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Das Motto zu Kapitel 28 (in dieser Übersetzung Band 2, Kapitel 6):
1st Gent.
All times are good to seek your wedded home
Bringing a mutual delight.
2nd Gent.
Why, true.
The calendar hath not an evil day
For souls made one by love, and even death
Were sweetness, if it came like rolling waves
While they two clasped each other, and foresaw
No life apart.
Herr und Frau Casaubon waren von ihrer Reise Mitte Januar nach Lowick zurückgekehrt. Der Schnee fiel in leichten Flocken, als sie vor ihrem Hause aus dem Wagen stiegen, und als Dorothea am nächsten Morgen aus ihrem Ankleidezimmer in das blaugrüne Boudoir trat, welches wir bereits kennen, sah sie bei einem Blick aus dem Fenster, wie die Bäume der langen Lindenallee aus einem weißen Boden emporstiegen und ihre weißen Zweige gegen einen finsteren regungslosen Himmel ausstreckten. Das flache Land in der Ferne schrumpfte zu einer von einförmigen Wolken dicht überhangenen einförmigen weißen Masse zusammen. Selbst die Möbel im Zimmer schienen ihr zusammengeschrumpft, seit sie sie zuletzt gesehen hatte; der Hirsch auf der Gobelin-Stickerei starrte sie noch geisterhafter aus seiner blaugrünen Welt an; die Bände eleganter Literatur auf dem Büchergestell sahen jetzt noch mehr aus wie nachgemachte Bücher, die nicht von der Stelle gerückt werden können. Das helle Feuer von trockenen Eichenästen, welches im Kamin brannte, erschien wie ein zu der erstarrten Umgebung nicht stimmendes frisches, strahlendes Leben – wie auch Dorotheen's Gestalt selbst, als sie, die roth ledernen Kästchen mit den Cameen für Celia in der Hand, das Zimmer betrat.
Sie strahlte nach ihrer Morgentoilette, ein Bild jugendlich blühender Gesundheit; ihre vollen Haarflechten und ihre nußbraunen Augen glänzten wie Edelsteine; ihre rothen Lippen verkündeten warmes Leben; ihr blendend weißer Hals pulsirte über der weißen Pelzverbrämung, die sich zärtlich um ihren Nacken zu schlingen und an ihren blaugrauen Ueberwurf zu schmiegen schien. Als sie die Kästchen mit den Cameen auf den in der Nische vor dem Bogenfenster stehenden Tisch stellte, ließ sie unbewußt ihre Hände auf demselben liegen, – so ganz versank sie alsbald in die Betrachtung der tiefe Stille athmenden weißen Fläche, welche jetzt ihre sichtbare Welt ausmachte.
Casaubon, welcher von Herzklopfen geplagt früh aufgestanden war, gab eben seinem Pfarrgehülfen, Herrn Tucker, in seiner Bibliothek Audienz. Celia wurde zu einem längeren Besuche in Lowick erwartet, und in den nächsten Wochen mußten Besuche empfangen und erwidert werden; es stand also eine Fortsetzung jenes flüchtigen Uebergangslebens bevor, welches man der aufregenden Glückseligkeit einer jungen Ehe für besonders angemessen hält und welches geeignet ist, die geschäftige Unthätigkeit eines Traumlebens, gegen dessen Bestand sich in dem Träumer selbst ein Argwohn zu regen beginnt, zu unterhalten.
Die Pflichten ihres ehelichen Lebens, welche sich Dorothea so groß vorgestellt hatte, schienen ihr jetzt wie die Möbel im Zimmer und wie die weiße, von Nebeln eingeengte Landschaft draußen zusammenzuschrumpfen. Die lichten Höhen, auf welchen sie in voller Gemeinschaft mit ihrem Gatten zu wandeln gehofft hatte, waren selbst für ihre Phantasie nur noch schwer zu erspähen; ihr Vertrauen auf die beglückende Anlehnung der Seele an einen geistig Ueberlegenen war erschüttert, und an die Stelle desselben war ein unbehaglich gewaltsames Ringen mit beunruhigenden trüben Vorahnungen getreten. Wann würden doch endlich die Tage der thätigen weiblichen Hingebung erscheinen, welche das Leben ihres Gatten kräftigen und ihrem eigenen Leben einen höheren Inhalt geben sollte? Nie vielleicht so, wie sie sich diese Tage gedacht hatte, aber doch, – doch würden sie sich, wenn auch nicht ganz in der erträumten Weise, einstellen. In dieser, mit feierlichem Gelübde von ihr eingegangenen Lebensverbindung würde ihr die Pflicht in einer neu begeisternden Gestalt entgegentreten, würde der Liebe des Weibes in ihren Augen eine neue Bedeutung verliehen werden.
