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Nach Sonnenaufgang war der Palastverwalter Keraunus erwacht. Er hatte zwar in seinem Lehnsessel nicht viel weniger fest als im Bette geschlafen; er fühlte sich aber doch nicht erfrischt, und die Glieder taten ihm weh.
Im Wohnzimmer lag noch alles umher wie am vergangenen Abend, und das verdroß ihn; denn er war gewohnt, wenn er es am Morgen betrat, dies Gemach in bester Ordnung zu finden.
Auf dem Tisch standen, von Fliegen umschwärmt, die Reste der Abendmahlzeit der Kinder, und zwischen den Schüsseln und Brotrinden glänzte sein eigener Schmuck und der seiner Tochter.
Wohin er schaute, sah er Kleidungsstücke und Dinge, die nicht hierher gehörten.
Die alte Sklavin trat gähnend in das Gemach. Ihr graues Wollhaar hing ihr ungeordnet ins Gesicht, und ihre Augen blickten stier, die Füße wankten ihr unstet hin und her.
»Du bist betrunken,« herrschte Keraunus sie an, und er täuschte sich nicht; denn nachdem die Alte vor dem Hause der Witwe des Pudens aufgewacht war und von dem Torhüter erfahren hatte, daß Arsinoe den Garten schon verlassen habe, war sie von anderen Sklavinnen in eine Weinschenke gezogen worden.
Als ihr Herr sie am Arme ergriff und sie schüttelte, rief sie mit einem dummen Grinsen auf den nassen Lippen:
»Das Fest. Alles ist frei. Heut ist das Fest.«
»Römischer Unsinn,« unterbrach sie der Verwalter. »Ist meine Suppe fertig?«
Während die Alte eine unverständliche Antwort vor sich hin murmelte, trat der Sklave in das Zimmer und sagte:
»Sie feiern heut alle, darf ich auch hinaus?«
»Das könnte mir passen,« rief der Verwalter. »Dies Untier betrunken, Selene krank und du auf der Straße.«
»Aber keiner bleibt heute zu Hause,« entgegnete der Schwarze schüchtern.
»So pack dich!« schrie Keraunus. »Treib dich herum bis Mitternacht! Tu, was du willst; nur erwarte nicht, daß ich dich länger behalte. Zum Drehen der Sandmühle bist du immer noch gut, und es findet sich gewiß noch ein Dummer, der ein paar Drachmen für dich bezahlt.«
»Nicht, nicht verkaufen,« stöhnte der Alte und erhob bittend die Hände; Keraunus aber hörte ihn nicht, sondern fuhr scheltend fort:
»Ein Hund hängt wenigstens treu an seinem Herrn, aber ihr, ihr freßt ihn arm, und wenn er euch braucht, so gelüstet es euch, auf die Gasse zu laufen.«
»Ich will ja bleiben,« heulte der Alte.
»Tu, was du willst. Lange schon bist du wie ein lahmes Pferd, das den Herrn, der es reitet, zum Kinderspott macht. Wenn du mit mir ausgehst, sieht man mir nach, als hätte ich einen Fleck auf dem Pallium. Und der räudige Hund will Feste feiern und sich groß machen unter den Bürgern!«
»Ich bleibe ja; nur nicht verkaufen!« wimmerte der Geängstigte kläglich und versuchte die Hand des Gebieters zu ergreifen; der Verwalter aber stieß ihn zurück und befahl ihm, in die Küche zu gehen, Feuer anzuzünden und der Alten Wasser über den Kopf zu gießen, um sie wieder munter zu machen.
Der Sklave schob die Genossin zur Türe hinaus; Keraunus aber begab sich in das Schlafgemach der Tochter, um sie zu wecken.
In die Kammer Arsinoes drang kein anderes Licht als das, dem es durch eine kleine Öffnung unter der Decke sich zu ihr hineinzustehlen gelang. Die schrägen Strahlen der Morgensonne fielen gerade jetzt auf das Bett, dem Keraunus sich näherte.
