Georg Ebers
Eine ägyptische Königstochter Bd. I
Georg Ebers

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Viertes Kapitel.

Während dieser Vorgänge verweilte Nitetis einsam und in tiefe Trauer versunken in ihrem Hause auf den hängenden Gärten. Heute zum Erstenmal hatte sie dem gemeinsamen Opfer der Weiber des Königs beigewohnt und versucht, im Freien, vor dem Feueraltare von fremden Gesängen umtönt, zu ihren neuen Göttern zu beten.

Die meisten Bewohnerinnen des königlichen Harems sahen die Aegypterin bei dieser Feierlichkeit zum Erstenmale und wandten, statt zu der Gottheit hinaus zu schauen, kein Auge von ihr ab.

Nitetis, durch die neugierigen, feindseligen Blicke ihrer Nebenbuhlerinnen beunruhigt, zerstreut durch die lärmende Musik, welche von der Stadt herübertönte, schmerzlich bewegt von der Erinnerung an die andächtigen Gebete, welche sie in der feierlichen, schwülen Stille der Riesentempel ihrer Heimath an der Seite ihrer Mutter und Schwester den Göttern ihrer Kindheit dargebracht hatte, konnte, so sehr es sie drängte, für den geliebten König an seinem Feiertage Glück und Wohlsein von den Göttern zu erflehen, zu keiner andächtigen Erhebung kommen.

Kassandane und Atossa knieten an ihrer Seite und stimmten aus voller Brust in die Gesänge der Magier ein, welche dem Herzen der Aegypterin nichts waren, als ein leerer Schall.

Diese Gebete, denen an manchen Stellen hohe Poesie nicht abzusprechen ist, ermüden durch fortwährende Wiederholungen von Namen und Anrufungen einer Unzahl böser und guter Geister. Die Perserinnen wurden durch dieselben zur höchsten Andacht erhoben, denn sie hatten von Kindesbeinen an gelernt, jene Hymnen als die heiligsten und herrlichsten aller Lieder zu betrachten. Diese Gesänge hatten ihre ersten Gebete begleitet und waren ihnen werth und heilig, wie Alles, was wir von unsern Vätern ererben, was uns in der empfänglichsten Zeit unseres Lebens, der Kindheit, als verehrungswürdig und göttlich dargestellt wird; diese Gesänge konnten aber den verwöhnten Geist der mit den schönsten griechischen Dichtungen vertrauten Aegypterin nur wenig ansprechen. Das mühsam Erlernte war ihr noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen, und während die Perserinnen die äußeren Formen ihres Gottesdienstes wie etwas Angeborenes, Selbstverständliches verrichteten, mußte sie sich geistig anstrengen, um der vorgeschriebenen Ceremonien nicht zu vergessen und sich keine Blöße vor den sie mißgünstig belauernden Nebenbuhlerinnen zu geben. Außerdem hatte sie wenige Minuten vor dem Opfer den ersten Brief aus Aegypten erhalten. Der lag ungelesen auf ihrem Putztische und kam ihr in den Sinn, sobald sie sich zum Beten anschickte. Welche Nachrichten mochte er enthalten? Wie ging es den Eltern, wie hatte sich Tachot in die Trennung von ihr und dem geliebten Königssohne gefunden?

Als die Feier beendigt war, umarmte sie, hoch aufathmend, als sei sie von einer drohenden Gefahr erlöst worden, Kassandane und Atossa. Dann ließ sie sich in ihre Wohnung tragen und eilte, dort angelangt, in sehnsüchtiger Hast dem Putztische zu, auf welchem das theure Schreiben lag. Die junge Oberste ihrer Dienerinnen, dieselbe, welche sie auf der Reise zum Erstenmale in persische Gewänder gekleidet hatte, empfing sie mit einem schlauen, vielverheißenden Lächeln, welches sich in Staunen verwandelte, als ihre Herrin den auf dem Tische liegenden Putz keines Blicks würdigte und nach dem langersehnten Briefe griff.

Hastig öffnete Nitetis das Wachs des Siegels und wollte sich eben, um die mühsame Arbeit des Lesens zu beginnen, niederlassen, als jene Dienerin dicht vor sie hintrat und die Hände zusammenschlagend ausrief: »Beim Mithra, Herrin! Du mußt krank sein! Oder enthält dieß graue, garstige Stück Zeug vielleicht eine Zauberei, welche Den, der es zuschaut, für alles Schöne blind macht? Lege die Rolle nur schnell beiseite und sieh' Dir die herrlichen Sachen an, welche Dir der große König, dem Auramazda Sieg verleihe, zusandte, während Du der Feier beiwohntest. Sieh' nur dieß köstliche Purpurgewand mit dem weißen Streifen und der reichen Silberstickerei, sieh' diese Tiara mit den königlichen Diamanten! Weißt Du denn nicht, daß solche Gaben mehr bedeuten, als gewöhnliche Angebinde? Kambyses läßt Dich bitten (bitten hat der Bote gesagt, nicht befehlen), Du mögest diese prachtvollen Sachen beim heutigen Festmahle tragen. Wie zornig wird Phädime werden! Was für Augen werden die anderen Weiber machen, welche niemals gleiche Geschenke erhielten! Bis zum heutigen Tage war Kassandane, die Mutter des Königs, die einzige Frau an diesem ganzen Hofe, welche den Purpur und die Diamanten tragen durfte; durch diese Geschenke hier stellt Dich Kambyses seiner erhabenen Mutter gleich, und macht Dich vor den Augen der ganzen Welt zu seiner Lieblingsgemahlin und Königin(Anm. 65) Buch Esther, I. 11 u. 19, II. 4. 17, V. 1. Heliodor v. Emesa, Aethiopica VII. 19.. O bitte, bitte, gestatte mir, Dir all' die neuen Herrlichkeiten anzuthun. Wie wunderschön wirst Du aussehen, wie neidisch, wie zornig müssen die Anderen werden! Dürfte ich nur dabei sein, wenn Du in die Halle trittst. Komm', Herrin, laß Dir die schlichten Gewänder ausziehen und Dich, nur zur Probe, von mir schmücken, wie es der neuen Königin geziemt.«