Einstweilen aber lag draußen der Schnee unter einem, von trüben Nebeln verhüllten Himmel und lastete im Innern des Hauses beklemmend auf ihr die bedrückende Atmosphäre des Lebens einer vornehmen Frau, für die Alles geschah und deren Hülfe Niemand in Anspruch nahm, – dieses Lebens, bei welchem sie das Gefühl des bedeutungsvollen Zusammenhanges mit der Existenz vieler auf den verschiedensten Lebenswegen wandelnder Menschen zu ihrem Schmerz nur als eine innere Vision nähren durfte, statt daß ihr dieses Gefühl durch an sie gemachte Ansprüche, welche die Bethätigung ihrer Kräfte von ihr gefordert hätte, von außen entgegengebracht worden wäre.
»Was soll ich thun?«
»Was Du willst, liebes Kind!«
In diese Frage und diese Antwort faßte sich kurz die Geschichte ihres Lebens zusammen seit dem Augenblicke, wo sie aufgehört hatte, des Vormittags Lectionen zu nehmen und alberne Melodien auf dem verhaßten Clavier zu klimpern.
Die Ehe, welche ihr zu einer würdigen und von der Pflicht gebotenen Beschäftigung verhelfen sollte, hatte ihr bisher noch nicht die drückenden Fesseln der Freiheit einer vornehmen Frau abgenommen, ja sie hatte ihr nicht einmal die Freude gewährt, ihre Muße mit dem Schweigen in einer ungehemmten Zärtlichkeit auszufüllen. Ihr rasch pulsirendes jugendliches Leben fühlte sich wie in einem moralischen Gefängnisse, welches für sie mit der kalten, farblosen, eingeengten Landschaft, mit den eingeschrumpften Möbeln, den ungelesenen Büchern und dem Hirsch, der sie aus einer bleichen phantastischen Welt gespenstisch anstarrte, in eins verschmolz.
In den ersten Minuten, als Dorothea zum Fenster hinausschaute, fühlte sie nichts als den traurigen auf ihr lastenden Druck; dann aber durchfuhr sie plötzlich eine lebhafte Erinnerung, und sie verließ das Fenster, um im Zimmer auf- und abzugehen. Die Ideen und Hoffnungen, welche in ihr gelebt hatten, als sie vor nun fast drei Monaten dieses Zimmer zum ersten Male betreten hatte, waren jetzt nur noch Erinnerungen für sie; sie dachte an dieselben, wie wir an vor.übergehende und vergangene Dinge denken. Alles Leben schien ihr mit einem langsameren Pulse zu schlagen als ihr eigenes, und ihr Glaube war nur noch ein in der Einsamkeit verhallender Aufschrei, ein ängstliches Losringen aus den Umklammerungen eines Alps, bei welchem ihr die Sinne zu vergehen drohten.
Jeder Gegenstand im Zimmer, dessen sie sich von früher her erinnerte, war jetzt für sie wie entzaubert und starrte sie schaal und öde wie ein unbeleuchtetes Transparent an, bis ihre umherschweifenden Blicke auf die Gruppe von Miniaturbildern fiel. Hier endlich sah sie etwas, das neues Leben und neue Bedeutung für sie gewonnen hatte: es war das Miniaturportrait von Casaubon's Tante Julia, welche so unglücklich verheirathet gewesen war, der Großmutter Will Ladislaw's. Dorothea konnte sich vorstellen, daß dieses Bild jetzt lebe, – dieses feine Frauengesicht, welches gleichwohl etwas Starres im Blick, in seinem ganzen Ausdruck etwas Eigenthümliches, schwer zu Erklärendes hatte. War ihre Heirath nur ihrer Familie als ein Unglück erschienen? Oder war sie selbst zu der Erkenntniß gelangt, daß diese Heirath ein Fehlgriff gewesen sei, und hatte sie das bittere Salz ihrer Thränen in der barmherzigen Stille der Nacht gekostet?