Da lag seine Tochter in tiefem Schlaf. Ihr schöner Kopf ruhte auf dem rundgebogenen rechten Arme, das aufgelöste hellbraune Haar floß ihr wie ein Strom auf die weichen Schultern und über den Rand des Bettes hinaus. So schön war ihm sein Kind noch nie erschienen, ja sein Anblick bewegte ihm das Herz; denn Arsinoe erinnerte ihn an die verstorbene Gattin, und es war nicht bloß eitler Stolz, sondern eine Regung von wahrer väterlicher Liebe, die unwillkürlich seinen Seelenwunsch, die Götter möchten ihm dies Kind erhalten und es glücklich werden lassen, in ein wortloses, inniges Gebet verwandelte.
Er war nicht gewohnt, seine Töchter, die stets vor ihm wach und tätig zu sein pflegten, zu wecken, und es fiel ihm schwer, den süßen Schlaf des Lieblings zu stören; doch es mußte ja sein, und so rief er denn Arsinoes Namen, schüttelte ihr den Arm und sagte, als sie sich endlich erhob und ihn fragend ansah:
»Ich bin es. Steh auf! Erinnere dich nur, Kind, was es heute noch alles gibt.«
»Ja doch,« gähnte sie, »es ist noch so früh.«
»Früh?« fragte Keraunus lächelnd. »Mein Magen behauptet das Gegenteil. Die Sonne steht schon hoch, und ich habe noch nicht einmal meine Suppe bekommen.«
»Laß die Alte sie kochen.«
»Nein, nein, Kind, du mußt aufstehen. Hast du vergessen, was du vorstellen sollst? Und meine Locken, und die Gattin des Präfekten, und dann deine Gewänder.«
»So geh nur. – Ich mache mir nicht das geringste aus der Roxane und der ganzen Verkleidung.«
»Weil du noch nicht recht wach bist,« lachte der Verwalter. »Wie kommt dir das Efeublatt dort in das Haar?«
Da errötete Arsinoe, faßte nach der Stelle, auf die der Vater wies, und sagte unwillig:
»Von irgendeiner Ranke. Aber nun geh hinaus, damit ich aufstehen kann.«
»Gleich, gleich. Wie fandest du Selene?«
»Es geht ihr gar nicht so schlimm; aber davon erzähle ich dir nachher. Jetzt will ich allein sein!«
Als Arsinoe eine halbe Stunde später dem Vater die Suppe brachte, schaute der sie verwundert an.
Es schien ihm eine Veränderung mit der Tochter vorgegangen zu sein. Aus ihren Augen leuchtete etwas, das er nie vorher bemerkt hatte und ihren jugendlichen Zügen etwas so Bedeutsames verlieh, daß es ihn beinahe erschreckte.
Keraunus hatte, während sie die Suppe rührte, die Kinder mit Hilfe der Sklaven aus den Betten genommen.
Jetzt saßen sie beim Frühstück, und mitten unter ihnen frisch und gesund der blinde Helios.
Während Arsinoe dem Vater von Selene und ihrer vortrefflichen Wartung durch die Witwe Hanna erzählte, schaute Keraunus sie unverwandt an.
Als sie dies bemerkte und ungeduldig fragte, was sie denn heute Besonderes an sich habe, gab er kopfschüttelnd zurück:
»Wie ihr Mädchen doch seid! Da hat man dir eine große Ehre erwiesen, du sollst die Braut Alexanders vorstellen, und der Stolz und die Freude darüber haben dich in einer einzigen Nacht seltsam verändert; doch ich denke, nicht gerade zum Nachteil.«
»Torheit,« entgegnete Arsinoe errötend und warf sich, indem sie sich streckte und dehnte, tief in das Polster.
Sie fühlte sich nicht eigentlich müde, ja die Schlaffheit, die sie in allen Gliedern empfand, erfüllte sie mit einem eigentümlichen Wohlgefühl.
Es war ihr, als käme sie aus einem lauen Bade, und seitdem der Vater sie geweckt hatte, ließ sich wieder und wieder der Klang der heiteren Musik, der sie mit Pollux gefolgt war, wie aus weiter Ferne vor ihrem Ohre vernehmen.
