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Im Winter 1873 wohnte ich lange Wochen in einer der Grüfte der Nekropolis von Theben, um die Denkmäler der ehrwürdigen Todtenstadt zu studiren. Damals bildeten sich in mir während langer Ritte durch die schweigende Wüste die Keime, aus denen später dieses Buch erwachsen ist. Die äußere Veranlassung und die Muße, es niederzuschreiben, bot eine lange und ernste, noch nicht überwundene Krankheit.
Anfänglich hatte ich beabsichtigt, diesen Roman wie meine ägyptische Königstochter mit vielen und ausführlichen hinter den Text zu stellenden Anmerkungen zu versehen, – von der Ausführung dieses Vorhabens wurde ich indessen durch die Wahrnehmung abgehalten, daß ich gezwungen sein würde, Vieles des in den Noten zu meinem ersten Roman Gesagten zu wiederholen.
Die zahlreichen Anmerkungen in dem letztern waren einem dreifachen Zwecke gewidmet. Erstens sollten sie dem Text erklärend zur Seite stehen, zweitens Bürgschaft leisten für die Sorgfalt, mit der ich bemüht gewesen war, das archäologische Detail in all' seinen Einzelheiten treu nach den Denkmälern und Klassikern zu zeichnen; drittens aber wünschte ich in ihnen den wißbegierigen Lesern einige Hülfsmittel zu eigenen Studien an die Hand zu geben.
In dem vorliegenden Werke meine ich nun mich mit der bloßen Versicherung begnügen zu dürfen, nichts als ägyptisch und in die Zeit des Ramses gehörend dargestellt zu haben, was sich nicht quellenmäßig nachweisen läßt, und die zahlreichen, gerade aus der Epoche der Ramessiden bis auf uns gekommenen Denkmäler gestatten es dem Forscher in der That, viele Erscheinungen und Regungen im religiösen, staatlichen und privaten Leben der Aegypter von damals bis in's Einzelne zu erkennen und Schritt für Schritt zu verfolgen. Von den Aeußerungen des Gemüthslebens läßt sich das Gleiche nicht behaupten und hier wird mancher Anachronismus mit unterlaufen, wird Vieles modern erscheinen und die Färbung unserer christlichen Empfindungsweise zeigen.
Auch ohne Anmerkungen kann jeder Abschnitt dieses Buches verstanden werden; für den wißbegierigen Leser habe ich indessen erklärende Noten unter den Text gesetzt und nicht unterlassen, diejenigen Werke zu nennen, aus denen sich nähere Auskunft über das erzählungsweise Mitgeteilte gewinnen läßt.
Wer diesen Roman im Sinne seines Verfassers zu lesen wünscht, der lasse sich bei seiner Lektüre nicht durch die Anmerkungen stören und unterrichte sich erst, ehe er ein neues Kapitel beginnt, über den Inhalt der dem vorhergehenden beigegebenen Noten. Jeder Blick unter die Seite muß notwendigerweise die Wirkung des Kunstwerkes unterbrechen und schmälern. Der Text dieses Buches ist auch in einem Gusse hergestellt und erst nach seiner Vollendung mit Anmerkungen versehen worden.
Eine Erzählung des Herodot, kombinirt mit dem in mehreren Exemplaren auf uns gekommenen Epos des Pentaur, bildet die Grundlage zu dieser Erzählung. Vielleicht bezieht sich der von dem Vater der Geschichte mitgetheilte Verrath des Statthalters auf den dritten und nicht auf den zweiten Ramses. Aber es steht keineswegs fest, daß der Halikarnassier hier falsch berichtet war, und es soll in dieser Dichtung keine Geschichte gelehrt, es soll in ihr auch nur in zweiter Linie ein in kulturhistorischer Beziehung der Wahrheit möglichst nahe kommendes Bild der Zeit des Sesostris gegeben werden. Zwar blieb für diesen Zweck nichts unbenützt, was die Denkmäler und die Papyrus lehren; dennoch ist das vorliegende Buch nichts als ein Roman, eine Dichtung, in der ich den aus der Geschichte geschöpften Stoff und das den Denkmälern nachgebildete Kostüm als nebensächlich, die Bewegungen des innern Lebens der handelnden Personen aber als Dasjenige betrachtet zu sehen wünsche, worauf es mir ankommt.