Nitetis hatte der Schwätzerin schweigend zugehört und die kostbaren Geschenke mit stummem Lächeln betrachtet. Sie war Weib genug, um sich ihrer zu freuen; kamen sie doch von einem Manne, den sie inniger liebte als ihr Leben, bewiesen doch diese Gaben ihrem Herzen, daß sie dem Könige mehr sei als all' seine anderen Frauen, ja, daß sie von Kambyses geliebt werde. Der lang ersehnte Brief entfiel ungelesen ihrer Hand, schweigend gewährte sie den Bitten der Dienerin, und binnen Kurzem war ihr Schmuck vollendet. Der königliche Purpur hob ihre majestätische Schönheit, und ihre schlanke, herrliche Gestalt schien von der hohen, blitzenden Tiara erhöht zu werden. Als ihr der auf dem Putztische liegende Metallspiegel zum Erstenmale ihr im vollen Ornat einer Königin prangendes Bildnis zeigte, nahmen ihre Züge einen neuen Ausdruck an. Es war, als wenn sich in ihnen ein Theil von dem Stolze ihres Gebieters abspiegle. – Die leichtfertige Zofe sank unwillkürlich auf die Kniee nieder, als der strahlende Blick des von dem mächtigsten aller Männer geliebten Weibes ihr Beifall lächelndes Auge traf.

Kurze Zeit lang schaute Nitetis auf das im Staube liegende Mädchen, dann schüttelte sie, vor Scham erröthend, das schöne Haupt, beugte sich zu ihr hernieder, hob sie freundlich auf, küßte ihre Stirn, beschenkte sie mit einem goldenen Armbande und befahl ihr, als ihre Blicke auf das an der Erde liegende Schreiben fielen, sie allein zu lassen. Mandane verließ mehr laufend als gehend das Zimmer ihrer Herrin, um das glänzende Geschenk ihren Untergebenen, den niedereren Zofen und Sklavinnen, zu zeigen; Nitetis aber warf sich mit von inniger Glückseligkeit überströmendem Auge und Herzen in den vor dem Putztische stehenden Lehnsessel von Elfenbein, sprach ein kurzes Dankgebet zu ihrer ägyptischen Lieblingsgöttin, der schönen Hathor, küßte die goldene Kette, welche ihr Kambyses nach seinem Sprunge in's Wasser geschenkt hatte, drückte ihre Lippen auf den Brief aus der Heimath, rollte ihn beinahe übermüthig vor inniger Herzensbefriedigung, indem sie sich tief in die purpurnen Kissen drückte, gemächlich auf und murmelte vor sich hin: »Wie bin ich doch so froh und überglücklich! Armer Brief, deine Schreiberin hat wohl nicht gedacht, daß dich Nitetis eine Viertelstunde lang ungelesen auf der Erde liegen lassen würde!«

Freudig begann sie zu lesen; bald aber verwandelte sich ihr Lächeln in Ernst, und als sie am Schlusse des Briefes angelangt war, sank das Schreiben wiederum zur Erde nieder.

Jenes Auge, dessen stolzer Blick die Dienerin zum Niedersinken gezwungen hatte, schwamm in Thränen, das hochgetragene Haupt ruhte auf dem Geschmeide, welches den Putztisch bedeckte; Thränentropfen gesellten sich zu Perlen und Diamanten, seltsame Gegensätze, wie die stolze Tiara und ihre zusammengesunkene Trägerin.

Jener Brief enthielt folgende Worte.

»Ladice, Gattin des Amasis und Königin von Ober- und Unterägypten, an ihre Tochter Nitetis, Gemahlin des Großkönigs von Persien.

»Wenn Du, meine geliebte Tochter, so lange Zeit ohne Nachrichten aus der Heimath geblieben bist, so war dieß nicht unsere Schuld. Die Triere, welche die für Dich bestimmten Briefe nach Aegae befördern sollte, ist von samischen Kriegsschiffen, welche man lieber Seeräuberfahrzeuge nennen sollte, aufgehalten und in den Hafen der Astypalaia(Anm. 66) Aegä, Hafenstadt in Mysien. Die Astypalaia, welche hier genannt wird, ist nicht zu verwechseln mit der Insel Astypalaia, auf welcher von dorischen Kolonisten Akragas, »die schönste Stadt der sterblichen Menschen«, Pindar, Pyth. 12. 1, erbaut wurde. Astypalaia (Altenburg) hieß auch die mit runden Thürmen befestigte Burg des Polykrates auf Samos. Die Mauern derselben waren 12 Fuß dick und ihre Besatzung bestand aus der scythischen Leibgarde des Gewalthabers. Polyän I. 23. Curtius, Geschichte von Griechenland, S. 312. geschleppt worden.

