Emil Ertl
Freiheit die ich meine
Emil Ertl

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Es verstrich Tag um Tag in banger Erwartung, ohne daß es zum Kampfe kam. Der Angriff, den Fred für nahe bevorstehend gehalten hatte, erfolgte nicht. Nur vereinzelt und selten hörte man da und dort an der äußeren Umwallung das Geknatter von Gewehrfeuer, das bald wieder erstarb. Die Kaiserlichen schienen noch keine Lust zu haben, das Gefecht ernstlich aufzunehmen, und wenn ein hitziger Mobiler von einer Linienbarrikade oder einer Schanze am Verzehrungssteuergürtel auf einen ihrer Vorposten hinausschoß, so antworteten sie wohl mit ein paar Musketenschüssen, oder gar mit einem warnenden Kanonenschlag, vermieden es aber, sich näher einzulassen, und zogen sich in aller Stille etwas weiter von der Umwallung zurück. Fred war enttäuscht darüber und fand es feige, daß man sich damit begnüge, die Stadt zu zernieren und die Lebensmittel zu verteuern. Und einmal, als Ohm Schinackel ihn in seiner Stellung in der Nähe der Favoritenlinie besuchen kam, beklagte er sich förmlich darüber, daß es ewig nicht losgehe.

»Geduld, junger Heißsporn!« sagte Schinackel lachend. »Das wird nicht eine gewöhnliche Rauferei, wo ein jeder anfängt, der mag; das wird ein regelrechter Krieg, und dazu gehört eine Kriegserklärung. Bevor Fürst Windischgrätz die Feindseligkeiten aufnimmt, wird er uns doch wohl erst fragen, ob wir uns nicht gutwillig ergeben wollen?«

»Ihr werdet euch doch nicht gutwillig ergeben?« fragte Fred rasch.

»Es wird auf die Bedingungen ankommen, die er uns stellt. Wenn er nichts verlangt als eine Untersuchung gegen die Mörder Latours und im übrigen die freiheitlichen Errungenschaften garantiert, so werde ich dafür stimmen, Blutvergießen zu vermeiden.«

»Es wird keine Freiheit zugestanden werden, wenn sie nicht mit Blut erkauft wird,« sagte Fred mit Überzeugung.

»Ich habe mir heute morgens vom Stephansturm den Aufmarsch der Armee angesehen,« versetzte Schinackel ernst. »Vom Lagerberg bis zu den Ausläufern des Wienerwaldes hinüber und von da bis an die große Donau hinunter und weiter, das linke Ufer der Donau entlang, bis ins Marchfeld hinein, wo einst Rudolf von Habsburg den böhmischen Ottokar und Erzherzog Karl den Napoleon aufs Haupt schlug – blitzt es von Waffen und Helmen, von Fußvolk, Reitern und Kanonen. Truppen aller Waffengattungen und aller Nationen, das ganze österreichische Heer, soweit es nicht unter Radetzky in Italien steht, ist um Wien zusammengezogen, vielleicht mit der Bestimmung, die Freiheit dieser Stadt zu erdrücken und ihren Zusammenhang mit dem deutschen Mutterlande zu unterbinden. Ist dieses wirklich der Zweck der militärischen Operation, so bleibt uns nichts als der Kampf. Stellt man uns aber Bedingungen, die wir annehmen können, ohne unserer konstitutionellen Ehre etwas zu vergeben, so wird jeder Besonnene, der dieses gewaltige Kriegsbild vor seinen Augen aufgerollt sah, zur Unterwerfung raten.«

»Und warum stellt Fürst Windischgrätz nicht endlich seine Bedingungen?« fragte Fred ungeduldig.

»Weil er selbst erst dieser Tage eintrifft und offiziell das Oberkommando noch gar nicht übernommen hat ... «

Es blieb Fred nichts übrig, als seiner Kampflust Zügel anzulegen.

