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Vorwort

... schon früh erwuchs mir ... ein Mißtrauen gegen Landesgrenzen und eine innige, oft leidenschaftliche Liebe zu allen menschlichen Gütern, welche ihrem Wesen nach die Grenzen überfliegen und andere Zusammengehörigkeiten schaffen als politische. Darüber hinaus fand ich mich mit zunehmenden Jahren immer unentrinnbarer getrieben, überall das, was Menschen und Nationen verbindet, viel höher zu werten als das, was sie trennt.

Hermann Hesse

Das französische Original dieses Romans erschien im Jahr 1864 in Paris Im Verlag Hachette. unter dem Titel L'ami Fritz. Es hat zwei Verfasser, denn die Bezeichnung Erckmann-Chatrian steht für das Autorenteam Emile Erckmann (1822-1899) und Alexandre Chatrian (1826-1890), das eine lange Reihe von literarischen Werken gemeinsam verfaßte. Zumeist schrieb Erckmann die Texte, Chatrian las sie gegen und sorgte für die Veröffentlichung.

Das literarische Verdienst dieser Autoren wird im wesentlichen darin gesehen, daß sie mit ihren romans nationaux die napoleonische Zeit entzaubert haben So die Kurzcharakterisierung des Werks der Autoren im Dictionnaire de notre temps (Paris 1988: Hachette).. Vor allem die Histoire d'un conscrit de 1813 oder der Folgeband Waterloo sind hier zu nennen Nachweise über das Gesamtwerk von Erckmann-Chatrian finden sich im National Union Catalog, Pre-1956 Imprints, Vol. 161 (Chicago 1971: Mansell), S. 222 ff, und bei Schmuck / Gorzny / Popst / Schöller: Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (GV) 1700-1910, Band 34 (München, New York, London und Paris 1981: K.B. Saur), S. 36 ff..

Obwohl auch L'ami Fritz an manchen Stellen die napoleonische Zeit anspricht, zählt dieses Buch nicht zu den romans nationaux, sondern zu den romans populaires, der zweiten Hauptlinie, in der die beiden Autoren auf die Lebensart und die Sitten im Elsaß und in Ostlothringen eingehen. Vermutlich ist das der wesentliche Grund, weshalb L'ami Fritz in Frankreich bis in die Gegenwart als eins der wichtigsten Werke von Erckmann-Chatrian anerkannt und populär ist, denn dieser Roman stellt die Bräuche und das lebensfrohe Selbstgefühl der Ostfranzosen in einer Weise dar, die bis auf den heutigen Tag gilt. Die Treffsicherheit der Autoren erklärt sich daraus, daß Emile Erckmann in L'ami Fritz seine Kindheits- und Jugenderinnerungen in Phalsbourg in Ostlothringen verarbeitet hat Georges Benoit-Guyod: La vie et l'œuvre d'Erckmann-Chatrian, in Jean-Jacques Pauvert (Hrsg.): Erckmann-Chatrian, Contes et romans nationaux et populaires (Paris 1962: Pauvert & Hachette), Band XIV. Einzelheiten finden sich in den Fußnoten zu den folgenden Kapiteln..

Belege für die andauernde Beliebtheit des Romans und seiner Titelfigur in Frankreich sind ein kürzlich erschienener Folgeroman Bernard Riebel: La lune de miel de l'ami Fritz (Sarreguemines 1993)., die Verwendung der Begriffe L'ami Fritz und Fritz Kobus zu kommerziellen Zwecken sowie die Tatsache, daß der Roman heute in fast jedem Buchladen im Elsaß und in Ostlothringen erhältlich ist, oft sogar in verschiedenen Ausgaben, die allesamt in den letzten Jahren gedruckt wurden.

Der Erfolg des L'ami Fritz in Frankreich geht allerdings nicht auf eine kürzliche Entwicklung zurück, sondern stellte sich von Anfang an ein, so daß der Stoff – federführend war insoweit Alexandre Chatrian – bald zu einem Lustspiel L'ami Fritz, comédie en trois actes, en prose par Erckmann-Chatrian, musique de Henri Maréchal. verarbeitet wurde, das seit seiner Uraufführung in der Pariser Comédie Française (1876) ähnlich beliebt ist wie der Roman. In den 1930er Jahren wurde L'ami Fritz verfilmt; als Kulisse diente das historische Stadtviertel Bruch im nordelsässischen Wissembourg. Weniger erfolgreich und daher nur der Vollständigkeit halber zu erwähnen ist die Oper L'amico Fritz, die Giovanni Mascagni, der Komponist der Cavalleria Rusticana, zu dem von Nicola Daspuro alias T. Suardon anhand der Komödie verfaßten Libretto schrieb und die 1891 in Wien uraufgeführt wurde Angaben zu der Oper zitiert nach Rein A. Zondergeld in: Enzyklopädie des Musiktheaters (München 1989), Band 3, S. 708 ff..

