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Dem heiteren Einzuge des Kaisers in seine halbfertige Wohnung auf der Lochias sollten noch andere gute Nachtstunden folgen.
Pontius schlug ihm vor, mehrere wohlerhaltene Zimmer, die ursprünglich für die Herren seines Gefolges bestimmt worden waren und von denen eins einen freien Ausblick auf den Hafen, die Stadt und die Insel Antirrhodus gewährte, vorläufig für seine Aufnahme einrichten zu lassen.
Dank der Umsicht des Baumeisters, den geübten Händen des Sklaven Mastor und den vielen auf der Lochias tätigen, zu jeder Dienstleistung geschickten Arbeitern, war schnell für die nächtliche Ruhe Hadrians und seiner Begleiter gesorgt.
Das gute Lager, das der Präfekt für Pontius auf die Lochias gesandt hatte, ward in das Schlafgemach des Kaisers gebracht, und in anderen Kammern standen bald die Feldbetten für Antinous und das Gefolge.
Tische, Polster und mancherlei Gerät, das alexandrinische Fabriken bereits abgeliefert hatten und noch unausgepackt in Ballen und Kisten in dem großen Mittelhofe des Palastes lagerte, wurde rasch, soweit es verwendbar war, in den schnell ausgestatteten Zimmern aufgestellt.
Bevor Hadrian noch unter Führung des Präfekten das letzte Zimmer, in dem die Herstellungsarbeiten vorgenommen wurden, besichtigt hatte, war Pontius mit seinen Anordnungen fertig und konnte dem Kaiser die Versicherung erteilen, daß er heute schon ein gutes Lager und ein erträgliches Unterkommen, morgen aber recht artig ausgestattete Zimmer finden werde.
»Schön, schön, ganz vortrefflich!« rief der Herrscher, als er sein Gemach betrat. »Man sollte glauben, daß euch fleißige Dämonen beistünden. Gieße mir Wasser über die Hände, Mastor, und dann zur Mahlzeit! Mich hungert wie den Hund eines Bettlers.«
»Ich denke, wir finden, was du brauchst,« entgegnete Titianus, während Hadrian sich die Hände und das bärtige Gesicht wusch. »Hast du alles verzehrt, was wir dir heute auf die Lochias sandten, mein Pontius?
»Leider ja,« entgegnete dieser seufzend.
»Aber ich hatte befohlen, dir eine Mahlzeit für fünf Männer zu senden.«
»Sie hat sechs hungrige Künstler gesättigt,« gab der Baumeister zurück. »Hätt' ich nur ahnen können, für wen das viele Essen bestimmt war! Was ist nun zu machen? Wein und Brot steht wohl noch in der Musenhalle; indessen –«
»Das muß auch genug sein,« erwiderte der Kaiser und trocknete das Antlitz. »Im dazischen Kriege, in Numidien und auf mancher Jagd war ich froh, wenn es dem hungrigen Magen nicht an dem einen oder andern gebrach.«
Antinous, der sehr müde und hungrig war, machte bei diesem Bekenntnis ein betrübtes Gesicht.
Als Hadrian dies wahrnahm, sagte er lächelnd:
»Die Jugend braucht mehr als Brot und Wein, um zu leben. Ihr zeigtet mir ja vorhin den Eingang zu der Wohnung des Palastverwalters. Sollte man bei ihm kein Stück Fleisch, keinen Käse oder dergleichen finden?«
»Schwerlich, entgegnete Pontius; »denn der Mann stopft den großen Magen und seine acht Kinder mit Brot und Mehlbrei. Aber ein Versuch würde sich immerhin lohnen.«
»So sende zu ihm; uns aber führe sogleich in den Saal, woselbst die Musen Brot und Wein, die sie ihren Jüngern nicht immer gewähren, für mich und diesen da aufbewahren.«
Pontius führte den Kaiser sogleich in die Halle.
