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D'Artagnan hatte richtig geraten, Mordaunt, der keine Zeit zu verlieren hatte, hatte auch keine verloren. Ihm war die Schnelligkeit des Entschlusses und des Handelns seiner Feinde bewußt. Demzufolge beschloß er auch zu handeln. Diesmal hatten die Musketiere einen Gegner getroffen, der ihrer würdig war. Nachdem Mordaunt die Türe sorgsam hinter sich verschlossen hatte, schlich er sich in den unterirdischen Gang, steckte sein nutzloses Schwert in die Scheide, und hielt an, als er das benachbarte Haus erreichte, um sich zu fühlen. Er ging nun mit raschen, doch gleichmäßigen Schritten nach der nächsten Kavalleriekaserne, die etwa eine Viertelstunde entlegen war. Er legte diese Viertelstunde in vier bis fünf Minuten zurück. Als er in der Kaserne ankam, gab er sich zu erkennen, nahm das beste Pferd im Stalle, setzte sich auf und sprengte nach der Straße. Eine Viertelstunde später war er in Greenwich. »Hier ist der Hafen,« murmelte er, »jener schwarze Punkt dort die Hundeinsel. Gut, ich bin ihnen eine halbe, vielleicht eine ganze Stunde voraus. Wie töricht war ich, daß ich mich durch meine sinnlose Eile fast erstickt habe.« Er richtete sich auf seinen Steigbügeln empor und fuhr fort: »Wie kann ich jetzt unter all diesen Segelwerken, unter all diesen Masten den ›Blitz‹ herausfinden? wo ist ›Der Blitz‹?« In dem Moment, als er diese Worte dachte, richtete sich, um gleichsam auf seine Gedanken zu antworten, ein Mann, der auf einer Rolle Taue lag, empor und schritt auf Mordaunt zu. Mordaunt zog sein Sacktuch hervor, und ließ es ein Weilchen in der Luft flattern. Der Mann schien aufmerksam, blieb jedoch an derselben Stelle und tat weder einen Schritt vorwärts, noch rückwärts. Mordaunt machte in jede Ecke seines Sacktuches einen Knoten; da schritt der Mann bis zu ihm vor. Das war das verabredete Zeichen, wie man sich noch erinnern wird. Der Seemann war in einen weiten wollenen Mantel gehüllt, der ihm seine Gestalt und, wenn er wollte, auch das Gesicht verdeckte. »Kommt vielleicht der Herr von London,« fragte der Seemann, »um eine Spazierfahrt auf dem Meere zu machen?« »Ganz eigens,« erwiderte Mordaunt, »nach der Hundeinsel hin.« »Ganz wohl, und gewiß hat der Herr eine Vorliebe? Er würde ein Schiff dem andern vorziehen? Er wünschte einen Schnellsegler, ein rasches Fahrzeug?« »Wie der ›Blitz‹,« entgegnete Mordaunt. »Gut, so ist es mein Schiff, welches der Herr sucht. Ich bin der Patron, dessen er bedarf.« »Ich fange an, das zu glauben,« versetzte Mordaunt, »zumal wenn Ihr ein gewisses Erkennungszeichen nicht vergessen habt.« »Hier ist es, mein Herr,« sprach der Seemann und zog aus der Tasche seines Regenmantels ein Sacktuch hervor, das an den vier Ecken geknüpft war. »Gut, gut,« rief Mordaunt und sprang von seinem Pferde. »Jetzt ist keine Zeit zu verlieren. laßt mein Pferd ins nächste beste Wirtshaus bringen und führt mich nach Eurem Schiffe.« »Doch Eure Begleiter?« fragte der Seemann; »ich dachte, Ihr wäret Euer vier, die Diener ungerechnet.« »Hört,« sprach Mordaunt, während er sich dem Seemann näherte; »ich bin nicht derjenige, welchen Ihr erwartet, so wie Ihr nicht derjenige seid, den sie zu finden hoffen. Nicht wahr, Ihr vertretet die Stelle des Kapitäns Rogger? Ihr seid hier auf Befehl des Generals Cromwell, und ich komme in seinem Namen.« »In der Tat, ich erkenne Euch,« sprach der Patron; »Ihr seid Kapitän Mordaunt.«
Mordaunt erbebte. »O, fürchtet nichts,« versetzte der Patron, indem er seinen Regenmantel niederließ und den Kopf entblößte; »ich bin ein Freund.« »Der Kapitän Groslow!« rief Mordaunt. »Er selbst; der General hat sich erinnert, daß ich früher Marineoffizier war, und so übertrug er mir dieses Unternehmen. Hat sich denn irgend etwas verändert?« »Nein, nichts, es bleibt alles im alten Stande.« »Es ist nur, weil ich mir einen Augenblick dachte, der Tod des Königs . . .« »Der Tod des Königs hat bloß ihre Flucht beschleunigt; sie sind vielleicht in einer Viertelstunde, in zehn Minuten schon hier.« »Nun, weshalb seid Ihr denn gekommen?« »Um mich mit Euch einzuschiffen.« »Ah, ah! zweifelt etwa der General an meinem Eifer?« »Nein; doch will ich Zeuge meiner Rache sein. Habt Ihr nicht jemand, der mir mein Pferd abnehmen könnte?« Groslow pfiff und ein Matrose kam herbei. »Patrik,« sprach Groslow zu ihm, »führt dieses Pferd in den Stall des nächsten Wirtshauses. Fragt man dich, wem es gehört, so antworte: einem irländischen Edelmann.« Der Matrose ging fort, ohne eine Bemerkung zu machen. »Nun, fürchtet Ihr nicht, daß sie Euch erkennen?« fragte Mordaunt. »In diesem Anzug, in diesen Regenmantel gewickelt, bei finsterer Nacht hat es keine Gefahr; zudem habt Ihr mich selbst nicht erkannt, somit werden sie mich noch weniger erkennen.« »Das ist richtig,« entgegnete Mordaunt: »überdies werden sie gar nicht an Euch denken. Alles ist bereit, nicht wahr?« »Ja.« »Ist die Ladung eingebracht?« »Ja.« »Fünf volle Fässer?« »Und fünfzig leere.« »Ganz richtig.« »Wir führten Porter nach Antwerpen.« »Ganz wohl; nun führt mich an Bord und kehret zurück, um Euren Posten wieder einzunehmen, da sie bald kommen werden.« »Ich bin bereit.« »Es ist von Wichtigkeit, daß mich von Euren Leuten niemand eintreten sieht.« »Ich habe bloß einen Mann an Bord und bin dessen so versichert, wie meiner selbst. Überdies kennt Euch dieser Mann nicht und ist bereit wie seine Kameraden, unseren Befehlen Folge zu leisten, doch ist er von nichts unterrichtet.« »Das ist gut; also auf!«
