwischen sie und explodierte mit einem Krach, der Himmel und Erde einzureißen schien.

Aber so tödlich das gräßliche Wurfgeschoß für die Feinde war, so verhängnisvoll ward es für Porthos selbst. Die Felsenwand, auf deren oberem Rande er stand, senkte sich jäh hernieder, die Steine barsten wie Tannenbretter unter der Axt, und während vor ihm ein entsetzliches Geschrei erklang und in wimmernden Lauten erstarb, während lodernde Flammen hoch emporflackerten und eine riesige Rauchwolke rings die Luft erfüllte, sah sich Porthos in die Tiefe gerissen, Steine, Sand und Erdklumpen hagelten auf ihn hernieder, und bis zum halben Leibe war er zwischen Felsentrümmern eingeklemmt.

Die Explosion der Pulvermassen hatte in diesem Teil der Insel das Antlitz der Erde verändert; die Grotte war aufgerissen worden, die Steinblöcke hatten sich an vielen Stellen auseinandergebreitet, an andern wieder zusammengehäuft. Es war kein unterirdischer Gang mehr da, sondern nur noch ein Gewirr von größeren und kleineren Steinhaufen, und einer von diesen hatte sich um Porthos her gebildet, der nun vor sich die Freiheit sah, den Strand des Meeres und Aramis mit den drei Fischern, die ihn erkannten und ihm zuwinkten. Aber hinter sich hatte er eine schwere Masse Gestein, die er nur mit Aufbietung aller Kraft zurückhielt und die ihm das Genick zu zerquetschen drohte.

»Kommen Sie, kommen Sie!« riefen die Fischer. – »Schnell, schnell!« rief Aramis und streckte die Hände vor, als wollte er seinen Freund zu sich heranziehen.

Der Riese wühlte mit beiden Fäusten zwischen den Steinen. Er reckte Schultern und Hals, um die Last, die ihn von hinten niederdrücken wollte, zurückzuschieben. Aber er vermochte es nicht. Seine Arme beugten sich, sein Kopf senkte sich tiefer und tiefer. Das stämmige Dach seiner Schultern gab nach. – »Porthos! Porthos!« rief Aramis. »So komm doch!« – »Noch warten!« keuchte der Herkules, »noch warten!« – Als d'Herblay die röchelnde Stimme vernahm, sprang er aus dem Kahn und eilte, aller Gefahr ungeachtet, seinem Freunde zu Hilfe. Die Fischer folgten ihm, und alle vier fielen nun über die Steinblöcke her, gegen die Porthos vergebens ankämpfte. Aber sie waren machtlos, sie konnten nicht einmal versuchen, ihn hervorzuziehen, denn beim ersten Ruck wäre der Steinkoloß vollends herniedergestürzt.

»Zu schwer!« stöhnte Porthos. Dann sah er mit traurigem Lächeln Aramis an und murmelte: »Die Beine! die Beine!« – Sein Kopf sank auf die Brust – Schaum trat ihm vor den Mund – man hörte ein knackendes Geräusch – dann sank der Steinblock über ihn und begrub ihn zur Hälfte unter sich. Ihm nach prasselten eine Masse von kleineren Steinen, die die ganze Gestalt des Toten bedeckten.

Aramis, an allen Gliedern bebend, beugte sich hernieder und horchte. Nichts – kein Röcheln mehr – der Riese schlief den Todesschlaf in dem Grab, das Gott ihm nach seiner Größe gemacht hatte.

Der Bischof kehrte mit seinen Freunden zum Boote zurück, langsamer, als er hergekommen. Sie griffen in die Ruder, und in schneller Fahrt flog die Barke über den glatten Meeresspiegel hin. Aramis sah noch immer nach der Stelle, wo die Grotte von Locmaria in ihrem Zusammenbruch die letzte Ruhestätte seines treuen Porthos gebildet hatte. Und so oft er auch versuchte, seine Gedanken auf den Ernst seiner Lage zu konzentrieren, sie kehrten immer wieder zu Porthos zurück, zu dem Stärksten und Einfältigsten der berühmten vier, welcher nun als erster hatte sterben müssen, zermalmt von einem blöden Stein.

Und ihm, dachte er bei sich, ihm, der an allem schuld war, der diesen gutmütigen Freund hintergangen hatte, ihm war die Flucht geglückt – doch nein! sie glückte auch ihm nicht! Denn als er nun den Kopf hob, sah er, daß ein Schiff das Boot verfolgte!

»Monseigneur, man setzt uns nach,« sagte Yves, der Fischer. – Aramis sah nach dem weißen Punkte, den das Segel des feindlichen Kreuzers am Horizont bildete, und nickte düster vor sich hin. Er antwortete nichts und vergrub wieder das Gesicht zwischen den Händen.