Auf dem Wege dorthin fragte Hadrian:
»Ist der Verwalter so elend gestellt, daß er gezwungen ist, sich mit so magerer Kost zu begnügen?«
»Er hat freie Wohnung und monatlich zweihundert Drachmen.«
»Das ist nicht so gar wenig. Wie heißt der Mann und wes Geistes Kind ist er?«
»Er heißt Keraunus und ist von alter mazedonischer Herkunft. Seine Vorfahren bekleideten seit unvordenklicher Zeit das Amt, dem er vorsteht, und er bildet sich sogar ein, durch irgendeine Geliebte eines Lagiden mit dem ausgestorbenen Königsgeschlechte verwandt zu sein. Keraunus sitzt im Rate der Bürger und geht nie ohne seinen Sklaven, der zu denen gehört, die die Händler den Käufern auf dem Markte zugeben, auf die Straße. Er ist dick wie ein gemästeter Hamster, kleidet sich wie ein Senator, ist ein Freund von Altertümern und Raritäten, die er sich für seine letzten Groschen aufhängen läßt, trägt seine Armut mit mehr Hochmut als Würde, ist aber ein ehrlicher Mann, der sich auch brauchen läßt, wenn man ihn richtig anfaßt.«
»Also ein seltsamer Bursch. Du sagst, er sei dick. Ist er heiter?«
»Nichts weniger als das.«
»Fette und mürrische Leute sind mir zuwider. Was ist das für ein Verschlag hier in der Halle?«
»Hinter diesen Schranken arbeitet der beste Schüler des Papias. Er heißt Pollux und ist der Sohn des Torhüterpaares. Er wird dir gefallen.«
»Rufe ihn an,« bat der Kaiser.
Bevor noch der Baumeister dem Geheiß willfahren konnte, tauchte über den Schranken der Kopf des Bildhauers hervor.
Der junge Mann hatte die Stimmen und Schritte der Nahenden vernommen, grüßte den Präfekten von seiner hohen Stellung aus ehrerbietig und wollte, nachdem er seine Neugier befriedigt hatte, wieder von dem Gestell, auf das er gestiegen war, herunterspringen, als Pontius ihm zurief, der Baumeister Claudius Venator aus Rom wünsche ihn kennen zu lernen.
»Das ist freundlich von ihm und mehr noch von dir,« rief Pollux hernieder; »denn nur durch dich kann er wissen, daß ich unter dem Monde wandle und Hammer und Meißel zu brauchen lernte. Laß mich von meinem vierbeinigen Kothurn steigen, Herr; denn jetzt mußt du zu mir hinaufsehen, und nach dem, was Pontius mir von deinem Können erzählte, dürfte es nichts Verkehrteres geben.«
»Bleibe nur, wo du bist,« entgegnete Hadrian. »Unter Kunstgenossen bedarf es keiner Förmlichkeiten. – Was machst du da drin?«
»Ich schiebe gleich die eine Schranke zurück, um dir unsere Urania zu zeigen. Es tut gut, von einem Manne, der das Ding ernstlich versteht, ein Urteil zu hören.«
»Nachher, Freund, nachher; erst laß mich einen Bissen Brot genießen; denn die Grausamkeit meines Hungers könnte sich leicht auf mein Urteil übertragen.«
Der Baumeister reichte dem Kaiser während dieser Bemerkung eine Tafel mit Brot, Salz und einem Becher Wein, die ihm sein Sklave überbracht hatte.
Als Pollux diese spärliche Mahlzeit erblickte, rief er hinunter:
»Das ist ja Gefangenenkost, Pontius. Haben wir denn gar nichts weiter im Hause?«
»Vermutlich hast du mitgeholfen, die guten Schüsseln, die ich dem Baumeister sandte, zu vertilgen,« entgegnete der Präfekt und drohte Pollux mit dem Finger.
»Du trübst eine süße Erinnerung,« seufzte der Bildhauer mit komischer Wehmut. »Aber, beim Herkules, ich habe das Meine bei dem Vernichtungswerke getan. Wenn man nur – Halt! Da kommt mir ein Gedanke, der des Aristoteles würdig. Das Frühstück, zu dem ich dich auf morgen einlud, edelster Pontius, steht fertig bei meiner Mutter und kann in wenigen Minuten aufgewärmt werden. Erschrick nicht, Herr, es handelt sich um Kohl mit Würstchen, eine Speise, die wie die Seele eines Ägypters im Zustand der Auferstehung edlere Eigenschaften besitzt, als wenn sie zum ersten Male das Licht sieht.«
»Vortrefflich,« rief Hadrian, »Kohl mit Würstchen.«
Schmunzelnd wischte er mit der Hand die vollen Lippen und lachte laut auf, als er das aus dem Kerzen kommende freudige »Ah!« des Antinous vernahm, der näher zu den Schranken herantrat.
