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Antinous irrte, um den Gebieter zu suchen, unter der Menge umher.
Wo er zwei besonders große Männergestalten sah, ging er ihnen nach; aber immer nur, um bald zu finden, daß er einer falschen Fährte gefolgt sei.
Ernste und andauernde Anstrengungen waren nicht seine Sache, und so gab er denn, sobald er zu ermüden begann, das Suchen auf und setzte sich auf eine steinerne Bank im Paneumgarten nieder.
Zwei zynische Philosophen mit zerzausten Haaren, struppigem Bart und zerrissenen Mänteln auf dem frierenden Leibe, setzten sich neben ihn und ergingen sich in lauten Schmähworten über die Huldigung, die heute den äußeren Dingen und gemeinen Genüssen widerfuhr, sowie über die elenden Sinnenknechte, die statt der Tugend Lust und Glanz für den Endzweck des Daseins erklärten.
Um von den Umstehenden gehört zu werden, sprachen sie mit lauter Stimme, und der Ältere schwang dabei den knorrigen Stock so heftig, als hätte er sich gegen den Angriff eines wütenden Feindes zu verteidigen.
Antinous fühlte sich von dem häßlichen Aussehen, der rohen Art und den kreischenden Stimmen dieser Leute verletzt.
Als er, auf den die Rede der Zyniker besonders gemünzt zu sein schien, sich erhob, schmähten sie ihm nach und verspotteten seinen Aufzug und sein gesalbtes Haar.
Der Bithynier entgegnete nichts auf ihre Scheltreden. Sie waren ihm widerwärtig; doch dachte er, daß sie den Kaiser vielleicht ergötzt hätten.
Gedankenlos schlenderte er weiter. Die Straße, in der er sich befand, mußte zum Meere führen, und hatte er dies einmal erreicht, konnte er die Lochias auch nicht mehr verfehlen.
Als es dunkelte, kam er denn auch an das Torhüterhäuschen und erfuhr hier von Frau Doris, daß der Römer und Pollux noch nicht zurückgekehrt wären.
Was sollte er allein in dem weiten, öden Palast?
Waren denn heute nicht sogar die Sklaven frei?
Warum konnte er nicht auch einmal ungebunden und auf sich selbst gestellt das Leben genießen?
Ganz erfüllt von dem Wohlgefühl, sein eigener Herr zu sein und auf selbstgewählten Wegen zu wandern, schritt er vorwärts. Als er an der Bude eines Kranzhändlers vorbeikam, begann er wieder lebhafter an die schöne, bleiche Selene und an den Strauß zu denken, der sich nun längst in ihren Händen befinden mußte.
Heute morgen hatte er von Pollux gehört, daß die Tochter des Verwalters in einem kleinen Hause unweit des Meeres im Garten der Witwe des Pudens von Christen gepflegt würde. Ja, der Bildhauer war sehr lebhaft geworden, als er ihm erzählt hatte, daß er in das erleuchtete Zimmer geschaut und sie gesehen hätte. Sie sei ein herrliches Geschöpf, hatte er gerufen, und schöner wäre sie ihm niemals vorgekommen, als in der ruhenden Stellung auf dem weißen Lager.
Antinous erinnerte sich jetzt dieses Berichtes und wollte den Versuch wagen, die Jungfrau, deren Bild ihm Herz und Sinn erfüllte, wiederzusehen.
Es war dunkel geworden, und das gleiche Licht, das dem Bildhauer gestattet hatte, in Selenes Züge zu schauen, konnte sie an diesem Abend auch ihm zeigen.
Sehnsuchtsvoll erregt stieg er in die erste Sänfte, die ihm begegnete.
Ihre schwarzen Träger waren ihm viel zu langsam, und mehr als einmal warf er ihnen so viel Geld zu, wie sie sonst kaum in der Woche verdienten, um sie zu rascherem Laufe anzutreiben. Endlich erreichte er sein Ziel; als er aber sah, daß mehrere weißgekleidete Männer und Frauen in den Garten traten, befahl er den Schwarzen, ihn weiter zu tragen.
Bei einer schmalen dunklen Gasse, die die Ostseite des großen Grundstücks der Witwe des Pudens nach Osten hin begrenzte und zum Meere hinführte, ließ er halten, stieg aus der Sänfte und befahl den Trägern, auf ihn zu warten.
Vor dem Gartentor fand er wieder zwei weißgekleidete Männer und einen der zynischen Philosophen, die mit ihm auf der Bank beim Paneum gesessen.
Ungeduldig schritt er auf und nieder, um das Verschwinden dieser Leute abzuwarten und durchschritt dabei häufig das Licht der an der Pforte befestigten Fackeln.