Welche Fülle von inneren Erfahrungen glaubte Dorothea gemacht zu haben, seit sie zum ersten Male dieses Bild angesehen hatte. Es war ihr, als stände sie vor einem neuen Freunde, der ihr ein theilnehmendes Ohr leihen und sehen könnte, wie sie ihn betrachte. Hier sah sie eine Frau vor sich, welche mit Schwierigkeiten in ihrer Ehe zu kämpfen gehabt hatte. Aber siehe da, die Farben wurden satter, die Lippen und das Kinn schienen größer zu werden, aus Haar und Augen schienen Funken zu sprühen, das Gesicht gewann einen männlichen Ausdruck und schaute sie an mit jenem vollen strahlenden Blick, welcher derjenigen, auf die er fällt sagt, daß sie eine zu interessante Erscheinung sei, als daß die kleinste Bewegung ihres Augenlides unbemerkt oder unverstanden bleiben könne.
Diese lebendige Vorstellung wirkte an Dorothea wie eine angenehme Wärme; sie fühlte, daß sie lächle, und als sie sich von dem Miniaturbild zurücktretend niedersetzte, blickte sie auf, als ob sie wieder mit einer vor ihr stehenden Gestalt rede. Aber das Lächeln schwand, als sie weiter nachdachte, und endlich sagte sie laut:
»O es war grausam, so zu reden! Wie traurig – wie schrecklich!«
Sie stand rasch auf, ging zum Zimmer hinaus und eilte über den Korridor, von einem unwiderstehlichen Drange getrieben, ihren Gatten aufzusuchen und ihn zu fragen, ob sie irgend etwas für ihn thun könne. Vielleicht daß Herr Tucker schon wieder fort und Herr Casaubon allein in der Bibliothek war. Ihr war, als müßten all' die finsteren Morgengedanken von ihr weichen, wenn sie die Ueberzeugung gewinnen könnte, daß ihre Anwesenheit ihren Gatten froh stimme.
Als sie aber an die zur Bibliothek hinabführende große Treppe von dunklem Eichenholze gelangte, kam ihr Celia auf der Treppe entgegen, und am Fuße derselben stand Herr Brooke und tauschte mit Herrn Casaubon Begrüßung und Glückwunsch aus.
»Dodo!« rief Celia in ihrem ruhigen Staccato, küßte ihre Schwester, welche ihre Arme um sie schlang, und sagte nichts weiter. Ich glaube, Beide vergossen einige verstohlene Thränen, dann aber eilte Dorothea rasch die Treppe hinab, um ihren Onkel zu begrüßen.
»Ich brauche Dich nicht zu fragen, wie es Dir geht,« sagte Herr Brooke, nachdem er sie auf die Stirn geküßt hatte. »Rom ist Dir gut bekommen, wie ich sehe – Glückseligkeit, die Antiken, die Fresken – und was da hingehört. Nun, es ist schön, daß Ihr wieder da seid, und Du bist jetzt wohl eine Kunstkennerin geworden, wie? Aber Casaubon sieht ein bischen blaß aus – ich sag' es ihm eben – ein bischen blaß, weißt Du. Während seiner Ferien so arbeiten heißt die Sache ein wenig zu weit treiben. Ich habe mich auch einmal überarbeitet« – Herr Brooke hielt noch immer Dorotheen's Hand in der seinigen, hatte aber jetzt sein Gesicht Herrn Casaubon zugewandt – »mit Studien über Topographie, Ruinen, Tempel – ich glaubte einen Schlüssel gefunden zu haben; aber ich sah, daß es mich zu weit führen und doch nichts danach kommen würde. Man kann in diese Art von Dingen so weit vordringen, wie man will, und doch zu nichts kommen.«
Auch Dorothea sah etwas ängstlich zu ihrem Gatten auf in der Besorgniß, daß Andere, die ihn nach längerer Abwesenheit wiedersahen, Symptome in seinem Aussehen finden möchten, welche ihr entgangen seien.