Sie stiegen zu der Themse hinab. Eine kleine Barke lag an einer eisernen Kette, die an einem Pflocke hing. Groslow zog das Schiff heran und löste es ab, während Mordaunt einstieg; hierauf sprang er selbst hinein, griff schnell nach zwei Rudern und fing auf eine Weise zu rudern an, welche Mordaunt die Wahrheit dessen bewies, was er vordem gesagt, daß er nämlich sein Seemannshandwerk noch nicht vergessen habe. Fünf Minuten darauf hatte man diese Welt von Schiffen durchsteuert, welche schon damals die Häfen von London versperrten, und Mordaunt konnte gleich einem dunklen Punkte die kleine Feluke bemerken, die in einiger Entfernung von der Hundeinsel vor Anker lag. Als sich Groslow dem »Blitz« näherte, pfiff er auf eine eigene Weise, worauf man den Kopf eines Mannes über der Brüstung erscheinen sah. »Sind Sie es, Kapitän?« fragte dieser Mann. »Ja; wirf die Leiter aus.« Sonach fuhr Groslow leicht und behend unter das Bugspriet und stellte sich mit dem »Blitz« Bord an Bord. »Steigt hinauf!« rief er seinem Begleiter zu. Mordaunt erfaßte, ohne zu antworten, den Strick und kletterte längs der Schiffswand mit einer Hurtigkeit und Sicherheit hinauf, welche Leute vom Festlande wenig gewohnt sind; allein seine Rachelust vertrat bei ihm die Stelle der Gewohnheit und machte ihn zu allem gewandt. Wie es Groslow vorausgesehen hatte, so schien es der wachhabende Matrose am Bord des »Blitz« gar nicht zu bemerken, daß sein Herr in Begleitung zurückkam. Mordaunt und Groslow gingen nach dem Kapitänzimmer. Es war eine Art kleiner Kajüte, die auf dem Verdeck provisorisch aus Brettern erbaut war. Das Ehrengemach hatte Groslow seinen Passagieren eingeräumt. »Und wo sind sie?« fragte Mordaunt. »Am anderen Ende des Schiffes,« entgegnete Groslow. »Und haben sie auf dieser Seite hier nichts zu tun?« »Gar nichts.« »Ganz wohl, ich bleibe bei Euch verborgen. Nun kehrt nach Greenwich zurück und führet sie hierher. Ihr habt eine Schaluppe?« »Jene, mit welcher wir gekommen sind.« »Sie schien mir leicht und gut gebaut.« »Eine wahrhafte Piroge.« »Befestigt sie mit einem Tau an das Hinterteil des Schiffes, legt Ruder hinein, damit sie im Striche nachfolgt, so daß man nur das Tau abzuschneiden braucht. Versehet sie mit Rum und Zwieback. Sollte zufällig das Meer schlimm werden, so dürfte es Euren Leuten nicht unlieb sein, wenn sie etwas zur Stärkung fänden.« »Es geschehe, wie Ihr sagt. Wollt Ihr die Pulverkammer sehen?« »Nein, bei Eurer Zurückkunft. Ich will selbst die Lunte anlegen, um versichert zu sein, daß sie nicht umsonst abbrennt. Vor allem verhüllt Euer Gesicht gut, damit sie Euch nicht erkennen.« »Seid unbesorgt.« »Hört, es schlägt eben zehn Uhr in Greenwich.«
Wirklich drangen die zehnmal wiederholten Schwingungen einer Glocke traurig durch den mit schweren Wolken angefüllten Luftkreis, die wie schweigende Wogen am Himmel dahinwallten. Groslow stieß die Türe wieder zu, welche Mordaunt inwendig absperrte, und nachdem er dem wachhabenden Matrosen aufgetragen hatte, auf das sorgsamste zu wachen, stieg er in seine Barke hinab, die rasch von hinnen glitt, die Wellen mit den doppelten Rudern schlagend. Der Wind pfiff kalt und der Damm war schon öde, als Groslow in Greenwich landete; mehrere Barken waren mit der vollen Flut abgefahren. In dem Momente, wo Groslow ans Land stieg, vernahm er etwas wie den Galopp von Pferden auf dem Pflaster des Strandes. »O,« rief er, »Mordaunt hatte recht, daß er mich antrieb. Es war keine Zeit zu verlieren; hier sind sie schon.« Es waren wirklich unsere Freunde, oder vielmehr ihre Vorhut, die aus d'Artagnan und Athos bestand. Als sie der Stelle gegenüber ankamen, wo Groslow eben landete, hielten sie an, als hätten sie es erraten, daß derjenige da sei, mit dem sie zu tun hatten. Athos stieg vom Pferde und entfaltete ruhig ein Sacktuch, dessen vier Ecken Knoten hatten, und ließ es im Winde flattern, indes d'Artagnan stets vorsichtig halb über sein Pferd gebeugt blieb und die eine Hand nach der Pistolenhalfter ausstreckte. Groslow, der sich in seinem Zweifel, ob das wohl die erwarteten Reiter seien, hinter einen jener Pflöcke gekauert hatte, die da aufgepflanzt und dazu dienlich waren, die Taue darum zu winden, stand jetzt auf, als er das verabredete Zeichen bemerkte, und ging geradeswegs auf den Kavalier zu. Er war dergestalt in seinen Regenmantel gewickelt, daß man sein Gesicht unmöglich unterscheiden konnte. Überdies war die Nacht so finster, daß diese Vorsichtsmaßregel überflüssig war. Das scharfe Auge von Athos erriet aber ungeachtet der Dunkelheit, daß es nicht Roggers war, der vor ihm stand. »Was wollt Ihr von mir?« sprach er zu Groslow, einen Schritt zurückweichend. »Mylord,« erwiderte Groslow, den irländischen Akzent nachahmend, »ich will Euch sagen, daß Ihr den Kapitän Roggers sucht – aber vergebens.« »Wieso?« fragte Athos. »Weil er diesen Morgen von einem Maste gestürzt ist und das Bein gebrochen hat. Allein, ich bin sein Vetter, er hat mir den ganzen Handel mitgeteilt und mich beauftragt, für ihn die Kavaliere zu erkennen, welche mir ein Sacktuch mit vier Knoten an den Ecken gleich dem, das Ihr in der Hand haltet und gleich dem, das ich in der Tasche habe, vorzeigen würden, und sie an seiner Statt überall, wo sie es verlangen, hinzuführen.