Auch in Deutschland war man zunächst rege an L'ami Fritz interessiert; mehrere deutsche Außerdem sind italienische, spanische, englische, holländische und finnische Übersetzungen erschienen ( National Union Catalog, s.o., Fußnote 3). Übersetzungen Die in Fußnote 3 genannten Bibliographien nennen M. Bergmann: Freund Fritz (Leipzig 1892: P. Reclam jun.); M. Platschek: Freund Fritz (Berlin 1892: J. Gnadenfeld & Co.); Dr. Hallbauer: Freund Fritz / Bild aus dem Kleinstadtleben (Halle a.d.S. 1889: O. Hendel); Ludwig Pfau: Vetter Fritz, in: Ausgewählte Werke (Stuttgart 1882: Rieger). und andere Bearbeitungen Die in Fußnote 3 genannten Bibliographien nennen Prof. J. Etlin: L'ami Fritz, im Auszug mit Anmerkungen zum Schulgebrauch, nebst Anhang und Wörterbuch, 3 Bände (Bielefeld und Leipzig 1906: Velhagen & Klasing); ferner die Übersetzung der Komödie L'ami Fritz von Demetrius Schrutz: Freund Fritz, Lustspiel in 3 Aufzügen von Erckmann-Chatrian (Halle a.d.S. 1893: O. Hendel). des Stoffs erschienen kurz nacheinander. Es blieb aber durchweg bei je einer Auflage, und wie im Ausland Nach dem National Union Catalog (s.o., Fußnote 3) wurde das Lustspiel L'ami Fritz in den USA 1920 aufgeführt, und in Spanien erschienen Übersetzungen des Romans noch ca. 1942 und 1969. – Frankreich selbstverständlich ausgenommen – wurde es hierzulande bald still um das Buch. Man muß davon ausgehen, daß L'ami Fritz bereits vor dem Ersten Weltkrieg beim deutschsprachigen Leserpublikum in Vergessenheit geraten war. Das mag daran gelegen haben, daß Erckmann-Chatrian sich nach dem Krieg von 1870 dem (französischen) Revanchismus und Nationalismus zuwandten und damit nicht nur ihre deutschen Leser brüskierten, sondern auch alle Qualitäten aus der Hand gaben, die L'ami Fritz auszeichnen und die – wie man noch sehen wird – der Grund für diese Neuübersetzung sind. Der deutlichste Beleg für den Abstieg des L'ami Fritz ist die erwähnte Bühnenversion von 1876, die man als Profanisierung des Stoffs bedauern darf.

Aber lassen wir die alten Kamellen und wenden wir uns der Frage zu, weshalb dieser vergessene Roman heute, 130 Jahre nach seinem Erscheinen, erneut in deutscher Sprache aufgelegt werden sollte.Bei allem Respekt vor unseren Nachbarn kann allein die andauernde Popularität des Buches in Frankreich kein hinreichender Grund für eine neue Übersetzung sein, und auch der literarische Wert des Romans genügt nicht, denn L'ami Fritz bietet ein eher schmales Vokabular, fällt im Stil manchmal etwas holprig aus und weist mehr als gelegentlich kitschige Verzeichnungen und Betulichkeiten auf. Diese Mängel werden durch die Vorzüge des Romans – eine frische, manchmal fast rasante Erzählhaltung, plausible Charaktere, feine, zurückhaltende Ironie, kristallklarer Realismus, lebendige, bunte Bilder und viele authentische Versatzstücke – eher knapp ausgeglichen.

Die Gründe, weshalb L'ami Fritz wieder auf deutsch gelesen werden sollte, gehen aus der Bedeutung hervor, die erst die jüngere oder gar zeitgenössische deutsche Geschichte diesem Buch gegeben hat. Bevor dies erörtert wird, erscheint es allerdings nötig, die ›doppelte Szenerie‹ des L'ami Fritz zu betrachten.