Manchmal lächelte sie, manchmal blickte sie starr vor sich hin, und dabei sagte sie sich, daß, wenn der Geliebte sie in dieser Stunde riefe, es ihr nicht an Kraft fehlen würde, sich mit ihm sogleich von neuem in den rasenden Tanz zu stürzen.
Wohlig durchdrang sie die Empfindung der vollen Gesundheit!
Nur die Augen brannten ihr ein wenig, und wenn Keraunus etwas Neues an der Tochter zu bemerken vermeinte, so war es der ernste Glanz, der sich nun zu dem heiteren Licht gesellte, das ihm sonst aus ihnen entgegengeschaut hatte.
Nachdem man das Frühstück beendet, der Sklave die Kinder ins Freie geführt und Arsinoe begonnen hatte, dem Vater die Locken zu brennen, nahm Keraunus die würdevollste seiner Stellungen ein und sagte gewichtig:
»Mein Kind!«
Das Mädchen ließ die erwärmte Zange sinken und fragte, gefaßt, eine von jenen Wunderlichkeiten zu vernehmen, denen Selene entgegenzutreten gewohnt war: »Nun?«
»Höre mir aufmerksam zu.«
Das, was nun kommen sollte, war Keraunus vor einer Stunde, als er dem alten Sklaven die Lust verdarb, das Haus zu verlassen, eingefallen, und doch sagte er, indem er die Stirn mit der Hand berührte und die Miene eines sinnenden Philosophen annahm:
»Schon seit langer Zeit trage ich mich mit einem schweren Gedanken. Jetzt ist er zum Entschluß gereift, und ich teile ihn dir mit. Wir werden einen neuen Sklaven anschaffen müssen.«
»Aber Vater,« rief Arsinoe, »bedenke doch, was das kosten würde, hätten wir einen Mann mehr zu ernähren . . .«
»Davon ist keine Rede,« unterbrach sie Keraunus. »Ich tausche den Alten gegen einen jüngeren ein, mit dem man sich sehen lassen kann. Gestern sagte ich dir schon, daß wir von nun an die Blicke mehr auf uns ziehen werden als früher, und wenn wir mit der schwarzen Vogelscheuche auf der Straße oder sonstwo erscheinen . . .«
»Man kann gewiß keinen Staat mit Sebek machen,« unterbrach Arsinoe den Vater; »aber lassen wir ihn doch künftig zu Hause.«
»Kind, Kind,« entgegnete Keraunus vorwurfsvoll; »bedenkst du denn niemals, wer wir sind! Wie würde es sich für uns schicken, ohne Sklaven auf der Straße zu erscheinen.«
Das Mädchen zuckte die Achseln und stellte dem Vater vor, daß Sebek doch ein altes Familienstück sei, daß die Kleinen an ihm hingen, weil er sie wie eine Wärterin hüte, daß ein neuer Sklave viel Geld kosten und nur mit Gewalt zu manchen Diensten zu zwingen sein würde, die der Alte immer gern und gut verrichtet habe.
Aber Arsinoe predigte tauben Ohren. Selene war nicht da, und sicher vor ihren Vorwürfen, begierig nach dem Versagten wie ein unbehüteter Knabe, beharrte Keraunus auf dem Entschlusse, den alten treuen Burschen gegen einen stattlichen Sklaven umzutauschen.
An das traurige Schicksal, das dem hinfälligen, in seinem Hause ergrauten Greise drohte, wenn er ihn verkaufte, dachte er keinen Augenblick; aber er hatte doch die Empfindung, daß es nicht recht von ihm sei, das letzte in sein Haus gefallene Geld für ein im Grunde nicht notwendiges Etwas auszugeben.
Je berechtigter ihm die Bedenken Arsinoes zu sein schienen, je lauter ihn eine innere Stimme warnte, seiner Eitelkeit dies neue Opfer zu bringen, desto fester und heftiger trat er für seinen Wunsch ein, und während er das, was er begehrte, verfocht, gewann es vor ihm selbst den Anschein der Notwendigkeit, drängte sich ihm eine Menge von Gründen auf, die es vernünftig und leicht ausführbar erscheinen ließen.
