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Wenn Selene sonst auf die Straße trat, schaute ihr mancher Mann mit Bewunderung nach; heute aber bildeten nur zwei Gassenbuben ihr Gefolge. Sie riefen fortwährend »Klipp, klapp!« hinter ihr her. Dazu reizte die erbarmungslosen Gesellen die locker angeschnallte Sohle an des Mädchens krankem Fuße, die bei jedem seiner Schritte auf das Pflaster schlug.
Während Selene so unter grausamen Schmerzen der Papyrusfabrik näher kam, kehrten Freude und Glück bei Arsinoe ein; denn kaum hatte ihre Schwester mit Antinous die Wohnung ihres Vaters verlassen, als der Kunsthändler Hiram sie bat, ihm das Fläschchen zu zeigen, das der schöne junge Mann ihr soeben geschenkt hatte.
Aufmerksam wandte es der Kaufmann im Lichte der Sonne nach allen Seiten, prüfte seinen Klang, fuhr mit dem Stein in seinem Ringe darüber hin und murmelte dann in leisem Selbstgespräch: »Vasa Murrhina.«
Arsinoes scharfen Ohren entging dieses Wort nicht, und sie wußte durch den Vater, daß die kostbarsten von allen Ziergefäßen, mit denen reiche Römer ihre Prunkgemächer schmückten, Vasa Murrhina wären. Darum erklärte sie ihm sogleich, daß sie wisse, wie hohe Summen man für solche Fläschchen zahle, und daß sie ihm das ihre keinesfalls billig verkaufe. Da begann er zu bieten. Lachend verlangte sie den zehnfachen Preis, und nach einem zwischen dem Kunsthändler und dem Mädchen bald heiter, bald mit großem Ernste ausgefochtenen Streite sagte der Phönizier:
»Zweitausend Drachmen; keinen Sesterz mehr.«
»Das ist gewiß noch lange nicht genug; aber da hast du's.«
»Einer weniger schönen Verkäuferin hätte ich kaum die Hälfte bewilligt.«
»Und ich laß es dir nur, weil du solch ein artiger Mann bist.«
»Das Geld schicke ich vor dem Untergange der Sonne.«
Diese Worte machten das Mädchen, das vor Überraschung und Freude strahlte und dem kahlköpfigen Kaufmann oder ihrer noch weniger schönen Sklavin und am liebsten der ganzen Welt gern um den Hals gefallen wäre, bedenklich; denn der Vater kam gewiß bald nach Hause, und sie verhehlte sich nicht, daß er ihr Tun mißbilligen und wahrscheinlich dem jungen Manne sein Fläschchen und dem Kunsthändler sein Geld zurückschicken würde. Sie selbst hätte den Fremden niemals um das Gefäß gebeten, wenn ihr die Höhe seines Wertes bekannt gewesen wäre, aber nun gehörte es ihr einmal, und gab sie es wieder fort, so geschah damit niemand ein Gefallen, wahrscheinlich hätte sie den Fremden nur beleidigt und sich dazu selbst um das größte Vergnügen gebracht, auf das sie sich jemals gefreut.
Was war nun zu tun?
Immer noch saß sie auf dem Tische, hielt die Spitze ihres linken Fußes mit der rechten Hand gefangen und schaute in dieser verwegenen Stellung so ernst zu Boden, als ob sie einen Gedanken oder ein Auskunftsmittel aus den Figuren auf dem Estrich herauszulesen versuche.
Der Kunsthändler ergötzte sich einen Augenblick an ihrer Verlegenheit, die ihr reizend stand, und wünschte seinen Sohn, einen jungen Maler, an seine Stelle; endlich aber brach er das Schweigen und sagte:
»Dein Vater wäre vielleicht mit unserem Handel nicht einverstanden, und doch wünschest du für ihn das Geld zu erlangen?«
»Wer sagt das?«
»Böte er mir wohl seine Schätze, wenn er keines bedürfte?«
»Es ist nur – ich kann nur –« stammelte Arsinoe, die wenig geübt im Lügen, »ich möchte ihm nur nicht gestehen –«
»Ich sah ja, wie unschuldig du zu dem Fläschchen kamst,« entgegnete der Kaufmann, »und Keraunus braucht von dem Dinge da gar nichts zu wissen. Denke dir, du hättest es zerbrochen und seine Scherben lägen da draußen im Meere. Auf welche von diesen Sachen legt Keraunus den geringsten Wert?«
»Auf dies alte Schwert des Antonius,« gab das Mädchen zurück, dessen Züge sich wieder erhellten. »Er sagt, es sei doch wohl zu lang und zu schmal für das, was es vorstellen solle. Ich für mein Teil glaube, daß es gar kein Schwert ist, sondern ein Bratspieß.«
»Zu diesem Zwecke laß ich es morgen in meiner Küche verwenden,« entgegnete der Kaufmann, »aber ich biete zweitausend Drachmen dafür, nehme es mit und sende den Betrag in einigen Stunden. Ist es recht so?«
Arsinoe ließ den Fuß fallen, glitt von dem Tische und klatschte erfreut in die Hände.