»Monseigneur, wir sind verloren!« sprach nach einer Weile der Fischer wieder. »Barmherziger Himmel, sie schießen auf uns!«

Eine Dampfwolke zeigte sich unter den Segeln, breitete sich aus, wie eine Blume, die sich entfaltet, und verflog; dann sah man etwa hundert Meter vor dem Hinterteil des Bootes eine Kugel ins Meer sausen, eine Furche im Wasser aufwühlen und verschwinden, gleich einem Steine, den ein Knabe über einen Teich schwippt. –

»Monseigneur, sie bohren uns in Grund!« rief der Fischer und warf sich mit den andern vor Aramis auf die Knie. »Geben Sie uns Absolution, Herr Bischof!«

»Ihr vergeßt, sie können euch sehen,« sagte d'Herblay. – »Es ist wahr,« antworteten die Seemänner, sich ihrer Schwachheit schämend. »Befehlen Sie, Monseigneur, wir sind bereit, für Sie zu sterben!« – »Wir warten auf sie,« sagte Aramis ruhig. »Es bleibt uns nichts weiter übrig.« – Sie ließen die Ruder ruhen und zogen das Segel ein. Das feindliche Schiff kam mit Windeseile heran. Die ganze Mannschaft stand auf Deck, die Waffen in der Hand, die Kanoniere sah man an den Stücken, die brennenden Lunten bereithaltend. Man hätte meinen mögen, sie seien auf dem Punkte, eine Fregatte zu entern, nicht aber ein Boot anzuhalten, in welchem sich nur vier Menschen befanden.

»Ergebt euch!« rief der Kapitän. – Aramis nickte nur mit dem Kopfe, und Yves, der Fischer, winkte mit seinem Taschentuche. – »Dreien von euch schenke ich das Leben!« rief der Kapitän. »Einem aber nicht, und das ist Chevalier d'Herblay.« – »Hören Sie, Monseigneur?« rief Yves. – »Ja,« antwortete der Bischof. – »Was sollen wir tun?« – »Annehmen!« Und Aramis spielte mit seinen weißen Fingern in dem grünlich schwarzen Wasser, als wenn er überlegte, ob er sich ergeben oder ertränken solle. – »Wir nehmen es an!« rief Yves. »Wer aber bürgt uns dafür, das Ihr Wort haltet?« – »Mein Name und mein Stand,« rief der Kommandant zurück. »Ich bin Leutnant der königlichen Fregatte Pomona und heiße Constant von Pressigny!«

Der Bischof hatte sich schon mit halbem Leibe über den Bord des Bootes geneigt. Als er diesen Namen hörte, richtete er sich auf. Mit leuchtenden Augen und einem geheimnisvollen Lächeln rief er: »Werft die Strickleiter!«

Er faßte sie als erster und kletterte hinauf. Die Fischer folgten, das Boot ließ man mit den Wellen treiben. Festen Schrittes trat Aramis auf den Kommandanten zu, sah ihn starr an und machte mit der rechten Hand ein geheimnisvolles Zeichen. Leutnant von Pressigny erblaßte, zitterte und trat zurück. Darauf hob Aramis die Rechte und ließ ihn den Stein eines Ringes sehen, den er an dieser Hand trug. Und der Kommandant ergriff diese Hand, neigte sich über sie und küßte sie, wie man die Hand eines Kaisers küßt. Er führte den seltsamen Gefangenen in seine Kajüte.

Die drei Fischer sahen sich verwundert an, die Schiffsmannschaft verhielt sich schweigend. Fünf Minuten später wurde der zweite Leutnant in die Kajüte gerufen, und als er wiederkam, erscholl der Befehl, gen Süden zu steuern. Die Leute gehorchten ohne Widerrede, obwohl man, um nach Belle-Ile zurückzukehren, Kurs nach Norden hätte nehmen müssen.

Aramis erschien auf Deck und setzte sich auf ein zusammengerolltes Segel. In Träume versunken, sah er nach der Richtung aus, in der Belle-Ile lag. Yves, der Fischer, näherte sich ihm ehrfurchtsvoll und fragte leise: »Monseigneur, wohin geht die Fahrt?« – »Nach Spanien,« antwortete Aramis kurz. – Yves schüttelte den Kopf; hatte er doch beim Mondschein auf den Wangen des Bischofs Tränen gesehen.

Ja, Aramis weinte. Es waren die ersten Tränen, die aus diesen Augen rannen. Und sie galten dir, guter Porthos!



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