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VIII.

Hier folgen Auszüge aus dem Polizeirapport über die Aussagen des verhafteten Knud Aage Hansen: in der Hauptsache bestehen seine Aussagen darin, daß er sich mitschuldig bekennt an dem Einbruch im Leihamt in der Nacht zum 13. Juli. Und ferner, daß er standhaft leugnet, an dem Mord an Baron Milde in der Nacht zum 30. Juli beteiligt gewesen zu sein.

Nach Aussage des Verhafteten aber besteht eine bestimmte Verbindung zwischen diesen beiden Ereignissen.

Der Verhaftete hat einige Tage vor dem Einbruch (er erinnert sich des Tages nicht mehr genau) in der Wirtschaft »Rydbergs Keller« einen Mann kennengelernt, mit Namen Helmer Stamsund, der Norwegisch sprach und behauptete, aus Frankreich zu kommen, wo er in der amerikanischen Armee gekämpft hatte. Der Verhaftete beschreibt ihn folgendermaßen: ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, ziemlich muskulös, in einem blauen Jackettanzug, dunkles Haar, das sich an den Ohren lockt, einen kleinen, dunklen, gestutzten Schnurrbart, – und auf der linken Backe eine zentimeterlange Narbe von einem Streifschuß.

(Hier fügt die Polizei im Rapport hinzu: Es ist tatsächlich festgestellt worden, daß eine solche Person existiert. Man hat diesen Menschen mehrfach in den kleineren Wirtschaften der Stadt gesehen und immer allein. Der Kellner in »Rydbergs Keller« aber entsinnt sich, daß er ihn mehrere Male in eifrigem Gespräch mit dem Verhafteten gesehen hat. Der Fremde sprach Norwegisch oder Schwedisch, mit ausgeprägt englischem Akzent. Offenbar ist die Aussage des Verhafteten über diesen Mann richtig.)

Weiter sagt der Arrestant Hansen aus: Der Fremde habe einen starken, fast hypnotischen Eindruck auf ihn gemacht. Er habe ihm erzählt, daß er drüben in Amerika erst Trainer, dann Goldgräber und dann Chauffeur bei einer großen Automobilfirma gewesen sei. Als solcher habe er mehrere Preise bei Autowettfahrten gewonnen. Darauf sei er mit in den Krieg gegangen und verwundet worden. Der Verhaftete Hansen, der sehr lockere moralische Begriffe hat, hat Hang zu romantischen Vorstellungen und Vorliebe für Personen, die mit abenteuerlichen Erlebnissen prahlen. Er bewunderte den Amerikaner, der offenbar wie ein Romanheld auftrat. Der Verhaftete Hansen hat in seiner Jugend Abenteuerromane verschlungen und sich nach seiner eigenen Aussage von Eigenschaften des Amerikaners, wie sie in diesen Romanen vorkommen, bestricken lassen: Der Amerikaner war stark und im Handgemenge gewandt, was er bei einem nächtlichen Zusammenstoß mit einigen Strolchen bewiesen hatte. (Hierzu bemerkt die Polizei im Rapport: In der bezeichneten Nacht wurden drei bekannte Raufbolde von der patrouillierenden Polizei auf der Straße aufgefunden, halb besinnungslos und schlimm zugerichtet. Sie konnten nichts aussagen, als daß sie mit einem Boxer aneinandergeraten wären, den sie nicht kannten, dem sie es aber »heimzahlen« wollten, wenn sie ihn mal wieder träfen.)

Außerdem war Helmer Stamsund ein sehr flotter Hasardspieler, der mit Geld um sich warf, ob er gewann oder verlor. In der Regel aber gewann er. Er konnte beim Trinken ungeheuer viel vertragen. Gegen andere Leute war er befehlshaberisch und hart, und wenn er sich etwas vorgenommen hatte, setzte er es auch rücksichtslos durch. Mehrere seiner Einfälle hatten viel Geld gekostet, was ihn nicht im geringsten genierte. Seine Sprachkenntnisse waren umfassend. Der Verhaftete hatte gesehen, daß er französische und russische Zeitungen las, und eines Abends am Hafen hatte er ihn mit neapolitanischen Seeleuten fließend Italienisch sprechen hören.

Hauptsächlich aber hatte das Geheimnisvolle, womit der Amerikaner sich umgab, auf den abenteuerlustigen Hansen Eindruck gemacht. Er ahnte nicht, wo der Mann wohnte, aus zufälligen Bemerkungen aber meinte er schließen zu können, daß der Mann hin und wieder in den feinsten Hotels und dann wieder in bescheidenen Spelunken der Seitenstraße Quartier nahm. Der Amerikaner pflegte plötzlich aufzutauchen und ebenso plötzlich wieder zu verschwinden. Das Erstaunlichste war, daß er eine Kenntnis von den Verhältnissen der Stadt besaß, die für einen Fremden ungewöhnlich war.

Der Verhaftete war sich bald darüber klar, daß Helmer Stamsund ein Gesetzesübertreter großen Stiles sei, ein internationaler Verbrechertyp, für den er schwärmte. Als Stamsund ihm darum den Einbruch im Leihamt vorschlug, setzte ihn dies nicht in Erstaunen, eher fühlte er sich geschmeichelt, daß dieser große Mann ihn zu solchem Unternehmen heranzog.