Die weit hervortretenden Augen des dürren Zynikers waren überall, und sobald er den auf und nieder schreitenden Bithynier bemerkt hatte, warf er den knochigen Arm in die Luft und rief, indem er mit dem langausgestreckten Zeigefinger auf ihn hinwies, halb den Christen, mit denen er geredet hatte, halb dem Jüngling zu:
»Was will der Geck, der aufgeputzte Hansnarr? Ich kenne den Burschen! Mit der glatten Larve und dem silbernen Köcher auf der Schulter meint er, er sei die Liebe in eigener Person. Fort da, du Ratte! Die Frauen und Jungfrauen hier drinnen wissen sich vor Straßenläufern in rosenfarbigen Lappen zu hüten. Fort da, sonst machst du mit den Sklaven und Hunden der edlen Paulina Bekanntschaft. He, Torhüter, he! Gib ein wenig acht auf den Burschen.«
Antinous entgegnete nichts auf diese Drohung, sondern zog sich langsam nach der Sänfte zurück.
Vielleicht morgen, wenn es heute nicht geht, dachte er beim Vorwärtsschreiten und sann auf kein neues Mittel, das Ziel, nach dem er sich so innig sehnte, zu erreichen.
Das Hindernis, das sich ihm in den Weg stellte, war kein Hindernis mehr, sobald er ihm aus dem Weg ging, und wie schon häufig, so handelte er auch heute nach dieser Erwägung.
Die Sänfte stand nicht mehr da, wo er sie verlassen. Ihre Träger waren mit ihr in die zum Meer führende Gasse getreten; denn das einzige an ihrer östlichen Seite gelegene Häuschen gehörte einem Fischer, dessen Frau dünnes pelusinisches Bier ausschenkte. Antinous ging auf den mit gebogenen Feigenästen bedeckten Spaliergang zu, unter dem die Schwarzen beim matten Licht einer dampfenden Öllampe saßen, um sie zu rufen.
Es war finster in der Gasse; doch an ihrem Ende schimmerte hell das vom Mondlicht beglänzte Meer. Das Geplätscher der Wogen lockte ihn an, und so schlenderte er bis an das steinige Ufer vorwärts. Als er dort einen Kahn bemerkte, der sich zwischen zwei Pfählen schaukelte, kam es ihm in den Sinn, es könne vielleicht möglich sein, das Haus, in dem Selene weilte, von der Seeseite her zu erblicken.
Die Seile, die das Boot festhielten, ließen sich ohne Schwierigkeit lösen.
Er tat es, setzte sich in den Nachen, legte Köcher und Bogen hinein, stieß ihn mit einem der Riemen, die auf dem Boden des Fahrzeugs lagen, vom Lande ab und fuhr mit gleichmäßigen Ruderschlägen dem langen Lichtstreifen entgegen, mit dem der Mondschein die Spitzen der leicht bewegten Wellen wie mit ruhelos zitternden Silberflittern verbrämte.
Dort lag der Garten der Witwe des Pudens!
In dem weißen Häuschen da drüben mußte wohl die schöne, bleiche Selene ruhen; aber obgleich er hierhin und dorthin, vorwärts und rückwärts ruderte, wollte es ihm doch nicht gelingen, das Fenster zu erspähen, von dem ihm Pollux erzählt.
War es nicht möglich, eine Stelle zu finden, bei der er anlegen und von der aus er in den Garten gelangen konnte?
Da lagen zwei Kähne; der vermauerte kleine Kanal, in dem sie ruhten, war indes durch ein eisernes Gittertor verschlossen.
Die in das Meer vorgebaute und mit einem Geländer von zierlichen Säulchen umgebene Plattform dort hatte hohe, glatte, steil in das Wasser abfallende Wände. Aber das, was unter den beiden, aus der gleichen Wurzel schlank hervorgesprossenen Palmen glänzte, war das nicht eine in die See hinabführende Treppe von hellem Marmor?
Antinous senkte das rechte Ruder in die Wellen, um mit geübter Hand seinem Fahrzeug eine neue Richtung zu geben. Dabei verkleinerte er den Winkel des gebogenen Armes, um die Handhabe des Ruders, das das Wasser zurückdrängte, an sich zu ziehen. Aber er führte diese Bewegung nicht zu Ende, ja, er hob durch einen nach der entgegengesetzten Richtung hin geführten Ruderschlag ihre Wirkung auf; denn eine seltsame Erscheinung fesselte seine Aufmerksamkeit.
Auf der vom Monde hell beleuchteten Plattform zeigte sich eine weißgekleidete Gestalt mit langen, wallenden Haaren. Wie sonderbar sie sich bewegte!
Bald schwankte sie hierhin, bald dorthin, bald blieb sie stehen und hob die Hände bis zum Haupte empor.