»Auch ein Gaumen und Magen kann in beglückenden Zukunftsbildern schwelgen,« rief der Kaiser dem Präfekten zu, indem er auf den Liebling hinwies. Doch er hatte den frohen Ruf des Knaben falsch gedeutet; denn der Name des einfachen Gerichts, das die Mutter des Günstlings in Bithynien oft auf den Tisch ihres schlichten Hauses gestellt hatte, erinnerte Antinous an die Heimat und Kindheit und versetzte ihn mitten unter die Seinen. Eine schnelle Bewegung des Herzens, nicht nur ein lüsterner Reiz des Gaumens hatte ihm das »Ah!« auf die Lippen gedrängt. Und doch freute er sich auf die heimische Speise, und er hätte sie nicht für das köstlichste Gastmahl hergeben mögen.
Pollux war indes aus der Umhegung hervorgetreten und sagte:
»In einer Viertelstunde bin ich mit meinem in eine Abendmahlzeit verwandelten Frühstück bei euch. Vertreibt nur den gröbsten Hunger mit dem Brot und dem Salz; denn das Kohlgericht meiner Mutter sättigt nicht nur, es will auch mit ruhigem Verständnis genossen werden.«
»Grüße Frau Doris,« rief Hadrian dem Bildhauer nach, und als Pollux die Halle verlassen hatte, sagte er, indem er sich an Titianus und Pontius wandte:
»Ein prächtiger Junge. Ich bin neugierig, zu sehen, was er als Künstler leistet.«
»So folge mir,« entgegnete Pontius und führte Hadrian hinter die Schranken.
»Was sagst du zu dieser Urania? Das Haupt der Muse hat Papias gemacht, den Körper und die Gewandung formte Pollux mit eigener Hand in wenigen Tagen.«
Der kaiserliche Künstler stellte sich mit gekreuzten Armen der Statue gegenüber und blieb lange schweigend vor ihr stehen.
Dann nickte er beifällig mit dem bärtigen Haupte und sagte ernst:
»Ein tiefdurchdachtes und mit wunderbarer Freiheit hingeworfenes Werk. Dieses über die Brust zusammengezogenen Mantels brauchte sich kein Phidias zu schämen. Alles groß, eigentümlich und wahr! Hat der junge Meister seine Modelle hier auf der Lochias benützt?«
»Ich habe keins gesehen und möchte glauben, daß er die Figur aus dem Kopfe modellierte,« entgegnete Pontius.
»Unmöglich, völlig unmöglich!« rief der Kaiser im Tone des Kenners, der seiner Sache gewiß ist. »Solche Linien, solche Flächen wäre kein Praxiteles zu erfinden fähig gewesen. Sie müssen geschaut, müssen gegenüber dem frischen Anblick des Lebens geformt sein. Wir werden ihn fragen. Was soll aus dieser neu aufgebauten Tonmasse werden?«
»Vielleicht die Büste einer Fürstin aus dem Hause der Lagiden. Du wirst morgen einen Berenicekopf von unserem jungen Freunde sehen, der mir zu dem Besten zu gehören scheint, was je in Alexandria gemacht ward.«
»Versteht sich dieser Bursch auf magische Künste?« fragte Hadrian. »Diese Urania und einen durchgeführten Frauenkopf in wenigen Tagen fertigzustellen, ist einfach unmöglich.«
Pontius teilte dem Kaiser nun mit, daß Pollux den Gipskopf auf ein vorhandenes Bruststück gesetzt habe, und verriet ihm, indem er seine Fragen ohne Rückhalt beantwortete, welche Kunstgriffe angewandt worden seien, um dem vernachlässigten Gebäude ein schickliches und in seiner Weise glänzendes Aussehen zu geben.
Er bekannte frei, hier nur auf den Schein hin zu arbeiten, und sprach mit Hadrian durchaus ebenso, wie er mit jedem andern Kunstgenossen über den gleichen Gegenstand geredet haben würde.
Während der Kaiser und der Baumeister sich in dieser Weise eifrig unterhielten und der Präfekt sich von dem Geheimschreiber Phlegon erzählen ließ, was sie auf ihrer Reise erlebt hatten, erschien Pollux mit seinem Vater in der Musenhalle.
