Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXVII.

Der Anblick des einsamen Menschen in dem mondbeschienenen Fenster war so unerwartet und seltsam, daß die drei Beobachter wie gelähmt standen. In dem gespensterhaften Licht erschien die Gestalt weiß wie aus Marmor.

Schließlich sagte der Förster flüsternd:

»Es ist ein älterer Mann. Ich kann jetzt auch die Kleidung unterscheiden.«

»Ich auch,« sagte der Professor, »hat er nicht einen langen Mantel an?«

»Ich glaube wohl. Kannst du sein Gesicht erkennen?«

»Nein, er scheint mit gesenktem Kopf dazustehen. Sein Kopf ist hell, fast weiß. Es muß ein sehr alter Mann sein. Kennen Sie ihn, Christensen?«

Der Verwalter aber schüttelte nur stumm den Kopf.

»Können Sie sich denken, wer es ist?«

Alle drei waren kluge und ernste Männer, ohne den geringsten Hang zu abergläubischen Vorstellungen. Und dennoch sprachen sie mit sonderbaren Gefühlen von dem alten Mann dort oben am Fenster. War es doch, als ob er in dem hellbeleuchteten Fensterrahmen wie eine Gestalt aus einer geheimnisvollen Welt hervortrat, die niemand kannte.

Nach einer Weile sagte Arvidson: »Er hält etwas in den Armen.«

Die anderen antworteten nicht gleich, betrachteten das Phänomen aber mit angestrengter Aufmerksamkeit.

Plötzlich war es, als ob die Gestalt dort oben sich bewegte.

»Der Mann lebt ja,« sagte Christensen unwillkürlich.

»Natürlich lebt er,« antwortete der Professor, »was aber hält er in den Armen?«

»Ein Buch,« meinte der Förster zögernd.

»Ein Buch ... richtig, ein großes Buch,« sagte der Professor. »Wenn der Mond nicht so stark schiene, könnten wir das Ganze besser erkennen. Aber sehen Sie nur die Bewegung, die er macht. Er blättert in dem Buch.«

»Es ist ganz klar, was der Mensch dort oben macht,« rief der Förster mit Ueberzeugung, »er ist ans Fenster getreten, um beim Licht des Mondes besser in dem Buch lesen zu können. Jetzt scheint er gefunden zu haben, was er suchte. Sehen Sie nur, wie aufmerksam er liest. Jetzt steht er hart vor der Scheibe, seine Linien sind ganz deutlich sichtbar. Ich bin überzeugt, daß ich ihn wiedererkennen würde, wenn er den Kopf nur einen Augenblick heben wollte.«

»Wiedererkennen,« sagte der Professor erstaunt, »bist du denn sicher, daß du ihn schon mal gesehen hast?«

Der Förster antwortete nicht. Alle drei betrachteten jetzt schweigend die Gestalt, bis sie wieder undeutlicher wurde und dann verschwand. Es war, als ob sie in die Fensterscheibe glitte und wie ein Geisterhauch darin verginge – nur das Fenster blieb übrig, leer und leuchtend wie eine Platte aus Porzellan.

Die drei Männer sahen sich fragend an.

»Hatten wir dies erwartet?« bemerkte der Förster nachdenklich.

»Nein, eigentlich nicht,« antwortete der Professor.

Der Förster sah nach der Uhr.

»Die Uhr ist bald eins,« sagte er, und zum Verwalter gewandt, fügte er hinzu: »Um welche Zeit sahen Sie gestern abend in den Fenstern Licht?«

»Ziemlich um dieselbe Zeit.«

»Es ist sicher derselbe Mensch, der auch gestern hier gewesen ist. Können Sie sich erklären, wie er auf den Hof gelangt ist?«

»Das ist mir unbegreiflich.«

»Sie haben selbst nachgesehen, daß heute abend alles verschlossen und verriegelt war, Christensen?«

»Das haben Sie ja selbst besorgt, Södring,« antwortete der Verwalter. »Außerdem aber habe auch ich mich davon überzeugt und seit mehreren Stunden habe ich hier Wache gehalten. Wer nicht auf dem Hofe war, konnte nicht ungesehen hineingelangen.«

»Wer nicht auf dem Hofe war,« wiederholte der Professor, »dann gibt es nur einen Ausweg.«

»Wir gehen ins Schloß,« fuhr der Förster fort.