Geld war vorhanden, nach Arsinoes Wahl für die Rolle der Roxane konnte er erwarten, neues geborgt zu erhalten, es war seine Pflicht, stattlich aufzutreten, um den vornehmen Schwiegersohn, von dem er träumte, nicht abzuschrecken, und in der äußersten Not blieb ihm immer noch seine Sammlung von seltenen Gegenständen. Es kam nur darauf an, den rechten Käufer zu finden.
Wenn das falsche Schwert des Antonius so hoch bezahlt worden war, wieviel konnten Liebhaber für die anderen weit wertvolleren Gegenstände bieten!
Arsinoe wurde rot und blaß, während der Vater wieder und wieder auf ihren Handel zurückkam, aber sie wagte es nicht, ihm die Wahrheit zu gestehen, und ihre Lüge reute sie um so aufrichtiger, je deutlicher sie mit dem ihr eigenen gesunden Sinne erkannte, daß die ihr gestern zugefallene Ehre die Schwächen ihres Vaters in verhängnisvoller Weise zu steigern drohte.
Heute genügte es ihr vollständig, wenn sie nur Pollux gefiel, und ohne Kummer hätte sie ihre Rolle und jeden Anspruch auf Beifall und Bewunderung, den sie ihr verlieh und der ihr noch gestern so unschätzbar wertvoll erschienen war, auf ein anderes Mädchen übertragen sehen. Sie sprach das auch aus; Keraunus aber nahm ihre Erklärung nicht ernst, lachte ihr ins Gesicht, erging sich in rätselhaften Anspielungen auf den Reichtum, der nicht verfehlen würde, bei ihnen einzukehren – und weil ein dunkles Gefühl ihm sagte, es würde schicklich sein, zu zeigen, daß seine persönliche Eitelkeit und die Rücksicht auf seine eigene Person nicht alle seine Handlungen bedinge, erklärte er, sich selbst ein großes Opfer auferlegen und sich auch für die nächste Zeit mit dem vergoldeten Stirnreifen begnügen und keinen von reinem Golde kaufen zu wollen.
Durch diese Tat der Entsagung glaubte er das volle Recht erworben zu haben, an die Erwerbung eines neuen stattlichen Sklaven ein hübsches Sümmchen zu wenden.
Die Bitten Arsinoes blieben unbeachtet, und als sie, weil der drohende Verlust des alten Hausgenossen sie schmerzte, zu weinen begann, verbot er ihr unwillig, wegen eines solchen Nichts Tränen zu vergießen; denn das sei kindisch, und es könne ihm nicht gefallen, sie mit roten Augen zu der Frau des Präfekten zu führen.
Während dieser Verhandlungen wurden seine Locken fertiggedreht, und er befahl Arsinoe, nunmehr das eigene Haar schön zu ordnen, um dann mit ihm zu kommen. Sie wollten ein neues Gewand und Peplos kaufen, Selene besuchen und sich dann zu Frau Julia tragen lassen.
Gestern noch hatte er es für eine übermütige Tat gehalten, sich einer Sänfte zu bedienen, heute überlegte er schon, ob es nicht schicklich sein würde, einen Wagen zu mieten.
Sobald er allein war, kam er auf einen neuen Gedanken.
Der übermütige Baumeister sollte erfahren, daß er nicht der Mann sei, sich ungestraft beleidigen und ängstigen zu lassen. Darum schnitt er einen leeren Papyrusstreifen von einem in seiner Truhe bewahrten Brief und schrieb darauf folgende Worte:
»Der Mazedonier Keraunus an den Baumeister Claudius Venator aus Rom.