« Unter diesen Worten nahm Groslow das Sacktuch aus seiner Tasche, welches er bereits Mordaunt vorgewiesen hatte. »Ist das alles?« fragte Athos. »Nicht doch, Mylord, es sind ja noch fünfzig Pfund Sterling zugesagt, wenn ich Euch wohlbehalten in Boulogne oder auf jedem anderen Punkte in Frankreich, den Ihr mir bestimmen würdet, ans Land setze.« »D'Artagnan, was sagt denn Ihr dazu?« fragte Athos französisch. »Fürs erste sagt mir, was er sprach,« entgegnete dieser. »O, richtig!« sagte Athos, »ich vergaß, daß Ihr nicht englisch versteht.« Sonach übersetzte er d'Artagnan die Unterredung, die er eben mit dem Schiffsführer hatte. »Mir scheint das ziemlich wahrscheinlich,« bemerkte der Gascogner. »Auch mir,« erwiderte Athos. »Und wenn uns auch dieser Mensch betrügt,« sagte d'Artagnan, »so können wir ihm noch immer eine Kugel durch den Kopf jagen.« »Wer wird uns denn führen?« »Ihr, Athos; da Ihr so vieles versteht, so zweifle ich nicht daran, Ihr werdet auch ein Schiff zu lenken verstehen.« »Meiner Treue, Freund,« sprach Athos lächelnd und mit Scherz: »Ihr habt beinahe die Wahrheit gesprochen; ich ward von meinem Vater für die Marine bestimmt, und so habe ich einige schwache Begriffe von der Nautik.« »Seht Ihr also!« rief d'Artagnan. »Geht nun, d'Artagnan; holt unsere Freunde, und kehrt wieder zurück; es ist elf Uhr, wir haben keine Zeit zu verlieren.« D'Artagnan näherte sich zwei Reitern, welche mit der Pistole in der Hand an den ersten Häusern der Stadt den Vorpostendienst versahen; drei andere Reiter, die am Graben der Straße vorsichtshalber gegen eine Art Schuppen aufgestellt waren, bildeten die Nachhut, und schienen ebenfalls zu warten. Die zwei Personen in der Mitte der Straße waren Porthos und Aramis; die drei Reiter am Schuppen waren Mousqueton, Blaifois und Grimaud; nur war dieser letztere, genau besehen, doppelt, denn er hatte Parry hinter sich aufsitzen, welcher die zur Bezahlung der Zeche an den Wirt verkauften Pferde der Edelleute und ihrer Diener nach London zurückführen sollte. Durch diesen Handel konnten die vier Freunde eine, wenn auch nicht ansehnliche, doch hinreichende Summe mit sich nehmen, um für Hindernisse oder Zufälle gedeckt zu sein. D'Artagnan forderte Porthos auf, ihm zu folgen, und diese winkten ihren Leuten zu, daß sie absteigen und ihr Gepäck abschnallen sollten.
Parry schied nicht ohne Schmerz von seinen Freunden, man stellte ihm den Antrag, ihn nach Frankreich mitzunehmen, doch weigerte er sich hartnäckig dagegen. »Das ist ganz natürlich,« bemerkte Mousqueton, »er hat seine Absicht in bezug auf Groslow.« Man wird sich erinnern, daß es der Kapitän Groslow war, der ihm den Kopf verwundet hatte. Die kleine Truppe kam zu Athos. Doch hatte d'Artagnan sein angeborenes Mißtrauen bereits wieder gefaßt; er fand den Kai zu verödet, die Nacht zu finster, den Kapitän zu freundlich. Er teilte Aramis den eben erwähnten Vorfall mit, und Aramis, nicht minder argwöhnisch als er, trug nicht wenig dazu bei, seinen Verdacht zu erhöhen. Der Gascogner gab Athos durch ein leises Schnalzen der Zunge gegen die Zähne seine Besorgnis kund. »Wir haben zum Mißtrauen keine Zeit,« versetzte Athos, »das Schiff erwartet uns, lasset uns einsteigen.« »Und zudem,« bemerkte Porthos, »was hält uns denn ab, mißtrauisch zu sein und dennoch einzusteigen? Man wird den Patron überwachen. Und wenn er nicht gerade Wege wandelt, so schlage ich ihn tot; das ist alles!« »Gut gesprochen, Porthos,« rief d'Artagnan. »Laßt uns somit einsteigen. Du, Mousqueton, geh voraus.« D'Artagnan hielt seine Freunde zurück und ließ die Diener zuerst einsteigen, damit sie die Planke untersuchten, die sich vom Damme nach dem Schiffe hinzog. Die drei Diener stiegen ohne Unfall ein. Athos folgte ihnen, dann Porthos, dann Aramis. D'Artagnan stieg zuletzt ein und schüttelte fortwährend den Kopf. »Was Teufel habt Ihr denn; Freund?« rief Porthos. »Auf Ehre, Ihr könntet Cäsar einschüchtern.« »Ich habe Euch zu bemerken,« versetzte d'Artagnan, »daß ich in diesem Hafen weder Aufseher, noch Schildwache, noch Zöllner sehe.« »Nun, so klagt,« erwiderte Porthos, »aber es geht alles vortrefflich.« »Es geht alles nur zu gut, Porthos, und am Ende wie Gott will.«
Als das Brett zurückgezogen war, setzte sich der Patron an das Steuer und winkte einem seiner Matrosen, der mit einer Rudergabel zu manövrieren anfing, um aus dem Labyrinthe zu kommen, in dessen Mitte die Barke lag. Der andere Matrose stand bereits am Backbord mit dem Ruder in den Händen. Als man die Ruder in Anwendung bringen konnte, gesellte sich sein Kamerad zu ihm, und die Barke glitt rascher von hinnen. »Endlich werden wir flott!« rief Porthos. »Leider reisen wir allein ab,« versetzte der Graf de la Fère. »Ja, doch reisen wir alle vier und ohne Wunde; das ist ein Trost.« »Wir sind noch nicht angekommen,« versetzte d'Artagnan; »man habe acht vor den Begegnungen.« »O, mein Lieber,« sprach Porthos, »Ihr seid wie die Raben, da Ihr immer Unglück kreischet. Was kann uns denn begegnen in dieser finstern Nacht, wo man nicht zwanzig Schritte weit sieht?« »Ja, doch morgen früh?« entgegnete d'Artagnan. »Morgen früh sind wir in Boulogne.« »Ich wünsche das von ganzem Herzen und bekenne meine Schwäche,« sprach der Gascogner. »Hört, Athos, Ihr werdet lachen, allein solange wir auf Schußweite vom Damme oder von den davorliegenden Schiffen entfernt waren, war ich auf ein entsetzliches Gewehrfeuer gefaßt, das uns alle zerschmettern sollte.