»Der Uebermuth des Polykrates, dem Alles, was er vornimmt, zu gelingen pflegt, wird immer größer. Kein Fahrzeug ist vor seinen Raubschiffen sicher, seitdem er die Lesbier und Milesier(Anm. 67) Herod. III. 39., welche dem Unwesen entgegenzutreten suchten, auf's Haupt geschlagen.

»Die Söhne des verstorbenen Pisistratus(Anm. 68) Pisistratus, von welchem wir schon gehört haben, (I. Th. 2. Kap.), starb 527 v. Chr. in hohem Alter. Ihm folgte sein ältester Sohn Hippias. sind seine Freunde. Lygdamis ist ihm verpflichtet und bedarf der samischen Hülfe, um seine Gewaltherrschaft über Naxos aufrecht zu erhalten. Die griechischen Amphiktyonen hat er gewonnen, indem er dem Apollo von Delos die benachbarte Insel Rhenia(Anm. 69) Rhenia (Rheneia) gehört zu den nördlichen Cykladen. Herod. III. 39. Thucydides I. 13. III. 104. schenkte. Alle seefahrenden Völker leiden von seinen Fünfzigruderern, welche zwanzigtausend Matrosen zur Bemannung bedürfen, den größten Schaden; dennoch wagt ihn Niemand anzugreifen, denn er ist von trefflich geübten Leibwachen umgeben und hat seine Burg und die prachtvollen Dämme des Hafens von Samos fast uneinnehmbar befestigt.

»Die Kaufleute, welche dem glücklichen Koläus(Anm. 70) Kolaius, ein samischer Schiffsherr, wurde im siebenten Jahrhundert v. Chr. auf einer Fahrt gen Aegypten nach Westen verschlagen und war der erste Grieche, welcher die Säulen des Herkules (Meerenge von Gibraltar) passirte. Herod. IV. 152. nach Westen folgten, und jene Raubschiffe, die keine Schonung kennen, werden Samos zur reichsten Insel und Polykrates zum mächtigsten Menschen machen, wenn nicht, wie Dein Vater sagt, die Götter das so vollkommene Glück eines Menschen beneiden und ihm einen jähen Untergang bereiten werden.

»Solches befürchtend, rieth Amasis seinem alten Freunde Polykrates, er möge, um die Mißgunst der Götter zu versöhnen, sein Liebstes, dessen Verlust ihn am meisten schmerzen möchte, in solcher Art von sich entfernen, daß er es nie wieder zurück erhalten könne. Polykrates hörte auf diesen Rath Deines Vaters und warf den kostbarsten Siegelring, welchen er besaß, das Werk des Theodorus, einen von zwei Delphinen gehaltenen Sardonix von ungeheurer Größe, in den eine Lyra, das Zeichen des Gewalthabers, wunderbar kunstreich gestochen war, von der Höhe des runden Thurmes seiner Burg in die See(Anm. 71) Plinius 37, 2 und Solinus 38 nennen den Stein dieses bekannten Ringes einen Sardonyx. Zur Zeit des letzteren besaß der Tempel der Konkordia, als Geschenk des Augustus, einen Ring, welcher für den des Polykrates ausgegeben wurde. Clemens von Alexandrien berichtet, daß in denselben eine Leier geschnitten gewesen sei. Die Araber erzählen heute noch eine ähnliche Geschichte; der Held derselben verliert aber seinen Ring durch Zufall. Geschichte vom klugen Schuhu bei Fr. Dieterici, Reisebilder aus dem Morgenlande I. S. 161. Schiller hat die Fabel zu seiner schönen Ballade dem Herodot entnommen, welcher Amasis an den Samier einen Brief, den er vollständig bringt, schreiben läßt. Herod. III. 40 fgd. Wir besitzen noch Siegelsteine aus Sardonyx; so den sehr schön geschnittenen, der dem Könige Abibal von Phönizien angehört hat, und welcher sich zu Florenz befindet. Gori, Gemmae antiquae ex Thesauro Mediceo, p. 56. Pl. XXII. de Luynes, Essai sur la numismatique des satrapies de la Phénicie sous les rois Achaeménides, p. 69. Pl XIII. 1..

»Sechs Tage später fanden seine Köche in dem Leibe eines Fisches jenen Siegelring wieder. Polykrates übersandte uns sogleich die Botschaft von diesem wunderbaren Ereignisse; Dein Vater aber schüttelte, statt sich zu freuen, gramvoll sein greises Haupt und sagte, er sehe wohl, daß man Niemand seinem Geschick entreißen könne. Am nämlichen Tage kündete er dem Polykrates die alte Freundschaft auf und ließ ihm sagen, er wolle sich bemühen, seiner zu vergessen, damit er vor dem Schmerze bewahrt bleibe, einen Menschen, den er liebe, in Unglück gerathen zu sehen.

»Polykrates empfing lachend diese Botschaft und sandte uns die Briefe, welche seine Seeräuber unserer Triere abgenommen hatten, mit einem spöttischen Gruße zurück. Von jetzt an werden alle Schreiben an Dich über Syrien befördert werden.

»Fragst Du mich, warum ich Dir diese lange Geschichte, welche Dich weniger als andere Nachrichten aus dem elterlichen Hause angeht, erzählt habe, so antworte ich Dir: ›Um Dich auf den Zustand Deines Vaters vorzubereiten.‹ Erkennst Du den heitern, lebensfrohen, sorglosen Amasis aus jenen düsteren Worten wieder, die er dem samischen Freunde zurief?

