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Das Motto zu Kapitel 41 (in dieser Übersetzung Band 2, Kapitel 19):
By swaggering could I never thrive,
For the rain it raineth every day.
Shakespeare: Twelfth Night
Die von Caleb Garth erwähnten Verhandlungen zwischen Herrn Bulstrode und Herrn Josua Rigg Featherstone in Betreff der zu Stone Court gehörigen Ländereien hatten den Austausch einiger Briefe zwischen diesen beiden Herren veranlaßt.
Wer kann sagen, welche Wirkung ein geschriebenes Wort üben wird? Ist es zufällig in Stein geschnitten, so kann es – wenn es auch Jahrhunderte lang an einer verlassenen Küste vergraben gelegen oder ›das Trommelgewirbel und die Fußtritte vieler Eroberer ruhig hat über sich hinweg schreiten lassen‹ Das Zitat lautet im Original: »rest quietly under the drums and tramplings of many conquests«; es variiert eine Passage aus »Hydriotaphia« (1658) von dem englischen Philosophen und Dichter Thomas Browne (1605-82); dort lautet die Stelle » quietly rested under the drums and tramplings of three conquests«. – Anm.d.Hrsg. – schließlich dazu führen, uns in das Geheimniß der Usurpationen und anderer in lang versunkenen Reichen dem Klatsch des Tages zur Nahrung dienender Ereignisse einzuweihen. Ist doch die Welt nur eine einzige riesige Flüstergallerie!
Aber auch in der dürftigen Spanne Zeit, die unser kleines Leben ausfüllt, tritt uns ein solcher Gang der Dinge seinem ganzen Verlaufe nach klar vor die Augen. Wie der Stein, welchen ganze Geschlechter unwissender Tölpel mit Füßen getreten haben, durch sonderbare Verknüpfungen kleiner Umstände unter die Augen eines Gelehrten gerathen und durch dessen angestrengte Studien vielleicht dazu führen kann, das Datum uralter Invasionen und die Entstehungszeit neu aufgeschlossener Religionen festzustellen, so kann ein Stückchen beschriebenes Papier, welches lange einen unschuldigen Dienst, sei es etwas einzuwickeln, sei es ein Loch zu verstopfen, geleistet hat, endlich unter das einzige Augenpaar kommen, das vermöge seiner Kunde im Stande ist, dieses Papier zur Herbeiführung einer Katastrophe zu verwenden. Dem Ariel, der von der Sonne auf die Planeten überschaut, würde das eine Ereigniß so zufällig erscheinen wie das andere.
Nachdem ich diesen vornehmen Vergleich angestellt habe, macht es mich weniger verlegen, die Aufmerksamkeit, des Lesers auf ›geringe Leute‹ zu lenken, deren Einmischung, so wenig es uns auch gefallen mag, doch von großem Einfluß auf den Lauf der Welt ist. Es wäre gewiß gut, wenn wir ihre Zahl verringern könnten, und vielleicht ließe sich dadurch etwas dazu thun, daß wir nicht zu leicht Veranlassung zu ihrer Existenz gäben.
Vom Standpunkte der bürgerlichen Gesellschaft aus würde Josua Rigg allgemein für etwas Ueberschüssiges erklärt worden sein. Aber gerade diejenigen, welche wie Peter Featherstone niemals um ein zweites Exemplar ihrer selbst gebeten worden sind, warten am wenigsten darauf, daß eine solche Bitte in Prosa oder in Versen an sie gerichtet werde. Im vorliegenden Falle hatte das zweite Exemplar im Aeußern mehr Aehnlichkeit mit seiner Mutter, in deren Geschlecht froschähnliche Züge, wenn sie von frischen Wangen und einer wohlgerundeten Gestalt begleitet sind, einen großen Reiz auf eine gewisse Klasse von Bewunderern zu üben im Stande sind. Das Ergebniß dieser Bewunderung ist bisweilen ein mit einem Froschgesichte ausgestattetes männliches Individuum, welches dann gewiß keiner Klasse intelligenter Wesen wünschenswerth erscheint, am wenigsten wenn es durch sein Erscheinen plötzlich die Erwartungen anderer Leute vereitelt, – sicherlich der unvortheilhafteste Gesichtspunkt, unter welchem ein ›gesellschaftlicher Ueberschuß‹ sich präsentiren kann.
