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Die heilige Cacilia

. Zur grausamen Zeit des Dreißigjährigen Krieges war Deutschland doch ein so seltsames Land, daß auch stille, schöne Geschichten überall hin ihren Weg fanden.

So die heute noch wohlbekannte Geschichte vom Geiger von Gmünd, die der sonst nicht gar hoch in Respekt stehenden Zunft der fahrenden Spielleute damals überall einen freundlichen Anschein verlieh.

Ist das nicht auch eine poetisch auserwählte Gnade, wenn die hohe Patronin der edlen Musik einem armen wandernden Geiger einen ihrer goldenen Schuhe herunterwirft, da er an ihrem Altar seine Lieder spielte und sie für den Notdürftigen keine andere Gabe hat? Als der huldreich Beschenkte darob von der blinden Verleumdung zum Dieb gemacht wurde, erbat er sich auf dem Galgenweg in seinem letzten Wunsch, noch einmal vor der Heiligen in der Kapelle spielen zu dürfen. Und siehe, vor allem staunenden Volk fiel auch der andere goldene Schuh herab.

Solche stille, schöne Geschichten konnten damals in unserem lieben, vom Schwert gepflügten und vom Blut gedüngten deutschen Vaterland erblühen.

Doch gibt es noch eine nicht minder schöne Erzählung, die aber merkwürdigerweise ganz im stillen blieb.

Sie begegnete auch einem Fahrenden und auch einem Schwaben, der jenes zu Gmünd geschehene goldene Wunder in Reime brachte und, zur Geige singend, landauf, landab verkündigte. Der Lobpreisende selber aber wurde zu der überall so hold dargestellten seligen Jungfrau von einer seltsamen Liebe ergriffen, die ihn, wo immer er ihr Bildnis fand, in eine fromme Entzückung versetzte und sonst bei Tag und Nacht mit einer nicht mehr vergehenden Sehnsucht erfüllte.

Einmal trat er seines Weges auch in eine Kapelle, über deren Altar die heilige Cäcilia schön und anmutig im Schein der Sonne saß, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Ihre Augen schauten in den Schoß, wo die Hände ein kleines silbernes Orgelspiel hielten, und ihre Füße trugen silberne Pantoffeln.

Der Geiger kniete sich in Demut an den Altar hin und sprach aus inständiger Einfalt zu dem farbigen Holzbild empor: »O heilige Cäcilia, wenn du auch keine goldenen Schuhe an den Füßen trägst, sondern nur silberne, so bist du gewiß nicht minder gütig. Denn du bist so schön hier wie an keinem anderen Ort. Ich bin ein geringer Musikant, aber ich freue mich meiner Armut, die mich auch nicht bedrückt. Ich bitte dich also nicht um Gold und nicht um Silber, jedoch hat mein niedriges Herz sich vermessen zu dir erhoben; es ist von deiner Schönheit erglüht, und allzu viele Liebe nach dir ist in ihm entbrannt. Du Erhabene willst dich mir nicht neigen, so lasse mir meine Sünde ab und lasse mir zum Zeichen dessen auf meiner Straße eine irdische Jungfrau begegnen, welche, soweit sie vermag, dir, der himmlischen Jungfrau, gleicht. Mein vor Liebe krankes Herz vermöchte sich an keinem anderen Mädchenangesicht mehr zu erquicken, und muß doch ohne dein Angesicht verderben.«

So sprach er, dann nahm er die Geige ans Kinn und sang der Heiligen zur Rührung und gleichsam zum Beispiel das Lied von den goldenen Schuhen, daß die ganze Kapelle davon emporgehoben und in eine Himmelszelle verwandelt schien.

Als der Getröstete frohgemut aus dem Kirchlein ging, da war durch die zufallende Türe auf einmal von hinten jemand neben ihn hingetreten und lief mit ihm einher. Er wußte nicht, wie ihm geschah, so leis und zugehörig hatte sich eine Gefährtin zu ihm gesellt, deren Gegenwart wundersamen Geruch verbreitete und den Betroffenen in einen Zustand alles hinnehmender Beseligung hüllte.

Die Herzugekommene glich wirklich, wie er es gläubig erfleht hatte, der Heiligen auf dem Altare, als wäre sie eine Zwillingsschwester. Nur war die stille Ruhe des Bildes süß atmendes Leben und frisch wehende Regung geworden. Auch trug das anmutige Mädchen an einem blauen Band das kleine silberne Orgelspiel; doch fehlte auf dem braunen Scheitel der Glorienschein und an den Füßen die silbernen Pantoffel. Die feinen Füße liefen bar in die staubige Straße hinein, so daß er sich schämte, selber mit ledernen Schuhen geschützt zu sein.

»Hat dich die Heilige geschickt, du Holde?« frug er nach einer Weile.