Und die Art und Weise, wie der Einbruch und der Diebstahl ausgeführt wurden, erhöhten noch seine Bewunderung. (Hier schiebt die Polizei ein, daß man sich von vornherein darüber klar gewesen sei, daß der Einbruch im Leihamt mit glänzender Technik durchgeführt worden war; das Verbrechen war fast elegant ausgeführt, mit so einfachen und vollendeten Hilfsmitteln, wie nur der hochentwickelte, internationale Verbrecher sie kennt.) Und die Bewunderung des Arrestanten für seinen Meister wuchs noch mehr, als die Beute verteilt werden sollte und der Amerikaner fast nichts für sich behielt. Die meisten gestohlenen Gegenstände, Uhren, Schmucksachen und andere Wertgegenstände warf er dem Arrestanten zu und bekümmerte sich nicht weiter darum. Unter den Sachen befand sich auch der Revolver mit der eingelegten silbernen Platte.

Der Arrestant hatte so weit wie möglich nach dem Gedächtnis angegeben, wo er die gestohlenen Gegenstände versteckt oder verkauft hatte, und die Polizei hatte alles bis auf weniges gefunden. Dagegen vermißte die Polizei Aufschluß über einige Dinge, und man nahm an, daß diese sich im Besitz des Amerikaners befanden. Nach Schätzung des Pfandverleihers aber hatte keiner dieser Gegenstände einen besonderen Wert. So weit waren die Aussagen des Verhafteten bekräftigt worden.

Was den Revolver betrifft, so berichtete der Verhaftete folgendes: Eines Abends hatte er in einem Tanzlokal mehr getrunken, als er vertragen konnte, und in Gesellschaft von Fräulein Katrine (Havanna-Katrine) und einigen anderen Damen mit dem Revolver geprahlt. Einige Stunden später hatte er den Amerikaner in »Rydbergs Keller« getroffen. Merkwürdigerweise war der Amerikaner über den Auftritt im Tanzlokal unterrichtet gewesen, obgleich der Arrestant darauf schwören konnte, daß er gar nicht anwesend gewesen war. Der Amerikaner hatte zu ihm gesagt: »Du bist ein dummer Junge, daß du mit dem Revolver prahlst, den jeder wiedererkennen kann. Damit legst du uns noch herein. Gib mir den Revolver.« Und er hatte ihn ihm gegeben. Das war zwei Tage vor dem Ereignis in Mildes Wohnung gewesen.

Den Plan zu dem Einbruch in Mildes Wohnung hatte der Amerikaner auch entworfen. Der Verhaftete hatte nicht die geringsten Bedenken gehabt, seinen Befehlen zu gehorchen, denn er fühlte sich vollkommen in der Gewalt des Stärkeren. Anscheinend war der Amerikaner ganz mit den Verhältnissen des Baron von Milde vertraut. Der Arrestant hatte den Eindruck, als ob der Amerikaner auch hier in der Stadt mit einer Automobilfirma in Verbindung stand. Eines Abends war er zu ihm gekommen und hatte gesagt: »Ich kenne einen reichen Mann, der vom Lande gekommen ist, um in Kopenhagen ein Auto zu kaufen.« Er meinte Baron von Milde. Er beschrieb genau, wie Milde wohnte. Auch berichtete er, daß Milde bereits am nächsten Tage mit dem Auto nach Hause fahren wollte und darum die Kaufsumme bei sich liegen habe. Darauf hatte der Amerikaner ihm die falschen Schlüssel zu der kleinen Pforte in der Mauer und zu der Verandatür gegeben und ihm genau Bescheid gesagt, was er zu tun habe. Der Verhaftete war abends um halb elf Uhr an seine Arbeit gegangen. Keinen Augenblick war es ihm eingefallen, daß etwas anderes als ein gewöhnlicher Diebstahl vor sich gehen sollte. Denn auf eine Affäre, wo es möglicherweise um ein Menschenleben ging, hätte er sich nie eingelassen. Die beiden Verbrecher hatten verabredet, daß sie sich nach vollbrachter Tat um ein Uhr in der Nacht treffen wollten.

Hier folgt im Rapport der Bericht des Arrestanten über sein lähmendes Entsetzen, als er in das Arbeitszimmer kam und den Toten im Stuhl sitzen sah, über seine Flucht von dem unheimlichen Ort, und wie er sich in darauffolgenden Tagen ruhelos herumgetrieben habe. Der Amerikaner war nicht an der verabredeten Stelle gewesen, und er hatte ihn auch später nirgends mehr getroffen. Es war die bestimmte Meinung des Verhafteten, daß der Amerikaner der Mörder sei, da man den Revolver neben dem Toten gefunden hatte.

Die Kriminalpolizei hatte diesem Rapport einige Bemerkungen hinzugefügt. So war z. B. festgestellt worden, daß kein Automobilgeschäft der Stadt je einen Mann von dem Aeußeren des Amerikaners zu Gesicht bekommen. Ebensowenig hatte Baron von Milde irgendwo ein Auto bestellt, was auch in vollkommenem Widerspruch zu Mildes bekanntem Abscheu vor diesem modernen, lärmenden Fahrzeug gestanden haben würde.

Die Polizei kam zu dem Schluß, daß man hier vor einem Gemisch von Wahrheit und Lüge stünde, einem bekannten Phänomen in der Kriminalgeschichte: Ein Verbrecher sucht, indem er ein kleineres Verbrechen eingesteht, sich vor einem größeren und gefährlicheren, das er auch begangen hat, zu retten.

*

Professor Sune Arvidson aber, der den Polizeibericht wohl schon zum zehntenmal in seinem Studierzimmer durchgelesen hatte, sagte sich selbst: Ich glaube jedes Wort, das der Bursche ausgesagt hat. Diese verfluchten fünftausend englischen Pfund lassen mir keine Ruhe. Was hat Milde damit gewollt?


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