»Ach, mein Gatte hat wohl Ursache betrübt zu sein, und die Augen Deiner Mutter wurden seit Deiner Abreise nach Persien niemals trocken. Von dem Krankenlager Deiner Schwester eile ich zu Deinem Vater, um ihn zu trösten und seine Schritte zu leiten.

»Ich benütze die Nacht, um diese Zeilen zu schreiben, obgleich ich wohl des Schlummers bedürfte.

»Hier bin ich von den Wärterinnen, die mich zu Tachot, Deiner Schwester, Deiner wahren Freundin, riefen, unterbrochen worden.

»Wie oft hat die Theure in Fieberphantasieen Deinen Namen ausgerufen, wie sorglich bewahrt sie jenes Wachsbild(Anm. 72) Anakreon, welcher zur Zeit unserer Erzählung lebte, singt ein Lied von einem wächsernen Erosbild, welches er von einem Knaben für eine Drachme, 7 Silbergroschen 6 Pfennige, ersteht. Anakreon ed. Moebius 10. Auch Plato gebraucht im Timäus S. 74 das Wort κηροπλάστης, d. i. Wachsbildhauer. Im Uebrigen scheint man namentlich Früchte in Wachs nachgebildet zu haben. Hierüber Böttiger, Kl. Schriften II. S. 98, III. S. 304 und Becker, Charikles I. S. 99. von Dir, dessen wunderbare Aehnlichkeit von der Höhe griechischer Kunst und der Meisterschaft des großen Theodorus zeugt. Morgen wollen wir dasselbe nach AeginaSiehe I. Theil Anmerkung 26. schicken, um es in einer dortigen Werkstatt in Gold nachbilden zu lassen. Das zarte Wachs leidet von den heißen Händen und Lippen Deiner Schwester, die das Bildniß so oft berühren.

»Jetzt, meine Tochter, nimm all' Deinen Muth zusammen, wie auch ich all' meine Kraft aufbieten will, um Dir in geordneter Reihenfolge zu erzählen, was die Götter über unser Haus verhängt haben.

»Nach Deiner Abreise hörte Tachot drei Tage lang nicht auf zu weinen. All' unsere tröstenden Worte, alle Ermahnungen Deines Vaters, alle Opfer und Gebete vermochten nicht den Gram des armen Kindes zu lindern oder zu zerstreuen. Am vierten Tage versiegten endlich ihre Thränen. Mit leiser Stimme, scheinbar ergeben, antwortete sie, wenn wir sie fragten; den größten Theil des Tages aber saß sie schweigend bei ihrer Spindel. Die sonst so geschickten Finger zerrissen, wenn sie nicht stundenlang in dem Schooße der Träumerin ruhten, alle Fäden. Sie, die sonst so herzlich über die Scherze Deines Vaters lachen konnte, hörte ihnen nur noch mit gleichgültiger Stumpfheit zu; meinen mütterlichen Ermahnungen lauschte sie in ängstlicher Spannung.

»Wenn ich ihre Stirne küßte und sie bat, sich selbst zu beherrschen, so sprang sie hoch erröthend auf, warf sich an meine Brust, setzte sich wieder an die Spindel und zog die Fäden mit beinahe wilder Hast; nach einer halben Stunde aber lagen die Hände wiederum unthätig in ihrem Schooße, waren ihre Augen von neuem träumerisch auf einen Punkt in der Luft oder an der Erde gerichtet. Wenn wir sie zwangen, an einem Feste theilzunehmen, so wandelte sie unter den Gästen theilnahmlos umher.

»Als wir sie zu der großen Wallfahrt nach Bubastis mitnahmen, bei welcher das ägyptische Volk seines Ernstes und seiner Würde vergißt, und der Nil mit seinen Ufern einer großen Bühne gleicht, auf welcher trunkene Chöre zur höchsten Ausgelassenheit fortreißende Satyrspiele aufführen, als sie zu Bubastis(Anm. 73) Eine Schilderung dieses ausgelassenen Festes gibt Herod. II. 58. derselbe sagt, daß 700,000 Menschen die Pilgerfahrt nach Bubastis im Osten des pelusinischen Nilarmes zu unternehmen und dort mehr Wein, wie während des ganzen übrigen Jahres, zu trinken pflegten. Siehe auch Th. I. Anmerkung 53. Zu Dendera, dessen Hathor auch die Große von Bubastis genannt wird, wurden, wie die Inschriften lehren (Bd. I. A. 55), ähnliche Feste gefeiert. Die bei denselben stattfindenden Ausschweifungen und das ganze Wesen der Bast oder Sechet von Bubastis hängt entschieden mit phönizischen Kulten zusammen, zu deren Erklärung wir an die frühe phönizische Kolonisation der mediterraneischen Deltaküste erinnern. S. a. Ebers, Durch Gosen zum Sinai, S. 18, 482 und 483. Der Jahrmarkt in dem wenige Meilen von der Stätte des alten Bubastis gelegenen Tanta im Delta ist der Nachfolger des erwähnten Festes. Wir sahen Boote mit übermüthig jubelnden Frauen dorthin ziehen, wohnten dem ausgelassenen Treiben der Meßzeit von Tanta bei und fanden, daß gewisse Eigenschaften des ägyptischen Chem auf den heiligen Sejjid el-Bedawi, zu dessen Grab alljährlich Hunderttausende von Wallfahrern pilgern, übertragen worden sind. Näheres bei Ebers, Aegypten in Bild und Wort I. S. 88–96. zum Erstenmale in ihrem Leben ein ganzes Volk, das sich in taumelnder Lust und ausgelassenen Scherzen tummelt, erblickte, erwachte sie aus ihrem stummen Brüten und fing, wie in den ersten Tagen nach Deiner Abreise, von neuem an Thränen zu vergießen.