« »Das war unmöglich,« erwiderte Porthos mit seinem derben, gesunden Verstande, »da man zugleich auch den Patron und die Matrosen totgeschossen hätte.« »Bah, das wäre etwas Hübsches für Herrn Mordaunt; glaubt Ihr denn, er würde sich darum kümmern?« »Mich freut es am Ende recht sehr,« sagte Porthos, »wenn d'Artagnan eingesteht, daß er Furcht hatte.« »Ich gestehe es nicht bloß ein, sondern rühme mich dessen. Ich bin kein Rhinozeros, wie Ihr. – Oh, was ist denn das?« »Der ›Blitz‹,« entgegnete der Patron. »Sind wir also angelangt?« fragte Athos auf englisch. »Wir kommen eben an,« erwiderte der Kapitän. Man befand sich in der Tat nach drei Ruderschlägen Bord an Bord mit dem kleinen Schiffe. Der Matrose harrte, die Leiter war in Bereitschaft, er hatte die Barke erkannt. Athos stieg zuerst hinauf mit seiner ganzen seemännischen Gewandtheit; Aramis mit der Gewohnheit, die er sich seit langem eigen gemacht, mittels Strickleiter und anderer mehr oder weniger sinnreicher Mittel verbotene Räume zu überschreiten; d'Artagnan wie ein Gemsjäger; Porthos mit jener Kraftanwendung, die bei ihm alles ersetzte. Die Diener folgten. Der Kapitän führte seine Passagiere nach der für sie eingerichteten Kajüte, welche sie, da sie nur ein einziges Zimmer war, gemeinschaftlich bewohnen mußten, dann versuchte er es, sich unter dem Vorwande zu entfernen, daß er einige Aufträge zu erteilen habe. »Einen Augenblick,« sprach d'Artagnan, »wieviel Mann habt Ihr an Bord, Patron?« »Ich verstehe nicht,« sagte dieser auf englisch. »Athos, frage ihn das in seiner Sprache.«
Athos stellte die von d'Artagnan gewünschte Frage. »Drei,« erwiderte Groslow; »ohne mich zu rechnen, wohlverstanden.« D'Artagnan verstand, da der Patron bei seiner Antwort drei Finger erhoben hatte. »O,« versetzte d'Artagnan, »ich werde schon wieder ruhiger. Gleichviel, ich will, während Ihr Euch einrichtet, einen Gang durch das Schiff tun.« »Und ich,« entgegnete Porthos, »ich will mich mit dem Abendessen befassen.« »Dieses Projekt ist schön und großartig, Porthos, führet es aus. Ihr, Athos, leihet mir Grimaud, der in Gesellschaft seines Freundes Parry ein bißchen englisch gelernt hat; er soll mir als Dolmetsch dienen.« »Geh, Grimaud,« sagte Athos. Eine Laterne brannte auf dem Verdecke. D'Artagnan hob sie mit der einen Hand auf, nahm mit der anderen eine Pistole und sprach zu dem Patron: »Come!« Das war nebst Goddam alles, was er von der englischen Sprache wußte. D'Artagnan kam zu der Luke und stieg hinab in das Zwischendeck. – »O,« rief d'Artagnan, während er mit seiner Laterne über die Lukentreppe hinabging und weit vor sich hin leuchtete, »was gibt es da für Fässer? man könnte das für die Höhle Ali-Babas halten!« »Was sagt Ihr da?« fragte der Kapitän auf englisch, D'Artagnan verstand ihn am Ton der Stimme, und entgegnete, indem er die Laterne auf ein Gebinde hinstellte: »Ich möchte wissen, was in diesen Fässern ist.« Der Patron war schon im Begriffe, wieder über die Treppe hinauf zu steigen, doch beherrschte er sich und antwortete: »Portwein.« »Ah, Portwein,« rief d'Artagnan; »das ist jedenfalls eine Beruhigung, daß wir nicht vor Durst umkommen werden.« Dann wandte er sich zu Groslow, der sich dicke Schweißtropfen von der Stirne wischte und fragte: »Sind sie voll?« Grimaud übersetzte die Frage. »Die einen sind voll, die anderen leer,« erwiderte Groslow mit einer Stimme, worin sich trotz aller Anstrengung seine Besorgnis kundgab. D'Artagnan pochte mit dem Finger an die Fässer, und erkannte, daß fünf voll, die anderen aber leer waren; dann hielt er, stets zum großen Schrecken des Engländers, die Laterne zwischen die Gebinde, und da er die Zwischenräume frei sah, so sagte er: »Auf, gehen wir weiter!« – Und er ging nach der Tür, welche zu der zweiten Abteilung führte. »Wartet,« sprach der Engländer, immer noch befangen von der angedeuteten Gemütsangst, »wartet, ich habe zu dieser Türe den Schlüssel.« Er trat schnell vor d'Artagnan und Grimaud und steckte mit bebender Hand den Schlüssel an, wonach man sich in der zweiten Abteilung befand, wo sich Mousqueton und Blaifois zum Nachtmahl anschickten. Hier gab es weder etwas zu suchen noch zu erhaschen: man konnte bei dem Schimmer der Lampe, welche diesen würdigen Kameraden leuchtete, in alle Winkel und Ecken sehen. Sonach ging man schnell weiter und besuchte die dritte Abteilung. Hier war die Wohnung der Matrosen. Drei bis vier Hängematten an der Decke, ein Tisch an einem doppelten Strick, der an den vier Ecken hindurchging, zwei morsche und wackelnde Bänke bildeten darin daß ganze Geräte. D'Artagnan hob ein paar alte Segeltücher auf, die an der Wand hingen, und da er abermals nichts Verdächtiges fand, so stieg er wieder durch die Luke auf das Verdeck des Schiffes. »Und dieses Zimmer?« fragte d'Artagnan. Grimaud übertrug die Worte des Musketiers ins Englische. »Das hier ist mein Zimmer,« entgegnete bei Patron; »wollt Ihr vielleicht eintreten?« »Öffnet die Türe,« sagte d'Artagnan. Der Engländer gehorchte; d'Artagnan verlängerte seinen mit der Laterne versehenen Arm und steckte den Kopf durch die klaffende Türe, und als er sah, daß dieses Gemach ein wahrer Schlupfwinkel sei, so sagte er: »Gut, befände sich ein Kriegsheer an Bord, so wäre es hier recht gut versteckt. Sehen wir, was Porthos zum Nachtmahle gefunden.« Er dankte dem Patron durch Kopfnicken und begab sich wieder nach der Ehrenkajüte, wo seine Freunde waren.