An einem klaren Morgen, schon gegen die letzte Oktoberwoche, erhielt er durch eine Estafette Befehl, sich im Hauptquartier im Palais Schwarzenberg einzufinden, um Weisungen entgegenzunehmen. Er machte sich mit Ladurner auf den Weg, sie fanden an einer Straßenecke einen Maueranschlag angeklebt, den sie begierig lasen. Es war eine Proklamation des Fürsten Windischgrätz an die Bevölkerung Wiens: Die Stadt habe sich binnen achtundvierzig Stunden bedingungslos zu unterwerfen, die Waffen abzuliefern, das Erscheinen sämtlicher Zeitungen zu suspendieren, die bewaffneten Korps und die akademische Legion aufzulösen und eine Anzahl vom Fürsten näher zu bezeichnender Individuen auszuliefern. Wer sich diesen Maßregeln widersetze, oder mit Waffen in der Hand betreten werde, verfalle der standrechtlichen Behandlung.

Da waren also endlich die Bedingungen des Fürsten.

»Kurz und bündig!« sagte Fred empört.

Nicht minder entrüstet war Ladurner.

»Sell ischt auch ein Höllenzoch, der Messenhauser, daß er so einen Luderswisch noch öffentliach bekanntmacht!«

Im Palais Schwarzenberg wurden sie von Fenner von Fenneberg empfangen, der als Tiroler mit Ladurner bekannt war. Von ihm erfuhren sie, worum es sich handle. Ihre Bestimmung für den voraussichtlich bevorstehenden Kampf sollten sie entgegennehmen. Fenneberg, der ein höchst einnehmender und stattlicher Mann in den Dreißigern war und einen prachtvollen braunen Vollbart trug, fragte sie, ob sie einen bestimmten Wunsch hätten, auf welcher Seite der Stadt sie postiert sein wollten, und sie antworteten, auf der am meisten gefährdeten. Er lachte und meinte, es würde vermutlich von allen Seiten zugleich angegriffen. Da ersuchte Fred, an die westliche Umwallung gestellt zu werden, und Ladurner, mit Freund Leodolter gemeinsam kämpfen zu dürfen.

»Ich werde Sie auf den Schmelzerfriedhof einteilen,« sagte Fenneberg, in einen Stadtplan blickend. »Er liegt zwar außerhalb des Linienwalls, soll aber so lange wie möglich gehalten werden und ist noch viel zu schwach besetzt. Der Posten gehört freilich zu den gefährlichsten. Ist es Ihnen recht so?«

»Alle meine Heimgegangenen liegen auf dem Schmelzerfriedhof begraben,« sagte Fred, »auch meine Mutter und mein Vater. Nichts könnte mir erwünschter sein, als gerade diesen mir heiligen Fleck Erde gegen den Feind verteidigen zu dürfen.«

»Dann bleibt es also dabei. Heute und morgen sind Rasttage, achtundvierzig Stunden lang kann für alle Fälle das Schwert in der Scheide ruhen. Gönnen Sie Ihren Leuten und sich selbst Erholung. Sie haben ohnedies schon etwas geleistet,« sagte er lächelnd; »Sie haben uns den ersten Seressaner geschickt, hoffentlich folgen bald andere nach – das heißt, wenn es überhaupt noch zum Kampfe kommt. Heute abend dürfte im Reichstag und Gemeinderat die Entscheidung darüber fallen, ob man den Nacken unter das Joch der hochfürstlichen Bedingungen beugen wird oder nicht.«

Ob er denn ein Eingehen auf eine so schimpfliche Kapitulation nicht von vornherein für ausgeschlossen halte? fragte Ladurner besorgt.

»Wir haben es eigentlich mit lauter Angstmeiern zu tun,« versetzte Fenneberg geringschätzig. »Die Freiheit möchten sie schon, aber nur um Gotteswillen keine Verantwortung. Der Reichstag anerkennt mit Vorliebe den Gemeinderat, und der Gemeinderat mit Vorliebe den Reichstag als die maßgebende Behörde, sie wetteifern förmlich darin, sich selbst für inkompetent zu erklären. Man sollte sie alle miteinander auseinanderjagen. Aber der Messenhauser – ich bitte Sie! Wenden Sie nur ja Ihren ganzen Einfluß auf, daß die Proklamation der böhmischen Durchlaucht keinen Schaden anrichtet! Es war wieder ein arger Schnitzer, sie überhaupt zu veröffentlichen! Das sind diese Poeten und Ideologen! Man kann sich dafür entscheiden, ob man etwas will, oder ob man es lieber bleiben läßt. Wenn man es aber nicht bleiben läßt und will, so muß man auch die Mittel wollen, die zum Ziel führen.«

»Als Organisator hat Messenhauser Tüchtiges geleistet, heißt es,« sagte Fred, dem es mißfiel, daß der Leiter der Feldadjutantur respektlos vom Oberbefehlshaber sprach.