Der Sänger trug auf einer Schüssel ein dampfendes Gericht, frischen Kuchen und die Pastete, die er vor wenigen Stunden seiner Frau von der Tafel des Baumeisters heimgebracht hatte.
Pollux drückte einen ziemlich großen, doppelt gehenkelten Krug mit mareotischem Wein an die Brust, um den er schnell grüne Efeuranken geschlungen.
Wenige Minuten später lag der Kaiser auf einem für ihn aufgestellten Polster und griff tapfer in das schmackhafte Gericht. Er war in der glücklichsten Stimmung, rief Antinous, den Arzt und den Geheimschreiber zu sich heran, legte mit eigener Hand tüchtige Portionen auf die Teller, die sie ihm hinreichen mußten, und versicherte dabei, er tue das, damit sie ihm nicht die leckersten Würstchen aus dem Kohl fischen möchten.
Auch dem mareotischen Wein sprach er wacker zu.
Als er dann an die Öffnung der Pastete ging, änderte sich der Ausdruck seiner Züge.
Er runzelte die Stirn und fragte den Präfekten mißtrauisch, ernst und streng:
»Wie kommen diese Leute zu solchem Gericht?«
»Woher hast du diese Pastete?« verlangte der Präfekt von dem Sänger zu wissen.
»Von dem Gastmahl, das der Baumeister heute den Künstlern gab,« antwortete Euphorion. »Die Knochen wurden den Grazien, diese unangerührte Schüssel mir selbst für meine Frau überlassen. Sie widmet sie mit Vergnügen dem Gaste des Pontius.«
Titianus lachte und tief:
»So also erklärt sich das völlige Verschwinden der reichlichen Mahlzeit, die wir dem Baumeister sandten. Diese Pastete – darf ich sie ansehen? – diese Pastete ward nach der Angabe des Verus bereitet. Er lud sich gestern zu uns zum Frühstück und hat meinen Koch gelehrt, sie zu bereiten.«
»Kein Platoniker kann eifriger die Lehre seines Meisters verbreiten als Verus die Vorzüge dieses Gerichtes,« sagte der Kaiser, der die Heiterkeit wiederfand, sobald er sah, daß auch hier an keine künstliche Veranstaltung gedacht werden konnte. »Was dies verzogene Glückskind für Torheiten treibt! Kocht er jetzt gar mit eigenen Händen?«
»Das nicht,« entgegnete der Präfekt. »Er ließ sich nur ein Polster in die Küche schaffen, streckte sich lang aus und gab nun meinem Koch an, wie er diese Pastete bereiten müsse, die ja auch dir – ich wollte sagen, die der Kaiser besonders gern essen soll. Sie besteht aus Fasan, Schinken, Euter und röschem Teig.«
»Ich teile den Geschmack Hadrians,« lachte der Kaiser und tat dem guten Gericht alle Ehre an. »Ihr bewirtet mich köstlich, meine Freunde, und macht mich zu eurem Schuldner. – Wie heißt du gleich, junger Mann?«
»Pollux.«
»Deine Urania, Pollux, ist eine gute Arbeit, und Pontius sagt, du hättest den Mantel ohne Modell vollendet. Das ist indes einfach unmöglich – ich wiederhol' es.«
»Und zwar mit gutem Rechte. Ein Mädchen hat mir gestanden.«
Der Kaiser sah den Baumeister an, als wollte er sagen: Da siehst du! Pontius aber fragte erstaunt:
»Wann denn? Ich sah hier nie ein weibliches Wesen.«
»Neulich.«
»Aber ich habe die Lochias keine Minute verlassen, bin nie vor Mitternacht zur Ruhe gegangen und war längst vor dem Aufgang der Sonne wieder auf den Beinen.«
»Zwischen deinem Einschlafen und Erwachen lagen indes immerhin einige inhaltreiche Stunden,« entgegnete Pollux.
»Die Jugend, die Jugend!« rief der Kaiser, und ein faunisches Lächeln trat ihm auf die Lippen. »Trenne Damon und Phyllis durch eiserne Tore, und durch die Schlüssellöcher finden sie den Weg zueinander!«
Euphorion sah bedenklich auf den Sohn hin, der Baumeister unterdrückte kopfschüttelnd weitere Fragen, Hadrian aber erhob sich vom Lager, gestattete Antinous und dem Geheimschreiber freundlich, zur Ruhe zu gehen, bat Titianus so gütig wie dringend, heimzukehren und seine Gattin zu grüßen, und forderte Pollux auf, ihn hinter seine Schranken zu führen; denn er sei nicht müde und gewohnt, sich mit wenigen Stunden Schlaf zu begnügen.