Wie es schien, so hatte Porthos nichts gefunden, und wenn er auch etwas fand, so trug die Ermüdung den Sieg über den Hunger davon, und so schlief er fest in seinen Mantel gehüllt, als d'Artagnan. zurückkehrte. Von den sanften Bewegungen der ersten Wellen eingewiegt, fingen auch Athos und Aramis an, ihre Augen zu schließen, doch öffneten sie dieselben wieder bei dem Geräusch, das ihr Freund verursachte. »Nun?« fragte Aramis. »Es geht alles gut,« versetzte d'Artagnan, »wir können ruhig schlafen.« Nach Verlauf von zehn Minuten waren die Herren eingeschlummert, doch war das nicht der Fall bei den hungrigen und durstigen Bedienten. Mousqueton und Blaifois schickten sich an, ihr Lager zurecht zu machen, das aus einem Brett und Mantelsack bestand, während sich auf einem Hängetische, gleich jenem im anstoßenden Zimmer, nach dem Wanken des Meeres, ein Brot, ein Bierkrug und drei Gläser schaukelten. »Das verfluchte Wanken,« rief Blaifois; »ich fühle, es wird mich wieder so packen wie anfangs.« »Und wir haben nichts, um die Seekrankheit zu bekämpfen,« versetzte Mousqueton, »als Gerstenbrot und Hopfenwein; puh! –« »Doch Eure Weidenflasche, Herr Mouston?« fragte Blaifois, der eben mit seinem Lagermachen fertig war und sich strauchelnd dem Tische näherte, wo er sich ebenfalls setzen wollte; »doch Eure Weidenflasche, habt Ihr sie verloren?« »Nicht doch,« entgegnete Mousqueton, »sondern Parry hat sie behalten. Diese Teufels-Schotten haben immer Durst. Und Ihr, Grimaud,« fragte Mousqueton seinen Kameraden, der eben von seiner Begleitung d'Artagnans zurückkehrte, »seid Ihr nicht durstig?« »Wie ein Schotte,« antwortete Grimaud lakonisch. Er setzte sich neben Blaifois und Musqueton, zog aus seiner Tasche eine Schreibtafel hervor, und fing an, die Zeche der Gesellschaft aufzusetzen, deren Verwalter er war. »Oh, oh!« stammelte Blaisois, »mir fängt an übel zu werden.« »Wenn das ist,« sprach Mousqueton mit einer gelehrten Miene, »so nehmt ein bißchen Nahrung.« »Ihr nennt das Nahrung?« entgegnete Blaisois, während er mit kläglicher Miene und verächtlich auf das Gerstenbrot und den Bierkrug hinzeigte. Grimaud fand es der Mühe wert, sich ins Mittel zu legen; er deutete mit dem Finger nach dem Laderaum und sagte: »Portwein!« Das war ein Schlagwort. Die Bedienten waren sich bald darüber einig, was zu machen sei, damit man unauffällig an die Fässer herankäme. Grimaud rüstete sich mit einem Bohrer und einem Kruge aus und verschwand im Laderaum, während Mousqueton Wache hielt, um ihn, falls jemand kommen sollte, zu warnen. Grimaud war kaum gegangen, als Mousqueton leise Schritte vernahm. Er pfiff auf eine Weise, die den Bedienten in den Tagen ihrer Jugend vertraut war, begab sich wieder auf seinen Platz am Tische und winkte Blaisois, desgleichen zu tun. Blaisois gehorchte.
Die Türe ging auf. Zwei Männer in Mäntel gehüllt traten ein. »O, o!« rief der eine von ihnen, »um ein Viertel nach elf Uhr noch nicht im Bette? Das ist gegen die Vorschrift. In einer Viertelstunde soll alles ausgelöscht sein und jedermann schnarchen.« Die zwei Männer gingen zu der Türe jener Abteilung, in welche Grimaud geschlüpft war, schlossen die Türe auf, traten ein und sperrten hinter sich wieder ab. »Ha,« rief Blaisois schaudernd, »er ist verloren!« »Grimaud ist ein feiner Fuchs,« murmelte Mousqueton. Sie erwarteten mit lauschendem Ohre und gesperrtem Odem, was da kommen mag. Es vergingen zehn Minuten, ohne daß man ein Geräusch vernahm, welches hätte vermuten lassen, daß Grimaud entdeckt sei. Nachdem diese Zeit verflossen war, sahen Mousqueton und Blaisois die Türe wieder aufgehen, die Männer in den Mänteln traten hervor, versperrten die Türe wieder mit derselben Vorsicht wie bei ihrem Eintreten, und entfernten sich mit der Wiederholung des Befehls, das Licht auszulöschen und sich schlafen zu legen. »Werden wir Folge leisten?« fragte Blaisois, »mir kommt das alles verdächtig vor.« »Sie sagten: eine Viertelstunde, wir haben noch fünf Minuten,« bemerkte Mousqueton. »Wenn wir es den Herren meldeten?« »Warten wir noch auf Grimaud.« »Wenn sie ihn aber getötet haben?« »Grimaud hätte gerufen.« »Ihr wißt ja, er ist fast stumm.« »So hätten wir die Stöße gehört.« »Doch, wenn er nicht zurückkommt?« »Hier ist er!« Grimaud öffnete die Tür und steckte durch dieselbe seinen totenfahlen Kopf, dessen Augen, vor Entsetzen gerundet, kleine Pupillen in weiten weißen Kreisen sehen ließen. Er trug den mit einer gewissen Substanz angefüllten Krug in der Hand, näherte ihn dem Scheine des Lichtes, den die dampfende Lampe verbreitete, und murmelte die einfache Silbe: »O!« mit einem so schreckenvollen Ausdrucke, daß Mousqueton entsetzt zurückprallte und Blaisois ohnmächtig zu werden schien. Nichtsdestoweniger warfen beide einen neugierigen Blick in den Bierkrug – er war voll Pulver! Als nun Grimaud überzeugt war, daß das Schiff anstatt mit Wein mit Pulver beladen sei, eilte er nach der Luke und machte nur einen Satz bis zur Kajüte, worin die vier Freunde schliefen. Als er da ankam, drückte er vorsichtig die Türe, welche im Aufgehen sogleich d'Artagnan weckte, da er hinter ihr lag.