Meine älteste Tochter Selene ist durch Deine Schuld so schwer verletzt worden, daß sie, von großer Gefahr bedroht, daniederliegt und unerhörte Schmerzen leidet. Meine anderen Kinder sind nicht mehr sicher im Hause ihres Vaters, und ich fordere Dich darum nochmals auf, Deinen Hund an die Kette zu legen. Weigerst Du Dich, dies billige Verlangen zu erfüllen, so lege ich meine Sache in die Hand des Kaisers. Ich teile Dir mit, daß sich Ereignisse zugetragen haben, die Hadrian bestimmen werden, jeden übermütigen zu strafen, der die Rücksicht außer acht läßt, die man mir und meinen Töchtern schuldet.«
Nachdem Keraunus diesen Brief mit seinem Siegel verschlossen hatte, rief er den Sklaven und sagte kühl:
»Bring das dem Baumeister aus Rom und hole dann zwei Sänften. Du eilst dich, und während wir fort sind, gibst du gut acht auf die Kinder. Morgen oder übermorgen wirst du verkauft. An wen? Das hängt davon ab, wie du dich in den letzten Stunden beträgst, in denen du uns gehörst.«
Der Schwarze stieß ein lautes, aus tiefstem Herzen kommendes Jammergeschrei aus und warf sich vor den Verwalter nieder.
Diesem schnitt die Klage des Alten durch die Seele, doch er war entschlossen, sich nicht rühren zu lassen und ihn fortzugeben.
Aber der Schwarze umklammerte ihm die Knie fester, und als die Kinder, herbeigelockt durch das Geheul des armen Freundes, laut mit ihm weinten und der kleine Helios das halb ausgegangene Wollhaar des Negers zu streicheln begann, da wurde dem eitlen Manne nicht wohl ums Herz, und um sich vor der eigenen Schwachheit zu retten, schrie er überlaut und heftig:
»Hinaus mit dir und tu, was man dir befiehlt; sonst greif' ich zur Peitsche.«
Mit dieser Drohung riß er sich von dem Unglücklichen los, der dann gesenkten Hauptes das Gemach verließ und mit dem Briefe in der Hand vor den Gemächern des Kaisers stehenblieb.
Das Sein und Wesen Hadrians hatten ihn mit Scheu und Ehrfurcht erfüllt, und er wagte es nicht, an seine Tür zu klopfen. Nachdem er, immer noch mit Tränen in den Augen, eine Zeitlang gewartet, trat Mastor mit den Resten des Frühstücks seines Gebieters in den Gang.
Der Schwarze rief ihn an und hielt ihm den Brief des Verwalters hin, indem er weinerlich stammelte:
»Von Keraunus für deinen Herrn.«
»Leg ihn hier auf das Brett,« befahl der Jazygier. »Aber was ist dir zugestoßen, mein Alter? Du heulst ja und siehst jämmerlich aus. Hat es Prügel gegeben?«
Der Schwarze schüttelte den Kopf und entgegnete wimmernd:
»Keraunus will mich verkaufen.«
»Es wird bessere Herren geben.«
»Aber Sebek ist alt, Sebek ist schwach, Sebek kann nicht mehr heben und ziehen, und bei schwerer Arbeit geht er zugrunde, sicher zugrunde.«
»Hast du es denn leicht und reichlich gehabt bei dem Verwalter?«
»Gar keinen Wein, gar kein Fleisch, viel Hunger,« klagte der Greis.
»So sei froh, daß du fortkommst.«
»Nein, nein,« stöhnte der Alte.
»Närrischer Kauz,« sagte Mastor, »was willst du denn noch bei dem mürrischen Knauser?«
Der Schwarze blieb dem Fragenden eine Zeitlang die Antwort schuldig; dann hob und senkte sich ihm die eingefallene Brust, und als sei der Damm gerissen, der das Bekenntnis zurückgehalten hatte, rief er unter lautem Schluchzen:
»Die Kinder, die Kleinen, unsere Kleinen! Sie sind so lieb, und unser Helios, unser kleiner blinder Helios hat Sebek, weil er fort soll, das Haar gestreichelt, hier – hier hat er es gestreichelt,« – er wies auf eine völlig kahle Stelle – »und nun soll Sebek fort und sie nie mehr wiedersehen, als wären sie alle gestorben!«
Diese Worte rollten wie schwere Körper, die ein Strom von Tränen langsam fortträgt, über die Lippen des Sklaven.