Aber die zur Charakteristik der untergeordneten Persönlichkeit des Herrn Rigg Featherstone dienenden Züge lassen uns in ihm einen mäßigen, dem Genuß des Wassers ergebenen Mann erkennen. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend war er jederzeit so glatt, sauber und kalt wie der Frosch, dem er ähnlich sah, und der alte Peter pflegte im Geheimen vergnüglich über diesen Sprößling zu kichern, der beinahe noch berechnender und unerschütterlicher in seiner Ruhe war als er selbst. Ich darf nicht zu erwähnen vergessen, daß die Nägel an seinen Händen sorgfältig gepflegt waren und daß er sich mit der Absicht trug, eine noch nicht genauer bestimmte, aber wohlerzogene junge Dame von stattlichem Aeußern und von guter bürgerlicher Familie zu heirathen.
So war er in Betreff seiner Nägel und der Bescheidenheit seiner Ansprüche den meisten Herren vergleichbar, obgleich ihm für seinen Ehrgeiz bisher noch keine andere Bahnen geboten waren als die eines Commis und Buchhalters in den kleinen Geschäftshäusern eines Seehafens. Er hielt dafür, daß die auf dem Lande lebenden Featherstones einfältige, alberne Menschen seien, und diese wiederum betrachteten seine ›Erziehung in einem Seehafen‹ als eine Steigerung der Ungeheuerlichkeit, die darin liege, daß ihr Bruder Peter und noch mehr, daß Peter's Vermögen mit dergleichen etwas zu thun habe.
Der Garten und der Kiesweg, wie man sie aus den beiden Fenstern des getäfelten Wohnzimmers in Stone Court sah, waren nie besser gehalten gewesen als in diesem Augenblick, wo Herr Rigg Featherstone, die Hände auf dem Rücken, am Fenster stand und als Herr dieser Ländereien auf dieselben hinausblickte. Es konnte aber zweifelhaft scheinen, ob er hinausblicke, weil er im Anschauen versunken war, oder vielleicht nur, um einer Person den Rücken zuzukehren, welche mit gespreizten Beinen, die Hände in den Hosentaschen, in der Mitte des Zimmers stand und in Allem das gerade Gegenbild des glatten kalten Rigg darbot. Es war ein ersichtlich nahezu sechzigjähriger Mann von sehr blühendem Aussehen und üppigem Haarwuchs, mit einem buschigen Backenbart und dickem krausem Kopfhaar, das schon stark ins Graue spielte, einem wohlbeleibten Körper, welcher die schon etwas durchsichtig gewordenen Nähte seiner abgetragenen Kleider in unvortheilhaftem Lichte erscheinen ließ, und dem Ausdruck eines Schwätzers, der sich selbst bei einem Feuerwerk bemerklich zu machen suchen würde, in der Meinung, daß seine Glossen über die Production einer andern Person interessanter seien als diese Production selbst.
So waren die Erscheinung und das geistige Aroma von John Raffles und beides schien etwas von dem abgestandenen Geruch der Gastzimmer in den von Kaufleuten frequentirten Hotels jener Zeit an sich zu haben.
»Komm, Josh,« sagte er mit einer vollen, rasselnden Stimme, »sieh die Sache doch einmal so an. Deine arme Mutter wird alt, und Du könntest wohl etwas für sie thun, ihr das Leben ein bischen behaglich zu machen.«
»Solange Ihr lebt, nicht. Denn so lange könnte sie doch nicht behaglich leben,« erwiderte Rigg mit seiner kalten hohen Stimme. »Ihr würdet ihr doch Alles, was ich ihr gäbe, wegnehmen.«
»Du hast was gegen mich, Josh, das weiß ich. Aber komm, laß uns einmal wie Männer ohne Umschweif mit einander reden – ein kleines Kapital würde mich in den Stand setzen, etwas ganz Famoses aus dem Laden zu machen. Der Tabackshandel wird gerade jetzt rentabel. Ich würde ja mir selbst den größten Schaden thun, wenn ich nicht so viel wie möglich daraus machte. Ich würde mich um meiner selbst willen in dem Laden so festsetzen wie eine Fliege auf einem Pferde, ich würde immer auf dem Platze sein. Und nichts könnte Deiner armen Mutter mehr Freude machen. Ich habe mir nun die Hörner so ziemlich abgelaufen, ich bin fünf und fünfzig geworden, es verlangt mich jetzt danach, mir ein ruhiges Plätzchen am Kamin zu sichern, und wenn ich mich einmal ordentlich auf den Tabackshandel legen wollte, würde ich so viel Einsicht und Erfahrung dazu mitbringen, wie man sie nicht so leicht bei einem Andern finden würde. Ich möchte Dich nicht immer wieder von Neuem plagen, sondern die Sache ein für allemal mit Dir in Ordnung bringen. Ueberleg' Dir das 'mal, Josh, sieh die Sache an wie ein Geschäft zwischen zwei Männern, mit dem Du Deine arme Mutter für ihr Leben behaglich machst. Ich habe die Alte bei Gott immer lieb gehabt.«
»Seid Ihr fertig?« fragte Rigg ruhig, ohne den Blick vom Fenster wegzuwenden.