»Am Schreibtisch ist er nicht übel,« urteilte Fenneberg ungeniert über seinen Chef; »vor dem Feind aber mehr Wenzel als Cäsar. Kanonen lassen sich durch langatmige Stilübungen nicht zum Schweigen bringen. Das tapfere Volk von Wien hätte einen andern Oberstkommandierenden verdient.«

Als sie weggingen, war Fred verstimmt.

»Er äußert sich etwas frei und offen,« meinte Ladurner.

»Gehört das auch zur Freiheit, diese Neigung zur Unbotmäßigkeit?«

Ladurner wurde nachdenklich. Vielleicht waren es nur die kritischen Naturen, die die Freiheit liebten, die geborenen Rebellen, die keine Autorität erkennen wollten?

»Daß er vielleicht recht hat – das entschuldigt ihn allenfalls,« entschied Fred.

Während am Abend Reichstag und Gemeinderat über die Kapitulationsbedingungen bewegte Beratungen abhielten, wurde auch im »Goldenen Stuck« von nichts anderem gesprochen. Fred war nach Hause gekommen, die achtundvierzig Stunden, die der Stadt als Entscheidungsfrist gestellt waren, durften die Waffen ruhen. Aber am nächtlichen Himmel stand ein Feuerschein, und von Mund zu Mund war die Nachricht geflogen, daß die Mobilen die große Donaubrücke in Brand gesteckt hätten, um den Feind von der Leopoldstadt abzuhalten, mit dem sie in der Gegend des Augartens bereits handgemein geworden. Zu brennend war auf beiden Seiten der Wunsch gewesen, den Kampf mit dem verhaßten Gegner endlich aufzunehmen.

Auch von der großen Familienstube im »Goldenen Stuck« konnte man den glutroten Himmel sehen.

»Ich kenne mich nicht besonders aus mit Gesetzen und konstitutionellen Gebräuchen,« sagte der Muschir. »Aber daß der Windischgrätz das Recht haben soll, um Wien zu hausen wie in Feindesland, das kann ich mir doch nicht denken. Diese Säbelherrschaft wird mir bald zu dick. Müssen wir uns das wirklich gefallen lassen?«

»Der Fürst hat keinen Schein von Recht für sich!« beteuerte Fred. »Er beruft sich darauf, daß der Kaiser ihn mit absoluter Machtvollkommenheit ausgestattet habe. Aber hat der Kaiser, als konstitutioneller Monarch, überhaupt absolute Gewalt zu vergeben? Und wenn es wäre – müßte ein Akt, wodurch er sich dieser ihm allein und höchstpersönlich zukommenden Gewalt begibt, nicht die Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministeriums tragen?«

Sogar Poldi war entrüstet und entschlossen, sich den Verteidigern der Stadt anzuschließen.

»Belagerung und Standrecht über eine ganze große Residenz, bloß wegen der Schandtat eines Pöbelhaufens! Wir Wiener sind immer kaisertreu gewesen, und es wäre auch nie so weit gekommen, hätte Graf Latour den Kroaten des Jellachich ihren Sold nicht aus unseren Steuergeldern bezahlt!«

Der alte Großvater aus dem »Blauen Guguck« in der Zieglergasse hatte sich eingefunden, um Neuigkeiten zu hören, und in diesem kritischen Augenblick sein Wort mit in die Wagschale zu werfen.