»Sag ihm nur,« fuhr der Kaufmann fort, »ich könnte jetzt viel für dergleichen zahlen, weil sich der Kaiser gewiß nach Dingen umsehen würde, die Julius Cäsar, Marcus Antonius, Octavianus Augustus und andere große Römer in Ägypten gebraucht hätten. Die Alte da mag mir den Bratspieß nachtragen. Draußen wartet mein Sklave und soll ihn bis vor meine Küchentür unter seinem Chiton verstecken; denn trägt er ihn unverdeckt, würden mich vorübergehende Kenner um den kostbaren Schatz beneiden, und vor mißgünstigen Blicken tut man wohl sich hüten.«
Der Kunsthändler lachte, steckte das Fläschchen zu sich, gab der Alten das Schwert und nahm von dem Mädchen freundlichen Abschied.
Sobald Arsinoe allein war, lief sie in ihr Schlafgemach, um Schuhe anzuziehen, sich den Schleier überzuwerfen und in die Papyrusfabrik zu eilen.
Selene sollte wissen, welch unerwartetes Glück ihr und ihnen allen widerfahren, und dann wollte sie das arme Mädchen in einer Sänfte, die stets am Hafen zu finden war, nach Hause tragen lassen.
Es ging ja nicht immer friedlich, ja es ging oft recht stürmisch und unfriedlich her zwischen den Schwestern, was aber Arsinoe Bedeutendes begegnete, mochte es Gutes, mochte es Schlimmes sein, das mußte sie doch mit Selene teilen.
Ewige Götter, welche Lust!
Sie durfte mitten unter den Töchtern der großen Bürger nicht weniger reich geschmückt als eine von ihnen an dem Festzuge teilnehmen, es blieb noch ein hübsches Sümmchen für den Vater und die Geschwister übrig, und mit der Arbeit in der Fabrik, die sie anwiderte, die ihr verhaßt und gräßlich war, sollt' es nun hoffentlich auf immer vorbei sein.
Der alte Sklave saß noch mit den Kindern neben der Treppe.
Arsinoe hob jedes einzelne zu sich herauf, gab ihm einen Kuß und flüsterte ihm ins Ohr:
»Heute abend gibt's Kuchen!«
Dem blinden Helios preßte sie die Lippen auf beide Augen und sagte:
»Du kannst mit mir kommen, liebes Kerlchen. Ich nehme nachher für Selene eine Sänfte, und da setz' ich dich mit hinein und du wirst wie ein reiches Herrlein nach Hause getragen.«
Der kleine Blinde strebte jubelnd zu ihr empor und rief: »Durch die Luft, durch die Luft, und nicht fallen!«
Als sie ihn noch auf den Armen hielt, kam ihr Vater mit triefender Stirn und mit großer Aufregung die Treppe herauf, die von dem Rundplatze zu dem Gange führt, und sagte, nachdem er sich das Antlitz getrocknet und schnaufend den nötigen Atem gewonnen:
»Draußen ist mir der Kunsthändler Hiram mit dem Schwerte des Antonius begegnet. Du hast es ihm für zweitausend Drachmen verkauft, du Närrin!«
»Aber Vater,« lachte Arsinoe, »du hättest den Bratspieß für eine Pastete und einen Schluck Wein hergegeben.«
»Ich?« rief Keraunus, »den dreifachen Preis hätte ich für das ehrwürdige Andenken, das der Kaiser mit Talenten aufwiegen wird, zu erzielen gewußt; aber verkauft ist verkauft. Ich möchte dich auch nicht vor dem Manne bloßstellen und will dich nicht schelten. Aber doch – doch! – Der Gedanke, das Schwert des Antonius nicht mehr zu besitzen, wird mir schlaflose Nächte bereiten.«
»Wenn wir dir heute abend ein gutes Stück Fleisch vorgesetzt haben, so kommt schon der Schlummer,« entgegnete Arsinoe, nahm Keraunus das Tuch aus der Hand, trocknete ihm schmeichelnd damit die Schläfen und fuhr munter fort:
»Wir sind jetzt reiche Leute, Vater, und werden den anderen Bürgermädchen zeigen, was wir vermögen.«