»Traurig, beinahe rathlos brachten wir die Arme nach Sais zurück.

»Ihr Aussehen glich dem einer Gottheit. Sie war schmächtiger geworden, aber wie wir Alle bemerkt zu haben glaubten, gewachsen; die Farbe ihrer Haut schimmerte in einer fast durchsichtigen Weiße, und ihre Wangen zierte ein leiser Anhauch, den ich nur mit der Farbe eines jungen Rosenblattes oder den ersten Grüßen der Morgenröthe vergleichen kann. Ihr Auge glänzt heute noch wunderbar schön und hell. Es scheint mir immer, als wenn diese Blicke mehr erschauten, als das, was sich auf der Erde und am Himmel bewegt. Ich meine, diese Blicke müssen über das Geschaffene hinaus in ferne Welten schauen.

»Weil ihre Hände und ihre Stirn immer heißer wurden und manchmal ein leises Frösteln ihre zarten Glieder durchschauerte, ließen wir Imhotep, den berühmtesten Arzt für innere Krankheiten, aus Theben nach Sais kommen.

»Der erfahrene Priester schüttelte den Kopf, als er Deine Schwester erblickte, und prophezeite, daß sie einer schweren Krankheit entgegeneile. Von nun an durfte sie nicht mehr spinnen und nur wenig sprechen. Sie mußte allerlei Tränke einnehmen, man besprach und beschwor ihr Leiden(Anm. 74) Die ägyptischen Aerzte scheinen die Kranken vielfach besprochen zu haben. Hierhergehörige medizinische Vorschriften mannigfaltiger Art sind uns namentlich in den hieratischen Papyrus erhalten, unter denen bis vor Kurzem der berliner medizinische besonders berühmt war. Brugsch hat ihn edirt in seinem Recueil de Monum. égyptiens Pl. 85–107, Chabas (Mélanges égyptol. 1862) behandelte ihn in vorzüglicher Weise und Brugsch, Notice raisonné d'un traité médical datant du XIV. siècle a. n. è erschloß manche Stelle in dem schwierigen Texte. S. auch H. Brugsch ü. d. medizinische Kenntniß der alten Aegypter und über ein altägyptisches medizin. Manuskript des berl. Museums. Allgemeine Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur 1853. Der Papyrus beschreibt recht ansprechend den Zustand des Kranken z. B. in den Worten: »Sein Leib ist schwer, die Oeffnung seines Magens ist brennend, seine Kleider bedrücken ihn, und wenn er auch viele anhat, so wärmen sie ihn doch nicht. In der Nacht empfindet er Durst; der Geschmack seines Herzens (Magens) ist verdorben, wie eines Mannes, der Sykomorenfeigen gegessen hat . . . er hat ein Nest von Entzündung in seinem Leibe . . . wenn er aufsteht, so ist er wie ein Mann, den man zu gehen verhindert.« Von den Mitteln erwähn' ich: Palmenwein mit Kochsalz und Weihrauch zu äußerlichem Gebrauche zu einer Salbe vermengt. – In diese therapeutische Schrift mischen sich auch magische Elemente. So soll Isis angerufen werden, um die Keime eines Leidens zu zerstören. Eine hoffende Frau, die Körner von zwei verschiedenen Getreidearten, in ihr Wasser getaucht, sät, wird einen Knaben bekommen, wenn die erste Art, ein Mädchen, wenn die zweite zuerst wächst. Hier muß ich auch an die demotisch griechischen Papyrus erinnern, die sich zu Leyden befinden und die Dr. Leemans in seiner trefflichen Publikation (Monuments égyptiens du Musée de Leyde) der Gelehrtenwelt zugänglich gemacht hat. Sekt. 2 enthält die Recette médicale par Hémérius. S. a. Sekt. 15. Ich erinnere auch an die von Parthey edirten griechisch-ägyptischen Zauberpapyrus. Die von Plutarch Is. und Os. erwähnten Räucherungen zur Desinfektion der Luft bei Epidemieen sind sehr rationell. Eine eigentümliche Beschwörungsformel ist durch ein koptisches Manuskript bis auf uns gekommen; ihr Verfasser hat nämlich die Namen der ägyptischen Todtengenien in die der Erzengel Michael, Uriel und Gabriel verwandelt. Dulaurier, Recette débrécatoire. Journal Asiatique IV. T. I. p. 433. Amulette von medizinischer Wirkung, φυλακτήρια, nennt Horapollo I. 23; Orakel Tacit. Histor. IV. 81. Wir könnten noch einen großen Raum mit hierhergehörigen Citaten füllen. Es ist wunderbar, daß wenn sich auch solche magische Mittel millionenmal als unwirksam gezeigt haben müssen, sie doch niemals aufgehört haben, Glauben und Anwendung zu finden; selbst heute nicht. Im Winter 1872–73 hatten wir das Glück, weitaus den schönsten und größten von allen bisher gefundenen medizinischen Papyr. heimzubringen. In der Vorrede S. XXIII. Seine Publikation ist jüngst beendet worden. Sie enthält eine in Bezug auf die artistische Herstellung unübertroffene Nachbildung der 110 Seiten des Papyrus, eine ausführliche Einleitung, die Angabe sämmtlicher Krankheiten, gegen welche Heilmittel vorgeschlagen werden, und eine lexikalisch geordnete Liste der im Papyr. vorkommenden Wörter. Obgleich es auch in diesem Werke, welches gleich ist dem von Clemens von Alexandria erwähnten Buche über die Arzneimittel der Aegypter, nicht an Beschwörungen fehlt, so werden doch gegen die meisten Krankheiten nach Maß und Gewichten bestimmte, aus vielen verschiedenen, allen Reichen der Natur angehörenden und nicht selten aus der Ferne nach Aegypten geschafften Droguen zusammengesetzte Arzneimittel vorgeschlagen. In dem dem 16. Jahrh. v. Chr. entstammenden ehrwürdigen Werke werden auch phönizische Schriften benützt. Dies ist höchst merkwürdig und interessant, weil uns dieser Umstand lehrt, daß schon so früh die Aegypter, trotz ihrer spröden Abgeschlossenheit, es nicht verschmähten, aus dem geistigen Besitz ihrer östlichen Nachbarn Nutzen zu ziehen., die Sterne und Orakel wurden befragt, den Göttern reiche Opfer und Geschenke dargebracht. Die Hathorpriester von der Insel Philae übersandten uns für die Kranke ein geheiligtes Amulet, die Osirispriester von Abydus eine in Gold gefaßte Haarlocke des Osiris, und Neithotep, der Oberpriester unserer Schutzgöttin, veranstaltete ein großes Opfer, welches Deiner Schwester die Gesundheit zurückgeben sollte.