Antinous schauderte; denn er mußte an die Dämonen denken, von denen der Kaiser oftmals redete. Sie sollten halb zum Geschlechte der Menschen, halb zu dem der Götter gehören und sich zuweilen den Sterblichen zeigen.
Oder war Selene gestorben und die weiße Gestalt da oben ihr schwankender Schatten?
Antinous schmiegte die Finger fester um die Handhaben der beiden nun über dem Wasser schwebenden Riemen und starrte, weit vorgebeugt, mit tiefen Atemzügen auf das geheimnisvolle Wesen, das jetzt das Säulengeländer der Plattform erreichte, jetzt – er sah es deutlich – beide Hände auf das Angesicht preßte, jetzt sich tief über die Brüstung beugte und nun –
Wie in hellen Nächten ein Stern vom Himmel, wie im Herbst eine Frucht vom Baume fällt, so sank jetzt die weiße Frauengestalt von der Plattform nieder. Ein weher Angstschrei durchschnitt die Ruhe der stillen, die Welt mit ihrem Schleier bedeckenden Nacht, und beinahe im gleichen Augenblick klatschte und dröhnte das feuchte Element laut auf, und in tausend gen Himmel spritzenden Wassertropfen spiegelten sich, kühl und glänzend wie immer, die Strahlen des Mondes.
War das der schläfrige Träumer Antinous, der jetzt im Nu die Riemen ins Wasser stieß, sie kraftvoll an sich zog, und als die Gestalt der Ertrinkenden wenige Sekunden nach dem Sturze dicht neben dem Nachen auftauchte, die ihn hindernden Ruder von sich warf?
Weit über den Bord des Kahnes gebeugt, erfaßte er das Gewand der Ertrinkenden, die eine Frau war, kein Dämon oder Schatten, und zog sie zu sich heran. Es gelang ihm, sie hoch über dem Wasser zu halten; als er sie aber dem feuchten Bett zu entreißen und in den Kahn zu heben versuchte, wurde das Gewicht auf der einen Seite des Nachens zu schwer, das Fahrzeug schlug um und Antinous glitt in die See.
Ihm nach stürzte der silberne Köcher und Bogen.
Der Bithynier war ein guter Schwimmer.
Bevor die weiße Gestalt von neuem zu sinken vermochte, hatte er sie wiederum mit der Rechten ergriffen und trieb sie, indem er Sorge trug, daß ihr Haupt den Spiegel des Wassers nicht mehr berührte, und indem er mit dem linken Arme und den Füßen die Wellen zerteilte, nach derjenigen Stelle hin, an der er ein Treppchen zu sehen vermeinte.
Sobald seine Füße festen Grund fanden, nahm er die Gerettete in beide Arme.
Ein freudiges »Ah!« tönte von den Lippen, als die marmornen Stufen dicht vor ihm lagen.
Ungesäumt erstieg er sie und schritt dann mit der nassen, leblosen Bürde schnell und elastisch der Plattform entgegen, auf der er Ruhebänke bemerkte.
Die breite, mit glatten Marmorfliesen belegte Oberfläche des stattlichen, in das Meer hineingebauten Altanes war hell beleuchtet, und das Weiß des Gesteines verstärkte das Licht der Strahlen des Mondes mit der eigenen Leuchtkraft.
Da standen die Ruhebänke, die Antinous schon von fern erblickt hatte.
Auf die erste ließ er seine Last nieder, und ein Gefühl von dankbarer Freude durchbebte warm seinen frierenden Körper, als die aus dem Wasser Gezogene einen leisen, schmerzlichen Laut ausstieß, der ihn lehrte, daß er nicht vergebens gehandelt.
Behutsam schob er den Arm zwischen die harte Seitenlehne der marmornen Bank und ihr Haupt, um dies weicher zu betten.
Volles Haar bedeckte in nassen Strähnen ihr Antlitz wie ein dichter, zerrissener Schleier.
Da strich er es erst nach der rechten, dann nach der linken Seite hin langsam zurück, und jetzt – jetzt sank er, als habe ihn ein aus dem blauen Himmel niederzuckender Blitzstrahl getroffen, vor ihr auf die Knie; denn das waren ihre, das waren Selenes Züge, und das bleiche Weib, vor dem er hier kniete, war sie, die er liebte!
Außer sich, zitternd vom Scheitel bis zur Sohle, zog er sie mit der Rechten zu sich heran, um sein Ohr ihrem Munde zu nähern, um zu lauschen, ob er sich nicht getäuscht habe, ob sie nicht dennoch ein Opfer der Fluten geworden, um zu prüfen, ob kein warmer Hauch den Weg über ihre kühlen, bleichen, regungslosen Lippen fand.
Ja, sie atmete, sie lebte!
