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Peters Mutter war eine der Witwen, die in dem hinterlassenen Kind ihr einsam gewordenes Leben ganz zusammenfassen und in einem stillen Glanz nachsommerlichen Glückes sich erhalten.
Diese Frauen verstehen oft so schön, ihre kärglichen Einkünfte zu einer fast heiteren Behaglichkeit auszubreiten, jeden Nickel wie eine besondere Kostbarkeit auf die möglichst sinnige Art zu verwenden. Das Geld gewinnt in diesen sparsamen Händen einen eigenen Schein von Sauberkeit und gesegneter Bedeutung, die man sonst nicht an ihm kennt.
Und eine seltene sonntägliche Reinlichkeit ist um sie. Sie gehen im einfachen Baumwollkleid, aber man fühlt, daß sie darunter frisches Linnen tragen. Der Hausrat ist sorgsam behandelt, blühweiße Vorhänge und davor das Geraniumbrett machen die gute Stube so freundlich und erinnerungsvoll, daß man sich gleich beim Eintritt eine schöne Geschichte hineindenkt … Das sind Stuben, die die Sonne einladen, in denen was von der Sonne liegen bleibt, auch wenn sie fort ist. Und die Arbeit ist bei diesen Frauen ein ruhig Walten. Sie entsteht sanft unter Händen wie die Rosenkränze unter den Händen der Nonnen, unter Händen, die wohl müd sind, nicht mehr munter dreingreifen, aber auch mit keiner Gebärde sich beklagen. Solche Hände ringen sich nicht mehr, sie falten sich nur noch. Und sie werden dann schön, man betrachtet sie, wie sie im schwarzen Kleidschoß liegen, und man freut sich darauf, bis man ihre beruhigte Wärme beim Weggang in den eigenen Händen auf einen Augenblick verspüren wird.
* * *
Ich kam öfter in die kleine Wohnung zu Peters Mutter. Stets, wenn ich was Festtägliches brauchte, etwas Freundliches erfahren, oder auch ein neues helles Buch gelesen hatte, das ich dann mitbrachte. Saßen wir uns gegenüber, schlüpfte auch Peter an die Mutter her, an ihrer Seite herauf, Kopf an Kopf. Sie nahm ihn mit jener unsagbar schönen Armbewegung glücklicher Mütter an sich. In diesem Augenblick machte sie ein inniger Stolz noch bedeutender und gütiger.
Peter war in dem Alter, da feine Knaben gegen ihre Mütter und Schwestern Kavaliere werden. Es sind unbewußte Anbetungen und Umwerbungen, die sich da in ersten Versuchen der nächsten Frauenseele aufschließen.
Peter mußte seine Mutter über alle schön halten. Er stellte sich zu ihr stets wie im Bild, als wollte er mich unvermerkt zum Betrachter machen. So mußte er sie selber manchmal vor dem Spiegel haben und seinen Kult mit ihr treiben. Er vergab nie in meiner Gegenwart eine lebhafte Liebkosung, und doch ging deren ein steter unsichtbarer Fluß von ihm aus. Seine Augen standen voll Zärtlichkeiten. Und sein Arm schmiegte sich über ihre Schulter vor, daß die schmale kindliche Hand laß herunterhing.
Einmal, da Peter fort war, fingen wir wieder von ihm zu sprechen an: »Er ist wie sein Vater …«
Sie sagte das anders, als man sonst solche Vergleiche hört, schwer von einer schmerzlichen Helligkeit.
... »Wie er seinem Vater gleicht und als sein Ebenbild heraufwächst. Ich muß mir oftmals vorstellen, ob nicht irgendwo auch ich jetzt als junges Mädchen noch einmal zu finden sein möchte. Für ihn. Ach, ich hab' mich fast in diesen absonderlichen Gedanken verliebt.«
Ihre Worte waren in eine Glut geraten und aufgegangen. Wie diskrete Menschen einmal ihre liebsten Gedanken aufschließen.
Sie ging nebenan und brachte eine kleine gerahmte Photographie. Ich hatte das Bild noch nie gesehen.
Es war Peters Vater.
Peter, wie er in zehn, zwölf Jahren sein mußte. Das gleiche schöne schmächtige Gesicht. Nur schon leis beschattet und ermüdet.