»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete das Mädchen ausweichend und sagte dagegen treuherzig: »Ich will bei dir bleiben und gehen, wo du hingehst.«

Und sie blieb bei ihm und ging, wo er hinging. Es war Frühling, und der Weg wurde ihm an ihrer Seite so leicht, als wären seine Schritte nur ein luftiges, unwirkliches Geschäft seiner Beine, das ihn von einer frohen Stelle zur anderen hob.

Im Dorf unter der Linde spielte er, um Zehrung zu finden, auf seiner Geige. Es kamen aber nur ein paar neugierige Kinder.

Als ihn schon der Kummer trübte, setzte sich das Mädchen neben ihn auf die Bank hinunter, nahm das silberne Orgelspiel in den Schoß und spielte mit. Das war nun so ungemein schön, daß er vor Staunen erschrak und frug: »Bist du gar die heilige Cäcilia selber?«

Sie aber lächelte nur vor sich hin und spielte mit ihm weiter. Da war es, als ob die süße Weise sich in das Dorf trüge und in allen Häusern und Stuben gehört würde. Denn überallher kamen die Leute und horchten und wunderten sich und wurden in ihren Herzen auf eine unbekannte Art von Wonne erfüllt. Auch die Linde sang von Bienen voll, und in die Mütze des Geigers klangen am Ende so viele Münzen, bis diese Mütze der Hand zu schwer wurde.

Und so wanderten die beiden selbander in die Dörfer und Städtlein, überall ein willkommenes Wunderspiel, in dessen Spur Freude und Liebe aus dem Schutt der trüben Zeit erblühte. Der Weg hinter ihnen ging wie ein Streifen Lichtes durch das Land.

Die Genossin tat auch dem Geiger Freudiges und Liebes. Je weiter sie kamen, und je bunter die Gärten und Wiesen in den Sommer hineinblühten, desto heiterer wurde sie. Ja, ihr Wohlgefallen an dem Glück, das sie um sich verstreute, und an der vor ihr sprießenden Lust der Erde wuchs so sehr, daß ihr manchmal ein Seufzer entschlüpfte.

Auch färbte die Sonne allmählich das durchscheinende Gesicht kräftiger an, der zarte Körper kernte sich, und sein leiser, fremder Duft wandelte sich in den frischen Geruch eines gesunden Erdenmädchens. Sogar ihr silbernes Orgelspiel frohlockte gern zu einem Tanz der Burschen und Mädchen, und zu einem Liebeslied.

Dem Geiger gedieh diese Wandlung, die er selber nicht einmal wissentlich wahrnahm, zu einer bittersüßen Not. Denn die fromme Liebe, die er für die Heilige des Himmels getragen hatte, kehrte sich ganz und gar dem ihm gesandten Ebenbild aus Fleisch und Blut entgegen, und sie wurde zu einem unstillbaren Verlangen nach der köstlichen Frucht, die so nahe greifbar neben ihm reifte und, schwerer werdend von ihrem süßen Saft, sich aus der Höhe heruntersenkte.

Aber die Begleiterin trug immerdar eine unsichtbare Wehr um ihre Schönheit, und wenn er einmal ein seinem inbrünstigen Zustand entlaufenes Wort oder eine Liebkosung mit Auge und Hand wagte, dann machte er etwas schmerzhaft und traurig in ihr, wie wenn sie sich gern ihm zärtlicher hätte hingeben mögen, als jener fremde Schutz zuließ.

Gleichsam ein leises, heimliches Gewitter entstand um das Mädchen in solch einer unsicheren Minute, ein kaum vernehmbarer Schein sprühte auf, und der kühn Gewordene erlitt einen schwachen Schlag in seinem Herzen.

»Wer bist du?« frug er wieder.

»Bald weiß ich es vielleicht selber nicht mehr.«

Manchmal vergnügten sie sich zusammen auf einer bunten Wiese an ihrem Spiel und wurden so munter davon, daß sie sich bei den Händen griffen und tanzten, während die Geige und die kleine silberne Orgel im Gras beieinanderlagen.

Da bog sie sich wohl auch einmal zu ihm hin und gab ihm ihre betauten Lippen zum Kuß und ließ sich von ihm auf die Blumen hinunterlegen.

Aber wie er ihr ganz nahe kam, sagte sie bittend: »Laß mich, du Lieber!«

Doch ihre Arme waren ihm entgegengekommen, und ihre Augen waren feucht geworden von liebevollem Glanz, und ihr Atem duftete wie Würze.

Noch einmal bat ihr Mund: »Laß mich, du Lieber, sonst muß ich wieder fort!«

Und da griffen seine Hände leer hinunter nach den Blumen. Das Mädchen war nicht mehr da.

Auch seine Geige lag allein, und es war nur, als ob daneben ein schimmernder Laut entflöge.

Da war er wieder der arme Geiger, der allein und den Menschen seltsam dahinzog, mit Gesichten behaftet und unverständlichen Reden. Sein Spiel aber weckte allen, die es hörten, eine unbekannte selige Klage, die sich nicht mehr stillte.


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