Alexander Dumas d. Ä
Zehn Jahre später
Alexander Dumas d. Ä

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6. Kapitel.
Ein Strich durch die Rechnung

Der König kehrte rasch in seine Gemächer zurück. Vielleicht ging er so schnell, um nicht zu wanken. Niemand war im Zweifel darüber, was ihn bewog, die Gesellschaft so plötzlich zu verlassen. Madame war darüber nicht betrübt. Sie glaubte dem König gezeigt zu haben, daß er eine ihm ebenbürtige fürstliche Person lieben könne, ohne Skandal befürchten zu müssen; ja er war dann des Einverständnisses, der Verschwiegenheit, der Ehrerbietung aller gewiß. Sobald er sich aber auf einen gemeinen Liebeshandel einlasse, so stoße er sogleich auf scharfen Tadel, selbst bei seinen geringsten Untertanen, und bringe sich selbst um den Nimbus der Unverletzlichkeit. Bei Ludwig aber war die Eigenliebe noch größer als die Liebe, und indem Madame ihn beschämt hatte, war es ihr gelungen, sich wirksam für die durch Ludwig erlittene Zurücksetzung zu rächen.

Dennoch faßte sie die Dinge keineswegs tragisch auf. Leichtfertig wie sie war, kannte sie keine tiefen Leidenschaften, weder im Guten noch im Bösen. Sie war jung und schön, geistig regsam und kokett und ließ sich nur durch ihre Laune, ihre Phantasie und ihren Ehrgeiz leiten. Sie beurteilte den König nach sich selbst und meinte, er würde, wenn er die augenblickliche Verstimmung überwunden habe, über die Lavallière lachen und einsehen, daß die Prinzessin unendlich hoch über diesem unscheinbaren Mädchen stände und es eine Torheit gewesen sei, das Ehrenfräulein der Herzogin vorziehen zu wollen.

Sie irrte sich in ihrem Urteil über den König. Ludwig war weit tiefer und schmerzlicher verwundet, als sie glaubte. Wenn ihm ein ähnlicher Schlag aus dem Volk heraus, in Gestalt eines Aufruhrs, versetzt worden wäre, dann hätte er sich mit aller Kraft dagegen verwahrt. Aber gegen Frauen konnte er nicht kämpfen, an Frauen konnte er sich nicht vergreifen. Es war wohl eine entsetzliche Schmach für einen König, von einem Provinzfräulein angeführt worden zu sein, aber durch jede Maßnahme, die auch nur eine Spur von Zorn verraten hätte, würde die Schmach nur noch größer geworden sein. Ja, er durfte sich nicht einmal ungehalten zeigen, um keinen neuen Grund zum Lachen zu geben. In aller Stille mußte die Blamage hinuntergeschluckt werden, und unveränderte Leutseligkeit, selbst gegen die Missetäterinnen, war das einzige Mittel, über seinen Groll hinwegzutäuschen.

Wenn die Prinzessin die Anstifterin des ganzen Vorfalls gewesen wäre, so hätte sie recht gehabt. Das gab der König zu. Hatte er sich ihr nicht mit süßen Liebesworten genähert? War sie nicht nur seiner verführerischen Stimme gefolgt, indem sie ihn liebte? Und nun sah sie sich durch eine Untreue belohnt, die um so demütigender war, als sie wegen einer tief unter ihr stehenden Nebenbuhlerin erleiden mußte. Hatte sie aber keinen Teil an der Täuschung, dann hatte der König auch keinen Grund, ihr zu zürnen.

Das naive Bekenntnis der Lavallière hatte dem königlichen Herzen unendlich wohlgetan; er hatte an diese unschuldige, uneigennützige, reine Liebe geglaubt. Seine Seele, selbst noch naiv und jugendlich, war dieser andern Seele, die sich ihm offenbarte, entgegengeflogen. Und nun sollte es Lug und Trug gewesen sein: ein Fastnachtsscherz, eine Fopperei. Ein anspruchsloses Mädchen aus der Provinz, dem man im Grunde alles: Schönheit, Geburt, Geist, absprechen konnte, hatte den König genarrt – den König, der wie ein asiatischer Sultan nur mit den Augen zu suchen, nur die Hand auszustrecken, nur sein Taschentuch fallen zu lassen brauchte.

Und dieser König hatte sich 24 Stunden lang nur mit diesem Mädchen beschäftigt, ihr Bild im Herzen getragen und, nur an sie denkend, nach ihr schmachtend, die vielen schönen Frauen nicht beachtet, die seinen Hof belebten. In der Tat, es war zu viel! Und doch, es ließ sich gar nichts tun. Es blieb nichts weiter übrig, als die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Als Ludwig zu diesem für seine gekränkte Eitelkeit schmerzhaften Ergebnis seiner Betrachtungen gelangte, trat ein Lakai herein und überreichte ein offenbar von Frauenhand geschriebenes Billett. – »An Seine Majestät,« sagte er. – »Von wem?« fragte der König. – »Das weiß ich nicht. Es ist mir von einem Hausoffizier übergeben worden,« war die Antwort. – Der König trat an den Leuchter, und im Schein der Wachskerzen öffnete er das Briefchen und las: »Sire, verzeihen Sie meine Zudringlichkeit, verzeihen Sie mir vor allem, daß ich gewisse Vorschriften außer acht lasse, aber ich kann nicht anders. Ich bin von Schmerz und innerm Kampfe erschöpft und bitte Eure Majestät um die Gnade einer Audienz, in welcher ich meinem König die volle Wahrheit sagen werde. Luise von Lavallière.«