»Ihr nehmt nun beide an dem Feste teil,« sagte der Verwalter bestimmt. »Der Kaiser soll sehen, daß ich zu seiner Ehre kein Opfer scheue, und wenn er euch bemerkt und ich meine Klage wegen des frechen Baumeisters bei ihm anbringe . . .«
»Das mußt du jetzt lassen,« bat Arsinoe, »wenn nur der Fuß der armen Selene bis dahin gesund ist.«
»Wo ist sie?«
»Ausgegangen.«
»Dann wird es ja mit dem Fuße so schlimm nicht sein. Sie kommt hoffentlich bald nach Hause.«
»Vielleicht; ich wollte sie eben mit einer Sänfte abholen.«
»Sänfte?« fragte Keraunus erstaunt. »Die zweitausend Drachmen haben dem Mädchen den Kopf verdreht!«
»Wegen ihres Fußes. Er tat ihr so weh, als sie fortging.«
»Warum ist sie denn nicht zu Hause geblieben? Da wird gewiß wie gewöhnlich eine Stunde lang um einen halben Sesterz gehandelt, und ihr habt beide keine Zeit zu verlieren.«
»Ich suche sie gleich.«
»Nein, nein, du wenigstens mußt hierbleiben; denn in zwei Stunden sollen sich die Frauen und Jungfrauen im Theater versammeln.«
»In zwei Stunden? Aber großer Serapis, was ziehen wir an?«
»Dafür zu sorgen ist deine Sache,« entgegnete Keraunus. »Ich werde mich selbst der Sänfte bedienen, von der du sprachst, und mich zu dem Schiffsbaumeister Tryphon tragen lassen. Ist da noch Geld in Selenes Schachtel?«
Arsinoe ging sogleich in ihr Schlafgemach und sagte, als sie zurückkam: »Das ist alles. Sechs doppelte Drachmen.«
»Mit vieren hab' ich genug,« entgegnete der Verwalter, steckte aber nach kurzem Besinnen das ganze halbe Dutzend zu sich.
»Was willst du bei dem Schiffsbauer?« fragte Arsinoe.
»Im Rat,« versetzte Keraunus, »wurde ich wieder um euretwillen geplagt. Eine meiner Töchter, sagte ich, wäre krank und die andere müsse sie pflegen; das ließ man nicht gelten und verlangte nach der gesunden. Nun erklärte ich, ihr hättet keine Mutter mehr, wir lebten einsam für uns und es widerstünde mir, mein Kind allein, ohne Hüterin in die Versammlung zu schicken. Da sagte der Schiffsbauer Tryphon, es würde seiner Frau Vergnügen bereiten, dich mit ihrer Tochter ins Theater zu führen. Das nahm ich auch halb und halb an, erklärte aber gleich, du würdest nicht gehen wollen, wenn es deiner älteren Schwester nicht besser ginge. Bestimmte Zusagen konnte ich nicht erteilen, du weißt schon, weswegen.«
»Oh, der brave Antonius und sein herrlicher Bratspieß!« rief Arsinoe. »Jetzt ist alles in Ordnung, und du meldest uns bei dem Schiffsbauer an. Unsere weißen Gewänder sind noch ganz gut, aber einige Ellen neues hellblaues Band für mein Haar und rotes für das Selenes mußt du unterwegs bei dem Phönizier Abibaal kaufen.«
»Gut.«
»Ich sorge schon für beide Kleider, aber freilich: wann müssen wir fertig sein?«
»In zwei Stunden.«
»Weißt du was, Väterchen?«
»Nun?«
»Unsere Alte ist halb blind und macht alles verkehrt. Erlaube mir, daß ich Frau Doris aus dem Torwärterhäuschen zu Hilfe nehme. Sie ist so geschickt und freundlich und niemand bügelt so gut.«
»Schweig,« unterbrach der Torhüter die Tochter voller Entrüstung. »Dies Volk wird nie wieder meine Schwelle betreten.«
»Aber mein Haar; sieh nur, wie es aussieht!« rief Arsinoe erregt und wühlte mit den Fingern in ihrem vollen Hauptschmuck, den sie dabei gewaltsam auseinanderzog. »Das da neu aufzubauen, mit Band neu zu durchflechten, unsere beiden Kleider zu bügeln und die Spangen darauf zu nähen, das brächte die Zofe der Kaiserin in zwei Stunden nicht fertig.«
»Doris wird diese Schwelle nie überschreiten,« wiederholte Keraunus statt jeder anderen Antwort.