Sie wischte das Bildchen leicht ab und gab es mir. Ihre Stimme zog tiefer an und fragte rasch: »Vergleichen Sie doch einmal! Und bitte genau! Er ist sein Vater? Peter hat nur das Eine nicht, das Etwas, das von der Krankheit? Nicht, nicht wahr? … Peter ist frisch! frisch!«
Sie hatte mich fest bei der Hand genommen. Ich antwortete ihr heiter. Aber in mir war ich tief erschrocken: Peter war sein Vater …
Nach einer Weile fing sie in leichter geschürztem Ernst wieder an: »Und dann das Merkwürdige von Peter. Ich habe ihm eigentlich nie, wie das sonst die arge Sorge der Mütter ist, sagen müssen, daß er sich sauber halten soll. Er ging immer und ganz selbstverständlich frisch wie zur Sonntagskirche. Dennoch war er nie eins der kostbaren Nervenkinder, die eine müde Feigheit von derben Berührungen abhält. Ich hab' ihn immer in die Sonne geschickt. Und er spielte so lebhaft wie seine Kameraden. Ich mußte ihm manchmal die nassen Haare und das glühende Gesicht trocknen, während er mir hochgehende Geschichten seiner Erlebnisse berichtete.«
Sie sprach das fester und erhobener, als wollte sie sich selber damit noch einmal bestätigen, daß Peter ein ungebrochener Bub sei; und erzählte:
»Vor etwa zwei Jahren fing Peter, wenn er von seinen Kameraden plauderte, häufig von einem an. Sauters Karl hieß er ihn. Der sei unheimlich stark, und alle fürchteten ihn. Eine Großtat um die andere brachte Peter von dem Burschen heim. Er lege jeden nur so glatt hin auf den Boden. Und einmal habe er einer lebendigen Fledermaus den Kopf abgebissen.
Zuerst sprach die allen Jungen eigene Bewunderung grober Stärke aus Peters Kunden. Dann aber kam allmählich eine Abneigung in ihm auf. Er könne den Kerl nicht leiden. Er erzählte von Reibereien. Daß Sauters Karl es jetzt auf ihn abgesehen habe. Daß er ihn mit Püffen an der Wand herumstoße und ihn einen Feigling schimpfe, der sich nicht anzubinden getraue. Und die anderen lachten so frech dazu: Jetzt sei's einmal an dem – Feinen!
Als Peter mir das sagte, übernahm ihn ein grimmiges Weinen.
An einem Juniabend kam er, auf einen Kameraden gestützt, heim. Eine ganze Schar davon war mit vors Haus gelaufen. Er war ganz still und setzte sich jäh auf einen Stuhl zusammen. Der andere unterrichtete mich zögernd, daß Peter den Arm gebrochen. Das übrige müsse ich Peter selber fragen. Der hab' ihm's zu sagen verboten.
Die Jungen hatten auch schon den Arzt herbestellt. Als wir Peter auszogen, war er über Brust und Rücken und Arme mit schweren Mälern bedeckt. ›Der Bub ist geschlagen worden!‹ konstatierte der Doktor.
Im Bett kam Peter in ein leichtes Fieber. Ich saß bei ihm. Und da strich er aus der Decke heraus mit seiner freien Hand die meine: ›Ich sag' dir alles. Bist du mir bös, Mutter? Ich hab's nicht mehr halten können. Gestern früh im Schulhof ist er wieder frech geworden. Die anderen haben noch dreckiger gelacht als sonst. Da hab' ich mir gedacht: Jetzt muß es sein! Dann hab' ich aber wieder an dich gedacht. Ich darf dir nicht weh tun. Und hab' an meine Kleider gedacht, daß es geregnet hat und ganz schmutzig im Hof ist. Und da hab' ich den Sauters Karl angeschrien: ›Morgen mittag beim – Baden, ohne Kleider, zeig' ich dir, ob ich ein Feigling bin! Du bist so dreckig, daß ich dich so nicht anlangen mag!‹ Da hat der ganze Hof ›Bravo‹ geschrien. Und da hat der Sauters Karl mich wieder fahren lassen und warten müssen. Alle Buben waren heut beim Baden. Sauters Karl hockte schon ausgezogen da, als ich kam. Er strich sich die verbrannten Arme und zog seine Muskeln auf und guckte sie an. Die Buben standen im Kreis herum und paßten. Als ich ausgezogen an Sauters Karl hinkam, roch er schon arg nach Schweiß, und jetzt erst sah ich, daß ich neben ihm eine ganz weiße Haut hatte. Es wurde mir ekelig vor ihm. Aber dann besann ich mich nicht mehr und packte ihn an. Zuerst lachte er und wehrte sich kaum. Ich spürte, wie die anderen dachten: Armer Tropf! Da schlag' ich ihm mit der Faust unters Kinn. Jetzt fluchte er wüst, packte mich am Hals und drückte mich hinunter. Ich spürte nicht mehr, wie er auf mich dreinschlug, nur daß es eine Schmach sei. Und von den anderen hörte ich nichts, bis ein Haufen kam und mit Schreien sein rotes garstiges Gesicht von mir wegriß. So ist's gegangen. Bist du mir bös, Mutter?‹
Peter lag nach dieser Geschichte leuchtend in den Kissen. Und ich glaube, ich hab' sie da eben fast mit seinen Worten wieder erzählt …«
* * *
Sie konnte nicht weiter sprechen. Peter kam mit einem Schwall frischer Luft herein und grüßte fröhlich. Dann ging er, wie automatisch, zu seiner Mutter, schmiegte sich an sie und legte wieder seine Hand um ihre Schulter. Sie hing übersichtig weiß und zart hervor. Durch eine nebensächliche Frage erfuhr ich von Peter, daß die Hand von früher lahm sei.
Und er schaute seine Mutter dabei innig an.