Der König glaubte zu träumen. Aber ein unsagbar frohes, wonniges Gefühl wallte plötzlich über ihn hin, als wenn ihn der Hauch des Frühlings gestreift hätte. Er rief Saint-Aignan, der im Nebenzimmer seiner Befehle harrte. »Graf, nimm deinen Mantel und begleite mich!« gebot er, ohne sich zu besinnen. »Weißt du, wo die Ehrenfräulein der Herzogin von Orléans wohnen?« – »Gewiß.« – »Kennst du jemand, der uns Zutritt verschaffen kann?« – »Ja, ich kenne einen jungen Mann, der mit einem Fräulein sehr gut bekannt ist.« – »Mit der Tonnay-Charente?« – »Nein, leider nur mit der Montalais.« – »Wie heißt er?« – »Malicorne.« – »Ein häßlicher Name. Und meinst du, daß er uns helfen kann?« – »Ich denke, ja.« – »So laß uns gehen.«

Am Fuße der Treppe, die zu dem Zwischenstock führte, wo die Ehrendamen logierten, blieb Saint-Aignan stehen und ließ durch einen vorübergehenden Lakai Herrn Malicorne rufen. Er erschien nach zehn Minuten, der König zog sich in den dunkelsten Teil des Korridors zurück. Als Saint-Aignan seinen Wunsch zu erkennen gab, antwortete Malicorne ausweichend. – »Einlaß in die Wohnung der Ehrendamen?« sagte er, »das geht nicht gut, Herr Graf. Da muß man doch wissen, in welcher Absicht Sie hinein wollen.« – »Das kann ich Ihnen leider nicht mitteilen, lieber Herr Malicorne. Sie müssen mir also schon so über den Weg trauen – wir kennen uns ja doch.« – »Wenn schon, Herr Graf, und es wäre vielleicht nicht so bedenklich, wenn noch alle Ehrendamen hier wären, aber Madame hat die andern alle wieder in ihre Privatzimmer zurückkehren lassen und in diesem nur die Fräulein von Lavallière und von Montalais zurückbehalten. Sie begreifen – ich könnte nur zwei Herren Einlaß gewähren: dem Grafen von Bragelonne und dem König selbst.«

»So lassen Sie den König ein, ich befehle es Ihnen,« sagte Ludwig XIV., indem er vortrat und den Mantel auseinanderschlug. »Das Fräulein von Montalais wird zu Ihnen herunterkommen, während wir zu Fräulein von Lavallière gehen, denn ihr allein gilt unser Besuch.« – »Seine Majestät!« stammelte Malicorne, indem er dem Monarchen zu Füßen fiel. – »Ja, der König, der Ihnen sowohl für Ihren Widerstand wie für Ihre Nachgiebigkeit Dank weiß. Stehen Sie auf und lassen Sie uns ein.« – »Wie Majestät befehlen,« sagte Malicorne und schritt die Treppe voran.

»Rufen Sie Fräulein von Montalais heraus,« sagte der König, oben angelangt. »Sie darf nicht wissen, daß ich hier bin, verstanden?« – Malicorne verneigte sich. Aber während Malicorne öffnete und eintrat, besann sich Ludwig eines andern und erschien gleichzeitig mit ihm in dem Zimmer. Die Lavallière ruhte in einem Lehnstuhl, die Montalais stand vor einem Spiegel und kämmte sich das Haar. Als die Männer eintraten, stieß sie einen Schrei aus und entfloh. – Malicorne ging ihr nach. Saint-Aignan trat in eine Ecke des Gemachs; der König schritt auf Luise zu. Sie richtete sich wie ein galvanisierter Leichnam in die Höhe und sank gleich darauf in den Stuhl zurück.

»Sie wünschen eine Audienz, mein Fräulein,« begann Ludwig XIV., »ich bin bereit, Sie anzuhören.« – Die Lavallière erhob sich abermals. Zitternd stand sie vor dem König. Sie vermochte nur die Worte zu stammeln: »Majestät, verzeihen Sie mir!« – »Was soll ich Ihnen denn verzeihen?« fragte Ludwig. – »O, ich habe einen großen Fehler begangen, ja ein schweres Verbrechen: ich habe Eure Majestät beleidigt,« sagte Luise.