»Ja, ich bin fertig,« antwortete Raffles, indem er nach seinem vor ihm auf dem Tische stehenden Hute griff und denselben, wie um den oratorischen Effect seiner Schlußworte zu erhöhen, von der Stelle schob.
»Dann hört mich einmal an. Je öfter Ihr etwas wiederholt, desto weniger glaube ich es. Je mehr Ihr wünscht, daß ich etwas thue, desto mehr Grund werde ich zu haben glauben, es nie zu thun. Denkt Ihr, ich habe es vergessen, wie Ihr mich als Jungen geknufft und mir und meiner Mutter die besten Bissen vor dem Munde weggeschnappt habt? Denkt Ihr, ich habe es vergessen, wie Ihr immer nach Hause gekommen seid, um Alles wegzuholen und zu verkaufen, und dann wieder davon gegangen seid und uns im Elend zurückgelassen habt?Es würde mir das größte Vergnügen machen, wenn ich sehen könnte, wie Ihr ausgepeitscht würdet. Meine Mutter war eine Närrin, daß sie Euch nahm. Sie hatte gar kein Recht, mir einen Stiefvater zu geben, und sie hat ihre gehörige Strafe dafür bekommen, Sie soll ihr Wochengeld nach wie vor ausgezahlt erhalten, aber nicht mehr und auch das soll vorbei sein, wenn Ihr es wagt, noch einmal dieses Haus zu betreten oder mir wieder in diese Gegend nachzulaufen. Das nächste Mal, das Ihr Euch hier auf dem Hofe wieder blicken laßt, sollt Ihr mit Hunden gehetzt und mit einer guten Fuhrmannspeitsche hinausgejagt werden.«
Bei diesen letzten Worten drehte sich Rigg um und sah Raffles mit seinen eiskalten Augen an. Der Contrast dieser beiden Gestalten war noch gerade so frappant wie vor achtzehn Jahren, wo Rigg ein höchst unliebenswürdiger zu Püffen einladender Junge und Raffles der etwas untersetzte Adonis der Schänkstuben gewesen war. Aber der Vortheil war jetzt ganz auf Rigg's Seite, und wer die Unterhaltung der Beiden mit angehört hätte, würde wahrscheinlich erwartet haben, daß Raffles sich mit der Miene eines mißhandelten Hundes zurückziehen werde. Aber keineswegs. Er machte eine Grimasse, wie er es zu thun pflegte, wenn er in einem Spiele verloren hatte, fing dann an zu lachen und zog eine Branntweinflasche aus seiner Tasche.