»Aber weder Aerzte, noch Beschwörungen, noch Amulete wollten der Armen helfen. Neithotep verhehlte mir endlich nicht mehr, daß Tachots Sterne wenig Hoffnung verhießen. Der heilige Stier von Memphis starb in jenen Tagen; die Priester fanden kein Herz in seinen Eingeweiden und verkündeten Unheil, welches über Aegypten kommen werde. Bis heute ist noch kein neuer Apis gefunden worden. Man glaubt, daß die Götter dem Reiche Deines Vaters zürnen, und das Orakel von Buto hat verkündet, die Unsterblichen würden erst dann Aegypten mit neuer Huld beglücken, wenn alle den fremden Göttern auf der schwarzen ErdeAegypten, welches seine alten Bewohner Cham, das schwarze oder schwarzerdige, nannten. erbauten Tempel vernichtet und Diejenigen, welche den falschen Gottheiten opfern, aus Aegypten verbannt worden wären.

»Die Unglückszeichen haben nicht gelogen. Tachot wurde von einem furchtbaren Fieber ergriffen. Neun Tage lang schwebte sie zwischen Tod und Leben, und sie ist heute noch so schwach, daß sie getragen werden muß und weder Hand noch Fuß zu rühren vermag.

»Während der Fahrt nach Bubastis hatten sich, wie dies in Aegypten nicht selten geschieht(Anm. 75) Die ägyptische Augenkrankheit, welche auch uns leider nicht unbekannt geblieben ist, muß schon in sehr früher Zeit am Nile gewüthet haben. Aegyptische Augenärzte waren schon zur Zeit unserer Erzählung hochberühmt. Herodot sagt, ganz Aegypten wimmle von Aerzten, und auf den Denkmälern sehen wir Blinde abgebildet. Heute findet sich in Aegypten die Augenblennorrhoe entsetzlich häufig. F. Pruner, Krankheiten des Orients. Bruaut, Notice sur l'ophthalmie regnante. In den Mémoires sur l'Égypte I. p. 95–103. S. a. III. Th. A. 16. Durch den großen medizinischen Papyr. Ebers haben wir auch die ersten sicheren Nachrichten über den Stand der Kenntnisse der ägyptischen Augenärzte erlangt. Die Menge der schon im 16. Jahrh. am Nil erkannten Augenkrankheiten ist höchst überraschend. Viele Mittel zur Vertreibung der Granulation im Auge werden angegeben. Näheres zu Band III A. 15., die Augen des Amasis entzündet. Statt ihnen Ruhe zu gönnen, arbeitete er nach wie vor, von Sonnenaufgang bis zur Mittagszeit. Während der schlimmen Fiebertage Deiner Schwester wich er, trotz unserer Mahnungen, nicht von ihrem Lager. Laß mich kurz sein, meine Tochter! Das Augenübel wurde immer heftiger, und an demselben Tage, welcher uns die Nachricht brachte, Du wärest wohlbehalten zu Babylon eingetroffen, war Amasis erblindet.

»Aus dem rüstigen, frohen Manne ist seit jener Zeit ein hinsiechender, düsterer Greis geworden. – Der Tod des Apis, die schlimmen Konstellationen und Orakelsprüche beängstigen sein Herz. Die Nacht, in welcher er lebt, umflort seine Heiterkeit. Das Bewußtsein, nicht ohne Stütze fortschreiten zu können, beraubt ihn seines sichern Willens. Der kühne, selbstständige Herrscher ist im Begriff zum willenlosen Werkzeuge der Priester zu werden.

»Stundenlang verweilt er jetzt im Tempel der Neith, um zu beten und zu opfern. Dort läßt er auch eine Schaar von Werkleuten an einer Todtenwohnung für seine eigene Mumie arbeiten, während eine gleiche Anzahl von Maurern das von den Hellenen begonnene Heiligthum des Apollo zu Memphis der Erde gleich machen muß. Sein eigenes und Tachot's Unglück nennt er eine gerechte Strafe der Unsterblichen.