»Anno neun, wie die Franzosennot war,« sagte er, »da sind wir Wiener von Regierungswegen in einemfort daran erinnert worden, daß wir Deutsche sind, da waren wir gut dazu, das Vaterland zu retten. Jetzt schicken sie uns die Seressaner und eine tschechische Durchlaucht auf den Hals – wegen der paar Hochroten, mit denen wir schon selber aufgeräumt hätten, hätten sie uns Zeit dazu gelassen.«

»Sie haben ja 1809 selber mitgetan, als Landsturmmann?« fragte der Muschir.

»Freilich! Aus derselben Gegend an der schwarzen Lacken unten, wo ich damals gegen die Franzosen gestanden habe, im schottischen Freibataillon, da haben sie heute die Brigittenau bombardiert; und hätten die Mobilen den Augarten nicht gehalten, so wären die Granaten und Brandraketen bis in die Leopoldstadt hineingeflogen. Teufel auch, und das soll kaiserliches Militär sein? Da ist ja der Napoleon menschlicher mit uns umgegangen!«

Poldi hatte sich an eine der Kerzen gesetzt, die auf den Fensterbrettern standen, und studierte ein Zeitungsblatt. Das Gas war ausgegangen, weil das Gasometer sich im Bereich der feindlichen Geschütze befand, und die Straßen lagen im Dunkeln. Darum war die Beleuchtung der Fenster in allen bewohnten Häusern angeordnet worden.

»Das Manifest des Kaisers aus Olmütz ... « sagte er ...

»Das Manifest der Kamarilla!« verbesserte ihn Fred.

»Das Manifest aus Olmütz,« fuhr Poldi fort, »erteilt dem Fürsten Windischgrätz die Vollmacht, das Werk des Friedens nach ›eigenem Ermessen‹ in möglichst kurzer Zeit zu vollbringen. In diesen Worten liegt eine gesetzwidrige Ausschaltung des konstitutionellen Reichstages und Ministeriums offen zu Tage.«

»Vollkommen zutreffend!« stimmte Fred ihm bei. »Einen Diktator zu ernennen, hat niemand das Recht! Nicht bloß das Militär ist kaiserlich, auch Reichstag und Gemeinderat sind in ihrer Wirksamkeit durch kaiserlichen Willen sanktioniert, und die Nationalgarde, die akademische Legion, sogar die Volkswehr durch konstitutionelle Legalität verbrieft!«

Poldi stand auf und sagte fest und ruhig: »Wenn die gesetzlichen Zivilbehörden des Reiches und der Stadt den Widerstand gegen die Armee beschließen, so kann die Bevölkerung sie nicht im Stiche lassen!«

Man wartete jetzt gespannt auf Nachricht, wie sich der Reichstag zu den Kapitulationsbedingungen des Fürsten verhalten würde. Endlich erschien Schinackel, Susann am Arme. Sie sahen beide höchst aufgeräumt aus. Susann leuchtete.

»Wir haben uns entschlossen, Widerstand zu leisten,« sagte sie befriedigt, »und das Vorgehen des Fürsten für ungesetzlich erklärt.«

»Wer?« fragte der Muschir.

»Der Reichstag natürlich,« sagte Schinackel. »Denn Belagerungszustand und Standrecht sind Maßregeln, die nur von den konstitutionell dazu berufenen Gewalten ausgehen könnten, und ausschließlich über ihre Requisition darf nach klar verbrieftem Gesetz Militär einschreiten.«

»Eine solche Requisition liegt aber nicht vor,« sagte Susann, »folglich verstoßen die vom Fürsten über Wien verhängten Maßregeln gegen die konstitutionellen Rechte.«

»Darum hat auch der Reichstag einmütig erkannt,« sagte Schinackel, »daß der Fürst nicht auf legalem Boden steht ...«

»Und sich endlich dazu entschlossen«, ergänzte Susann, »gleichfalls den illegalen Boden zu betreten, auf dem die andern schon längst stehen.«

Schinackel erhob Widerspruch. Sie hätte ihm doch eben nachweisen geholfen, daß das Vorgehen des Reichstages ein durchwegs legales sei? Illegalen Boden werde er nie betreten, und wenn das Recht nicht unzweideutig auf seiner Seite wäre, so hätte er keinesfalls dazu geraten, den Kampf aufzunehmen!