»Komm, Josh,« sagte er in einem schmeichelnden Tone, »gieb mir einen Löffel voll Branntwein und einen Sovereign, um mir den Rückweg zu bezahlen, und ich will gehen. Parole d'honneur! Ich will laufen wie eine abgeschossene Kugel, bei Gott, das will ich!«
»Laßt's Euch gesagt sein,« sagte Rigg, indem er ein Schlüsselbund aus der Tasche zog, »wenn Ihr Euch je wieder hier blicken lasset, so spreche ich nicht mit Euch. Ich erkenne Euch nicht mehr an, als wenn Ihr eine Kröte wäret, und wenn Ihr Euch untersteht, auf unser verwandtschaftliches Verhältniß zu pochen, so wird Euch das zu nichts helfen, als daß ich Euch nenne, was Ihr seid: einen tückischen unverschämten prahlerischen Spitzbuben.«
»Es ist wahrhaftig Schade,« sagte Raffles, indem er sich mit Affectation den Kopf kratzte und die Augbrauen in die Höhe zog, als ob er sich in die Enge getrieben fühle. »Ich habe Dich sehr lieb, bei Gott, sehr lieb! Ich mag nichts so gern als Dich plagen, Du siehst Deiner Mutter so ähnlich, und nun soll ich mich ohne das behelfen. Aber den Branntwein und den Sovereign bekomme ich.«
Er gab der Flasche einen Ruck nach vorwärts und Rigg trat mit seinen Schlüsseln an einen schönen Schreibsekretär von Eichenholz. Aber Raffles hatte sich beim Fortrücken der Flasche wieder erinnert, daß dieselbe bedenklich lose in ihrem Lederüberzug sitze, und nahm daher ein vor dem Kamin liegendes zusammengefaltetes Stückchen Papier, welches ihm gerade in die Augen fiel, vom Boden auf und schob es zwischen den Lederüberzug und die Flasche, um die letztere dadurch wieder zu befestigen.
In diesem Augenblick kam Rigg mit der Branntweinbouteille, füllte die Flasche und gab Raffles einen Sovereign, ohne ihn anzusehen oder ein Wort mit ihm zu reden. Nachdem er den Sekretär verschlossen hatte, trat er wieder ans Fenster und starrte so unbeweglich hinaus, wie er es beim Beginn der Unterhaltung gethan hatte, während Raffles einen kleinen Zug aus der Flasche that, dieselbe dann wieder schloß und mit impertinenter Langsamkeit und einer Grimasse hinter dem Rücken seines Stiefsohns in die Seitentasche schob.
»Lebe wohl, Josh – und sollte es auch auf immer sein,« sagte Raffles, indem er beim Oeffnen der Thür den Kopf noch einmal umdrehte.
Rigg sah, wie Raffles den Vorgarten verließ und auf den Landweg hinaustrat. Das trübe Wetter hatte sich zu einem leichten rieselnden Regen gesteigert, welcher die Hecken und den Rasenrand der Landwege erfrischte und die Feldarbeiter, welche eben die letzten Garben aufluden, zur Eile antrieb.
Raffles, der mit der Unbehaglichkeit eines zu einem Gange auf's Land genöthigten Flaneurs einherschritt, paßte in seiner ganzen Erscheinung so schlecht zu dieser Scene feuchter ländlicher Ruhe und emsigen Fleißes, wie wenn er ein aus einer Menagerie entlaufener Pavian gewesen wäre. Aber da war Niemand ihn anzusehen als die jungen Kühe und Niemand, der ein Mißfallen über seine Erscheinung hätte äußern können als die kleinen Wasserratten, die bei seiner Annäherung forthuschten.
Zu seinem Glück wurde er, als er auf die Landstraße kam, von einem Postwagen überholt, der ihn nach Brassing brachte, von wo er die kürzlich fertiggewordene Eisenbahn benutzte, auf der er gegen seine Mitreisenden die Bemerkung machte, daß er dieselbe jetzt, nachdem sie an Huskisson ihr Müthchen gekühlt habe, als ziemlich sicher betrachte. Herr Raffles blieb sich bei den meisten Gelegenheiten mit Stolz bewußt, daß er eine gelehrte Erziehung genossen habe und noch jetzt im Stande sei, sich, wenn er Lust habe, überall geltend zu machen; in der That gab es keinen Menschen, den er sich nicht, – im Vertrauen auf die Unterhaltung, die er damit den Uebrigen gewährte –, lächerlich zu machen und zu plagen getraut hätte.
Er spielte diese Rolle auch jetzt mit so gutem Humor, als ob seine Reise vorn besten Erfolge gekrönt gewesen wäre, und sprach dabei häufig seiner Flasche zu. Das Stück Papier, mit welchem er diese Flasche befestigt hatte, enthielt ein Nicholas Bulstrode unterzeichnetes Schreiben; es war aber wenig wahrscheinlich, daß Raffles dasselbe seiner gegenwärtigen nützlichen Verwendung wieder entziehen werde.