»Nicht im geringsten,« antwortete der König. – »Sire, ich bitte Sie inständigst, lassen Sie mich durch diesen furchtbaren Ernst nicht Ihren gerechten Zorn fühlen! Ich fühle es, ich habe Sie beleidigt, aber ich muß Ihnen erklären, daß dies ganz gegen meinen Willen geschehen ist.« – »Inwiefern haben Sie mich beleidigt, Fräulein?« versetzte Ludwig XIV., »ich sehe es nicht ein. Etwa durch jenen mädchenhaften Scherz? Was ist dabei, wenn sich ein junges Mädchen über einen leichtgläubigen jungen Mann lustig macht? Jede andere an Ihrer Stelle hätte ebenso gehandelt.«

»O, Eure Majestät geben mir mit diesen Worten den Todesstoß!« – »Ist das alles, was Sie mir zu sagen hatten?« fragte der König, indem er einen Schritt zurücktrat. – Die Lavallière aber folgte ihm und sah ihn mit ihren großen, verweinten Augen an. – »Majestät haben alles gehört, was ich unter der Königseiche gesprochen habe?« stammelte sie. – »Kein Wort ist mir entgangen,« antwortete Ludwig. – »Und haben Majestät wirklich auch nur auf einen Augenblick geglaubt, ich hätte Ihre Leichtgläubigkeit mißbrauchen wollen? Können Majestät sich nicht denken, daß ein armes Mädchen, wie ich, bisweilen gezwungen sein kann, sich stumm dem Willen anderer zu beugen?«

»Ich verstehe nicht,« erwiderte der König, »wie jemand, der den Mut hat, sich so frei zu äußern, wie Sie es unter der Königseiche taten, nachher sich von andern ducken lassen soll.« – »Aber die Drohung, Majestät –«

»Drohung?« rief Ludwig. »Wer hat Ihnen gedroht? wer hat es gewagt?« – »Jemand, der das Recht dazu hat. Verzeihen Sie, Sire, es gibt in Ihrer Umgebung hochstehende Personen, die sich für befugt halten, ein Mädchen ohne Zukunft und Vermögen, das nichts hat als ihren guten Namen, zugrunde zu richten.«

»Mein Fräulein,« antwortete der König streng, »ich liebe es nicht, daß man sich entschuldigt durch Verdächtigung anderer. Sie hätten es leicht, sich zu rechtfertigen. Es tut mir weh, daß Sie zu Vorwürfen und Anschuldigungen greifen.« – »Majestät schenken mir also keinen Glauben?« rief Luise. – Der König schwieg. Sie schlug die Hände zusammen. »Sie glauben mir nicht!« rief sie. »Sie glauben nur, ich hätte mich erdreistet, diesen lächerlichen Scherz zu treiben! Sie halten mich dieser schändlichen Frechheit fähig!« – »Es war weder lächerlich noch schändlich,« antwortete Ludwig. »Es war harmlos und spaßhaft, weiter nichts. Was ist denn natürlicher? Der König horcht; er will sich vielleicht auf Ihre Kosten einen Scherz machen. Also rasch den Spieß herumgedreht! Rasch die Fabel erdichtet, ich liebte ihn; der König ist ja naiv und außerdem so sehr von sich selbst eingenommen, daß er es glauben wird. Und dann erzählen wir die Geschichte aller Welt und lachen uns satt.«

»O, das zu denken, ist entsetzlich!« rief die Lavallière. »Sire, kein Wort mehr, ich bitte Sie! sehen Sie nicht, daß Sie mich zu Tode martern?« Sie sank auf die Knie nieder und faltete die Hände. »Sire, ich ziehe die Schmach der Lüge vor! Wenn ich Ihnen Vernunft und Ehre opfere, werden Sie dann an die Aufrichtigkeit meiner Gefühle glauben? Was Madame Ihnen heute abend erzählt hat, war eine Lüge. Was ich unter der Königseiche gesagt habe, war die Wahrheit. Und wenn ich vor Scham sterben müßte an dieser Stelle, wo meine Knie festgewurzelt sind, so werde ich doch, solange ich Atem habe, wieder und wieder bekennen: Ich liebe Sie! Ich liebe Sie so, wie ich es sagte! Ich liebe Sie, Sire, seit jenem Tage, da ich Sie in Blois zum ersten Male sah, seit jenem Tage, da Ihr leuchtender Blick wie Sonnenschein in meine Einsamkeit fiel. Ich weiß, es ist ein Majestätsverbrechen, wenn ein armes Mädchen wie ich den König liebt und es zu ihm sagt. Bestrafen Sie mich für meine Verwegenheit – verachten Sie mich wegen meiner Schamlosigkeit – aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie verspottet, ich hätte meinen Scherz mit Ihnen getrieben. Ich bin aus einem Geschlecht, das dem Königtum stets ergeben war – und ich liebe meinen König – ich liebe ihn! O, ich kann nicht mehr.«

Ihre Kräfte waren erschöpft, ihre Stimme erlosch, sie sank ohnmächtig zu Boden. Den König hatte ihr leidenschaftliches Geständnis tief ergriffen. Jetzt nahm er die Ohnmächtige in die Arme, hielt sie fest umfangen und drückte sie an sein Herz. Aber die Lavallière gab kein Lebenszeichen von sich – ihr Kopf sank auf seine Schulter.