»So laß mir von dem Schneider Hippias eine Gehilfin schicken; aber das wird wieder Geld kosten.«
»Wir haben's und können's,« entgegnete Keraunus stolz und murmelte, um seine Aufträge nicht zu vergessen, während er die Sänfte aufsuchte, fortwährend vor sich hin: »Der Schneider Hippias, blaues Band, rotes Band, der Schiffsbaumeister Tryphon.«
Die flinke Gehilfin des Schneiders half Arsinoe ihr und Selenes Gewand herrichten und wurde nicht müde, den schönen Glanz und die seidene Weichheit der Haare Arsinoes zu preisen, während sie sie hoch aufbaute, mit Bändern durchflocht und am Hinterkopfe so zierlich unter dem Kamm drehte, daß sie ihr als ein Busch von artig geringelten, langen Locken über den Nacken und Rücken flossen.
Als Keraunus zurückkehrte, sah er mit wohlberechtigtem Stolz auf sein schönes Kind.
Er war vergnügt und kicherte sogar leise vor sich hin, als er die Goldstücke, die ihm der Diener des Kunsthändlers überbracht hatte, in Reihen legte und zählte.
Arsinoe trat ihm bei dieser Beschäftigung näher und fragte lachend: »Hiram hat mich doch nicht übervorteilt?«
Keraunus bat sie, ihn nicht zu stören und erwiderte: »Bedenke! Des großen Antonius Waffe. Vielleicht dieselbe, die er sich in die Brust stieß. – Wo nur Selene bleibt?«
Zwei und drei halbe Stunden waren vergangen, und als auch die vierte längst begonnen hatte und seine älteste Tochter noch immer nicht kam, erklärte der Verwalter, sie müßten aufbrechen; denn es ginge nicht an, die Gattin des Schiffsbaumeisters warten du lassen.
Es tat Arsinoe aufrichtig leid, ohne die Schwester gehen zu müssen. Sie hatte Selenes Gewand so gut instand gesetzt wie ihr eigenes, hatte es sorgfältig auf das Polster neben dem Mosaikgemälde gelegt und sich bei der Arbeit große Mühe gegeben. Noch niemals war sie allein auf die Straße getreten, und es schien ihr undenkbar, etwas allein, ohne die Gesellschaft der Abwesenden unternehmen und genießen zu sollen. Aber ihres Vaters Versicherung, man würde Selene auch noch später mit Freuden einen Platz unter den Jungfrauen anweisen, beruhigte das von froher Erwartung erfüllte Mädchen.
Zuletzt besprengte sie sich noch ein wenig mit der duftenden Essenz, deren sich Keraunus zu bedienen pflegte, bevor er in den Rat ging, und veranlaßte den Vater, der Sklavin zu befehlen, während ihrer Abwesenheit für die Kinder den versprochenen Kuchen zu kaufen.
Die Kleinen hatten sich alle um sie versammelt und bewunderten sie mit lautem »Ah« und »Oh« wie eine ehrfurchtgebietende Erscheinung, der man nicht nahetreten und die man nicht anfassen darf.
Um des Haarschmucks willen beugte sie sich auch nicht wie sonst zu ihnen nieder.
Nur dem kleinen Helios streichelte sie die Locken und sagte: »Morgen geht's durch die Luft. Vielleicht erzählt dir Selene nachher eine schöne Geschichte.«
Das Herz schlug ihr viel schneller als sonst, als sie in die Sänfte stieg, die vor der Torhüterwohnung auf sie wartete.
Frau Doris freute sich von fern an ihrem Aussehen, und als Keraunus in die Straße trat, um auch für sich eine Sänfte zu rufen, schnitt die Alte schnell die beiden schönsten Rosen von ihren Stöcken, huschte aus ihrem Häuschen heraus und gab sie, indem sie den Zeigefinger auf den schelmisch lächelnden Mund drückte, dem Mädchen in die Hand.
Wie im Traume kam Arsinoe zum Hause des Schiffsbaumeisters und ins Theater. Zum erstenmal erfuhr sie auf diesem Wege, daß Angst und Freude in ein und demselben Mädchenherzen nebeneinander Platz finden, und daß die eine die andere nicht hindert, sich wacker zu regen.
Furcht und Erwartung beherrschten sie so ganz, daß sie weder hörte noch sah, was um sie her vorging. Nur einmal vernahm sie, wie ein bekränzter junger Mann, der Arm in Arm mit einem andern an ihr vorbeiging, ihr munter nachrief: »Es lebe die Schönheit!«
Von da an schaute sie immerfort in den Schoß und auf die Rosen, die ihr Frau Doris geschenkt.
Die Blumen erinnerten sie an den Sohn der freundlichen Alten, und sie fragte sich, ob der lange Pollux sie nicht vielleicht auch in ihrem Putze gesehen habe.
Das hätte sie sehr gefreut, und es wäre auch gar nicht unmöglich gewesen; denn Pollux ging gewiß, seit er auf der Lochias arbeitete, oft zu den Eltern.
Vielleicht hatte er die Rosen selbst für sie gepflückt und sie ihr nur nicht wegen des Vaters zu überreichen gewagt.