»Seine Besuche am Lager der Kranken gereichen dieser zu geringem Troste; denn statt der Armen freundlich zuzureden, bemüht er sich ihr zu beweisen, daß auch sie die Strafe der Unsterblichen verdient habe. Er versucht das arme Kind mit der ganzen Kraft seiner siegenden Beredsamkeit dahin zu bringen, der Erde ganz und gar zu vergessen und durch fortwährende Gebete und Opfer die Gnade des Osiris und der Richter in der Unterwelt zu gewinnen. So foltert er die Seele unserer theuren Kranken, welche so gerne leben möchte. Vielleicht bin ich als Königin von Aegypten zu sehr Griechin geblieben; aber der Tod ist so lang und das Leben so kurz, daß ich die Weisen unweise nenne, welche durch ewiges Gedenken an den finsteren Hades diesem die Herrschaft über das halbe Leben schenken.

»Abermals bin ich unterbrochen worden. Imhotep, der große Arzt, war angekommen, um nach dem Befinden unserer Kranken zu sehen. Er gibt wenig Hoffnung, ja er scheint sich zu wundern, daß dieser zarte Körper den harten Angriffen des Todes so lange Zeit zu widerstehen vermag. ›Sie wäre längst nicht mehr,‹ sagte er gestern, ›wenn sie nicht der feste Wille fort zu leben und eine nimmer rastende Sehnsucht aufrecht erhielte. Sie könnte, wenn sie die Lust leben zu wollen aufgäbe, sich sterben lassen, wie wir uns in den Schlaf hinüber träumen. Sollte ihr Wunsch befriedigt werden, so kann sie vielleicht (aber das ist unwahrscheinlich) ihr Dasein noch Jahre lang fristen; bleibt ihre Hoffnung nur noch kurze Zeit unerfüllt, so wird sie von derselben Sehnsucht, welche sie jetzt nicht sterben läßt, aufgerieben und getödtet werden.‹ Ahnst Du, wonach sie sich sehnt? Unsere Tachot hat sich von dem Bruder Deines Gatten bezaubern lassen. Damit will ich nicht sagen, daß, wie Ameneman der Priester glaubt, magische Mittel von dem Jünglinge angewendet worden sind, um sie für sich erglühen zu lassen, denn es bedarf noch weniger als so großer Schönheit und so anmuthigen Wesens wie Bartja besitzt, um das Herz einer unschuldigen Jungfrau, eines halben Kindes zu bestricken. Aber ihre Leidenschaft ist doch so heiß, die Veränderung ihres Wesens so groß, daß ich selbst in mancher Stunde an übernatürliche Einflüsse geglaubt habe. Kurz vor Deiner Abreise bemerkte ich schon, daß Deine Schwester dem Perser zugethan sei. Ihre ersten Thränen glaubten wir noch Deiner Abreise zuschreiben zu müssen; als sie aber in jenes stumme Träumen versank, bemerkte Ibykus, welcher damals noch an unserem Hofe verweilte, die Jungfrau sei von einer tiefen Leidenschaft ergriffen.

»Als sie einst träumend vor der Spindel saß, sang er ihr in meiner Gegenwart das Liebesliedchen der Sappho in's Ohr:

›O süße Mutter,
Ich kann nicht spinnen,
Ich kann nicht sitzen
Im Stübchen innen
Im engen Haus;
Es stockt das Mädchen,
Es reißt das Fädchen.
O süße Mutter,
Ich muß hinaus(Anm. 76) Sappho ed. Neue XXXII. Nach F. Rückert's Uebersetzung.!‹

»Sie erbleichte bei diesen Worten und fragte: ›Hast Du selbst dies Liedchen erdacht, Ibykus?‹

»›Nein,‹ antwortete jener, ›die Lesbierin Sappho sang es vor fünfzig Jahren.‹

»›Vor fünfzig Jahren,‹ wiederholte Tachot gedankenvoll.

»›Die Liebe bleibt sich immer gleich,‹ unterbrach sie der Dichter; ›wie Sappho vor fünfzig Jahren liebte, so hat man vor Aeonen geliebt, so wird man nach Jahrtausenden lieben.‹

»Die Kranke lächelte zustimmend und wiederholte von nun an, leise summend, gar oft jenes Liedlein, wenn sie müßig vor der Spindel saß.

»Trotz alledem vermieden wir mit Fleiß jede Frage, welche sie an den Geliebten erinnern konnte. Als sie aber in Fieberschauern darnieder lag, wurden ihre glühenden Lippen nicht müde, Bartja's Namen auszurufen. Nachdem sie wieder ihrer Gedanken mächtig geworden war, erzählten wir ihr von jenen Phantasieen.

»Da schüttete sie mir ihre ganze Seele aus und sagte mit feierlicher Stimme, gleich einer Prophetin gen Himmel starrend: ›Ich weiß, daß ich nicht sterben werde, eh' ich ihn wiedergesehen habe.‹

»Neulich hatten wir sie in den Tempel tragen lassen, weil sie Sehnsucht empfand, in den heiligen Hallen zu beten. Als die Andacht beendet war und wir an den im Vorhofe spielenden Kindern vorbei kamen, bemerkte sie ein kleines Mädchen, welches ihren Freundinnen mit großem Eifer etwas erzählte. Da befahl sie den Trägern, die Sänfte hinzusetzen und das Kind herbeizurufen.

»›Was sagtest Du?‹ fragte sie die Kleine.