Erschrocken rief der König seinen Hofmeister. Der Graf war diskret in seinem Winkel geblieben und eilte nun herbei. Er brachte die Bewußtlose in ihren Lehnstuhl und bespritzte sie mit aromatischem Wasser. »Kommen Sie doch wieder zu sich, mein Fräulein!« rief er, »es ist ja alles gut, der König glaubt Ihnen! Er verzeiht Ihnen. Aber wenn Sie so lange ohnmächtig bleiben, das fällt dem König auf die Nerven, und Majestät hat ein sehr feines Gefühl. Fräulein, Fräulein, so hören Sie doch! Sie müssen wirklich wieder zu sich kommen – es ist die höchste Zeit – mein Gott, wie fatal – nehmen Sie sich doch ein bißchen zusammen!«

Aber Saint-Aignan redete umsonst; der König wußte ein besseres Belebungsmittel. Er kniete nieder und heftete glühende Küsse auf die Hand Luisens. Endlich schlug sie die Augen auf, sah den König schmachtend an und flüsterte: »Haben Eure Majestät mir wirklich verziehen?« – Der König konnte vor Bewegung nicht antworten. – »Und nun, Sire,« fuhr die Lavallière fort, »habe ich mich – so hoffe ich wenigstens – vor Ihnen gerechtfertigt. Gestatten Sie mir jetzt, mich in ein Kloster zurückzuziehen. Dort will ich mein Leben lang meinen König segnen und bis an meinen Tod Gott für diesen Tag des Glückes danken.« – »Nein, nein, Sie bleiben hier,« rief Ludwig. »Danken Sie Gott, ja! aber lieben Sie auch Ihren König, lieben Sie Ludwig, der Ihr Leben verschönern will – Ludwig, der, das schwört er Ihnen, Sie wiederliebt!«

Und seine Küsse wurden so glühend, daß Saint-Aignan es für geraten hielt, sich wieder in seine Ecke zurückzuziehen. – »O, Majestät,« flüsterte die Lavallière, von der Inbrunst des Königs entflammt, »soll ich denn meine Aufrichtigkeit bereuen? Soll ich denn glauben, Majestät verachteten mich?« – »Mein Fräulein,« antwortete Ludwig, »nichts auf der Welt liebe und ehre ich mehr als Sie, das schwöre ich Ihnen bei Gott! Niemand soll hinfort Ihnen gleich geachtet werden. Meine stürmischen Küsse waren nur der Ausdruck meiner Liebe – aber ich kann Ihnen beweisen, daß ich Sie nicht nur liebe, sondern auch über alles hochschätze. Sie stehen unter meinem Schutze. Sagen Sie niemand, welche Schmerzen ich Ihnen bereitet habe, und verzeihen Sie auch den andern die trüben Stunden, die Sie erlitten. Künftighin werden Sie so hoch über allen andern stehen, daß Sie niemand mehr zu fürchten brauchen.«

Er rief Saint-Aignan, verneigte sich vor Luise und sagte noch: »Ich schicke Ihnen Ihre Freundin sogleich zurück. Leben Sie wohl, mein Fräulein, und vergessen Sie mich nicht in Ihrem Gebet.« – »O, Sire,« antwortete die Lavallière, »Sie wohnen zusammen mit Gott in meinem Herzen.« – Diese letzten Worte erfüllten den König mit einem Gefühl hoher Freude und Wonne. Er kehrte mit seinem Hofmeister in seine Zimmer zurück. – Madame hatte diese Wendung nicht vorausgesehen: die Dryade und Najade wußten nichts davon.

Der folgende Tag war düster und schwül. Dennoch befahl der König, die Spazierfahrt nicht ausfallen zu lassen, und die Blicke aller Damen und Herren, die daran teilzunehmen hatten, richteten sich voll Besorgnis zum Himmel empor. Schon schwebte ein leichter Nebel auf den Gipfeln der Bäume, und die Sonne vermochte den dicken Wolkenschleier nicht zu durchdringen. Ludwig sah zum Fenster hinaus und versprach sich nichts Gutes von diesem Wetter; aber was ihn bewog, trotzdem die Ausfahrt nicht abzubestellen, das war das erhoffte Zusammentreffen mit der Lavallière, und er wollte es selbst dem Himmel nicht gestatten, ihm einen Strich durch seine Liebessehnsucht zu machen.

Ludwig ging wie sonst zur Messe, aber er vergaß an diesem Tage über ein gewisses erschaffenes Wesen den Schöpfer und zählte ungeduldig die Minuten, die ihn noch von dem Wiedersehen trennten. Von dem Auftritt, der am verflossenen Tage zwischen Ludwig und der Lavallière stattgefunden, hatte niemand etwas erfahren. Saint-Aignan erkannte den tiefen Ernst dieser Liebschaft und wußte, daß in diesem Falle seine Mitwissenschaft ein kostbarer Besitz sei. Die Montalais hätte gern geplaudert – schwatzhaft wie sie war – aber Malicorne hatte es ihr auf die Seele gebunden zu schweigen, wenn anders sie nicht sich und ihn ins Verderben stürzen wollte.

Ludwig war so glücklich, daß er der Herzogin von Orléans nicht grollen konnte. Er konnte sich ja auch im Grunde über ihre Täuschung nicht beklagen; denn ohne diese würde er keinen Brief von der Lavallière erhalten und sich nicht mit ihr ausgesprochen haben. Er war so zufrieden mit der Lösung der Dinge, daß in seinem Herzen kein Raum für Unmut war.

Da die Spazierfahrt erst gegen zwölf Uhr stattfand, so verblieben dem König noch ein paar Stunden, die er der Arbeit mit Colbert und Fouquet widmen wollte. Aramis, der sich in der Gesellschaft des Oberintendanten befand, mischte sich unter die Höflinge, die auf den Korridoren hin und her schritten.