Sie rührten Mastor das Herz, weckten in ihm die Erinnerung an die eigenen verlorenen Kinder und den Wunsch, den unglücklichen Genossen zu trösten. »Armer Schelm,« sagte er mitleidig. »Ja, die Kinder! Sie sind so klein, und das Tor, das ins Herz führt, ist so eng; sie aber kommen spielend hindurch, hundertmal leichter und besser als Große. Ich habe auch liebe Kinder verloren, und das waren noch dazu meine eigenen. Ich kann jedermann lehren, was Schmerz ist; aber nun weiß ich auch, wo man sich Trost holt.«
Bei dieser Versicherung stützte Mastor das Brett, das er trug, mit der Hüfte und rechten Hand – mit der linken aber faßte er die Schulter des Schwarzen und flüsterte ihm zu:
»Hast du schon von den Christen gehört?«
Sebek nickte eifrig und als hörte er einer Sache gedenken, von der er Großes vernommen und Schönes erwartete, Mastor aber fuhr leise fort:
»Komm morgen früh vor Sonnenaufgang in den Hof zu den Pflasterern. Da wirst du von einem hören, der die Mühseligen und Beladenen tröstet.«
Der Diener des Kaisers nahm das Brett wiederum in beide Hände und entfernte sich schnell; aus den Augen des Alten aber leuchtete ein leiser Hoffnungsschimmer. Er erwartete kein Glück, doch vielleicht gab es ein Mittel, die Not des Lebens leichter zu tragen.
Mastor kehrte, sobald er das Brett den Küchensklaven, die nunmehr auf der Lochias tätig waren, übergeben hatte, zu dem Gebieter zurück und überreichte ihm den Brief des Verwalters.
Die Stunde war übel gewählt für Keraunus; denn der Kaiser war in düsterer Stimmung.
Er hatte bis zum Morgen gewacht, kaum drei Stunden geruht und verglich jetzt mit zusammengezogenen Brauen die Ergebnisse seiner Beobachtung des gestirnten Himmels in dieser Nacht mit astronomischen Tafeln, die vor ihm ausgebreitet lagen.
Bei dieser Tätigkeit schüttelte er oft unzufrieden das lockige Haupt; ja, einmal warf er den Stift, mit dem er seine Berechnungen ausgeführt hatte, auf den Tisch, lehnte sich weit in das Polster zurück, und bedeckte die Augen mit beiden Händen. Dann begann er wieder Zahlen zu schreiben und sein neues Ergebnis schien um nichts erfreulicher als das erste.
Der Brief des Verwalters hatte schon lange vor ihm gelegen, als er ihn endlich, während er nach einem anderen Schriftstücke griff, wieder bemerkte.
Einer Erholung bedürftig, riß er ihn auf, las ihn und warf ihn dann unwillig von sich.
Zu einer anderen Zeit hätte er sich teilnahmsvoll nach dem leidenden Mädchen erkundigt, über den wunderlichen Mann gelacht oder wohl auch einen Streich ersonnen, um ihn zu ängstigen oder zu hänseln; heute aber ärgerten ihn die drohenden Worte des Verwalters und steigerten die Abneigung gegen ihn.
Überdrüssig des ihn umgebenden Schweigens rief er Antinous, der träumend in den Hafen hinausschaute.
Der Günstling näherte sich sofort dem Gebieter.