In Frankreich wird z.T. heute noch gern behauptet Z. B. im Klappentext der Textausgabe des Verlags Jean-Claude Lattès (Paris 1987) sowie auf dem Deckel der Ausgabe der Librairie générale française (Paris 1990: Le livre de poche)., daß L'ami Fritz im Elsaß spielt. Wer den Roman jedoch mit der Landkarte liest, wird bald feststellen, daß er in Wirklichkeit zwei geographische Räume beansprucht: Eine Reihe von Ortsnamen (etwa Hunebourg, Lixheim oder Forstheim) und geographischen Bezeichnungen (z.B. Meisenthâl) sowie die dargestellten Sitten und Gebräuche weisen auf das ostlothringische Städtchen Phalsbourg und seine Umgebung hin, das Emile Erckmanns Geburtsort ist und zu dem die Beschreibung von Hunebourg paßt.

Eine zweite Gruppe von Ortsnamen und Bezeichnungen (z.B. Lauter, Rothalps oder Landau) und vor allem bestimmte Äußerungen der Charaktere des Romans dagegen weisen in eine andere Richtung: Demnach hätte Fritz Kobus als Untertan des Königs von Bayern in der Südpfalz gelebt, etwa im Raum zwischen Dahn und Landau. Das wäre bei Erckmann-Chatrian kein Zufall, denn immerhin spielen ihr Roman La taverne du jambon de Mayence und die Kurzgeschichte Le combat de coqs ou le hibou de la synagogue in Bergzabern.

Fragt man nach dem Grund für die Wahl dieser doppelten Szenerie des L'ami Fritz, so könnte man zunächst auf eine geschickte literarische Spielerei der Verfasser schließen, die sich die Ähnlichkeiten zwischen Ostlothringen und der Südpfalz zunutze macht. Immerhin ähneln sich diese Gebiete landschaftlich in einem gewissen Grad, es gibt einige Parallelen in den Traditionen, den Gebräuchen und der Mentalität der Bewohner, und immerhin war die Südpfalz vor 1815 lange Zeit französisch.

Für die Autoren war jedoch der Gedanke, daß sich die heiteren und amourösen Erlebnisse des Fritz Kobus ebensogut in der deutschen Pfalz wie im französischen ›Pfalz-Burg‹ hätten abspielen können, offenbar mehr als ein Spiel. Sie wollten die kulturelle Gleichwertigkeit der beiden Gebiete demonstrieren und beabsichtigten wahrscheinlich sogar eine Art literarische Wiedervereinigung Deutschlands und Frankreichs. Immerhin hatte Emile Erckmann – der deutsch ebensogut verstand wie französisch – bereits als Fünfzehnjähriger die Eingebung, im Elsaß ein deutsch-französisches Kulturzentrum zu gründen, um die überreichen Kulturschätze der beiden Nationen zu vereinen Benoit-Guyod (s.o., Fußnote 4), S. 42, erwähnt, daß Johann Wolfgang Goethe während seines Studiums in Straßburg einen ganz ähnlichen Einfall hatte, der allerdings seinerzeit ebensowenig verwirklicht wurde wie Erckmanns Idee., und die Werke von Erckmann-Chatrian aus der Zeit vor dem Deutsch-Französischen Krieg bringen der deutschen Kultur und Zivilisation geradezu demonstrativ Sympathie und Respekt entgegen.

Man kann L'ami Fritz daher so verstehen, daß die Autoren in Fritz Kobus einen Franzosen mit ›teutonischen‹ Ahnen und zugleich einen Deutschen darstellen, dem französischen Publikum die fremdartige ›teutonische‹ Mentalität nahebringen und zugleich Deutschland ein Kompliment machen wollten. Denn die Akribie und der Stil, mit denen über den gesamten Text hinweg Gewohnheiten, Empfindungen, Gedankengänge und Gespräche wiedergegeben werden, können nur den Zweck haben, dem Leser das Denken und Handeln der Charaktere als vernünftig und anerkennenswert nahezulegen, wenn es dem französischen Publikum auch an manchen Stellen ungewohnt erscheinen mag, während ein deutscher Leser dieselben Passagen als übergenau empfinden könnte.