»Sire,« sprach Fouquet, als die Arbeit beendet war und er sich verabschiedete, »Sie überhäufen mich seit einigen Tagen mit Anzeichen der Gnade. Gewiß haben Majestät besonderen Anlaß, mir ein so huldvolles Lächeln zu gönnen.« – »Sie stellen Mutmaßungen an?« erwiderte Ludwig. »Sie irren sich; ich bin vielmehr ärgerlich auf Sie. Jawohl, im Ernst!« – »Majestät erschrecken mich. Ich wüßte nicht, was ich getan –« – »Ich hörte von einem großen Fest, das Sie in Vaux geben wollen.« – Fouquet lächelte wie ein Kranker bei dem ersten Schauer eines vergessenen und wiederkehrenden Fiebers. – »Und zu diesem Fest haben Sie mich noch nicht eingeladen,« setzte Ludwig hinzu.

»Sire,« antwortete der Minister, »ich hatte gar nicht mehr an dieses Fest gedacht. Auch konnte ich ja nicht hoffen, daß Eure Majestät geruhen würde, aus Ihrer erhabenen Sphäre herabzusteigen und mein Haus mit Ihrer Königlichen Gegenwart zu beehren. Ich erwähnte deshalb das Fest nicht, weil noch gar nichts entschieden war und ich von Eurer Majestät eine ablehnende Antwort fürchtete. Und dennoch hegte ich den lebhaften Wunsch –«

»Daß Ihre Einladung huldreich aufgenommen würde, nicht wahr?« antwortete Ludwig. »Verständigen wir uns! Sie wünschen mich einzuladen, ich wünsche eingeladen zu werden. Laden Sie mich also ein, und ich werde erscheinen.« – »Wie? Majestät geruhen, meine Einladung anzunehmen?« stammelte der Minister. – »Ich glaube sogar noch mehr zu tun,« versetzte der König lachend, »mich dünkt, ich lade mich selbst ein.« – »Innigsten Dank, mein König,« antwortete Fouquet mit einer tiefen Verneigung, scheinbar frohlockend über diese Huld, die nach seiner Meinung doch sein Tod war. »Sie machen mich zum glücklichsten Menschen der Welt. Geruhen Majestät den Tag zu bestimmen.« – »Heute über einen Monat. Und bis dahin wünsche ich Sie recht viel um mich zu sehen.« – »Sire, ich habe die Ehre, heute an Ihrer Spazierfahrt teilzunehmen.« – »Schön, Herr Fouquet. Dort kommen bereits die Damen.«

Der König eilte mit von liebendem Verlangen beflügeltem Schritt hinaus.

Die Wagen fuhren vor, die Reitpferde stampften auf dem Pflaster des Schloßhofes. Der König ging hinunter und begrüßte seine Gattin, die eben mit Madame in einen Wagen stieg. Sein Gruß fiel ein wenig zerstreut aus, denn er erblickte die Lavallière, die mit drei anderen Ehrenfräulein in einer Kalesche Platz nahm. Die Königin befahl den Vorreitern die Richtung nach Apremont einzuschlagen. Der König schwang sich in den Sattel und blieb ein Weilchen neben dem Wagen der Prinzessinnen.

Die Hitze war drückend, das Wetter sah noch immer drohend aus, aber da der König daran keinen Anstoß nahm, so wagte niemand, eine Befürchtung zu äußern. Madame war in guter Stimmung; denn sie fühlte, daß der König nicht seiner Gattin wegen neben ihrem Wagen ritt. Sie glaubte daher, ihn durch ihr Manöver vom verflossenen Abend wieder an sich gefesselt zu haben. Allein schon nach einer Viertelstunde empfahl sich der König mit einer anmutigen Verneigung, hielt das Pferd an und ließ die Wagen und Reiter an sich vorbeidefilieren. Erst als der Wagen der Lavallière vorüberkam, ritt er weiter. Er begrüßte die Damen und hielt sich an ihrer Seite, als plötzlich die ganze Wagenreihe halt machte. Der König fragte nach der Ursache und erfuhr, Madame habe Halt befohlen; sie wünsche zu Fuß weiterzugehen. Wahrscheinlich hoffte Madame, der König würde es verschmähen, zu Fuße neben den Ehrendamen herzugehen.

Man befand sich mitten im Walde, an einem Kreuzungspunkte, von dem drei schöne schattige Alleen abzweigten. Maria-Theresia verließ den Wagen und gab damit für alle andern das Zeichen auszusteigen. Sie nahm den Arm ihrer Ehrendame, warf einen verdrießlichen Seitenblick auf den König und schlug einen Seitenweg ein, der zu beiden Seiten von dichtem Laub eingefaßt war. Nach der Königin stieg Madame aus und sah alsbald den Grafen von Guiche am Wagenschlag, der sich verneigte und ihr den Arm anbot. Monsieur hatte es vorgezogen, ins Bad zu gehen, und, in der festen Ueberzeugung, keinen Grund zur Eifersucht zu haben, Herrn von Guiche beurlaubt.

Es fanden sich noch mehrere Gruppen von Herren und Damen zusammen, die sich nun rings über die lauschigen Wege des Parks verstreuten. Der König war an der Seite der Lavallière geblieben. Als der Kutschenschlag geöffnet wurde, stieg er vom Pferde und bot Luise die Hand. Die Montalais und die Tonnay-Charente entfernten sich sofort mit einer tiefen Verbeugung und begnügten sich mit der Gesellschaft der Herren Malicorne und Saint-Aignan.