Hadrian schaute ihn an und sagte kopfschüttelnd:
»Auch du siehst aus, als drohe ein Unglück. Hat sich der Himmel ganz überzogen?«
»Nein, Herr. Über der See ist er blau, doch im Süden ziehen sich schwarze Wolken zusammen.«
»Im Süden?« fragte Hadrian nachdenklich. »Von dorther kann uns kaum etwas Schlimmes bedrohen. Aber es kommt, es naht sich, es wird da sein, bevor wir es ahnen.«
»Du hast so lange gewacht, und das verdirbt dir die Stimmung.«
»Die Stimmung? Was ist Stimmung?« murmelte Hadrian düster vor sich hin. »Stimmung ist ein Zustand, der sich aller Regungen der Seele auf einmal bemächtigt, mit Grund bemächtigt, und mein Herz ist heute gelähmt von Besorgnis.«
»So hast du üble Zeichen am Himmel gesehen?«
»Höchst üble!«
»Ihr weisen Männer glaubt an die Sterne,« entgegnete Antinous. »Ihr habt gewiß recht; doch mein schwacher Kopf will nicht begreifen, was ihre regelmäßigen Bahnen mit meinem unsteten Hinundher zu tun haben sollten.«
»Werde grau,« versetzte der Kaiser. »Lerne das ganze All mit dem Geist umfassen, und dann erst rede von diesen Dingen, dann erst kannst du erkennen, daß jeder Teil des Geschaffenen, das Größte und Kleinste, innig miteinander verknüpft ist, aufeinander wirkt, voneinander abhängt. Was ist und sein wird in der Natur, was wir Menschen empfinden, denken und tun, das alles wird bedingt von ewigen Ursachen, und was aus diesen hervorgeht, das haben Dämonen, die zwischen uns und der Gottheit stehen, mit goldener Schrift auf die blaue Wölbung des Himmels verzeichnet. Die Lettern dieser Schrift sind die Sterne, deren Bahnen so unwandelbar sind wie die Ursachen alles dessen, was ist und geschieht.«
»Bist du ganz sicher, dich nie in dieser Schrift zu verlesen?« fragte Antinous.
»Auch ich kann irren,« entgegnete der Kaiser, »aber diesmal täuschte ich mich gewiß nicht. Ein schweres Unheil bedroht mich. Es ist ein seltsames, erschreckend wunderbares Zusammentreffen.«
»Was?«
»Aus dem verwünschten Antiochia, von dem mir noch nie etwas Gutes zukam, empfing ich einen Orakelspruch, der – aus dem – Warum sollt' ich es dir verschweigen? In der Mitte des kommenden Jahres soll wie der Blitz, der den Wanderer zu Boden schleudert, schweres Unglück mich treffen und schlagen, und heute nacht! Sieh mit mir in diese Tafel! Hier ist das Haus des Todes, hier sind die Planeten . . . Aber was verstehst du von solchen Dingen? Kurz, in dieser Nacht, in der schon einmal Furchtbares vorging, bestätigten die Sterne das Unglücksorakel mit so nackter Deutlichkeit, so unverkennbar sicher, als hätten sie Zungen und schrien mir die schlimme Prophezeiung ins Ohr. Mit solcher Aussicht vor Augen wandert es sich schlecht. Was wird uns die Mitte des neuen Jahres wohl bringen?«
Hadrian seufzte tief auf, Antinous aber näherte sich ihm, ließ sich vor ihm auf die Knie nieder und fragte in kindlich bescheidenem Ton:
»Darf ich armer, törichter Wicht den großen Weisen lehren, sein Leben mit sechs guten Monaten zu bereichern?«
Der Kaiser lächelte, als wüßte er, was nun kommen würde; der Günstling aber fuhr ermutigt fort:
»Laß doch die Zukunft Zukunft sein. Was kommen soll, kommt; denn selbst die Götter haben keine Macht gegen das Schicksal. Wenn das Schlimme naht, so wirft es einen schwarzen Schatten vor sich her. Du beachtest ihn und läßt dir den lichten Tag von ihm verfinstern, ich schlendere träumend auf meinem Wege dahin und bemerke das Unglück erst, wenn wir aneinanderprallen und es auf mich losschlägt.«
»Und so bleibt dir eine Reihe von umdüsterten Tagen erspart,« unterbrach Hadrian den Liebling.