Er hatte noch kaum Grimauds entstelltes Antlitz gesehen, so verstand er schon, daß etwas Ungewöhnliches vorgehe, und wollte rufen, allein Grimaud legte mit einer noch schnelleren Bewegung als das Wort selbst einen Finger an seine Lippen und blies mit einem Hauche, den man in einem so schwachen Körper nicht vermutet hätte, die kleine Nachtlampe aus, die drei Schritte entfernt stand. D'Artagnan erhob sich auf dem Ellbogen, Grimaud ließ sich auf ein Knie nieder, und so den Hals gestreckt und die Sinne gespannt, flüsterte er ihm eine Erzählung in das Ohr, welche dramatisch genug war, um Gebärden- und Mienenspiel zu entbehren. Während dieser Mitteilung schliefen Athos, Porthos und Aramis so fest, als hätten sie acht Tage lang nicht geschlafen, und im Zwischendecke knüpfte Mousqueton aus Vorsicht seine Nesteln, indes Blaisois voll Entsetzen und mit gesträubten Haaren dasselbe zu tun versuchte. Nun sehen wir, was vorgefallen ist. Grimaud war kaum durch die Öffnung verschwunden und in die erste Abteilung gelangt, als er um sich forschte und ein Faß antraf. Er pochte, dieses Faß war leer; allein das dritte, an dem er den Versuch wiederholte, gab einen so dumpfen Ton von sich, daß man sich daran nicht irren konnte. Grimaud erkannte, daß es voll sei. Hier hielt er an, suchte nach einer passenden Stelle, um es anzubohren, und stieß während des Suchens an einen Hahn. »Gut,« murmelte Grimaud, »damit ist mir eine Arbeit erspart.« Er hielt den Bierkrug unter, drehte den Hahn und merkte, wie der Inhalt ganz sanft aus dem einen in das andere Gefäß überging. Nachdem er erst die Vorsichtsmaßregel getroffen, den Hahn wieder zu schließen, und zu gewissenhaft war, seinen Kameraden ein Getränk zu bringen, wofür er sich bei ihnen nicht hätte verantwortlich machen können, so setzte er den Krug an seine Lippen, hörte aber in diesem Augenblicke das Warnungszeichen, das ihm Mousqueton gab; er wähnte, daß eine Nachtrunde komme, schlüpfte zwischen zwei Fässer hinein, und verbarg sich hinter leeren Gebinden. Einen Augenblick nachher ging wirklich die Tür auf und wieder zu, da jene zwei Männer in Mänteln eintraten, welche wir vor Blaisois und Mousqueton hin und her kommen sahen, wo sie ihnen das Licht auszulöschen befahlen. Der eine von ihnen trug eine sorgfältig verschlossene Laterne von solcher Höhe, daß die Flamme ihren Gipfel nicht erreichen konnte. Außerdem waren die Scheiben wieder mit weißem Papier überzogen, welches das Licht und die Wärme milderte und einsog. Dieser Mann war Groslow. Der andere hielt etwas in der Hand, das lang, biegsam und wie ein Strick gerollt war. Sein Gesicht ward von einem breiträndrigen Hute überschattet. Grimaud dachte, es führe sie dieselbe Leidenschaft, die er empfand, in den Keller, um dem Portwein einen Besuch abzustatten, und zog sich immer tiefer hinter die Fässer zurück, wobei er sich übrigens damit tröstete, daß das Verbrechen eben nicht groß wäre, wenn man ihn auch entdeckte. Als die beiden Männer bei dem Fasse ankamen, hinter dem Grimaud versteckt lag, blieben sie stehen. »Habt Ihr die Lunte?« fragte derjenige auf englisch, der die Blendlaterne trug. »Hier ist sie,« entgegnete der andere. Bei der Stimme des letzteren schauderte Grimaud und fühlte diesen Schauder durch das Mark seiner Knochen dringen, er erhob sich langsam bis über den Rand des Gebindes und erkannte unter dem breiten Hute das blasse Gesicht Mordaunts. »Wie lange mag wohl diese Lunte glimmen?« fragte er. »Nun, etwa fünf Minuten,« erwiderte der Patron. Auch diese Stimme war Grimaud nicht fremd; sein Blick glitt von dem einen zum andern über, und nach Mordaunt erkannte er Groslow. »Sonach,« sprach Mordaunt, »meldet Eurer Mannschaft, sich bereit zu halten, ohne ihr die Ursache anzugeben. Folgt die Schaluppe dem Schiffe nach?« »Wie ein Hund am Hanfstricke seinem Herrn folgt.« »Wenn dann die Uhr auf ein Viertel nach Mitternacht zeigt, so versammelt Eure Mannschaft, und steigt geräuschlos in die Schaluppe.« »Nachdem ich die Lunte angebrannt habe?« »Diese Sorge betrifft mich. Ich will meiner Rache gewiß sein. Sind die Ruder in der Schaluppe?« »Es ist alles vorbereitet.« »Gut.« »Sonach sind wir einverstanden.«
Mordaunt kniete nieder und band das eine Ende der Lunte an den Hahn, damit er nur noch das andere Ende anzubrennen brauchte. Als das geschehen war, stand er wieder auf und sagte: »Habt Ihr gehört? Ein Viertel nach Mitternacht, das heißt . . . Er zog seine Uhr hervor. »In zwanzig Minuten.« »Vollkommen, mein Herr,« entgegnete Groslow. »Ich muß Euch nur zum letztenmal bemerken, daß dieses Unternehmen mit einiger Gefahr verbunden ist, und daß es besser wäre, das Anzünden dieses Feuerwerkes einem unserer Leute aufzutragen.« »Lieber Groslow,« versetzte Mordaunt, »Ihr kennt das französische Sprichwort: Man bedient sich nur selber gut, – ich will das in Anwendung bringen.« Grimaud hatte alles gehört, wenn auch nicht alles verstanden, allein bei ihm ersetzte das Gesicht den Mangel des vollen Verstehens der Sprache; er hatte die zwei Todfeinde der Musketiere gesehen und erkannt; er sah, wie Mordaunt die Lunte befestigte, er hörte jenes Sprichwort, welches Mordaunt französisch sagte, und es ihm dadurch noch leichter machte; endlich fühlte er wiederholt den Inhalt des Kruges an, den er in der Hand hielt, und anstatt der Flüssigkeit, welche Mousqueton und Blaisois erwarteten, knitterten und zerbröckelten sich die Körner eines groben Pulvers unter seinen Fingern. Mordaunt ging mit dem Patron weg; doch an der Türe der Kajüte hielt er an und horchte. »Hört Ihr sie schlafen?« sprach er. Man hörte auch wirklich Porthos durch den Fußboden schnarchen. »Sie sind Euch durch guten Zufall überliefert,« versetzte Groslow. »Und diesmal soll sie der Teufel selbst nicht retten,« sagte Mordaunt. Beide gingen hinaus.