Der Bildhauer fühlte sich von dem gewaltigen Manne mächtig angezogen.
Es war ihm nicht entgangen, wie sehr der graubärtige Fremde dem Kaiser glich; Pontius aber hatte ihn auf diese Ähnlichkeit vorbereitet, und es lag doch manches in den Augen und um den Mund des römischen Architekten, das er auf keinem Bildnisse des Imperators gefunden. Gegenüber seiner kaum vollendeten Bildsäule wuchs seine Achtung vor dem neuen Gaste der Lochias; denn er wies ihn mit ernster Freimütigkeit auf einige Fehler hin, und indem er die Vorzüge der schnell entstandenen Bildsäule lobte, legte er in kurzen, kernigen Sätzen dar, wie er selbst das Wesen der Urania auffasse.
Dann entwickelte er knapp und klar, wie der plastische Künstler nach seiner Ansicht sich gegenüber seinen Aufgaben zu verhalten habe.
Das Herz des jungen Mannes begann schneller zu schlagen und mehrmals überlief es ihn kalt und heiß; denn von den bärtigen Lippen dieses gewaltigen Mannes hörte er in wohltönenden und verständlichen Worten Dinge aussprechen, die er oftmals geahnt und dunkel empfunden, für die er aber lernend, beobachtend und schaffend niemals nach einem Ausdruck gesucht hatte.
Und wie freundlich nahm der große Meister seine schüchternen Bemerkungen auf, wie schlagend wußte er ihnen zu entgegnen.
Solchem Manne war er noch nie begegnet, so willig hatte er sich noch nie vor der Überlegenheit und Übermacht eines anderen Geistes gebeugt.
Die zweite Stunde nach Mitternacht war angebrochen, als Hadrian vor der roh angelegten Tonbüste stehen blieb und Pollux fragte:
»Was wird das?«
»Ein Frauenbildnis,« lautete die Antwort.
»Etwa das deines mutigen Modells, das sich in der Nacht auf die Lochias wagt?«
»Nein, eine vornehme Dame will mir sitzen.«
»Aus Alexandria?«
»O nein. Eine Schöne aus dem Gefolge der Kaiserin.«
»Wie heißt sie? Ich kenne die Römerinnen alle.«
»Balbilla.«
»Balbilla? Es gibt mehrere dieses Namens. Wie sieht die aus, die du meinst?« fragte Hadrian mit einem schelmisch lauernden Blicke.
»Das ist leichter gefragt als gesagt,« entgegnete der Künstler, der, als er den ernsten Graubart lächeln sah, die heitere Lebendigkeit wiederfand. »Aber warte! Du hast doch Pfauen gesehen, die ein Rad schlagen? Denke dir nun, jedes Auge im Schwanz des Vogels der Hera wäre ein rundes, zierliches Löckchen, und setze unter das Rad ein reizendes, kluges Mädchengesicht mit einer lustigen kleinen Nase und einer etwas zu hohen Stirn, dann hast du das Bild des vornehmen Frauenzimmers, das mir gestatten will, seine Büste zu formen.«
Hadrian lachte hell auf, warf das Pallium ab und rief:
»Tritt zurück! Ich kenne das Mädchen, und wenn ich eine falsche meine, so sollst du es sagen.«
Noch während er diese Worte sprach, hatte er mit den nervigen Händen in den gefügigen Ton gegriffen, und wie ein gut geschulter Bildhauer, knetend und formend, abreißend und zusetzend, bildete er ein Frauengesicht mit einem gewaltigen Lockengebäu, das Balbilla gleichsah, aber jede ihrer besonders ins Auge fallenden Eigenheiten so fratzenhaft übertrieben wiedergab, daß Pollux sich vor Vergnügen nicht zu halten wußte.
Als Hadrian endlich von dem gelungenen Zerrbilde zurücktrat und ihn aufforderte, zu erklären, ob das die Römerin sei, die er meine, rief Pollux:
»Sie ist es so sicher, wie du nicht nur ein großer Baumeister, sondern auch ein vortrefflicher Bildhauer bist. Grob ist das Ding da, aber unglaublich charakteristisch.«
Dem Kaiser schien sein plastischer Scherz große Freude zu bereiten; denn er beschaute ihn lachend wieder und wieder.