Das Gewitter kam näher; doch da der König es nicht sah, glaubte niemand das Recht zu haben, es zu sehen. Ludwig reichte der Lavallière den Arm und zog sie auf einem der Waldwege mit sich fort. Da er sah, daß der größte Teil der Gesellschaft Miene machte, ihm zu folgen, so schlug er ohne Zaudern einen schmalen Seitenpfad ein, wo ihm niemand mehr das Geleit zu geben wagte.

Nicht weit von diesem Paar schritten zwei Männer durch den Wald. Sie schienen sich ebenfalls um das drohende Gewitter nicht zu kümmern, denn sie waren in ein offenbar sehr angelegentliches Gespräch vertieft. Plötzlich zuckte ein Blitz durch die Luft, und der Donner rollte dumpf über den Wald hin. »Das Gewitter ist da, lieber d'Herblay!« rief der eine der beiden Männer. »Wollen wir zu den Kutschen zurückeilen?« – Aramis blickte umher. »O, es wird nicht so schlimm werden. Herr Oberintendant,« sagte er, »ich weiß eine Grotte in der Nähe, die uns Schutz gewährt. Folgen Sie mir.«

Fouquet eilte hinter ihm her. Dicke Tropfen fielen schon raschelnd in das Laub. – »Sie haben den König vor der Abfahrt noch gesprochen?« fragte der Bischof. »Wie fanden Sie ihn?« – »Sehr huldvoll. Er hat sich zu meinem Feste eingeladen, mit einer Dringlichkeit, in der ich Colberts Werk erkannt habe. Es soll in einem Monat stattfinden. Es wird mich mehrere Millionen kosten.« – »Sagen wir neun,« antwortete d'Herblay. »Sechs versprach ich Ihnen – drei können Sie selbst beschaffen.« – »Ich verstehe Sie nicht,« erwiderte der Oberintendant, »vor einigen Tagen noch konnten Sie nicht einmal die 50 000 Livres an Baisemeaux aus Ihrer Tasche bezahlen, und jetzt bieten Sie mir sechs Millionen.«

»Weil ich vor einigen Tagen so arm war wie Hiob, jetzt aber reicher bin als der König.« – »Ich weiß, Sie werden Ihr Wort halten und Ihr Geheimnis nicht brechen,« versetzte der Minister, »reden wir also nicht mehr davon.«

In diesem Augenblick geschah ein heftiger Donnerschlag. – »Ich sagte es ja,« rief Fouquet, »zurück zu den Kutschen!« – »Dazu ist es zu spät,« antwortete Aramis. »Mit wenigen Schritten sind wir bei der Grotte.« – Eine Regenflut prasselte auf das Laubdach des Waldes herab, und rasch begannen die Tropfen durchzusickern.

»Hier ist die Grotte,« sagte der Bischof. »Doch still, ich höre Stimmen.« – »Nur hinein in den Schlupfwinkel, sagte Fouquet, bückte sich und trat in die kleine Steinhöhle, die, halb verborgen, im Gesträuch sich öffnete, »wer zuerst kommt, hat das Anrecht.«

»Wahrhaftig,« murmelte Aramis, »dort kommt ein Herr und eine Dame – aber sie wissen nichts von dem Vorhandensein unserer Grotte, denn der Herr späht nur nach einem dichten Baum aus. Meiner Treu, Herr Fouquet, es ist der König mit Fräulein von Lavallière.«

»Verstecken Sie sich,« flüsterte der Minister, »vielleicht fügt es der Zufall, daß sie in unserer Nähe stehenbleiben. Es wäre immerhin interessant zu hören, was Seine Majestät der kleinen Luise zu sagen hat.«

In der Tat machte Ludwig unter einer dicken, breitästigen Eiche unmittelbar neben der Grotte halt, in der Fouquet und Aramis Schutz gesucht hatten. Er hielt den Arm der Lavallière unter dem seinigen und beschützte sie mit seinem breiten Hute, obwohl große Tropfen sein Haar benetzten. – »Mein Fräulein,« sagte er, »ich bedaure aufrichtig, Sie von der Gesellschaft fortgeführt zu haben. Sie sind bereits durchnäßt. Ist Ihnen kalt? Sie zittern –« – »Aus Furcht, Sire, meine Abwesenheit könnte übel gedeutet werden.« – »Ich würde Ihnen den Vorschlag machen, zu den Kutschen zurückzukehren, doch urteilen Sie selbst, ob es in diesem Augenblick möglich ist, auch nur einen Schritt zu tun. Und wie sollte man es zu Ihrem Nachteil auslegen, daß Sie bei mir sind? Bin ich nicht der König von Frankreich und der erste Kavalier des Reiches?« – »Gewiß, Sire,« sagte die Lavallière, »und es ist eine große Ehre für mich. Ich fürchte auch nicht um meinetwillen die üble Nachrede, sondern nur Ihretwillen –« – »Ich verstehe Sie nicht,« sagte der König lächelnd. – »Haben denn Majestät schon vergessen, was sich gestern bei Madame ereignet hat?« – »O, erinnern Sie mich nicht daran! Doch ja, erinnern Sie mich, denn dies war die Ursache, weshalb Sie mir schrieben, und für diesen Brief danke ich Ihnen immer wieder.«