Grimaud wartete so lange, bis er den Riegel der Tür im Schlosse knarren hörte, und als er sich versichert hatte, daß er allein sei, richtete er sich längs der Wand langsam empor. »Ah,« seufzte er, während er sich mit dem Ärmel die dicken Schweißtropfen abwischte, die auf seiner Stirne perlten, »welch ein Glück ist es, daß Mousqueton durstig war!« Wie es sich wohl erraten läßt, so hörte d'Artagnan diese Umstände mit wachsender Spannung an, und ohne daß er wartete, bis Grimaud zu Ende war, stand er geräuschlos auf, legte seinen Mund an Aramis' Ohr, der ihm zur Linken schlief, faßte ihn zugleich an der Schulter, um jeder ungestümen Bewegung zuvorzukommen, und sprach zu ihm: »Chevalier, steht auf, und macht nicht den mindesten Lärm.« Aramis erwachte. D'Artagnan wiederholte seine Aufforderung und drückte ihm die Hand. Aramis gehorchte. »Euch ist Athos zur Linken,« sagte er, »setzt ihn in Kenntnis, wie ich Euch in Kenntnis gesetzt habe.« Athos erwachte bald, da sein Schlaf leicht war, wie es der von feinen und nervösen Naturen zu sein pflegt, doch hielt es schwieriger, Porthos zu wecken. Er wollte nach den Ursachen und Gründen dieser Störung seines Schlafes fragen, die ihm sehr unliebsam zu sein schien, als d'Artagnan statt aller Antwort ihm die Hand auf den Mund drückte. Unser Gascogner streckte nun die Hand aus, und zog die Köpfe seiner drei Freunde in einen so engen Kreis zusammen, daß sie sich beinahe berührten, und sagte zu ihnen: »Freunde, wir werden dieses Schiff den Augenblick verlassen, oder wir sind alle des Todes.« »Bah,« machte Athos, »schon wieder?« »Wißt Ihr, wer der Kapitän des Schiffes ist?« »Nein.« »Der Kapitän Groslow.« Ein Schauder der drei Musketiere verriet es d'Artagnan, daß seine Worte einigen Eindruck auf seine Freunde machten. »Ha, Groslow, zum Teufel!« rief Aramis. »Wer ist das, Groslow?« fragte Porthos; »ich erinnere mich nicht mehr.« »Jener, der Parry den Kopf zerschlagen hat, und der sich eben bereit macht, auch die unserigen zu zermalmen.« »O, o?« »Und wißt Ihr, wer sein Leutnant ist?« »Sein Leutnant? es ist keiner hier,« versetzte Athos. »In einer Feluke, die nur vier Mann hat, gibt es keinen Leutnant.« »Ja, allein Herr Groslow ist kein Kapitän wie ein anderer. Er hat einen Leutnant, und dieser Leutnant ist Herr Mordaunt.«
Diesmal gab es nicht bloß mehr ein Schaudern unter den Musketieren, sondern beinahe einen Aufschrei. Diese unbezwingbaren Männer unterlagen dem mysteriösen und verhängnisvollen Einflusse, den dieser Name auf sie ausübte, und waren schon entsetzt, wenn sie ihn nur aussprechen hörten. »Was ist zu tun?« fragte Athos. »Wir bemächtigen uns der Feluke,« entgegnete Aramis. »Wir töten sie.« rief Porthos. »Die Feluke ist miniert,« sprach d'Artagnan. »Jene Fässer, die ich für Gebinde von Portwein hielt, sind Pulverfässer. Wenn sich Mordaunt entdeckt sieht, so wird er alles, Freunde und Feinde, in die Luft sprengen, und er ist, meiner Treue, ein zu schlechter Gesellschafter, als daß ich Lust hätte, mich in seiner Begleitung im Himmel oder in der Hölle zu präsentieren.« »Habt Ihr also einen Plan?« fragte Athos. »Ja.« »Welchen?« »Setzt Ihr Vertrauen in mich?« »Sagt an,« sprachen die drei Musketiere zugleich. D'Artagnan ging zu einem Fenster, das zwar niedrig, aber doch geräumig genug war, um einen Mann hindurchzulassen, und schob es leise in seinen Leisten zurück. »Das ist der Weg,« rief er. »Zum Teufel, lieber Freund, es ist sehr kalt,« sagte Aramis. »Bleibt, wenn Ihr wollt, allein ich sage Euch im voraus, es wird hier alsbald zu heiß sein.« »Wir können aber das Land nicht mit Schwimmen erreichen.« »Die Schaluppe folgt am Taue nach, wir werden die Schaluppe erreichen, und das Tau abschneiden. Das ist alles. Auf, meine Herren!« »Einen Augenblick,« sprach Athos, – »die Bedienten.« »Da sind wir schon,« riefen Mousqueton und Blaisois, welche Grimaud geholt hatte, um alle Kräfte in der Kajüte zu versammeln, und die durch die Luke, welche fast an die Türe stieß, ungesehen eingetreten waren. Indes blieben die drei Freunde regungslos vor dem schrecklichen Schauspiele, welches d'Artagnan ihren Blicken enthüllte, indem er den Ballen zurückschob, so daß sie durch diese enge Öffnung sahen. In der Tat weiß es jedermann, der dieses Schauspiel einmal sah, daß es gar nichts Ergreifenderes gibt, als ein hochgehendes Meer, welches bei dem blassen Schein eines Wintermondes seine dunklen Wogen unter dumpfem Gebrause dahinwälzt. »Potz Element, wir schwanken, wie mich dünkt,« rief d'Artagnan; »und wenn wir schwanken, was werden dann die Bedienten tun?« »Ich schwanke nicht,« versetzte Grimaud. »Gnädiger Herr,« sprach Blaisois, »ich sage es im voraus, daß ich nur in Flüssen schwimmen kann.« »Und ich kann gar nicht schwimmen,« sagte Mousqueton. Mittlerweile ließ sich d'Artagnan durch die Öffnung gleiten. »Freund,« rief Athos, »Ihr seid also entschlossen?« »Ja,« erwiderte der Gascogner; »vorwärts, Athos, Ihr, vollkommener Mann, sagt dem Geiste, daß er dem Fleische gebiete. Ihr, Aramis, gebt den Bedienten ein Beispiel; Ihr, Porthos, tötet alles, was uns hindern will.«