»Das ist mir jetzt gleich,« versetzte sie obenhin, »wenn es nur zum Schießen kommt!«

Inzwischen war der alte Herr Beywald mit Herrn Patruban eingetroffen, die beide aus der Gemeinderatssitzung kamen. Der Reichstag hatte dem Gemeinderat seine Beschlüsse bereits mitgeteilt, und es war zu erregten Wechselreden gekommen, da in der Gemeindestube viele sogenannte Schwarz-gelbe saßen. Auch Herr Patruban, der erst kürzlich von den »Gutgesinnten« seines Bezirkes in die Gemeindevertretung entsendet worden war, gehörte zu ihnen.

»Der Würfel ist gefallen,« sagte Beywald ernst. »Die Ehre gebietet uns, nicht zurückzuweichen. Wir haben uns indessen maßvoll gehalten und uns daraus beschränkt, den Fürsten vorläufig in einem Memorandum auf die Gefahren seines Vorgehens aufmerksam zu machen.«

»Das Memorandum ist zu scharf abgefaßt,« eiferte Patruban; »ich wäre überhaupt dafür gewesen, die Verantwortung abzulehnen. Der Gemeinderat untersteht dem Reichstag, er braucht gar keine eigene Meinung zu haben.«

»Daß der Gemeinderat den Reichstag als oberste Behörde des Landes anerkennt und sich dessen Beschlüssen unterwirft, ist ohnedies ausgesprochen worden,« versetzte Beywald.

»Aber die Beschlüsse des Reichstages haben einen zu schroffen Ton,« beharrte Patruban. »Darum wäre es gut gewesen, den Gemeinderat für alle Fälle zu salvieren. In dem beruhigenden Gefühle unsere Pflicht getan zu haben, hätte ich gesagt, lehnen wir jede Verantwortung auf das entschiedenste ab.«

»Jetzt zum Henker noch einmal,« fuhr Beywald auf; »wer überhaupt etwas tun will, muß auch die Folgen davon auf sich nehmen; ganz ohne Verantwortlichkeit ist nur ein Murmeltier, das seinen Winterschlaf hält! Wir haben dem Fürsten gesagt, daß die Anarchie, die angeblich in Wien herrschen soll, nur in seiner Einbildung besteht, und daß die Aufregung, die die Bevölkerung ergriffen hat, durch nichts anderes als durch die Truppenansammlung vor der Stadt hervorgerufen wird. Ist das vielleicht nicht wahr?«

»Freilich ist es wahr,« sagte der Muschir aufgebracht. »Wenn sie die Stadt von allen Seiten umzingeln und ihr jede Zufuhr absperren, soll dadurch die Bevölkerung beruhigt werden? Kein Licht haben wir mehr, kein Wasser und fast nichts zu essen, wenn wir nicht den Milchmeiern ihre Kühe schlachten. Und gerade Krowaten und Seressaner müssen es sein! Das sind Extremitäten!«

»Es kommt zum Kampf!« rief Fred mit glühenden Wangen. »Es muß zum Kampf kommen!«

»Hitzkopf!« sagte Beywald lächelnd, indem er ihm mit allen fünf Fingern ins Blondhaar griff. »Wer weiß, ob der Fürst nicht doch noch Räson annimmt? Wir haben ihm in unserem Memorandum zu Gemüte geführt, daß die Anwendung von Gewalt Kämpfe entfesseln müßte, die schließlich sogar den Thron ins Wanken bringen könnten.«

»Das war eben zu weit gegangen!« ereiferte sich Herr Patruban abermals. »Den Thron kann überhaupt nichts ins Wanken bringen, das gibt es gar nicht! Wir hätten uns darauf beschränken sollen zu sagen, daß wir, wenn der Fürst wirklich Gewalt anwendet, jede Verantwortung für die Folgen ablehnen müssen.«

»Auf den Wortlaut kommt es dem Fürsten nicht an, glauben sie mir!« suchte Schinackel ihn zu beruhigen. »Dem Manne fehlt es nicht nur an Milde und Billigkeitsgefühl, sondern auch an jeder politischen Einsicht. Er kennt keinen andern Standpunkt als den des Feldwebels gegenüber den Rekruten. Parieren sie, so ist es gut. Parieren sie nicht, so setzt es Stockhiebe.«

»Kennen Sie denn den Fürsten?«

»Wir kennen ihn zur Genüge!« seufzte Susann mit Augenaufschlag zur Decke.