Noch Eines sei mir zu bemerken erlaubt.
Durch die typische, strengen hieratischen Proportionalgesetzen unterworfene Vortragsweise der altägyptischen Kunst haben wir uns gewöhnt, uns die Nilthalbewohner aus der Pharaonenzeit als hagere und steife Menschen von geringer Verschiedenheit der individuellen Physiognomie vorzustellen, und in jüngster Zeit hat ein großer Kolorist es versucht, sie in einem modernen Gemälde nach dieser Auffassung zu bilden.
Das ist falsch, denn die Aegypter gehörten trotz ihrer Abneigung gegen das Fremde und ihr Gebundensein an die heimische Scholle zu den geistig regsamsten Völkern des Alterthums, und wer sie darzustellen wünscht, wie sie lebten und waren, und zu diesem Zwecke die Formen nachbildet, die sich aus den Gemälden, an den Tempel und Gräberwänden erhalten haben, der macht sich zum Mitschuldigen der priesterlichen Kunstverderber, welche die Maler und Bildhauer in der Pharaonenzeit zwangen, zu Gunsten der altheiligen Proportionen die Naturwahrheit preiszugeben.
Wer das Leben der alten Aegypter treu zur Anschauung zu bringen wünscht, dem stellt sich zunächst die Aufgabe. ein Erlösungswerk zu üben, das heißt abzusehen von jener Gebundenheit der Formen, welche ihrem Leben fremd und nur ihren Kunstwerken eigen war. Ohnehin sind aus der frühen Zeit der Pyramidenerbauer Werke der Skulptur erhalten geblieben, die uns in realistischer, von dem Kanon unbeeinträchtigter Vortragsweise naturgetreu dargestellte Menschen zeigen. Wir erinnern an die Figuren des sogenannten »Dorfschulzen« zu Bulaq, des »Schreibers« zu Paris und einige Figurinen aus Bronze in den verschiedenen Museen, sowie an die schönen und charakteristischen Porträtköpfe aus allen Epochen, welche sämmtlich den Beweis liefern, wie groß die Verschiedenheit der individuellen Physiognomie und somit auch der Individualcharaktere unter den Aegyptern gewesen ist. Alma Tadema in London und Gustav Richter in Berlin haben als Maler altägyptische Stoffe in einer Weise behandelt, der sich der Dichter mit Freuden anschließt.
Der Band I. Seite 143 angeführten Stelle des späten Flavius Vopiscus lassen sich viele ältere Zeugnisse aus früher Zeit zur Seite stellen, welche uns die Aegypter als fleißiges und rühriges, zwar den letzten Dingen leidenschaftlich zugewandtes, von der andern Seite aber die Gaben des Lebens mit vollen Zügen oft bis zum Uebermaß genießendes Volk zeigen.
Wirkliche Menschen, wie sie das Leben der Gegenwart zeugt, keine nach einem heiligen Kanon vermessene Schablonenfiguren, wie sie die Denkmäler zeigen, haben am alten Nilstrom gelebt, und der Dichter, welcher sie darzustellen wünscht, darf, ohne Furcht, von der Wirklichkeit allzu weit abzuweichen, getrost in das ihn umgebende Leben greifen und Menschen von heute Modell stehen lassen, um sie, freilich in der ihrer Zeit und Heimat entsprechenden Weise gefärbt und bekleidet, nachzubilden.
Ueber die Berechtigung, die Empfindung der Liebe den Alten zuzuschreiben, habe ich in der Vorrede zur zweiten Auflage der ägyptischen Königstochter gehandelt.