D'Artagnan drückte Athos noch die Hand, und ersah den Augenblick, wo die Feluke durch eine schwankende Bewegung mit dem Hinterteile tauchte, wonach er nur in das Wasser zu gleiten brauchte, das ihm schon bis zum Gürtel reichte. Athos folgte ihm, ehe sich noch die Feluke zurückbewegt hatte; nach Athos erhob sie sich abermals, und man bemerkte das Tau, an dem die Schaluppe befestigt war, sich strecken und aus dem Wasser emporschnellen. D'Artagnan schwamm nach diesem Tau und erreichte dasselbe. Er hing sich mit der Hand daran, behielt nur den Kopf über dem Wasser und wartete. Eine Sekunde darauf kam Athos zu ihm. Hierauf sah man bei der Wendung der Feluke zwei andere Köpfe emportauchen. Das waren die von Aramis und Grimaud. »Blaisois macht mir angst,« sprach Athos. »Hörtet Ihr nicht, d'Artagnan, wie er sagte, daß er nur in Flüssen schwimmen könne?« »Wenn man einmal schwimmen kann, so kann man es überall,« erwiderte d'Artagnan. »In die Barke! in die Barke!« »Allein Porthos, ich sehe ihn nicht.« »Porthos wird kommen, seid unbekümmert, er schwimmt wie Leviathan selber.« Aber Porthos zeigte sich wirklich nicht, da zwischen ihm, Mousqueton und Blaisois ein halb komischer, halb dramatischer Auftritt stattfand. Da diese entsetzt waren vor dem Wogengebrause, vor dem Pfeifen des Windes und vor dem Anblick des schwarzen, im Abgrund schäumenden Wassers, so wichen sie zurück, anstatt vorwärts zu gehen. »Vorwärts, ins Wasser!« rief Porthos. »Allein, gnädiger Herr,« ächzte Mousqueton, »laßt mich hier, ich kann ja nicht schwimmen.« »Ich auch nicht,« wimmerte Blaisois. »Ich versichere,« sagte Mousqueton, »ich würde Euch nur hinderlich sein in dieser kleinen Barke.« »Und ich würde gewiß ertrinken, bevor ich dahin käme,« versetzte Blaisois. »Heda, ich erwürge Euch beide, wenn Ihr nicht hinabspringt,« rief Porthos, und faßte sie an der Kehle. »Vorwärts, Blaifois!« Ein Ächzen, von Porthos' eiserner Faust gedämpft, war die ganze Antwort Blaisois', denn der Riese, der ihn beim Kopf und bei den Füßen anfaßte, ließ ihn wie einen Balken durch das Fenster gleiten und schob ihn mit dem Kopf nach unten ins Meer. »Jetzt, Mouston, hoffe ich,« sprach Porthos, »daß du deinen Herrn nicht verlassen wirst.« »O, gnädiger Herr,« entgegnete Mousqueton mit Tränen im Auge, »warum haben Sie wieder Dienst genommen? Es ging uns doch so gut auf dem Schlosse Pierrefonds.« Und ohne andere Widerrede, entweder aus wahrer Treue, oder durch das rücksichtlich Blaisois gegebene Beispiel leidend und folgsam, sprang Mousqueton mit dem Kopfe voraus ins Meer, was immerhin eine erhabene Tat war, da sich Mousqueton für tot hielt. Allein Porthos war nicht der Mann, daß er seinen getreuen Gefährten so verließ. Der Herr folgte dem Diener so nahe, daß der Fall der zwei Körper nur ein Geräusch machte, wonach sich Mousqueton von Porthos' kräftiger Hand unterstützt sah, als er wieder ganz verblüfft auf die Oberfläche des Wassers kam; sofort konnte er sich auch, ohne daß er irgendeine Bewegung zu machen brauchte, dem Taue majestätisch wie ein Meergott nähern. In demselben Momente sah Porthos einen Gegenstand im Bereiche seines Armes wirbeln. Er faßte denselben bei den Haaren an; es war Blaisois, dem auch Athos schon entgegenkam. »Geht, Graf, geht, ich bedarf Eurer nicht,« sagte Porthos. Porthos richtete sich auch in der Tat durch einen kräftigen Fußstoß über die Wellen empor, gleich dem Riesen Adamastor, und erreichte in drei Stößen seinen Freund. D'Artagnan, Aramis und Grimaud halfen Blaisois und Mousqueton beim Einsteigen, dann kam die Reihe an Porthos, der das kleine Schiff beinahe zum Sinken brachte, als er über Bord stieg. »Und Athos?« fragte d'Artagnan. »Hier bin ich,« rief Athos, der erst zuletzt einsteigen wollte wie ein General, der den Rückzug deckt. »Seid Ihr alle beisammen?« »Alle,« erwiderte d'Artagnan, »und habt Ihr Euren Dolch, Athos?« »Ja.« »So schneidet das Tau ab und kommt.«
Athos nahm seinen scharfen Dolch vom Gürtel und schnitt das Tau ab; die Feluke fuhr weiter; die Barke blieb auf ihrem Platze, ohne daß sie auf eine andere Weise als durch die Wellen bewegt wurde. »Kommt, Athos!« rief d'Artagnan. Er reichte dem Grafen de la Fère die Hand, der nun auch in das kleine Fahrzeug stieg. »Es war an der Zeit,« sprach der Gascogner, »und Ihr werdet alsbald etwas Seltsames sehen.«