»Aus seinen Worten und Taten nämlich,« ergänzte Schinackel.

»Man braucht bloß die Antwort zu kennen,« sagte Susann, »die er dem Deputierten Pillersdorf, dem ehmaligen Minister, heute in Hetzendorf erteilt hat.«

»Das hab' ich dir eigentlich nur im strengsten Vertrauen mitgeteilt, Susann?« mahnte Schinackel.

»Ich erzähle es auch nur im strengsten Vertrauen«, versetzte sie unbekümmert. »Pillersdorf hat sich nämlich im Laufe des Tages ins Hauptquartier nach Hetzendorf begeben ...«

»Wohl mit Wissen des Reichstages, aber keineswegs in seinem Auftrage ...« stellte Schinackel fest.

» ... Um den Fürsten nachsichtiger zu stimmen und zu milderen Kapitulationsbedingungen zu bewegen. Und wissen Sie, was der Fürst darauf geantwortet hat?«

Alle hingen gespannt an ihren Lippen. Da trat Michella ein und lud zum Abendimbiß. Susann sprang auf: »Gottlob, etwas zu essen! Wie machst du es nur, Michella? Die gibt noch Gastereien, ich weiß mir längst nichts Vernünftiges mehr zu verschaffen! Wenn wir satt werden wollten, müßte ich rein meine Gimpeln schlachten.«

Michella hatte es in der Tat zuwege gebracht, ein einfaches Abendbrot für die ganze Gesellschaft aufzustellen, obgleich die Zernierung der Stadt die Lebensmittel schon rar machte. Man begab sich ins Speisezimmer, wo Sephine, Bethi, Julie und Edi die Gäste mit ernster Miene begrüßten, und setzte sich um den großen Familientisch. Mit den Kerzen erklärte Michella sparsam wirtschaften zu müssen, weshalb die an den Fenstern stehenden zur Beleuchtung des Zimmers und der Tafel genügen mußten. Feierlich übernahm Sephine den Vorsitz.

»Wo bleibt dein Franzl?« fragte sie Herrn Beywald. »Ist der noch immer ganz unpolitisch?«

»Er weicht jetzt keine Minute von Cajetanas Seite; er bildet sich ein, sie könnte zu früh niederkommen, wenn das Schießen losginge und er nicht in ihrer Nähe wäre, sie zu zerstreuen und aufzuheitern.«

»Es kann auch einen gehörigen Lärm geben, wenn alle Feuerschlünde zu brüllen anfangen.«

»Ich bin jetzt einer Erfindung auf der Spur«, sagte Edi Leodolter. »Es handelt sich darum, die Geschütze lautlos zu machen, indem die Schallwellen in großen Schallfängern aufgefangen werden, die rings um das Rohr herum angebracht sind. Denken Sie, was das im Krieg für ein Vorteil wäre, wenn man die Kanonen abfeuern könnte, ohne daß der Gegner etwas davon hört!«

»Freilich! Gewiß! Sicherlich!« sagte Herr Beywald.

Die Herren wollten zunächst garnicht recht ans Essen denken, erst mußten sie die Antwort erfahren, die Fürst Windischgrätz dem Deputierten Baron Pillersdorf in Hetzendorf gegeben haben sollte – das interessierte sie mehr. Sie wendeten sich an Schinackel, der sich aber zurückhaltend zeigte und wiederholte, es sei eine streng vertrauliche Sache.