»›Ich erzählte den Andern etwas von meiner ältesten Schwester.‹

»›Darf ich es auch hören?‹ fragte Tachot, so freundlich bittend, daß die Kleine ohne alle Scheu anhob: ›Batau, der Bräutigam meiner Schwester, ist gestern ganz unerwartet aus Theben heimgekehrt. Als der Isisstern(Anm. 77) Der Planet Venus führte bei den Aegyptern den Namen der Göttin Isis. Plinius II. 6. Arist. de mundo II. 7. Sie kannten schon, wie sehr frühe Denkmäler beweisen, die Identität des Abend- und Morgensterns. Lepsius, Chronologie S. 94. aufging, trat er plötzlich auf unser Dach, wo Kerimama gerade mit dem Vater das Brettspiel spielte. Er brachte ihr einen schönen goldenen Brautkranz mit.‹

»Tachot küßte die Kleine und schenkte ihr ihren kostbaren Fächer. Als wir wieder zu Hause waren, lächelte sie mir schalkhaft zu und sagte: ›Du weißt ja, liebes Mütterchen, daß die Worte der Kinder im Vorhofe des Tempels für Orakelsprüche gehalten werden(Anm. 78) Plutarch, I. u. O. 14. Pausanias VII. 22.. Wenn die Kleine nicht gelogen hat, so muß er kommen! Hast Du nicht gehört, daß er auch den Hochzeitskranz mitbringen wird? O, Mutter, ich weiß es sicher, weiß es ganz genau, daß ich ihn wiedersehen werde!‹

»Als ich Tachot gestern fragte, ob sie etwas an Dich zu bestellen habe, bat sie mich, Dir zu sagen, sie übersende Dir tausend Grüße und Küsse und gedenke, wenn sie erst kräftiger geworden sei, Dir selbst zu schreiben, denn sie habe Dir Vieles anzuvertrauen. So eben bringt sie mir das beifolgende Zettelchen, das für Dich allein bestimmt sei, und das sie mit großer Anstrengung zu Ende gebracht.

»Jetzt muß ich dem Schlusse dieses Briefes entgegeneilen, denn der Bote harrt schon lange auf ihn.

»Ich möchte Dir so gern etwas Erfreuliches mittheilen. Aber wohin ich auch blicke, sehe ich nichts als Trübes. Dein Bruder verfällt immer mehr der Herrschsucht unserer Priester und besorgt, vom Neithotep geleitet, die Geschäfte der Regierung für Deinen armen blinden Vater.

»Amasis läßt Psamtik volle Freiheit und sagt, daß es ihn wenig kümmern könne, ob der Thronfolger einige Tage früher oder später seine Stelle einnehme.

»Er hinderte Deinen Bruder nicht, die Kinder des früheren Leibwachenobersten Phanes aus dem Hause der Hellenin Rhodopis gewaltsamer Weise zu entführen, und billigte es sogar, daß sein Sohn mit den Nachkommen der zur Zeit des ersten Psamtik, wegen der Bevorzugung der ionischen Söldner, nach Äthiopien ausgewanderten zweimalhunderttausend Krieger(Anm. 79) Nach Herod. II. 29–31 240,000 Mann. Nach Diod. I. 67 über 200,000. Zu Abusimbel in Nubien haben sich in dem großartigen von Ramses II. erbauten Felsentempel griechische und phönizische Inschriften gefunden, welche von den Verfolgern der Flüchtlinge verfertigt worden sind. Leps. Denkm. IV. Bl. 98 u. 99. Ebers, Aegypten und die Bücher Mose's, S. 162. in Verhandlung trat, um, falls sie sich bereit erklären sollten, in ihre Heimath zurückzukehren, die hellenischen Soldaten entlassen zu können. Die Verhandlungen blieben ohne Erfolg; Psamtik aber hatte die Griechen, weil er die Kinder des Phanes unwürdig behandelte, schwer beleidigt. Aristomachus drohte mit zehntausend der besten Söldner Aegypten zu verlassen; ja er verlangte seinen Abschied, als der Knabe des Phanes auf Geheiß Deines Bruders umgebracht worden war. Da verschwand der Spartaner plötzlich, Niemand weiß wohin; die Hellenen aber ließen sich durch große Summen bestechen und blieben in Aegypten.

»Amasis schwieg zu alledem und sah opfernd und betend ruhig zu, wie sein Sohn alle Theile des Volkes bald beleidigte, bald in unwürdiger Weise zu versöhnen suchte. – Hellenische und ägyptische Kriegsobersten, so wie Nomarchen aus verschiedenen Provinzen haben mich versichert, dieser Zustand sei unerträglich. Man weiß nicht, wessen man sich von dem neuen Herrscher zu versehen hat, der heute befiehlt, was er gestern in Heftigkeit untersagte, der das schöne Band zu zerreißen droht, welches bis jetzt das ägyptische Volk an seine Könige knüpfte.

»Lebe wohl, meine Tochter, gedenke Deiner armen Freundin, Deiner Mutter! Verzeihe Deinen Eltern, wenn Du erfahren solltest, was wir Dir so lange verschwiegen haben. Bete für Tachot, entbiete Krösus und den jungen Persern, welche wir kennen, unsern Gruß; bestelle auch an Bartja die Grüße Deiner Schwester, die ich ihn als das Vermächtniß einer Sterbenden zu betrachten bitte. Könntest Du doch der Schwester ein Zeichen senden, daß der junge Perser ihrer nicht ganz vergessen!

»Lebe wohl und sei glücklich in Deiner neuen, blühenden Heimath.«


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