L'ami Fritz wird wohl noch heute vom französischen und deutschen Publikum verschieden aufgefaßt. Der heutige Leser diesseits der Grenze darf den Franzosen ihren Teil lassen und sich darauf beschränken, Fritz Kobus und seine Freunde als deutsche Kleinstadtbürger des 19. Jahrhunderts zu betrachten. Da viele ›deutsche Elemente‹ dieses Romans aus dem französischen Phalsbourg importiert wurden, kann man zwar darüber streiten, wie ›echt‹ die Schilderung des Kleinstadtlebens im L'ami Fritz ist oder was sich in den 130 Jahren seit dem Erscheinen des Romans an der Mentalität der Deutschen geändert hat. Unbestreitbar ist jedoch, daß die Beschreibung der Charaktere aus einer wohlwollenden Perspektive heraus verfaßt wurde. In dem Kompliment, das L'ami Fritz den Pfälzern stellvertretend für die gesamte deutsche Kultur und Zivilisation macht, liegt einer der wesentlichen Vorzüge dieses Romans und zugleich der erste Grund für seine nochmalige Übertragung ins Deutsche. Kaum jemand nennt die Zustände im Deutschland der Gegenwart ›ordentlich‹, aber viele von uns sehnen sich nach einer Darstellung akzeptabler Zustände, um sich daran orientieren zu können. Wenn ein Modell für die Gegenwart oder die Zukunft fehlt, dann bleibt uns nur der Blick in die Vergangenheit, die Besinnung darauf, woher wir gekommen sind und inwieweit wir die Ansätze von früher wiederaufgreifen sollten. Eben das – die Rückschau in das liebe alte Deutschland – bietet L'ami Fritz.

Zugleich reiht sich L'ami Fritz in diejenigen Werke ein, die Brücken zwischen den Völkern schlagen. Wenn Erckmann-Chatrian in Fritz Kobus und seinen Freunden sowohl Deutsche als auch Franzosen darstellen wollten, so muß man dies als den Versuch zur Anbahnung eines deutsch-französischen Verständnisses auffassen. Und wenn die Autoren dieses Verständnis bereits anregen wollten, lange bevor dessen Notwendigkeit allgemein bewußt wurde, so kann dies nur als erstaunlicher Weitblick erklärt werden. Mit L'ami Fritz haben Erckmann-Chatrian sich einen Platz unter den fernen, aber gesicherten Ahnen der europäischen Idee verdient – und unsere Nachsicht wegen ihres späteren nationalistisch-revanchistischen Sündenfalls.

Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die beiden besten Freunde des Fritz Kobus betrachtet, denn Erckmann-Chatrian stellen ihrem Fritz Kobus einen Juden und einen Zigeuner zur Seite, ausgerechnet Vertreter zweier Minderheiten, die in unserem Jahrhundert unter den Grausamkeiten Deutschlands so schrecklich leiden mußten und die in Deutschland nicht einmal in der Gegenwart völlig unangefochten sind.

Bemerkenswert am Ansatz des L'ami Fritz ist zunächst, daß die Autoren den Zigeunermusikanten Josef Almani und den Rabbi David Sichel als von der übrigen Bevölkerung akzeptiert und allenfalls geringfügigen Herabsetzungen und Ausgrenzungen ausgesetzt darstellen. Da dies der Realität in Frankreich und in Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht entsprach, darf man annehmen, daß Erckmann-Chatrian mit ihrer Darstellung des Juden und des Zigeuners einen besonderen Zweck verfolgt haben. Offenbar wollten sie an ihre Leser appellieren, es den guten Leuten in Hunebourg gleichzutun und Minderheiten und Außenseitern unvoreingenommen gegenüberzutreten. Die Autoren liefern auch eine Begründung für ihren Ansatz, indem sie demonstrieren, daß Vertreter von Minderheiten, die man unbehelligt läßt, die sie duldende Gesellschaftsordnung respektieren, geläufige Talente und verständliche Neigungen an den Tag legen und sich im allgemeinen weder fremdartig noch ›besser‹ oder ›schlechter‹ als Fritz Kobus und die autres bavarois benehmen. Daher kann L'ami Fritz ohne weiteres als ein Plädoyer für eine tolerante Gesellschaft verstanden werden.

Der besondere Zweck, den Erckmann-Chatrian mit der Darstellung des Rabbi und des Zigeuners verfolgen, verleitet die Autoren übrigens nicht dazu, diese Charaktere in künstlicher Weise hervorzuheben. Im Gegenteil, so natürlich, plausibel, lebendig und ausgewogen zugleich werden Vertreter dieser Randgruppen in der deutschen Literatur nur selten beschrieben. Es ist daher unerläßlich, daß Josef Almani und Rabbi Sichel – die immerhin zwei historischen Personen abgeschaut wurden – auf dem Wege der Wiederbelebung dieses Romans erneut in die deutsche Literatur einziehen.