Die Lavallière lächelte. – »O, Sire,« sagte sie dann, »es regnet in Strömen, und Sie stehen entblößten Hauptes da.« – »Sprechen wir doch nur von Ihnen, mein Fräulein,« entgegnete Ludwig. – »O, ich bin ein Mädchen vom Lande und an jedes Wetter gewöhnt,« versetzte Luise, »auch kann es meinen Kleidern, wie Majestät sehen, nicht viel Schaden zufügen.« – »In der Tat, Fräulein, ich habe schon bemerkt, daß Sie alles Ihrer Person, nicht Ihren Toiletten verdanken. Sie sind gar nicht kokett, und das gefällt mir vor allem an Ihnen.« – »Ich bin nicht reich,« antwortete Luise offenherzig. – »Also lieben Sie doch das Schöne?« fragte Ludwig. – »Ich finde nur das Erreichbare schön,« antwortete sie. »Alles, was für mich zu hoch ist –«

»Nichts soll für Sie zu hoch sein,« sagte der König. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie an meinem Hofe eine Ihnen gebührende Stellung einnehmen.« – »O, Sire, lassen Sie doch alles wie es ist,« antwortete die Lavallière. »Meine Wünsche waren erfüllt, als mir die Ehre zuteil wurde, in der Hofhaltung Ihrer Königlichen Hoheit der Herzogin von Orléans aufgenommen zu werden. Lasten Sie mich in meiner Mittelmäßigkeit! Nehmen Sie nicht meinen Gefühlen das freudige Bewußtsein der Uneigennützigkeit!« – »Welche herrliche, edle Sprache!« rief der König.

»Das ist wahr,« flüsterte Aramis dem Oberintendanten zu, »er ist nicht daran gewöhnt.« – »Es ist oft eine schlaue Berechnung, sich vor einem König uneigennützig zu zeigen,« meinte Fouquet. – »Das dachte ich eben auch,« sagte Aramis. »Wollen Sie nicht uneigennützig sein und dem König Ihren Platz anbieten?« – »Ich will im Gegenteil weiter zuhören,« antwortete der Minister.

Luise seufzte tief. – »Fräulein, so schwere Gedanken? Was kann Sie betrüben,« fragte der König, »da Sie doch unter meinem Schutze stehen?« – »Ich will es Ihnen sagen, Majestät,« sagte sie, ihre schönen blauen Augen zu ihm aufschlagend. »Sie gehören nicht sich selbst, Sie sind vermählt, Sire; jedes Gefühl, das Eure Majestät mir schenken, entziehen Sie der Königin, die Sie mit leicht begreiflicher Innigkeit liebt. Da sie das Glück gehabt hat, einen solchen Gemahl zu gewinnen, so bittet sie den Himmel mit Tränen, daß er nur ihr gehören möge. O, es wäre ein großes Unrecht, der Königin Ursache zur Eifersucht zu geben – verzeihen Sie mir dieses Wort, Majestät. Mein Gott, ich weiß, es ist unmöglich oder sollte es doch sein, daß die größte Königin der Welt auf ein armes Mädchen, wie ich bin, eifersüchtig wäre. Aber die Königin hat das Herz einer Frau, und böse Zungen können ihr Argwohn zutragen. Sire denken Sie an die Königin, nicht an mich!«

»Mein Fräulein, Sie verwandeln durch diese Worte meine Achtung in Bewunderung!« rief der König. – »Majestät legen in meine Worte einen Sinn, der nicht darin ist. Sie halten mich für besser, als ich bin. Sie machen mich größer, als Gott mich gemacht hat. Erbarmen Sie sich, Sire! Wenn ich den König nicht für den edelherzigsten Mann hielte, so würde ich glauben, er treibe Spott mit mir, daß er so zu mir spricht.« – »Ich bin ein unglücklicher Fürst,« sagte der König in aufrichtiger Betrübnis, »ich habe nicht einmal die Macht, die Person, die mir das Teuerste auf Erden ist, die mit ihrem Zweifel mir das Herz bricht, von der Wahrheit meiner Worte zu überzeugen.«

»Sire,« sagte Luise, den König sanft von sich wehrend, »ich glaube, der Regen läßt nach, das Gewitter hat sich verzogen. Noch einmal, Sire,« setzte sie hinzu und bewog Ludwig durch einen Druck der Hand, mit ihr fortzugehen, »bedenken Sie, welchen Unannehmlichkeiten Sie sich meinetwegen aussetzen wollen! Man sucht Sie jetzt schon. Die Königin wird besorgt sein – und Madame!« Und sie verstummte, als sei es vor Furcht.