Ganz anders schien er auf den Baumeister Pontius zu wirken.
Voller Teilnahme war er dem Gespräche des Bildhauers mit Hadrian und dem Beginn seiner Arbeit gefolgt.
Später hatte er sich von ihr abgewandt; denn er haßte jene Verzerrung schöner Formen, die er oft von den Ägyptern mit besonderer Freude vornehmen sah.
Es war ihm geradezu schmerzlich, ein anmutiges, reich begabtes, wehrloses Geschöpf, mit dem er sich durch Bande der Dankbarkeit verbunden fühlte, in solcher Weise von einem Manne wie der Kaiser verunglimpft zu sehen.
Heute zum ersten Male war er Balbilla begegnet, aber er hatte durch Titianus gehört, daß sie mit der Kaiserin im Cäsareum weile, und durch den Präfekten erfahren, daß sie die Enkelin desselben Statthalters Claudius Balbillus sei, der seinem Großvater, einem gelehrten griechischen Sklaven, die Freiheit geschenkt hatte.
Mit dankbarer Teilnahme und Ergebenheit war er ihr entgegengekommen, ihr heiteres, lebhaftes Wesen hatte ihn erfreut, und bei jedem unbesonnenen Worte, das sie gesprochen, hätte er ihr so gern einen warnenden Wink gegeben, als stünde sie ihm ganz nahe durch Bande des Blutes oder eine alte, manches Recht gewährende Freundschaft.
Die herausfordernd werbende Weise, in der Verus, der leichtfertige Herzensbrecher, mit ihr verkehrt hatte, war ihm empörend und Besorgnis erregend erschienen, und nachdem der vornehme Besuch die Lochias längst verlassen, hatte er oft an sie gedacht und sich vorgenommen, wenn es anginge, offenen Auges über der Enkelin des Wohltäters seines Hauses zu wachen.
Er hielt es für seine heilige Pflicht, sie, die ihm vorkam wie ein leichter, schöner, waffenloser Singvogel, zu hüten und zu beschützen.
Des Kaisers Zerrbild wirkte auf ihn, als habe man vor seinen Augen etwas beschimpft, das heilig gehalten zu werden verdiente.
Da stand nun der ergrauende Herrscher vor seinem häßlichen Machwerke und wurde nicht müde, sich daran zu ergötzen.
Das tat Pontius weh; denn wie allen edlen Naturen war es ihm schmerzlich, etwas Kleines, Gemeines an einem Mann zu entdecken, zu dem er als zu einer gewaltigen Erscheinung hinaufgeblickt hatte.
Als Künstler durfte der Kaiser die Schönheit, als Mensch die wehrlose Unschuld nicht in solcher Weise beleidigen.
In der Seele des Baumeisters, der bisher zu den wärmsten Bewunderern des Imperators gehört hatte, machte sich eine leise Abneigung gegen ihn geltend, und er war froh, als Hadrian sich endlich zur Ruhe begab.
In seinem Schlafgemach fand der Kaiser alles, was er zu gebrauchen gewohnt war, und während sein Sklave Mastor ihn entkleidete, seine Nachtlampe anzündete und ihm die Kissen zurechtschob, sagte er:
»Der beste Abend, den ich seit Jahren erlebte. – Ist Antinous gut gebettet?«
»Wie in Rom.«
»Und der Molosser?«
»Ich lege seine Decke auf den Gang vor deine Schwelle.«
»Hat er Futter bekommen?«
»Knochen, Brot und Wasser.«
»Hoffentlich hast du selbst zu Abend gegessen?«
»Ich war nicht hungrig, und es gab ja Brot und Wein zur Genüge.«
»Morgen werden wir besser versorgt sein. Nun gute Nacht. Wägt die Worte, damit ihr mich nicht verratet. Einige Tage hier ohne Störung; es wäre köstlich!«
Bei diesem Ausruf wandte der Kaiser sich auf dem Lager um und entschlummerte bald.
Auch der Sklave Mastor legte sich zur Ruhe, nachdem er auf dem Gang vor dem Schlafzimmer des Kaisers eine Decke für die Dogge ausgebreitet hatte.