Mit diesen Zeilen sende ich »Uarda« in die Welt und sage in ihnen den lieben Freunden meinen Dank, in deren von grünen, wildreichen Wäldern umrauschten schönem Hause am Hundsrücken ich oft schon neu belebende Erholung fand, und in dem ich jetzt dieses Buch zum Abschluß bringe.
Rheinböllerhütte, den 22. September 1876.
Georg Ebers.
Die früheren Auflagen der Uarda sind einander so schnell gefolgt, daß sich aus äußeren Gründen keine durchgreifende Veränderung des stereotypirten Textes vornehmen ließ; indessen habe ich von vornherein die bessernde Hand nicht ruhen lassen und kann nunmehr diese neue, fünfte Auflage als eine »durchgesehene« der Oeffentlichkeit übergeben.
Mit je größerer Liebe ich seiner Zeit die Uarda geschrieben habe, mit um so größerer Freude erfüllt mich die wohlwollende und eingehende Berücksichtigung, die ihr unsere berufensten Kritiker geschenkt haben, und die günstige Aufnahme, die ihr in den verschiedensten Kreisen zu Theil geworden ist.
Den verehrten Männern, die mich auf Versehen aufmerksam machten, bin ich zu lebhaftem Danke verpflichtet. Unter ihnen nenne ich besonders Herrn Professor Paul Ascherson in Berlin und Herrn Dr. C. Rohrbach in Gotha. Beide werden ihre auf pflanzengeographische Irrthümer bezüglichen Bemerkungen in dieser neuen Auflage berücksichtigt finden.
Die Anmerkungen sind nach reiflicher Erwägung nicht hinter den Text gesetzt worden, sondern unter ihm stehen geblieben.
Ueber den Titel »Uarda« sind mir auch in jüngster Zeit so viele Bedenken zu Ohren gekommen, daß ich hier dasjenige wiederholen will, was ich im Vorworte zur dritten Auflage mehr zur Erklärung als zur Entschuldigung desselben angeführt habe.
Dieser Titel hat seine Geschichte und je schwerer es mir selbst werden möchte, ihn sachlich zu vertheidigen, je lieber lass' ich einen Advokaten für ihn sprechen, der keinen geringern Namen trägt, als den unseres G. E. Lessing. Dieser sagt in der hamburger Dramaturgie.
»Nanine? . . . (von Voltaire 1749.) Was ist das für ein Titel? Was denkt man dabei? Nicht mehr und nicht weniger, als man bei einem Titel denken soll. Ein Titel muß kein Küchenzettel sein. Je weniger er von dem Inhalt verräth, desto besser ist er. Dichter und Zuschauer finden ihre Rechnung dabei und die Alten haben ihren Komödien selten andere als nichts bedeutende Tite1 gegeben.«
So mag es denn bei »Uarda« bleiben, deren Persönlichkeit zwar hinter anderen zurücktritt, deren Leiden aber den Anstoß gibt für den Lauf der Schicksale meiner Helden.
Warum soll ich es verschweigen? Aus der Erinnerung an ein Fellahmädchen, halb Kind, halb Jungfrau, das ich in einer Hütte zu Abd el Qurnah in der Nekropolis von Theben leiden und sterben sah, ist die Figur der Uarda und die vorliegende Erzählung erwachsen. –
Bei meiner mehrfach ausgeführten und vielfach ausgesprochenen Ueberzeugung, daß die Grundzüge des Seelenlebens bei allen Kulturvölkern in allen Zeiten und Breiten nur sehr geringen Modifikationen unterworfen gewesen sind, beharre ich; doch versuche ich mir die der meinen entgegen stehende Ansicht meiner Gegner durch den Umstand zu erklären, daß in der That die Aeußerungen dieser Regungen in verschiedenen Epochen und bei verschiedenen Völkern beträchtliche Ungleichheiten zeigen. Ich glaube, daß einer der schärfsten Menschenkenner des Alterthums, Juvenal, das Rechte traf, als er sagte:
«Nil erit ulterius, quod nostris moribus addat Posteritas: eadem cupient facientque minores.» |
Leipzig, den 15. Oktober 1877.
Georg Ebers.