»Nichts, was Dich beunruhigen könnte, liebes Kind,« sagte Herr Brooke, der den Ausdruck ihres Gesichts beobachtete. »Ein wenig englisches Roastbeaf und Hammelfleisch wird der Sache bald abhelfen. Die blasse Gesichtsfarbe paßte ja ganz gut, als Casaubon für den Kopf des Thomas von Aquino saß, Du weißt – wir bekamen Deinen Brief grade zu rechter Zeit. Aber der Thomas von Aquino war doch gar zu subtil, nicht wahr? Wer liest wohl jetzt noch den Thomas von Aquino!«
»Er ist in der That kein Autor für oberflächliche Geister,« sagte Herr Casaubon, der diese so bald an ihn gerichteten Fragen mit würdiger Geduld über sich ergehen ließ.
»Willst Du den Kaffee auf Deinem Zimmer nehmen, Onkel?« fragte Dorothea, indem sie ihrem Gatten zu Hülfe kam.
»Ja, und Du mußt zu Celien gehen; sie hat Dir große Neuigkeiten mitzutheilen weißt Du. Ich überlasse ihr Alles.«
Das blaugrüne Boudoir sah viel heiterer aus, als Celia dort in einem dem ihrer Schwester ganz gleichen Ueberwurfe saß und die Cameen mit stillem Vergnügen in Augenschein nahm, während die Unterhaltung auf andere Gegenstände überging.
»Findest Du es angenehm, auf einer Hochzeitsreise nach Rom zu gehen?« fragte Celia mit dem raschen zarten Erröthen, welches Dorothea bei den geringfügigsten Veranlassungen an ihr gewohnt war.
»Rom wäre nicht die rechte Stadt für Alle, z. B. nicht für Dich, liebe Celia,« antwortete Dorothea ruhig. Was sie über ihre Hochzeitsreise nach Rom dachte, sollte nie Jemand erfahren.
»Frau Cadwallader sagt, es sei ein Unsinn, daß junge Eheleute eine lange Hochzeitsreise machen. Sie sagt, sie langweilen sich gegenseitig zu Tode und können sich nicht so bequem zanken wie zu Hause. Und Lady Chettam sagt, sie seien nach Bath gegangen.«
Celia wechselte wiederholt rasch die Farbe. Das mußte mehr zu bedeuten haben als Celien's gewöhnliches Erröthen.
»Celia, hat sich etwas ereignet?« fragte Dorothea in einem Tone voll schwesterlicher Theilnahme. »Hast Du mir wirklich eine große Neuigkeit mitzutheilen?«
»Es kam, weil Du fort warst, Dodo. Es war nun Niemand da außer mir, mit dem Sir James hätte sprechen können,« sagte Celia mit einem schelmischen Ausdruck im Auge.
»Ich verstehe Dich. Es ist gekommen, wie ich es immer gehofft und geglaubt habe,« sagte Dorothea, indem sie Celien's Gesicht zwischen ihre Hände nahm und sie mit einem halb ängstlichen Blicke ansah. Die Verheirathung ihrer Schwester erschien ihr in diesem Augenblicke ernster, als es früher der Fall gewesen war.
»Es ist erst drei Tage her,« sagte Celia, »und Lady Chettam ist sehr liebenswürdig.«
»Und Du bist sehr glücklich?«
»Ja. Wir werden noch nicht gleich heirathen, weil erst Alles eingerichtet werden soll. Und ich möchte mich auch gar nicht so rasch verheirathen, weil ich es hübsch finde verlobt zu sein – und verheirathet bleibt man ja nachher sein Lebelang!«
»Ich glaube, Du könntest Dich nicht passender verheirathen, Celia. Sir James ist ein braver ehrenwerther Mann,« sagte Dorothea mit Wärme.
»Er hat mit dem Bau der Arbeiterhäuser fortfahren lassen, Dodo. Er wird Dir davon erzählen, wenn er herkommt. Wirst Du Dich freuen ihn zu sehen?«
»Gewiß werde ich mich freuen. Wie kannst Du mich das fragen?«
»Ich war nur bange, Du möchtest so schrecklich gelehrt geworden sein,« sagte Celia, welche Casaubon's Gelehrsamkeit wie eine Art von Feuchtigkeit betrachtete, die Alles, was längere Zeit mit derselben in Berührung käme, durchdringen müßte.