»Ihre Frau wird es uns schon verraten,« hoffte Herr Patruban. »Spannen sie uns nicht auf die Folter, Frau Susann?«

»Was beliebt, bitte?« fragte sie emsig essend ... »Ach so –? Was der Windischgrätz dem Pillersdorf geantwortet hat, das bin ich Ihnen noch schuldig geblieben? Also –! Aber im strengsten Vertrauen, bitte, denn auch mir ist es unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt worden ... Der Fürst hat gesagt, er nehme überhaupt nur eine Antwort zur Kenntnis, und die laute: Unbedingte Unterwerfung! Auf Unterhandlungen lasse er sich mit Rebellen nicht ein.«

Da wurde es totenstill im Speisezimmer.

»So wissen wir wenigstens, wie wir daran sind,« sagte schließlich der Großvater aus dem »Blauen Guguck«. »Mir tut nur leid, daß ich selbst schon zu alt bin, um noch einmal zur Muskete zu greifen.«

Sephine erhob ihre Hand, in der sie die Gabel hielt: »Das Schlachtroß steigt, und die Trompeten klingen!«

»Ich für mein Teil wäre mehr dafür gewesen, die Verantwortung abzulehnen,« sagte Herr Patruban. »Standrecht! Denken Sie! Da darf man keine Spaßetteln machen!«

»Aufs Schottenfeld und nach St. Ulrich laß' ich sie nicht herein, die Seressaner!« erklärte der Muschir. »Ich werde mir schon irgendwo ein Gewehr verschaffen!«

»Du willst doch nicht mittun?« fragte Julie besorgt.

»Warum denn nicht? Glaubst du, ich lasse mich plündern? Wenn ihnen drei Tage Plünderung erlaubt sind, wie der Fred es erzählt hat!«

Wann es losgehen würde? wollte Susann wissen, die wieder in Zug kam, nachdem sie sich leidlich gesättigt hatte. Übermorgen, meinte man. Die achtundvierzigstündige Waffenruhe dauerte bis dahin.

»Unsere Antwort dürfte freilich schon diese Nacht im Hauptquartier zu Hetzendorf eintreffen,« sagte Beywald. »Und sie wird keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß wir den Krieg wählen und nicht den Frieden.«

»Noch sind Heldenmut und antike Größe nicht ausgestorben!« rief Sephine begeistert. »Es gab nur eine Antwort auf das Ansinnen des Fürsten, die Antwort des römischen Senators, der seine Toga entfaltete: Hier habt ihr Krieg!«

Frau Susann fragte, ob ihr Mann sich schon Waffen verschafft habe? Beywald erklärte ihr, daß es für Deputierte und Gemeinderäte nicht angehe, sich am Kampfe zu beteiligen.

»Dann will ich selbst mittun!« erklärte sie. »Du kannst mir doch eine Legionärsuniform verschaffen, Fred?«

Man suchte es ihr auszureden, aber sie behauptete, im Mai hatten viele verkleidete Mädchen auf den Barrikaden mitgefochten, sogar eine Hofratstochter darunter.

»Auf den Maibarrikaden ist überhaupt kein Blut geflossen,« erklärte Schinackel. »Damals war es eine Komödie jetzt wird es Ernst!«

»Das sind so Extremitäten!« sagte der Muschir ungeduldig. »Dabei kann sie kein Blut sehen! Zupft ihr Weiber Charpie. wenn ihr etwas zu tun haben wollt!«

Aber sie wollte nun einmal eine Legionärsuniform haben und ernstlich mittun.

»Erlaubt es mir doch, bitte, bitte! Ich werde der Legion keine Schande machen und sicher meinen Mann stellen!«

»Ich muß es dir aufs Entschiedenste untersagen!« erklärte Schinackel bestimmt.

Da machte sie ihr Flünschlein und wurde sehr zornig: »Vor Blut fürcht' ich mich einmal gar nicht – da seht einmal!«

Und ehe sie jemand daran hindern konnte, hatte sie sich mit dem Tischmesser ein Äderchen am Pulse geritzt und hielt die blutüberströmte Hand frohlockend über ihren Teller.

Michella führte sie hinaus, sie zu verbinden. Bethi schüttelte bekümmert den Kopf: »Jetzt ist sie verheiratet und gar schon Mutter, und noch immer so wunderlich!«

*


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