Die Figur des Rabbi David Sichel verdient in diesem Zusammenhang besondere Erwähnung, denn dieser Charakter weicht von allen Klischees wohltuend ab. Erckmann-Chatrian stellen nicht nur einen weisen und in seiner Weisheit für jedermann verständlichen, gläubigen Juden dar, sondern auch einen armen Schlucker, der ständig in Geldnöten steckt und seinen wohlhabenden Freund Kobus häufig um erhebliche Kredite bitten muß. Das Besondere an der Figur des Rebbe David ist jedoch die Art und Weise, in der er am Ende der Geschichte ein wenig über sich selbst hinauswächst, sich den naheliegenden Triumph über den in Schwierigkeiten geratenen Fritz versagt und diesem stattdessen seine Freundschaft durch einen ›Liebesdienst‹ beweist.

Ausgerechnet ein Zigeuner und ein Jude sind also Fritz Kobus' beste Freunde . Es ist, als ob Erckmann-Chatrian den Bedarf der Gegenwart nach der literarischen Darstellung eines reibungslosen Verhältnisses zu diesen Minderheiten vorhergesehen hätten. Wenn die ›gesellschaftliche‹ Bedeutung des Romans erst heute in ihrem vollen Umfang erkannt werden kann, so läßt dies L'ami Fritz 130 Jahre nach seiner Erstausgabe so jung und frisch erscheinen wie seine Titelfigur selbst.

Diese Vorzüge machen L'ami Fritz im Ergebnis eindeutig lesenswert. Zu den bereits vorgestellten moralischen und literarischen Qualitäten treten die Spitzweg-Romantik, der offenbar auch französische Gemüter zugänglich sind, die Bloßstellung frömmlerischer Rückständigkeit, der Querschnitt durch die deutsch-ostfranzösische Liederlandschaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die Beschreibung eines Weinkellers, bei der jedem Weinliebhaber das Wasser im Mund zusammenlaufen muß, das plausible Psychogramm eines Junggesellen, der durch die Macht zarter Gefühle umgekrempelt wird und dadurch an Menschlichkeit gewinnt, eine schöne, aber nicht klischierte Liebesgeschichte mit Happy End, die schonungslose Beschreibung der Steuereintreibung im 19. Jahrhundert, die Anklänge an den Vormärz und die realistische Darstellung einer Gerichtsverhandlung, in der ein versierter Laienrichter eine zum Meineid bereite Partei derart nachdrücklich über die Folgen des falschen Schwurs belehrt, daß sie schließlich vom Eid Abstand nimmt.

Die geschilderten Schwächen des Romans lassen sich zumeist bei der Übersetzung abmildern, ohne daß dabei der Inhalt nennenswert verändert werden muß. Nur ein Mangel war in der Übersetzung nicht völlig auszumerzen, nämlich die untergeordnete, letztendlich abwertende Rolle, die allen Frauen in diesem Buch zugewiesen wird, ausgenommen nicht einmal die geliebte, charmante Susel. Man sollte Erckmann-Chatrian diesen Fehler angesichts der vielen Vorzüge des Buchs nachsehen, zumal wir im späten 20. Jahrhundert endlich die Aussicht haben, daß die vielen heiteren, liebenswerten und vor allem klugen Mädchen und Frauen, die es gottlob auch heute noch gibt, in der europäischen Gesellschaftsordnung nun endlich so weit aufrücken werden, wie es ihnen natürlicherweise zusteht.

Ich möchte mich herzlich für die freundliche Unterstützung und Beratung bedanken, die mir Frau Dr. Linder-Beroud vom Deutschen Volksliederarchiv in Freiburg im Breisgau, das Institut Français (ebenda), das Militärgeschichtliche Forschungsamt / Wehrgeschichtliche Museum in Rastatt, die Bibliothèque des Musées in Strasbourg, die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe, das Museum für Verkehr und Technik in Berlin, das Deutsche Spielkarten-Museum in Leinfelden-Echterdingen und die Volkskundlichen Sammlungen des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums in Schleswig gewährt haben. Ich wollte, ich könnte auch einem jüdischen Gelehrten Dank für ergänzende Beratung zu den vielen Bibeltexten, jüdischen Begriffen und Sitten sagen, die im L'ami Fritz angesprochen sind, aber es gelang mir trotz mancherlei Bemühungen nicht, auf dieser Seite jemanden anzusprechen.

Verbunden bin ich last not least den Schöpfern der elektronischen Textverarbeitung, ohne deren vielfältige Möglichkeiten ich mich nicht an die Übersetzung gewagt hätte.

Weingarten / Baden, im September 1995
Hans Schwenke


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