In dankbarer Erregung schmiegte er seine Wange an die ihre.
O wie kalt sie war, wie eisig, wie todeskalt!
Die Fackel ihres Lebens war im Verglimmen, aber er wollte, er konnte, er durfte sie nicht erlöschen lassen, und so besonnen, so rasch und entschlossen wie der tatkräftigste unter den Männern hob er sie wieder in die Höhe, legte sie, als wäre sie sein Kind, auf beide Arme und trug sie zu dem Hause, dessen weiße Wand aus dem Buschwerk hinter der Plattform hervorschimmerte.
Das Lämpchen in dem Zimmer Frau Hannas, das Selene vor kurzem verlassen, brannte noch immer; vor dem Fenster, aus dem sein matter Schein in die Mondnacht hinausflimmerte, lagen die Blumen, deren Duft der Kranken weh getan hatte, samt dem Tonkruge Hannas auch jetzt noch am Boden.
War dieser Strauß sein eigenes Geschenk?
Vielleicht.
Aber das erleuchtete Gemach, in das er schaute, konnte kein anderes sein als das Krankenzimmer, das ihm durch die Erzählung des Bildhauers bekannt war.
Die Pforte des Hauses stand offen und auch die des Gemaches, in dem er ihr Lager bemerkt hatte, war unverschlossen.
Nun schlug er die Tür mit dem Fuß zurück, drang in das Zimmer und legte Selene auf das Bett.
Da ruhte sie wie eine Verstorbene, und als er ihr in die stillen, von dem Ernst eines großen Schmerzes geweihten Züge schaute, erfaßte ein Kummer, ein Mitleid, eine Rührung ohnegleichen sein Herz, und wie ein Bruder zu der schlummernden Schwester, neigte er sich zu Selene hinab und küßte ihr die Stirn.
Da regte sie sich, schlug die Augen auf, starrte ihm ins Antlitz, und dabei war ihr Blick so voll von Entsetzen, so wirr, so gläsern und unheimlich, daß er schaudernd von ihr zurücktrat und mit erhobenen Händen nur leise zu stammeln vermochte:
»O Selene, Selene, erkennst du mich nicht?«
Ängstlich schaute er bei dieser Frage der Geretteten ins Antlitz; sie aber schien ihn nicht zu hören, und es regte sich nichts an ihr als die Augen, die langsam jeder seiner Bewegungen folgten.
»Selene!« rief er noch einmal, erfaßte ihre schlaff niederhängende Hand und zog sie heftig an die Lippen.
Da jammerte sie laut auf, ein Schauder schüttelte ihr den Leib, ächzend und stöhnend wandte sie sich um, und im gleichen Augenblick wurde die Tür geöffnet, die verwachsene Maria trat in das Zimmer und stieß einen gellenden Angstschrei aus, als sie Antinous bei dem Lager der Freundin erblickte.
Der Jüngling schrak zusammen, und wie ein Dieb, der bei einem Raube überrascht wird, floh er in die Nacht hinaus, durch den Garten, und ohne aufgehalten zu werden bis zu der auf die Straße führenden Pforte.
Hier trat ihm der Torhüter entgegen; er aber warf ihn mit einem kräftigen Stoße zurück, und als der in seinem Amt ergraute Mann ihn, während er die Pforte aufstieß, an dem nassen Chiton festhielt, rannte der Jüngling weiter. Ein Stück zog er den Verfolger mit sich fort und stürmte dann wie beim Wettlauf im Gymnasium in langen Sätzen die Straße hinunter. Erst als er fühlte, daß der Mann, in dessen Hand ein Teil seines Kleides zurückgeblieben war, es aufgegeben hatte, ihm nachzueilen, schöpfte er Atem.
Das Geschrei des Pförtners mischte sich in den frommen Gesang der im Landhause der Witwe Paulina versammelten Christen, von denen einige hinauseilten, um den Friedensstörer festzuhalten.
Aber der junge Bithynier war schneller als sie und durfte sich für völlig geborgen halten, nachdem es ihm gelungen war, sich in einen Festzug zu drängen. Halb freiwillig, halb gezwungen folgte er der trunkenen Schar, die von dem Innern der Stadt aus der See zustrebte, um an ihrem Ufer auf einer einsamen Stelle östlich von Nikopolis nächtliche Mysterien zu feiern.
Das Ziel des singenden, heulenden, tobenden Schwarms, bis zu dem Antinous mit fortgerissen wurde, lag zwischen Alexandria und Kanopus und war weit von der Lochias entfernt. So kam es, daß Mitternacht längst vorbei war, als der Günstling mit zerrissenen Kleidern, beschmutzt und außer Atem seinem Gebieter endlich wieder entgegenzutreten vermochte.