Sein Kopf lehnte sich an einen Schild von starkem Rindsleder, der sich über ein kurzes Schwert wölbte.
Dies Lager war schlecht; Mastor aber hatte seit Jahren auf keinem besseren geruht und sich doch des traumlosen Schlummers der Kinder erfreut; heute aber floh ihn der Schlaf, und von Zeit zu Zeit faßte er mit der Hand an die weit geöffneten Augen, um das salzige Naß zu trocknen, das sich wieder und wieder in sie ergoß.
Er hatte die Tränen lange Zeit tapfer genug zurückgehalten; denn der Kaiser wünschte bei seiner Bedienung nur heitere Gesichter zu sehen; ja, er hatte ihm einmal gesagt, daß er ihm wegen seiner fröhlichen Augen die Sorge für seine Person anvertraut hätte.
Der arme, muntere Mastor!
Er war nur ein Sklave, aber hatte doch auch ein Herz, das dem Leid und der Freude, der Lust und dem Kummer, dem Haß und der Liebe offen stand. In seiner Kindheit war sein Heimatsdorf den Feinden seines Stammes in die Hände gefallen.
Er und sein Bruder waren als Sklaven erst nach Kleinasien und dann, weil beide besonders hübsche, blondhaarige Buben waren, nach Rom geführt worden.
Dort hatte man sie für den Kaiser gekauft.
Mastor wurde dem persönlichen Dienste Hadrians, sein Bruder den Arbeiten in den Gärten zugewiesen.
Es gebrach beiden an nichts als an der Freiheit, und es quälte sie nichts als die Sehnsucht nach der Heimat.
Auch diese verschwand völlig, nachdem er das hübsche Töchterchen eines unfreien Aufsehers der kaiserlichen Gärten geheiratet hatte.
Es war ein lebhaftes Weibchen mit feurigen Augen, an dem niemand vorüberging, ohne sie zu bemerken.
Dem Sklaven ließ der Dienst wenig Zeit, sich an der hübschen Gefährtin und den beiden Kindern zu freuen, die sie ihm geboren; aber der Gedanke, sie zu besitzen, machte ihn glücklich, wenn er mit dem Gebieter auf die Jagd zog oder das Reich durchwanderte.
Seit sieben Monaten hatte er nichts von den Seinen gehört; zu Pelusium aber war ihm ein Brieflein zugekommen, das mit den für den Kaiser bestimmten Schreiben von Ostia nach Ägypten geschickt worden war.
Er konnte nicht lesen, und infolge der eiligen Reise des Kaisers war er erst auf der Lochias dazu gekommen, sich über seinen Inhalt zu unterrichten.
Antionus hatte ihm, bevor er sich zur Ruhe legte, den Brief, den ein öffentlicher Schreiber für seinen Bruder verfaßt hatte, vorgelesen, und sein Inhalt mußte wohl auch das Herz eines Sklaven erschüttern.
Seine hübsche, kleine Frau war aus seinem Hause und dem Dienste des Kaisers entflohen und strich mit einem griechischen Schiffsführer in der Welt herum. Sein ältester Knabe, der Liebling seines Herzens, war gestorben, und seine blondlockige, zierliche, kleine Tullia mit den weißen Zähnchen, den runden Ärmchen und den niedlichen Fingern, mit denen sie manchmal sein geschorenes Haar zu zausen versucht oder freundlich gestreichelt hatte, war in dem elenden Hause untergebracht worden, unter dessen niedrigem Dache man die Waisen verstorbener Sklaven großzog.
Noch vor zwei Stunden hatte er in seiner Vorstellung ein eigenes Heim und einen Kreis von lieben Menschen besessen; jetzt aber war das alles dahin und mit wie harter Faust ihn auch der tiefste Jammer schüttelte, durfte er doch nicht schluchzen oder laut aufstöhnen oder nur sich von der rechten auf die linke Seite werfen, wozu es ihn doch wieder und wieder ungestüm antrieb; denn sein Herr hatte einen leisen Schlaf, und jedes Geräusch konnte ihn stören.
Wie vorhin, so sollte er dem Kaiser auch beim Aufgang der Sonne heiter entgegentreten, und doch kam es ihm vor, als müßte er wie sein Heim und sein Glück selbst kläglich zugrunde gehen.
Der Schmerz riß ihm das Herz in Stücke, aber er regte sich nicht und unterdrückte das Stöhnen.