»Und in die verschlossenen Zimmer. Ich begleite dich.«

»Und Christensen bleibt hier und hält Wache. Von hier hat er einen ausgezeichneten Ausguck, niemand kann ins Schloß kommen oder es verlassen, ohne daß er ihn sieht. Ringsherum die menschenleeren Wege und die mondhellen Rasen. Wenn wir uns aber unter den Schatten der Bäume halten, können wir von den Fenstern aus nicht gesehen werden.«

Kurz darauf standen die beiden Freunde an der Rückseite des Schlosses. Der Förster schloß die Haustür auf. Sie gingen so leise wie möglich. Zuerst kamen sie in die große Halle und zündeten eine der kleinen Wandlampen an, die genug leuchtete, daß sie den Weg finden konnten. Fast die ganze große Halle blieb im Dunkeln liegen, eine brütende Dunkelheit, die die Dimensionen vergrößerte. An der eingeschlossenen Luft merkte man, daß das Haus längere Zeit unbewohnt gewesen war. Wände, Treppenstufen und Möbel entbehrten menschliche Nähe. Als die beiden Männer die Treppen hinaufstiegen, hallten ihre Schritte seltsam in der großen Halle wider. Durch eine Galerie gelangten sie in einen südlichen Flügel. Indem sie weitergingen, drehte der Förster nach und nach elektrische Kontakte auf und zu. Beim spärlichen, flammenden Lichtschein traten alte massive Möbel, Gobelins und Malereien hervor. Dunkle Gesichter starrten sie einen Augenblick von Jahrhunderte alten Gemälden an und wurden dann wieder von der Dunkelheit verschlungen. Schließlich blieben sie vor einer hohen Tür stehen, die tief in der Wand lag. Der Förster zeigte darauf und flüsterte:

»Hier ist der Eingang.«

Er beugte sich zum Schloß herab und leuchtete mit einem Streichholz.

Ueber dem ursprünglichen alten Schloß war ein neuer Mechanismus angebracht, eines jener starken amerikanischen Schlösser, die so schwer mit falschen Schlüsseln geöffnet werden können.

Er drückte den Drücker mit einem energischen Griff herab. Die Tür war natürlich verschlossen. Dann beugte er sich herab und sah durchs Schlüsselloch.

»Es sitzt kein Schlüssel im Schloß,« sagte er, »ich kann drinnen den Mondschein sehen.«

»Ich will hinein,« sagte der Professor, »der mysteriöse Mensch muß ja noch drinnen sein. Können wir die Tür nicht einschlagen?«

Der Förster legte seine Hand prüfend auf die breiten Pfosten.

»Dazu würden übermenschliche Kräfte gehören,« sagte er, »aber ich habe mit dieser Möglichkeit gerechnet.«

Damit zog er einen großen Militärrevolver aus der Tasche. Bevor er aber davon Gebrauch machte, schlug er ein paarmal kräftig mit der Faust gegen die Tür.

»Hallo,« rief er, »wir wissen, daß jemand drinnen ist.«

Keine Antwort.

»Wer sind Sie?«

Wieder keine Antwort.

Die lauten Rufe klangen drohend durch den stillen dunklen Korridor.

Da rief der Förster zum letztenmal durch die verschlossene Tür: »Wir schießen durchs Schloß! Nehmen Sie sich in acht!«

Er setzte den Revolver gegen den amerikanischen Mechanismus und drückte ab. Große Splitter wurden mit dem gesprengten Schloß aus der Tür geschossen, die nach der Explosion ganz von selbst aus ihren Fugen glitt und sich öffnete. Die beiden Männer traten schnell in den Raum. Kein Mensch war zu sehen. Nur Möbel und Malereien und Borde mit Kunstgegenständen längs der Wände. Hier und dort flammte es auf goldenen Rahmen und vergoldeten Gegenständen, sonst aber war das Zimmer von staubweißem Mondschein erfüllt, der hart und kalt durch das große Fenster strömte – und außerdem von Stille, jener lebensleeren, menschenfernen Stille, die sich hier drinnen deutlicher und drückender bemerkbar machte als draußen.


 << zurück weiter >>