Der König stutzte. »Was ist es mit Madame?« fragte er. – Luisens sonst schüchtern ausweichender Blick begegnete dem des Königs. – »Madame ist ebenfalls eifersüchtig,« stammelte sie. – »Madame hat kein Recht zur Eifersucht,« versetzte der König. »Sie ist ja sozusagen eine Schwester von mir.« – »Sire, es geziemt sich nicht für mich,« erwiderte Luise, »in die Geheimnisse Ihres Herzens zu dringen.« – »Wie? Sie glauben also auch –?« rief der König. – »Ich glaube, daß Madame eifersüchtig ist, ja,« antwortete die Lavallière. – »Hat Madame Sie das fühlen lassen?« rief Ludwig. »Hat Madame Sie vielleicht durch die Ihnen erwiesene Behandlung –« – »Keineswegs, ich bin ja viel zu unbedeutend,« erwiderte Luise. »Doch, man kommt, Sire – es regnet nicht mehr.«

»Was liegt daran, mein Fräulein?« rief Ludwig. »Mag kommen, wer will! Wer darf es wagen, daran Anstoß zu nehmen, daß ich dem Fräulein von Lavallière Gesellschaft geleistet habe? Ich habe, indem ich Sie schützte, nur meine Pflicht als Kavalier getan. Wehe dem, der die seinige vergessen hat und an dem Verhalten des Königs Kritik üben will!«

Man sah in der Tat einige neugierige Köpfe in der Allee erscheinen. Der junge König und das Fräulein von Lavallière wurden bemerkt, die Höflinge nahmen den Hut ab, zum Zeichen, daß sie den König erkannt hatten. Ludwig kehrte sich nicht daran, sondern führte Luise mitten durch die Schar der Herren und Damen zum Wagen zurück. Er hielt sogar, da noch immer einige Tropfen fielen, den Hut schützend über ihr Haupt, und alle sahen, daß sein eigenes Haar ganz naß geworden war. Die Königin und die Herzogin von Orléans bemerkten diese übertriebene Höflichkeit, und Madame vergaß darüber so sehr alle Etikette, daß sie ihre Schwägerin mit dem Ellbogen anstieß und flüsterte: »Sehen Sie doch nur!« – Die Königin schloß die Augen, legte die Hand über das Gesicht und verschwand rasch im Wagen. Madame stieg zu ihr.

Der König war neben dem Wagen der Ehrenfräulein stehengeblieben, bis die Lavallière Platz genommen hatte, dann schwang er sich aufs Pferd und ritt neben ihr her. – Jetzt erst verließen Fouquet und Aramis die Grotte. – »Sie liebt ihn leidenschaftlich,« sagte der Bischof, »und was noch schlimmer ist, er liebt sie. Sicherlich wird diese kleine Person den ersten Platz im Herzen des Königs einnehmen, und wir haben einen großen Fehler gemacht, Herr Fouquet!« – »Sie meinen den Liebesbrief, den ich an die Lavallière geschrieben habe?« antwortete der Minister. »Ich dachte auch daran« – »Sie müssen ihn um jeden Preis zurückholen,« sagte d'Herblay. – Fouquet nickte. Er war zu lange Zeit an den Intrigen des Hofes beteiligt gewesen, um die Gefahr geringzuschätzen, in die ihn ein indiskreter Gebrauch dieses Briefes, seit der König um die Liebe der Lavallière warb, stürzen konnte. Sobald die Gesellschaft in den Palast zurückgekehrt war, suchte Fouquet daher um eine Unterredung mit Fräulein von Lavallière nach und wurde von ihr mit jener Unbeholfenheit empfangen, die sie als Provinzdame noch nicht völlig abgelegt hatte. Sie war noch zu sehr Neuling im Hofleben, und der plötzliche Glanz der königlichen Gunst verwirrte sie vollends. Fouquet wußte als durchgebildeter Menschenkenner und vollendeter Kavalier den rechten Ton zu treffen, stellte sehr geschickt seine Fragen und erfuhr auf diese Weise, ohne sich selbst eine Blöße zu geben, daß die Lavallière den von ihm geschriebenen Brief gar nicht erhalten hatte. Das war zunächst beruhigend für ihn, aber die Frage, wohin der Brief geraten sei, drängte sich doch dazwischen und stimmte den Minister sehr bedenklich. Nach Hause gekommen, teilte er Aramis das Ergebnis der Unterredung mit. D'Herblay machte ein saures Gesicht und mochte nicht recht an die Ehrlichkeit der Lavallière glauben. Man ließ den Diener kommen, dem der Brief zur Bestellung übergeben worden war. Der Diener, ein Mann mit schlau blinzelnden Augen, dünnen Lippen und gekrümmtem Rücken, beteuerte, den Brief, wie ihm befohlen, im Zimmer der Lavallière an einer bestimmten Stelle niedergelegt zu haben, und erklärte, es wäre nur die eine Möglichkeit vorhanden, daß das Fräulein ihn bis jetzt dort noch nicht gefunden hätte. Er machte sich anheischig, ihn zurückzubringen, und Fouquet, der fest an die Treue des Alten glaubte, schickte ihn fort. Man wollte ja auch jedes Aufsehen vermeiden und der ganzen Angelegenheit nach außen hin keine große Wichtigkeit beilegen. Fouquet und Aramis warteten, aber der Diener kam nicht wieder. Als sie nach ihm forschten, stellte es sich heraus, daß er entflohen war.

»Nun denn, das Unglück ist geschehen,« sagte Aramis, »warten wir ab, was daraus wird. Wir haben immer noch Mittel genug, uns zu verteidigen. Das Fatalste ist, der Brief war nicht datiert.« – »Vor allen Dingen müssen wir den verräterischen Diener wiederfinden,« sagte Fouquet. – »O, den werden Sie nicht wiederfinden,« antwortete der Bischof. »Wenn er Ihnen wert war, so legen Sie nur Trauer um ihn an.«



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