»Das wollt' ich sagen.«
»Und dein Rat ist gut für dich und jeden anderen Spaziergänger durch den Jahrmarkt eines müßigen Lebens,« entgegnete der Kaiser; »der Mann aber, dem die Aufgabe gestellt ward, Millionen über Abgründe zu führen, der muß unverwandt aufmerken, in die Nähe und Ferne schauen, und darf das Auge nicht schließen, wenn es auch so Entsetzliches zu sehen gibt, wie es mir heute nacht zu schauen bestimmt war.«
Bei dieser Erklärung hatte Phlegon, der Geheimschreiber des Kaisers, mit neuen Briefen aus Rom das Zimmer betreten und sich dem Gebieter genähert. Er verneigte sich tief und fragte, an Hadrians letzte Worte anknüpfend:
»Die Sterne beunruhigen dich, Cäsar?«
»Sie lehren mich auf der Hut sein,« entgegnete Hadrian.
»Hoffen wir, daß sie lügen,« fiel ihm der Grieche mit heiterer Lebhaftigkeit ins Wort. »Cicero hat gewiß nicht ganz unrecht, wenn er der Sterndeuterkunst mißtraut.«
»Er war ein Schwätzer,« entgegnete Hadrian und runzelte die Stirn.
»Aber ist es nicht richtig,« fragte Phlegon, »daß, wenn die Horoskope, die man einem Knejus oder Kajus stellte, zutreffend wären, Knejus und Kajus die gleichen Temperamente und Lebensschicksale haben müßten, wenn sie zufällig in derselben Stunde geboren wären?«
»Immer die alten Gemeinplätze, immer der alte Unsinn,« unterbrach Hadrian den Beamten, gereizt bis zum Ingrimm. »Rede, wenn du gefragt wirst, und kümmere dich nicht um Dinge, die du nicht verstehst und die dich nichts angehen. Sind wichtige Dinge dort unter den Briefen?«
Antinous sah erstaunt auf den Gebieter. Warum empörten ihn die Einwände Phlegons, während er doch die seinen freundlich beantwortet hatte?
Hadrian achtete jetzt nicht mehr auf ihn, sondern las Schreiben auf Schreiben rasch und doch aufmerksam durch, schrieb kurze Bemerkungen an die Ränder, unterzeichnete mit fester Hand einige Dekrete und gebot, nachdem er die Arbeit vollendet, dem Griechen, ihn zu verlassen.
Kaum war er mit Antinous allein, als das laute Geschrei und frohe Jauchzen vieler Menschen durch das geöffnete Fenster zu ihm eindrang.
»Was bedeutet das?« fragte er Mastor, und sobald er erfahren hatte, daß die Arbeiter und Sklaven soeben entlassen worden wären, um sich der Lust des Festtages hinzugeben, murmelte er vor sich hin:
»Das tobt, das jubelt, das bekränzt sich, das vergißt sich selbst im Rausche, und ich – ich – den sie alle beneiden, ich verderbe mir die kurze Zeit des Lebens mit nichtigen Geschäften, lasse mich von nagenden Sorgen zermartern – ich – ich –«
Hier unterbrach er sich selbst und rief mit völlig veränderter Stimme:
»Heda, Antinous, du bist weiser als ich! Lassen wir die Zukunft Zukunft sein. Auch für uns ist das Fest da. Machen wir uns diese Tage der Freiheit zunutze! Gut vermummt wollen wir uns, ich als alter Satyr, du als junger Faun oder dergleichen, in den Feststrudel stürzen, Becher leeren, die Stadt durchstreifen und uns dabei an allem Erfreulichen freuen!«
»Oh!« rief Antinous und klatschte froh in die Hände.
»Evoe Bacche!« rief Hadrian und schwang den auf dem Tische stehenden Becher. »Du bist frei bis heute abend, Mastor, und du, mein Junge, sprichst mit dem langen Bildhauer Pollux. Er soll uns führen und uns Kränze und einen tollen Aufputz besorgen. Ich muß trunkene Menschen sehen, ich muß mit den Fröhlichen lachen, bevor ich wieder Kaiser werde. Eile dich, Freund, sonst verderben mir neue Sorgen die Festlust!«